Zwischen den Kriegen
Brandenburgs Industrie von 1914 bis 1945
Wolf-Rüdiger Knoll
Erster Weltkrieg und Folgen
Die industrielle Entwicklung Brandenburgs zwischen den beiden Weltkriegen ist maßgeblich durch die jeweiligen (Auf-)Rüstungsprojekte, die Bildung von Groß-Berlin im Jahr 1920 sowie die 1929 einsetzende Weltwirtschaftskrise geprägt worden. Noch in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg hatte sich das verarbeitende Gewerbe in Brandenburg zum dominierenden Wirtschaftszweig entwickelt. Stellvertretend für diese Entwicklung kann die Entscheidung des westfälischen Industriellen Rudolf Weber angesehen werden, mit dem Bau eines Stahlwerks in Brandenburg an der Havel nicht nur Berlin versorgen zu wollen, sondern zugleich den in der Großstadt anfallenden Metallschrott als Rohstoff für die Öfen zur Stahlerzeugung zu nutzen. Drei Jahre nach dem ersten Abstich im Mai 1914 hatte der Betrieb bereits 500 Mitarbeiter und profitierte dabei von der rüstungsbedingten Nachfrage nach Stahl- und Walzprodukten (vgl. Sponholz / von Treskow 1998, 419-421). Während des Ersten Weltkrieges entstand auch in Hennigsdorf ein Stahl- und Walzwerk, um die dort ansässigen Unternehmen mit den entsprechenden Vorprodukten zu versorgen. Mit den Stahlwerken in Brandenburg an der Havel und Hennigsdorf gewann die Schwerindustrie massiv an Bedeutung, war sie bis dahin doch nur in sehr begrenztem Umfang überhaupt in Brandenburg vertreten. Die einseitige Orientierung auf die Rüstungsproduktion führte im Havelland 1914 darüber hinaus zur Gründung der Brandenburgischen Flugzeugwerke sowie 1915 zur Errichtung einer Sprengstofffabrik durch die Köln-Rottweiler-Pulverfabriken, aus der nach dem Krieg das Kunstseidewerk in Premnitz hervorging.
Zahlreiche Standorte stellten während des Krieges ihre Produktion auf die Bedürfnisse des kaiserlichen Heeres um. So nahmen das Stahlwerk Brandenburg und die Ardelt-Werke in Eberswalde die Herstellung von Granaten und Geschossen auf. Im Schwartzkopff-Werk Wildau erfuhr die Produktion von Dampflokomotiven für das Heer einen enormen Anstieg. Der Krieg beschleunigte gleichzeitig einen fortlaufenden Konzentrations- und Zentralisierungsprozess der Brandenburger Industrie und damit den Trend zu größer werdenden Produktionseinheiten. Nach Kriegsende mussten viele dieser Betriebe ihre Produktion auf die Friedenswirtschaft umstellen. Durch das abrupte Ende der Kriegsproduktion waren Massenentlassungen in den aufgeblähten Werken vielfach unvermeidlich. So sank die Beschäftigtenzahl in den Werkstätten des Artilleriedepots in Brandenburg an der Havel von 2.000 im Jahr 1918 innerhalb von zwei Jahren auf nurmehr 34. Besonders von Entlassungen betroffen waren dabei Frauen, die in den Kriegsjahren anstelle der an der Front kämpfenden Männer in den Fabriken gearbeitet hatten. Insbesondere in der Niederlausitzer Textilindustrie war zudem ein Rückgang der Anzahl der Betriebe zu beobachten. Produzierten 1890 noch 506 Betriebe, waren es 1920 nur noch 381. Der Mangel an Baumwollimporten führte dazu, dass in den Zentren der Lausitzer Textilindustrie wie in Forst, Cottbus oder Guben nur noch 50 Prozent aller Betriebe arbeiteten. Dies bedeutete allerdings keine dauerhafte Deindustrialisierung. An die Stelle alter Textilfabriken traten in den 1920er Jahren vielfach Maschinenbau-, Holzindustrie und Kunststoffbetriebe (vgl. Materna 1999, 99).
