Kraftwerk Trattendorf
Vinzenz Czech
1915 begann das deutsch-schweizerische Unternehmen „Brown, Boveri & Cie (BBC) Mannheim“ bzw. sein Tochterunternehmen, die „Elektrische Kraftversorgung AG Mannheim“, mit dem Bau eines Großkraftwerkes am westlichen Spreeufer Trattendorfs, südlich von Spremberg. Für den Bau war von der „Elektrische[n] Kraftversorgung AG“ bereits 1914 die „Niederlausitzer Kraftwerke AG“ gegründet worden. Der Standort wurde gewählt, weil das Wasser der Spree als Kühlwasser genutzt werden sollte. Zudem war die zur Versorgung mit Braunkohle vorgesehene Grube „Brigitta“ nur wenige Kilometer entfernt. Als Hauptabnehmer des zu erzeugenden Stromes war eine ebenfalls zu errichtende, energieintensive Karbidfabrik in unmittelbarer Nachbarschaft vorgesehen, die von der schweizerischen „Lonza-Werke AG“ gebaut werden sollte, an der wiederum die „BBC“ Anteilseigner war. In dieser Phase der Errichtung der ersten Kraftwerke an den Lagerstätten der Braunkohle war die Zuordnung eines leistungsstarken Abnehmers der erzeugten Energie typisch (Kahl 2009, 93).
Das Konzept sah eine Anlage mit zwei Kesselhäusern, fünf Schornsteinen und einem Maschinenhaus für sechs Turbosätze vor. Während des ersten Bauabschnittes waren etwa 500 Arbeiter drei Jahre vor Ort. Wegen fehlender Arbeitskräfte kamen dabei auch viele Kriegsgefangene zum Einsatz. Das Kraftwerk lieferte 1917 den ersten Strom, zwei Maschinen erzeugten 10 MW Leistung. Mit Maschine 3 wurde diese im Juli 1918 auf 19,5 MW erhöht (Kahl 2009, 94) (Abb. 1).
1919 trat ein Wechsel der Besitzverhältnisse ein. Das Werk ging an die reichseigene „Elektrowerke AG Berlin (EWAG)“ über. Zwei Jahre später erwarb die „EWAG“ auch das Kraftwerk der „Vereinigten Aluminiumwerke Lauta“ und avancierte damit zum leistungsstärksten Energieerzeuger auf Braunkohlenbasis in Mitteldeutschland (Kahl 2009, 93).
Für das Kraftwerk Trattendorf bedeutete dies eine umfassende Erweiterung in den 1920er Jahren. Mit der Inbetriebnahme der Maschine 8 stieg die installierte Leistung 1929 zunächst auf 120 MW und im Endausbau, der mit der Inbetriebnahme der Maschine 10 im Jahr 1935 erreicht wurde, lieferte das Werk eine Gesamtleistung von insgesamt 160,5 MW. In den drei Kesselhäusern liefen 30 Kessel und im Kraftwerk waren ab 1935 sieben Maschinensätze in Betrieb, Maschine 10 hatte dabei die ersten drei ersetzt (Abb. 2, 3).
Die aus der Grube „Brigitta“ (Abb. 4) gelieferte Kohle wurde im Kraftwerk auf einer Kohlenhalde als Zwischenvorratsplatz aufgeschüttet. Hier konnten 35.000 Tonnen gelagert werden, was damals den Bedarf für etwa zehn Tage abdecken konnte. Die Halde machte das Werk so auch von grubenseitigen Störungen unabhängig und überbrückte die förderfreie Zeit an den Wochenenden. Aufgrund der mit den Jahren steigenden Anzahl von Maschinensätzen und Kesseln wurde auch die Versorgung mit Kühlwasser nach dem Prinzip der Durchlaufkühlung mit dem Wasser der Spree immer schwieriger. Das Problem konnte nur durch die Errichtung von Kühltürmen an der nördlichen Seite des Kraftwerkes beseitigt werden. Es wurden insgesamt drei Kühltürme, der jeweiligen Ausbaustufe des Kraftwerkes folgend, errichtet. Die Inbetriebnahme erfolgte in den Jahren 1926, 1927 und 1937 (Kahl 2009, 94f.) (Abb. 5, 6).
Das Kraftwerk entwickelte sich in der Region um Spremberg zum größten Arbeitgeber (Abb. 7, 8). So stieg auch die Mitarbeiterzahl kontinuierlich bis zum Jahr 1939 auf 620 Beschäftigte. Für die Werksangehörigen entstanden nach und nach mehrere Wohnsiedlungen.
