Landmaschinen aus Rathenow

Werner Coch

Die Landwirtschaft war vor der Industrialisierung der wichtigste Erwerbszweig in Deutschland. Noch 1882 arbeiteten 50,9 % der Berufstätigen in Land- und Forstwirtschaft sowie in Fischerei und Tierzucht (Czada u.a. 1987, S. 150). Dieser Anteil reduzierte sich über 25,8 % (1939) und 5,3 % (1980) auf 1,4 % in der heutigen Zeit. Die Hauptgründe dafür waren die Mechanisierung vieler Arbeitsgänge, zahlreiche technische Innovationen, der Einsatz chemischer Hilfsstoffe, die Motorisierung und schließlich die Industrialisierung der landwirtschaftlichen Produktion. Einen wesentlichen Beitrag leistete dafür der Landmaschinenbau. Aus ländlichen Schmieden und Werkstätten mit kreativen Handwerkern, die zunächst nur für den örtlichen Bedarf tätig waren, entstanden im Laufe der Zeit Manufakturen und Metallbaubetriebe mit überregional gefragten Produkten. Diese Entwicklung war über fast 100 Jahre lang auch in Rathenow zu beobachten. Dort gab es drei Landmaschinenbetriebe, von denen „Richter-Rathenow“ der wichtigste war.

Die Anfangszeit

Der Schmied Friedrich Richter (1833-1914) aus Kamern im heutigen Landkreis Stendal übernahm 1860 die Schmiede seines Vaters und baute sie zu einer „Fabrikwerkstatt“ aus. Er beschränkte sich nicht nur auf die Reparatur der damals gebräuchlichen Landtechnik, sondern stellte auch neue und verbesserte Geräte und Maschinen her, wie z.B. Pflüge, Eggen, Heuwender, Häcksler und erste Dresch- und Drillmaschinen.

Das sprach sich herum und die Nachfrage stieg, so dass er sich 1874 entschloss, im nicht weit entfernten Rathenow in der heutigen Berliner Straße ein geeignetes Grundstück für einen Neuanfang zu erwerben. Im Oktober 1875 begann die Produktion von leichtgängigen Breitdreschmaschinen mit doppeltem Schüttelwerk und verbessertem Göpelantrieb sowie einer großen Palette von weiteren Maschinen. Im Jahre 1879 erfolgte die Einweihung einer Eisen- und Metallgießerei, so dass zahlreiche neue Produkte, auch für andere Branchen und den kommunalen Bereich, angeboten werden konnten (Abb. 1). Unterstützt wurde er von seinen Brüdern Christian Friedrich (1846-1928) als Vertriebsleiter und Otto (1852-1949) als Meister in der Fertigung. Ein erstes Patent wurde Friedrich Richter 1884 für eine „Stellbare Befestigung des Siebkastens an Dreschmaschinen“ erteilt. Weitere Patente und Gebrauchsmuster sowie Medaillen und Diplome folgten bald danach.

Teilhaber und Aktionäre

Die Brüder Christian Friedrich und Otto gründeten in Brandenburg/Havel (1885) bzw. Bismark/Altmark (1881) eigene Firmen, arbeiteten aber auf Grund der gemeinsamen Patente weiterhin eng mit Friedrich Richter zusammen. Dessen Schwiegersohn, der Buchhalter Franz Peters (1861-1928) sowie der Ingenieur Hermann Gierke (1861-1925) wurden 1896 Teilhaber der Firma, die nun Friedrich Richter & Co hieß (Abb. 2). Hermann Gierke schied im Jahre 1900 wieder aus und gründete am Viertellandsweg im Osten der Stadt die „Rathenower Dreschmaschinen- und Motorenfabrik“. Er meldete Patente für neuartige Dreschkörbe seiner Dreschmaschinen an und entwickelte z.B. Motorpflüge, Kartoffellegemaschinen, Sackaufzüge und fahrbare Höhenförderer. Schon 1903 fusionierte er mit der Berliner „Maschinencentrale“, die bis 1945 mit diesen Produkten in Rathenow aktiv war.