Im Hinblick auf die verwaltungsrechtliche Struktur von Zentrum und Peripherie wirkte der Erste Weltkrieg als Katalysator für die Debatten um die Bildung eines Zweckverbandes Groß-Berlin. Die kommunale Zersplitterung um Berlin herum hatte zuvor zu einer Reihe von organisatorisch-technischen, finanzpolitischen und wirtschaftlichen Nachteilen geführt, die durch die Kriegsfolgen im Hinblick auf soziale Fragen und Versorgungprobleme noch verstärkt wurden (vgl. Splanemann 1992, 765). Zwar hatte Brandenburg kaum Interesse, die ertragreichsten und mit günstigeren Steuersätzen ausgestatteten Berliner Vororte an die Hauptstadt abzugeben, doch konnte sich die Provinz dem wachsenden Druck der Hauptstadtverantwortlichen und den Debatten um eine Verwaltungsreform, die schon vor Ausbruch des Krieges geführt worden waren, nicht länger entziehen. Mit dem Groß-Berlin-Gesetz vom 27. April 1920 wuchs das Berliner Stadtgebiet – auf Kosten Brandenburgs – von 61 auf etwa 880 Quadratkilometer an. Berlin hatte sich damit „seinen Speckgürtel administrativ umgeschnallt“ (Materna 1999, 100). Die größten Städte Brandenburgs waren somit nicht länger Charlottenburg (1905: ca. 255.000 Einwohner) oder Rixdorf (1905: 153.513 Einwohner), sondern Frankfurt/Oder (1925: 71.000 Einwohner) und Potsdam (64.000). Was für Berlin durchaus sinnvoll war, brachte der Provinz Brandenburgs erhebliche Probleme, denn mit der Bildung von Groß-Berlin verlor Brandenburg zwar nur etwa zwei Prozent seiner Fläche, allerdings mit 1,9 Millionen Einwohner knapp 44 Prozent seiner Bevölkerung. Dadurch musste die Provinz fortan auf zwei Drittel seines Steueraufkommens verzichten und war in der Folge ökonomisch auf Transferleistungen des Reichshaushaltes angewiesen. Die Steuern und Abgaben der großen elektrotechnischen Industrieunternehmen wie Siemens oder AEG flossen nun nicht mehr in die Kassen der Provinzialverwaltung, sondern an die Hauptstadt
Goldene Zwanziger Jahre? Die Brandenburger Industrie in der Weimarer Republik
Zwar hatte die Konstituierung der Stadtgemeinde Berlin 1920 unmittelbar politisch-administrative und finanzielle Folgen für Brandenburg. Dennoch blieb der wirtschaftliche Verflechtungsraum erhalten. Etwa 42 Prozent der Berliner Gütereinfuhren stammten 1925 aus Brandenburg, während etwa 48 Prozent der Ausfuhren in die Provinz gingen (vgl. Ribbe 2010, 75). So profitierte die Eisen- und Metallindustrie, die sich während des Krieges ausgedehnt hatte, anschließend davon, dass große Mengen Schrott verarbeitet werden mussten. Die Stahlwerke, welche seit Mitte der 1920er dem Flick-Unternehmen Mitteldeutsche Stahlwerk- und Walzwerke angehörten, vergrößerten sich stetig. Die chemische Industrie wurde ebenfalls ausgebaut, allerdings zählte die Provinz in diesem Sektor 1933 gerade einmal 4.000 Beschäftigte in 167 Betrieben, während in Berlin 17.000 Menschen in 844 chemischen Betrieben waren (vgl. Schmieder 1968, 401).
