Niederlausitzer Kohlenwerke AG, Berlin
Am 23. Mai 1882 wurde die „Niederlausitzer Kohlenwerke AG“ mit einem Aktienkapital von 450.000 Mark in Fürstenberg (Oder) gegründet. Damit entstand die erste Kapitalgesellschaft in der Niederlausitzer Braunkohlenindustrie. Sie ging aus der Umwandlung der „(Bergrechtlichen) Gewerkschaft Präsident“ hervor, die seit 1856 die Kohlengewinnung im Tiefbau aus dem Grubenfeld Präsident bei Schönfließ (heute OT von Eisenhüttenstadt) betrieb (Abb. 1).
Das Betätigungsfeld der neuen Aktiengesellschaft blieb noch anderthalb Jahrzehnte auf die Grube Präsident begrenzt. Im Zuge des Erwerbs von Unternehmen mit ausgedehnten Kohlenfeldern verlagerte es sich ab 1898 in das Lausitzer Kernrevier um Senftenberg. In diesem Jahr kauften die „Niederlausitzer Kohlenwerke“ die „Zschipkauer Werke W. Nürnbergs Witwe“ und vereinigten diese mit dem ebenfalls erworbenen Betrieb der „Montanwerke F. W. Krause u. Co. Clettwitz“ zu der Grube Anna bei Schipkau. Der Betrieb bestand aus dem Tagebau, drei Brikettfabriken und einer Ziegelei (Abb. 2). Mit diesen Erwerbungen erreichten die „Niederlausitzer Kohlenwerke AG“ eine Verdreifachung der Kohlegewinnung und nahezu eine Vervierfachung der Brikett- und Ziegelherstellung.
Die Expansion in der Lausitz setzte sich in den nächsten Jahren fort. 1899 wurde die Grube Consul bei Pulsberg bei Spremberg erworben (Abb. 3). Bis zu ihrer Stilllegung Anfang 1930 wurde mit der im Tiefbau gewonnen Kohle die Stadt Spremberg und die dort ansässige Industrie versorgt. 1904 erwarben die „Niederlausitzer Kohlenwerke AG“ die Hörlitzer Werke zu einem Kaufpreis von 300 000 M. Dazu gehörten eine Braunkohlengrube (Tagebau), sowie eine Brikettfabrik mit drei Pressen und einer Leistungsfähigkeit von ca. 3600 Doppelwaggons pro Jahr (Abb. 4). 1905 folgte der Kauf der Grube Alwine bei Kostebrau mit Tief- und Tagebau, einer Brikettfabrik und einer Ziegelei (Abb. 5). Fortan bildete sie gemeinsam mit der Grube Anna den Bergwerksbetrieb Zschipkau (Schipkau). Bereits ein Jahr später, 1906, folgten der Kauf der Tiefbaugrube mit Brikettfabrik Unser Fritz bei Kostebrau (Abb. 6), deren Betrieb nach Erschöpfung der Kohlevorkommen schon 1923 eingestellt werden musste, und der Erwerb einer der ältesten Gruben des Senftenberger Reviers, der Grube Viktoria bei Großräschen (ab 1913 Viktoria I) (Abb. 7-10). Zu dieser gehörten mehrere Brikettfabriken, darunter auch die Brikettfabrik Grube Bertha bei Sauo (Abb. 11), und eine Ziegelei zur Verarbeitung des Tons aus dem Deckgebirge der Grube (Abb. 12).
Ab 1910 expandierte die „Niederlausitzer Kohlenwerke AG“ durch weitere Firmenübernahmen und durch Kohlenfelderkäufe in der Niederlausitz vor allem zwischen Kostebrau, Friedrichsthal, Klettwitz und Schipkau. Der Beschluss der Generalversammlung vom 21. Mai 1910 über die Verdopplung des Aktienkapitals von 6 Mill. auf 12 Mill. Mark stellte die dafür notwendigen finanziellen Mittel bereit. 1911 erwarb die „Niederlausitzer Kohlenwerke AG“ die Kux-Mehrheiten der „Elze-Grubengewerkschaft – Henckels Werke bei Senftenberg“ mit der Grube und Brikettfabrik Viktoria II (Abb. 13) bei Senftenberg und 1913 der Gewerkschaft „Alwine“ mit der Grube und Brikettfabrik Ferdinand (Abb. 14) bei Zschornegosda (Schwarzheide). Zuvor war im Jahre 1912 mit dem Aufschluss des Tagebaus Viktoria III bei Naundorf (Schwarzheide II) begonnen worden. Die Grube Viktoria III entwickelte sich mit dem Tagebau und der 1914 in Betrieb genommenen Brikettfabrik zum größten Werk der Gesellschaft (Abb. 15, 16).