Bei Friedrich Richter ging es trotz dieser Konkurrenz vorwärts. Ein neues repräsentatives Geschäftshaus in der Bahnhofstraße bezeugte ab 1907 den Erfolg der Firma (Abb. 3). Inzwischen waren schon 6.000 Breitdreschmaschinen verkauft worden (Abb. 4). Etwa 1908 kam es zum Bruch mit seinem Bruder Christian Friedrich, so dass sich beide auf dem Markt mit den Produktbezeichnungen „Richter-Rathenow-Original“ und „Victoria“ voneinander abzugrenzen versuchten.

Die technische Entwicklung beeinflusste weiterhin den Landmaschinenbau. Der traditionelle Pferde-Göpelantrieb war schon längst durch Dampfmaschinen abgelöst worden. Ab 1910 begann der Siegeszug der Elektromotoren. Im Zweigbetrieb Weimar stellte Friedrich Richter mit Verbrennungsmotoren für Benzin, Benzol und Spiritus weitere Antriebsalternativen her. Im Januar 1913 wurde die Aktiengesellschaft „Friedrich Richter & Co. AG Rathenow“ gegründet und dadurch Kapital eingeworben.

Den Ersten Weltkrieg überlebte die Firma Richter mit umfangreichen Heeresaufträgen. Danach benötigte die Landwirtschaft wieder viele neue Maschinen. Schon 1925 wurde die 12.000. Dreschmaschine als fahrbare Motor-Dreschmaschine „Reindrusch“ ausgeliefert. Im Jahre 1928 zeichnete sich eine finanzielle Schieflage ab, so dass die AG die 1929 beginnende Weltwirtschaftskrise nicht überlebte. Trotzdem konnten aus dem Jahre 1930 noch die Dreschmaschinen Nr. 13.731 und Nr. 13.768 nachgewiesen werden (Abb. 5).

Höhen und Tiefen

Eine erste GmbH-Gründung aus dem Potential der ehemaligen Richter-AG scheiterte 1931, aber ein Jahr später gelang sie mit 22 Gesellschaftern unter dem Namen „Richter-Rathenow Landmaschinenfabrik GmbH“. Die Immobilien gehörten allerdings den Banken, so dass sie für die Nutzung gepachtet werden mussten. Die Schwerpunkte in der Produktion blieben fahrbare und stationäre Dampf- und Motor-Dreschmaschinen sowie Schrotmühlen in zahlreichen Varianten. Hinzu kamen Service und Handel mit Landmaschinen und Geräten. Im Jahre 1937 waren 31 Gesellschafter beteiligt. 1939 übernahm die in Rathenow schon bekannte Firma „Fritz Wagner & Co Berlin“ die Mehrheit der Anteile und führte die GmbH mit 146 Beschäftigten bis 1945 weiter.

Nach dem Ende der Kampfhandlungen waren 50 % der Betriebsanlagen zerstört. Der Oberbürgermeister Paul Szillat setzte den bisherigen Geschäftsführer Johannes Müller als Treuhänder ein und veranlasste die Wiederaufnahme der Produktion, zunächst von Handwagen für die Bevölkerung und von Schwingpflügen für die Landwirtschaft. Später kamen Ackerwagen und erneut Dreschmaschinen hinzu. Nach der zwangsläufigen Enteignung der Gesellschafter im Jahre 1948 wurden die bisherigen Leitungskräfte verhaftet und der „LBH Rathenower Dreschmaschinenfabrik VEB“ unter Leitung von Walter Sturm gegründet, der Erfahrungen aus dem Landmaschinenwerk „Fortschritt“ in Neustadt/Sachsen mitbrachte. Er leitete die Firma bis kurz vor ihrer Auflösung im Jahre 1970 sehr erfolgreich.