Auch nach der Bildung Groß-Berlins und bis Mitte der 1930er Jahre richtete sich die Wirtschaftsstruktur nach der Hauptstadt Berlin aus, die eine starke Ausstrahlung auf die umliegenden Städte entwickelte. Mit wachsender Entfernung verringerte sich zwar diese Wirkung, dennoch war das Land geprägt von einer Reihe von Mittelzentren mit den dazugehörigen Industrieregionen. Städte wie Brandenburg an der Havel (Textil, Automobil, Metall), Rathenow (8.000 Beschäftigte in der optischen Industrie), Eberswalde (Maschinen- und Metallbau) sowie Oranienburg (chemische Industrie) bildeten die Kerne der industriellen Produktion. Diese wurden ergänzt durch die Berlin-nahen, seit Ende des 19. Jahrhunderts ausgelagerten Produktionsstandorte des Maschinen- und Gerätebaus in Wildau, Fürstenwalde, Hennigsdorf oder Oranienburg. Darüber hinaus waren und blieben die meisten größeren Gemeinden in Brandenburg Ackerbürgerstädte, in deren Umfeld die Land- und Nahrungsmittelwirtschaft die bestimmenden ökonomischen Ressourcen darstellten. Als Ausnahme trat lediglich die Lausitz in Erscheinung, wo sich um das Textilwesen, die Braunkohleförderung und auch die Glasindustrie eine ganze Industrieregion herausbildete. Träger dieser Industrialisierung blieben die mittelgroßen Städte mit ihren etablierten Branchen. An der Spitze standen Städte wie Forst mit 68 Prozent aller Beschäftigten im industriellen Sektor (vgl. Splanemann 1992, 777-780). Erhalten blieb auch die bedeutende Rolle der Textilwirtschaft mit etwa 90.000 Beschäftigten im Jahr 1925, die 17,4 Prozent der Wollwebwaren und 20 Prozent der Bekleidungsstoffe Deutschlands produzierten. Luckenwalde und insbesondere Guben waren weiterhin Zentren der Hutindustrie (Abb. 1, 2). In Guben fertigten 1927 etwa 7.000 Beschäftigte 10 Millionen Hüte, wobei sich der Trend zu weniger und dafür größeren Betriebseinheiten fortsetzte (Materna 1995, 598).
Zugleich gewann die Lausitzer Energiewirtschaft weiter an Bedeutung. Der Bau der Großkraftwerke Trattendorf (1917) (Abb. 3) bei Spremberg und Finkenheerd (1923) (Abb. 4) bei Frankfurt/Oder garantierte die dauerhafte Nutzung der Braunkohle. Von 1907 bis 1925 stieg die Zahl der Beschäftigten in dieser Branche von 11.000 auf 20.000. Die Stromerzeugung wuchs zwischen 1919 und 1927 von 74 Millionen auf 428 Millionen Kilowattstunden. Zum wichtigsten Akteur der Erzeugung und Verteilung des wachsenden Strombedarfs hatte sich im Verlauf der 1920er Jahre die Aktiengesellschaft Märkisches Electrizitätswerk (MEW) entwickelt. Dieses Unternehmen war 1909 gegründet worden und befand sich seit 1920 im alleinigen Besitz der Brandenburger Provinzialverwaltung sowie der Stadt- und Landkreise in ihrem Einzugsgebiet. Letzteres wurde im Verlauf der 1920er Jahre immer weiter ausgedehnt und umfasste schließlich nicht nur das Gebiet der Provinz Brandenburg, sondern ab 1933 auch den gesamten Freistaat Mecklenburg sowie Teile der Nachbarprovinzen Pommern und Grenzmark. Aus einem lokalen Stromerzeuger mit der Keimzelle des 1911 errichten Kraftwerks Heegermühle bei Eberswalde hatte sich das MEW innerhalb von 20 Jahren damit zu einem überregionalen Unternehmen entwickelt, das als Instrument der öffentlichen Infrastrukturentwicklung sein Versorgungsgebiet bis 1945 noch weiter ausdehnen konnte und auf dem Höhepunkt seines Einflusses etwa 6400 Städte und Gemeinden in Nordostdeutschland mit Strom versorgte (vgl. Scheffczyk 2008, 119-145).