Der erzeugte Strom konnte ab 1921 sowohl in das sächsische als auch das EWAG-eigene mitteldeutsche Netz zur Versorgung Berlins eingespeist werden. 1926 wurde eine Verbindung zum schlesischen Netz hergestellt und mit dem Bau weiterer Leitungen nach Spandau war ab 1928 auch eine Einspeisung in das Berliner S-Bahn Netz möglich geworden.
Ausreichende Kohlevorräte und eine entsprechende Infrastruktur waren die Grund für die Einbeziehung des Standortes in das „Wärme-Kraft-Sofortprogramm“ des Deutschen Reiches ab 1942. Dabei sollten acht geplante Großkraftwerke gleichen Typs, sogenannte Einheitskraftwerke, je 300 MW aus vier Blöcken á 75 MW erzeugen. Mit Hilfe von Kriegsgefangenen begann 1942/43 am östlichen Spreeufer gegenüber vom „Altwerk“ der Bau des neuen Werkes. Aufgrund des Kriegsverlaufes wurde der Bau in zwei eigenständige „Halbwerke“ aufgeteilt, von denen bis 1945 jedoch lediglich das erste „Halbwerk“ im Rohbau fertig und mit ersten Ausrüstungen bestückt war (Abb. 9).
Im April 1945 wurde das Kraftwerk vor der heranrückenden Front heruntergefahren und stillgelegt. Das Kriegsende überstand es nahezu unbeschadet. Am 19. April besetzte die Rote Armee das Gelände. Die Kraftwerke der „EWAG“ wurden in der Folge beschlagnahmt und Trattendorf zur Demontage vorgesehen.
Quellen
Brandenburgisches Landeshauptarchiv Rep. 901 VEB Kraftwerke "Artur Becker" Trattendorf [Siehe: https://spremberginfo.de/historisch/Trattendorf/index.htm]
Literatur
1915–1995 80 Jahre Kraftwerk Trattendorf. In: Heimatkalender Stadt Spremberg und Umgebung 1995, S. 66-69.
Bedeschinski, Christian: Die Braunkohlenkraftwerke um Spremberg. Berlin 2009.
Kahl, Dieter u.a. (Hrsg.): Braunkohlenverstromung im Lausitzer Revier. Die Geschichte ehemaliger Braunkohlenkraftwerke (= Beiträge zur Geschichte des Bergbaus in der Niederlausitz, 10). Cottbus 2009, S. 93-102.
Lausitzer und Mitteldeutsche Bergbau-Verwaltungsgesellschaft mbH (Hrsg.): Kraftwerk Trattendorf 1915 – 1996.
Verch, Katrin: VEB Kraftwerke „Artur Becker“ Trattendorf. In: Posselt, Rosemarie u.a. (Hrsg.): Staatliche Verwaltung, Wirtschaft, Parteien und Organisationen in den Bezirken Cottbus, Frankfurt (Oder) und Potsdam 1952-1990 (= Übersicht über die Bestände des Brandenburgischen Landeshauptarchivs; Teil III/2). Berlin 2005, S. 328-330.
Abbildungsnachweis
Abb. 1, 2, 5 https://spremberginfo.de/historisch/Trattendorf/index.htm
Abb. 3 SLUB / Deutsche Fotothek / Unbekannter Fotograf
Abb. 4 Sammlung Dr. Günter Grundmann (Detmold)
Abb. 6 SLUB / Deutsche Fotothek / Unbekannter Fotograf
Abb. 7 Lausitzer und Mitteldeutsche Bergbau-Verwaltungsgesellschaft mbH (Hrsg.): Kraftwerk Trattendorf 1915 – 1996.
Abb. 8 Gemeinfrei
Abb. 9 Lausitzer und Mitteldeutsche Bergbau-Verwaltungsgesellschaft mbH (LMBV) (Hrsg.): Braunkohlenveredlung in der Lausitz. Teil II (Ostsachsen) (= Lausitzer Braunkohlerevier. Wandlungen und Perspektiven; 19). 2011.
Empfohlene Zitierweise
Czech, Vinzenz: Kraftwerk Trattendorf, publiziert am 13.10.2022; in: Industriegeschichte Brandenburgs, URL: http://www.brandenburgikon.de (TT.MM.JJJJ)