Eine weitere Ausdehnung des Besitzes erfolgte 1918 mit der Angliederung der von der Gewerkschaft „Germania“ betriebenen Gruben Waidmannsheil samt Brikettfabrik in Särchen (Annahütte) und Waidmannsglück in Sauo sowie mit dem Erwerb des Kohlenfeldes Drochow (Abb. 17). Damit wurde die längerfristige Kohlenversorgung der umliegenden Brikettfabriken gesichert, zu denen auch die Brikettfabriken Wilhelminensglück I und II der „Klettwitz-Bergbau-Gesellschaft mbH“ gehörten. Diese Gesellschaft befand sich seit 1923 im vollen Besitz der „Niederlausitzer Kohlenwerke AG“ und war ihr seitdem angegliedert. Erst 1938 erfolgte die formale Auflösung der „Klettwitz-Bergbau-Gesellschaft mbH“ bei Übertragung ihres Vermögens auf die Muttergesellschaft.
Auf Grund der Erwerbungen und Übernahmen konnte die „Niederlausitzer Kohlenwerke AG“ 1913 mit ihren Produktionszahlen zu Kohlenförderung und Brikettherstellung das Niveau ihrer Mitbewerber („Braunkohlen- und Brikett-Industrie Aktiengesellschaft [Bubiag]“ und „Eintracht Braunkohlenwerke AG“) erreichen. Seitdem gehörte die Gesellschaft zu den das Lausitzer Revier beherrschenden Bergbaugesellschaften. Der territorial breiteren Aufstellung entsprechend wurde die Hauptverwaltung der „Niederlausitzer Kohlenwerke AG“ bereits 1902 von Fürstenberg (Oder) nach Berlin verlegt. Das Stammwerk, die Grube Präsident bei Schönfließ, verlor an Bedeutung. Die Gesellschaft verkaufte die Grube mit den dazugehörigen Kohlenfeldern um Fürstenberg (Oder) 1921 an die „Kursächsischen Braunkohlenwerke AG Berlin“.
In den meisten erworbenen Gruben war der Tagebaubetrieb infolge Auskohlung ab 1929 nach und nach eingestellt worden (Bertha 1929, Anna, Alwine und Wilhelminensglück 1935 sowie Viktoria I und Viktoria II 1938). Die Bekohlung der Brikettfabriken erfolgte seitdem über Kohlenbahnen aus benachbarten Grubenbetrieben, vor allem aus dem Tagebau der Grube Viktoria III und dem 1937 neu aufgeschlossenen Tagebau Anna-Süd. Die Brikettfabriken Bertha, Viktoria I und Viktoria II wurden ab Frühjahr 1938 an die „Matador Bergbaugesellschaft mbH“ verpachtet.
Ende der 1930er Jahre gehörten zur „Niederlausitzer Kohlenwerke AG“ mit ihrer Hauptverwaltung in Berlin mehrere Werke im Lausitzer Revier und die Betriebe Kraft I - III im Mitteldeutschen Revier. In der Lausitz bestanden folgende Werke:
- Grube Ferdinand bei Schwarzheide/Lauchhammer,
- Betrieb Großräschen mit den Gruben Viktoria I bei Großräschen, Viktoria II bei Senftenberg und Bertha bei Sauo,
- Betrieb Klettwitz mit der Grube Wilhelminensglück,
- Grube Viktoria III bei Naundorf (Schwarzheide II),
- Grube Waidmannsheil bei Särchen (Annahütte)
- Betrieb Schipkau (Zschipkau) mit den Gruben Anna und Anna-Süd sowie der Grube Alwine bei Kostebrau.