In den 1920er Jahren profitierte die Industrie Brandenburgs insgesamt von der Verlagerung vieler Berliner Industriebetriebe in die Provinz. Insbesondere in der Metallwarenbranche entstanden neue Fabriken an traditionellen Standorten der Textilindustrie wie in Luckenwalde und Finsterwalde. Ebenso entschieden sich Unternehmen der chemischen Industrie aufgrund der niedrigen Bodenpreise und günstigen Verkehrsanbindungen zum Auf- bzw. Ausbau neuer Standorte in Brandenburg. So erreichte das ab 1913 in Erkner errichtete Bakelit-Werk zur Herstellung von Kunstharzen 1921 seine volle Kapazität. Im selben Jahr siedelte sich Schering in Eberswalde an und in Teltow wurde die Parfüm- und Toilettenseifenfabrik der Gustav Lohse AG ausgebaut. Zwar wurde die Industrie in der Provinz damit im Hinblick auf die Beschäftigtenzahlen immer wichtiger, allerdings dominierte der ländliche Charakter nach der Bildung Groß-Berlins das wirtschaftliche Gefüge Brandenburgs in der Weimarer Republik. Von 2,6 Millionen Einwohnern arbeiteten 1925 486.000 in Industrie und Handwerk, während in der Land- und Forstwirtschaft 654.000 Menschen tätig waren. Zweifellos folgerichtig ist damit die Feststellung von Ingo Materna, dass es sich bei Brandenburg in den Jahren nach 1920 folgerichtig um eine „Agrar-Industrieprovinz“ handelte (Materna 1999, 100).
Weltwirtschaftskrise und NS-Aufrüstung
Die ab Herbst 1929 einsetzende Weltwirtschaftskrise hatte auch für die Provinz Brandenburg gravierende Auswirkungen. Der Rückgang der Produktion zog Entlassungswellen nach sich. In Frankfurt (Oder) sank die Zahl der Beschäftigten im Maschinen- und Fahrzeugbau zwischen 1929 und 1933 um 68 und in der Bekleidungsindustrie um 40 Prozent (vgl. Mohs 1962, 41f.). Zwischen 1925 und 1933 sank die Zahl der Werktätigen in Industrie und Handwerk um ein Viertel. Dies hatte auch Auswirkungen auf die Arbeitslosenzahlen: Im Dezember 1929 zählte die Provinz Brandenburg noch 99.000 Arbeitslose, Anfang 1933 waren es 237.000. Im Schnitt waren 1932 34,2 Prozent aller Personen im erwerbsfähigen Alter arbeitslos (vgl. Petzina 1987, 245). Am stärksten davon betroffen waren die traditionellen Standorte der Textil- und Hutmacherindustrie wie Spremberg. Diejenigen, die Arbeit behielten, mussten dort Lohneinbußen von bis zu 15 Prozent verkraften. (vgl. Materna 1995, 606).
Gleichzeitig blieb in den letzten Jahren vor der nationalsozialistischen Herrschaft der traditionelle Grundsatz für Brandenburg bestehen: „Die traditionelle, von Berlin ausgehende und von hoher Innovationskraft getragene Profilierung moderner Industrien beeinflusste die wirtschaftliche Entwicklung der Region“ (Demps 1995, 642). Dies betraf Ende der 1920er und Anfang der 1930er Jahre den Aufbau neuer Wirtschaftszweige wie der Unterhaltungsindustrie (Babelsberg), elektroakustischer Geräte und der modernen Mess- und Reglertechnik (Stahnsdorf und Teltow) im Großraum Potsdam.
Die Machtübernahme der Nationalsozialisten führte jedoch zu deutlichen Veränderungen in der Wirtschafts- und Industrialisierungspolitik, von der Brandenburg aufgrund seiner Lage im Besonderen betroffen war. Einerseits sollte die wehrgeographische Ordnung des „Dritten Reichs“ nun auf eine effektive Konzentration kriegswichtiger Produktionsanlagen ausgerichtet werden. Andererseits sollten diese Anlagen möglichst außerhalb der Reichweite feindlicher Bomberverbände liegen, da der Bedeutung der Luftstreitkräfte und ihrer Kapazitäten in einem zukünftigen Krieg eine zentrale Rolle zugeschrieben wurde. Da der Raum östlich einer Linie Hamburg – München Mitte der 1930er Jahre als vor feindlichen Luftangriffen sicher betrachtet wurde, konzentrierte sich der staatlich geförderte Rüstungsauf- und -ausbau auf die entsprechenden Gebiete (vgl. Demps 1995, 643). In der Provinz begann somit gewissermaßen eine artifizielle Industrialisierung, deren Zweck hauptsächlich in der Befriedigung von Rüstungsbedürfnissen für die zukünftigen Kriegsplanungen bestand. Schon 1934 begann in Brandenburg an der Havel der Aufbau der Arado-Flugzeugwerke. Henschel entschied sich im selben Jahr zum Aufbau eines Stammwerkes für die Flugzeugproduktion in Schönefeld. 1935 entschloss sich die Adam Opel AG ebenfalls in Brandenburg an der Havel für den Aufbau eines neuen Werkes zur LKW-Produktion (Abb. 5, 6), da die Stadt ausreichend Transportmöglichkeiten zu Wasser und zu Lande sowie gut ausgebildete Industriearbeiter bot (auch in den bekannten Brennabor-Werken wurden seit 1919 Fahrzeuge produziert). In Oranienburg entstanden zwischen 1936 und 1938 die Heinkel-Flugzeugwerke, in denen Kampfflugzeuge hergestellt wurden. Ebenfalls 1936 entschied sich die Daimler-Benz AG, dem Auftrag des Reichsluftfahrtministeriums folgend, zum Aufbau eines Großserienwerkes für die Flugzeugmotorenproduktion in Ludwigsfelde/Genshagen südlich von Berlin. In der chemischen Industrie erfolgte im selben Jahr der Beschluss zum Aufbau des Synthesewerks Schwarzheide in der Lausitz durch die Braunkohle-Benzin-Aktiengesellschaft (Brabag). Dort sollte aus Braunkohle Benzin gewonnen werden. Schwarzheide war mit einer monatlichen Produktionskapazität von 14.170 Tonnen schließlich das größte Synthesewerk des Reiches auf der Basis des Fischer-Tropsch-Verfahrens (vgl. Eichholtz 1999, 136). 1937 wurde in Wittenberge mit der Kurmärkischen Zellstoff- und Zellwollefabrik ein Unternehmen gegründet, das sich auf die Herstellung von Cellulose, Viskose- und Chemiefasern spezialisierte. Die Zellwolle diente als Ersatzstoff z.B. für Uniformbekleidung. Die Kapazitäten des Kunstseidewerkes Premnitz wurden durch die IG-Farben ebenfalls erheblich erweitert.
Neben der Rüstungsproduktion konzentrierten sich in Brandenburg auch zahlreiche Militärflugplätze (Cottbus, Wittstock, Sperenberg) sowie die militärischen Kommandospitzen der Wehrmacht, die in Wünsdorf und Zossen südlich von Berlin ihr Hauptquartier errichteten. Bedeutend wirkte sich zudem die Umstellung von bestehenden Industriebetrieben auf die Rüstungsproduktion aus. Das Werk der Julius Pintsch KG Fürstenwalde beendete den Bau von Reichsbahnsignalanlagen und Stellwerken. Stattdessen begann dort bereits 1934 der Ausbau der Waffenproduktion durch die Aufnahme einer Kartuschenfertigung. Mit Kriegsbeginn wurden zunehmend Seeminen, Torpedos und Fliegerbomben hergestellt, deren Produktion 1944 mit etwa 12.000 Beschäftigten ihren Höhepunkt erreichte. Im Singer-Nähmaschinenwerk in Wittenberge war bereits 1938 ein Rückgang in der Herstellung von Haushaltsnähmaschinen um 21 Prozent zu verzeichnen. Gleichzeitig stieg der Absatz von Industrienähmaschinen für den Bedarf an Uniformschneidereien und Fallschirmproduktion um 32 Prozent. Im dritten Quartal 1941 produzierte das Werk bereits 700.000 Stück 15mm-Hülsen für Sprenggranaten. 1944 wurden innerhalb eines Quartals 1,5 Millionen Hülsen für Panzergranaten in den Hallen des Nähmaschinenwerkes gefertigt (Muchow 1999, 28-30). Die Ardelt-Werke in Eberswalde, die schon 1934 mit dem Aufbau eines Werks zur Herstellung von Artilleriegeschossen begann, spezialisierten sich auf den Bau von Panzerabwehr-Kanonen. Hinzu kamen Kettenglieder für Panzerfahrzeuge, Granatkörper und Minen (Kliche/Berus/Stendel 2006, 14) (Abb. 7).