Das Kapital für den Expansionsprozess der Gesellschaft steuerte vor allem der aus Böhmen stammende Kohlenhändler Ignaz Petschek bei. Wie zuvor bei der „Eintracht Braunkohlenwerke AG“ und bei anderen Kohlengesellschaften sicherte er sich die Aktienmehrheit und gewann damit bereits vor dem Ersten Weltkrieg die Kontrolle über die Gesellschaft. Ab 1918 bis zu seinem Tod 1934 war Ignaz Petschek Aufsichtsratsvorsitzender der „Niederlausitzer Kohlenwerke AG“. Auf Grund ihrer jüdischen Herkunft wurde die Familie Petschek von den Nationalsozialisten enteignet. Gemäß der „Verordnung über den Einsatz jüdischen Vermögens“ vom 3. Dezember 1938 wurde durch Erlass des Reichswirtschaftsministers – wie für die „Eintracht Braunkohlenwerke AG“ – auch für die „Niederlausitzer Kohlenwerke AG“ ein Treuhänder des Reichswirtschaftsministers eingesetzt. Dieser veräußerte die Gewerbebetriebe und den Besitz der „Niederlausitzer Kohlenwerke“ mit Vertrag vom 8. September 1939 rückwirkend per 1. Januar 1939 an die „Deutsche Kohlenbergbau-Gesellschaft mbH“. Die Aktiengesellschaft wurde daraufhin aufgelöst und ging in Liquidation. Die „Deutsche Kohlenbergbau-Gesellschaft mbH“ wiederum übertrug die Verfügungsgewalt über die Gewerbetriebe und den Besitz der „Niederlausitzer Kohlenwerke AG“ durch Vertrag vom 7. Dezember 1939 mit Wirkung vom 1. Januar 1939 an die „Hermann-Göring-Werke“. Die „Hermann-Göring-Werke“ brachten ab 1. Januar 1940 die früheren Betriebe der „Niederlausitzer Kohlenwerke AG“ im Lausitzer Revier und deren Besitz in die „Anhaltische Kohlenwerke AG (AKW)“ ein. Innerhalb dieser Gesellschaft wurden die Betriebe seitdem verwaltungsmäßig in der Gruppe Klettwitz (oder „AKW - Gruppe Klettwitz“) zusammengefasst. Die Werke Kraft I – III im mitteldeutschen Revier gingen in den Besitz der „Braunkohlenwerke Salzdetfurth AG“ über.
VVB – Vereinigung Volkseigener Betriebe
(Textvorlage: Brandenburgisches Landeshauptarchiv Rep. 75 Niederlausitzer Kohlenwerke AG, Berlin, Bestandsübersicht / Firmengeschichte, ergänzt und bearbeitet von Vinzenz Czech)
Quellen
Brandenburgisches Landeshauptarchiv Rep. 75 Niederlausitzer Kohlenwerke AG, Berlin, Bestandsübersicht / Firmengeschichte. [Siehe: Hier]
Brandenburgisches Landeshauptarchiv Rep. 901 Lausitzer Braunkohlenwerke [Siehe: Hier]
Geschäftsbericht der Niederlausitzer Kohlenwerke in Berlin 1904/05 – 1938.[Siehe: Hier]
Literatur
1832-1932. 50 Jahre Niederlausitzer Kohlenwerke, Berlin. Berlin 1932.
Die Betriebsanlagen der Aktien-Gesellschaft Niederlausitzer Kohlewerke, Berlin in Wort und Bild zum 25 jährigen Bestehen der Gesellschaft. 1882 – 1907. Charlottenburg 1907.
Gerslova, Jana: Petschek, Ignaz. In: Neue Deutsche Biographie 20 (2001), S. 269-270 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd135667186.html#ndbcontent
Knauth, Friedrich: Brikettfabriken in der Lausitz. Ein Streifzug durch mehr als 100 Jahre Braunkohlenbrikettierung in der Lausitz. Großenhain 1999.
Sperling, Dieter: Betriebe und Produktionsstätten der Braunkohlenindustrie des Lausitzer Reviers. (= Beiträge zur Geschichte des Bergbaus in der Niederlausitz, 13). Cottbus 2018.
Abbildungsnachweis
Abb. 1-10, 12 Die Betriebsanlagen der Aktien-Gesellschaft Niederlausitzer Kohlewerke, Berlin in Wort und Bild zum 25 jährigen Bestehen der Gesellschaft. 1882 – 1907. Charlottenburg 1907.
Abb. 11, 13-17 Sammlung Dr. Günter Grundmann (Detmold)
Empfohlene Zitierweise
Niederlausitzer Kohlenwerke AG, Berlin, publiziert am 20.10.2022; in: Industriegeschichte Brandenburgs, URL: http://www.brandenburgikon.de (TT.MM.JJJJ)