Kriegsproduktion, Zwangsarbeit und alliierte Bombenangriffe auf die Rüstungsindustrie
Die massive Ausweitung der Rüstungsproduktion bis zum Sommer 1944, als sie ihren Höhepunkt erreichte, war überhaupt nur möglich durch den Einsatz ausländischer Arbeitskräfte. Neben angeworbenen Mitarbeitern etwa aus Italien oder Dänemark sowie Kriegsgefangenen wie aus Frankreich, erfolge ab 1942 der massive Einsatz von Zwangsarbeitern und -arbeiterinnen aus den besetzten Gebieten in Osteuropa sowie von Häftlingen der Konzentrationslager. Im März verzeichnete der Landesarbeitsamtbezirk 262.000 ausländische Arbeitskräfte, wovon 87.000 sogenannte Ostarbeiter und damit hauptsächlich unter Zwang nach Deutschland verschleppte Menschen waren, deren Unterbringung, Behandlung und Verpflegung erheblich schlechter war als die der übrigen ausländischen Arbeiter in der Rüstungsproduktion (vgl. Demps 1995, 659f.). In den Ardelt-Werken Eberswalde 1944 waren etwa 3.000 der 7.000 Beschäftigten Zwangsarbeiter, unter denen sich auch permanent einige Hundert Häftlinge befanden, die im Außenlager Eberswalde des KZ Ravensbrück untergebracht waren. Im Flugzeugmotorenwerk in Genshagen arbeiteten 1944 bis zu 17.500 Menschen, davon 11.000 Zwangsarbeiter und KZ-Häftlinge.
An zahlreichen Brandenburger Standorten wurden Panzergehäuse, Geschosse und Geschütze hergestellt. Brandenburg erfuhr damit eine gravierende Veränderung der Wirtschaftsstruktur und der industriellen Standortverteilung. Schon vor Ausbruch des Krieges wurde der rüstungswirtschaftliche Anteil der Region Berlin-Brandenburg auf etwa 40 Prozent an der Gesamtproduktion des Dritten Reiches geschätzt. Als Konsequenz der neugegründeten Produktionsstandorte, der Umstellung des verarbeitenden Gewerbes sowie der Verlagerung von Unternehmen, bildete der Raum Berlin-Brandenburg „ein Rüstungszentrum, das – mit Ausnahme des Ruhrgebiets – seinesgleichen in Deutschland nicht hatte“. 1944 war Brandenburg dadurch „geradezu vollgestopft“ mit Rüstungsindustrie (Eichholtz 1993, 63).
Dies lag nicht zuletzt auch am Verlauf des Krieges und an dem alliierten Bombenkrieg. 1943 begann die britische Royal Air Force mit der systematischen Bombardierung Berlins. Die Luftangriffe erreichten Ende 1943 in der „Schlacht um Berlin“ einen ersten Höhepunkt und wurden seit März 1944 durch die Beteiligung der US-Air Force noch verstärkt. Seit August/September 1943 drängte daher die Berliner Industrie verstärkt darauf, ihre Anlagen vor der Zerstörung zu retten. Es begann eine Industrieverlagerung großen Stils und damit setzte innerhalb kürzester Zeit – und unter gänzlich anderen Vorzeichen – erneut eine Randwanderung der Berliner Industrie nach Brandenburg ein, das sich durch seine geographische Nähe zu Berlin und der zentralen Lage in Deutschland als Ausweichstandort für die Berliner Betriebe geradezu anbot. Ähnliches galt auch für Betriebe aus dem sächsischen und anhaltinischen Raum. Albert Speer, seit 1942 als Reichsminister für Bewaffnung und Munition für die Rüstungsproduktion des Dritten Reiches verantwortlich, setzte für diesen Prozess eigens einen „Generalbeauftragten für Betriebsumsetzungen“ ein. Die Verlagerung der in den Berliner Industriegebieten und Großbetrieben konzentrierten Rüstungsproduktion in die weniger bombengefährdeten Gebiete der umliegenden Regionen, führte zu erheblichen Stilllegungsaktionen in der Brandenburger Konsumgüterindustrie. Für den Monat August 1943 dokumentierte das Rüstungskommando Frankfurt/Oder allein 34 Fälle von Unternehmensverlagerungen im Bereich der Luftwaffenrüstung aus Berlin in den Regierungsbezirk Brandenburg. Betroffen von Stilllegungsbeschlüssen war etwa die Textil- und Glasindustrie in der Lausitz. Berliner Betriebe, die Rüstungsgüter wie Motoren, Präzisionsoptiken oder Luftbildgeräte herstellten, besetzten vielfach Tuchfabriken, Textilwerke und Glashüttenwerke. Diese Umsetzungen hatten auch Auseinandersetzungen um Fabrikräume, Arbeitskräfte und Unterkunftsmöglichkeiten zur Folge (vgl. Eichholtz 1999, 268-271).
Durch die alliierten Bomberangriffe auf den Großraum Berlin erlitt die Brandenburger Industrie zunächst vor allem Schäden im Berliner Randgebiet. Auf dem Gelände der auf Messtechnik spezialisierten Firma Heinrich List in Teltow führte ein Luftangriff Anfang Dezember 1943 zu 100 Toten und dem vorübergehenden Stillstand der Produktion. Am 8. März 1944 erfolgte ein Angriff auf den Industriestandort Erkner mit etwa 4.000 Sprengbomben und bis zu 10.000 Stabbomben (vgl. Demps 1995, 663). Die Betriebsleitung der dort ansässigen und zu etwa 60 Prozent zerstörten Vereinigten Kugellagerwerke plante in der Folge die Produktion von Schwenklagern für Panzerkuppeln in die unterirdischen Stollen der Rüdersdorfer Kalkbergwerke zu verlegen. Mit Beginn des Jahres 1944 waren auch zunehmend Städte und Gemeinden Brandenburgs, die in der Nähe von Industrieanlagen und militärischen Objekten lagen, von Luftangriffen betroffen. Am 18. April griffen etwa 200 Flugzeuge die Heinkel-Werke in Oranienburg und die Arado-Flugzeugwerke in Brandenburg an der Havel an. Etwa 500 Bomben fielen am 28. Mai 1944 auf das Brabag-Synthesewerk Schwarzheide. Dieser Angriff führte zu einem vierwöchigen kompletten Produktionsausfall. Die anschließende Fertigungsaufnahme begann nur noch mit zehnprozentiger Kapazität. Einen Tag später erfolgte ein Angriff auf den Flugplatz in Cottbus, wo die Firma Focke-Wulf Jagdflugzeuge produzierte. Dieser wurde so stark beschädigt, dass eine Montage zunächst nicht mehr möglich war. Besonders betroffen war das Flugzeugmotorenwerk der Mercedes-Benz AG in Genshagen südlich von Berlin, auf das am 6. März, 21. Juni und 6. August Angriffe geflogen wurden. Hatte das Werk mit dem Einsatz von 17.500 Menschen (davon 11.000 Zwangsarbeiter und KZ-Häftlinge) den Höhepunkt seiner Produktion im ersten Halbjahr 1944 erreicht, führte der schwerwiegende Angriff vom 6. August 1944 zu einem Einbruch der Fertigungszahlen (vgl. Demps 1999, 276; 295-298). Ebenfalls am 6. August 1944 flogen amerikanische Bomber einen Präzisionsangriff auf das Opel-Werk in Brandenburg. Durch die Zerstörung von 20 Prozent des Maschinenparks und 50 Prozent der Werksanlagen konnte eine geordnete Fließbandproduktion bis Kriegsende nicht mehr aufgenommen werden (vgl. Krause 1998, 448f.).
Die Bombardierungen durch alliierte Luftflotten führten letztlich seit Mitte 1944 zu einem starken Rückgang der im Verlauf des Krieges fast ausschließlich auf Rüstungsproduktion umgestellten Kapazitäten der Brandenburger Industrie. In den letzten Kriegstagen wurde zudem insbesondere der östliche Teil der Provinz Schauplatz der Kampfhandlungen in der Schlacht um Berlin. Städte wie Prenzlau (zu 86 Prozent), Schwedt (84 Prozent) und Rathenow (60 Prozent), sowie insbesondere Frankfurt/Oder erlitten durch Bodenkämpfe schwere Beschädigungen der innerstätischen Bausubstanz. Frankfurt/Oder lag weitestgehend in Trümmern. Darüber hinaus waren auch nördlich, südlich und westlich von Berlin gelegene Städte und Gemeinde betroffen, die in die Kampfhandlungen verwickelt wurden. So war Potsdam nach heftigen Kämpfen in den letzten Kriegstagen zu 47 Prozent zerstört (vgl. Arlt/Stang 1995, 190).
Die industrielle Produktion in Brandenburg war während des Krieges immer stärker auf die Fertigung von Rüstungsgütern ausgerichtet worden, während die Konsumgüterproduktion stark vernachlässigt wurde. Das Ende des Krieges bedeutete für Brandenburg zugleich auch das Ende der innerhalb weniger Jahre entstandenen starken Industrialisierungswelle, die einen künstlichen, da rüstungs- und kriegsbedingten Ursprung hatte. Die Folgen dieser Entwicklung spürten die Menschen in Brandenburg umso mehr nach dem Kriegsende.
Quellen
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Bundearchiv Koblenz, R 3102 Statistisches Reichsamt, Nr. 10978.
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Literatur
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Abbildungsnachweis
Abb. 1 https://www.urbipedia.org/hoja/Archivo:Mendelsohn.Fabrica_de_sombreros.4.jpg:Mendelsohn.Fabrica_de_sombreros.4.jpg (CC-BY-NC-SA)
Abb. 2 https://brandenburg.museum-digital.de/object/4698 (Stadt- und Industriemuseum Guben - CC-BY-NC-SA)
Abb. 3 https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Kraftwerk-Trattendorf.jpg (CC-BY-NA 1.0)
Abb. 4 Archiv brandenburgikon
Abb. 5 https://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Bundesarchiv_Bild_183-2007-0910-500,_Brandenburg,_Lkw-Produktion.jpg (CC-BY-NA 3.0)
Abb. 6 https://brandenburg.museum-digital.de/object/3287 (Stadtmuseum Brandenburg an der Havel - Frey-Haus - CC-BY-NC-SA 4.0)
Abb. 7 https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Bundesarchiv_Bild_183-L04352,_Deutschland,_R%C3%BCstungsproduktion,_Panzer.jpg (CC-BY-NA 3.0)
Empfohlene Zitierweise
Knoll, Wolf-Rüdiger: Zwischen den Kriegen. Brandenburgs Industrie von 1914 bis 1945, publiziert am 14.03.2022; in: Industriegeschichte Brandenburgs, URL: http://www.brandenburgikon.de (TT.MM.JJJJ)