Ab 1953 firmierte der Betrieb als „VEB Gespannfahrzeugbau Rathenow“. Er entwickelte und produzierte diverse Gespannwagen, Hochumladekipper, Hinterkipper und Traktorenanhänger für die Landwirtschaft (Abb. 6). Als Nebenprodukte entstanden auch Pkw-Anhänger, Blechgaragen und Parkbänke. 1970 entschied der Rat des Bezirkes Potsdam, den Betrieb mit dem „VEB Ofen- und Herdbau Rathenow“ zusammenzulegen. Damit war seine Selbständigkeit erloschen, und nach einigen Zwischennutzungen erfolgte der Abriss der restlichen Gebäude und Anlagen.

Firma Otto Schmidt

Der dritte Rathenower Landmaschinenbauer war der gelernte Kupferschmied Otto Schmidt, der ab 1885 in der Semliner Straße mit der Herstellung von Pumpen und der Reparatur von landwirtschaftlichen Maschinen begann. Bald wurden auch Eggen, Pflüge, Walzen und Dreschmaschinen gefertigt. Schon 1889 folgte eine eigene Gießerei, die Gußteile für den Bedarf mehrerer Branchen herstellte. In der Annonce von 1909 (Abb. 7) präsentierte sich Otto Schmidt sehr breit aufgestellt. Andererseits betonte er auf einem Briefkopf aus der gleichen Zeit seine Spezialisierung auf „Göpel- und Motoren-Breit-Dreschmaschinen mit und ohne Reinigung“. 1913 wurde diese Orientierung durch die Firmenbezeichnung „Fabrik landwirtschaftlicher Maschinen und Geräte“ bestätigt (Abb. 8). Nach 1918 kam das Handelsgeschäft für diese Maschinen und Geräte hinzu. Um 1930 sind die letzten neuen Dreschmaschinen bei Otto Schmidt hergestellt worden, während der Reparatur- und Handelsbetrieb weiterlief.

Die rasante Entwicklung der Motorisierung bot die Chance für ein neues wirtschaftliches Standbein. Schon 1926 wurde die Eisengießerei zu einer Kfz-Werkstatt umgebaut, danach eine Tankstelle errichtet und 1933 eine Fahrschule gegründet. Auf dem Grundstück mieteten sich andere Gewerbetreibende ein, so z.B. ein Kfz-Reparaturbetrieb, ein Kohlen- und Baustoffhandel und ein Modelltischler. Die Landmaschinenfabrik existierte formal weiter und versuchte 1947 einen Neuanfang mit 14 Beschäftigten als „Otto Schmidt Landmaschinen oHG“. Nach der Enteignung wurde die Firma 1951 aus dem Handelsregister gelöscht.

Zusammenfassung

Die Stadt Rathenow ist durch ihre bedeutende optische Industrie überregional bekannt geworden. Diese Erfolgsgeschichte begann vor mehr als 200 Jahren und setzt sich trotz wechselvoller Entwicklungen bis heute fort. Als zweites Standbein der einheimischen Wirtschaft galt bis etwa 1910 die Ziegelindustrie, deren Anfänge bereits im 15. Jahrhundert lagen und die ihren Höhepunkt im 19. Jahrhundert erreichte. Mit dem Jahre 1875 begann in Rathenow die Herausbildung einer neuen Branche, dem Landmaschinenbau, der bald zu einem leistungsfähigen Industriezweig heranwuchs und mit seinen häufig prämiierten und patentierten Erzeugnissen in Deutschland und im Ausland viel Erfolg hatte. Abgesehen von einigen Zulieferern haben drei Firmen den Landmaschinenbau wesentlich geprägt: Richter-Rathenow (1875-1970), die Otto Schmidt Maschinenfabrik und Eisengießerei (1878-1953) und die Rathenower Dreschmaschinen- und Motorenfabrik von Hermann Gierke, ab 1917 Maschinenzentrale (1900-1945). Diese drei Unternehmen beschäftigten in der Spitze zusammen etwa 350 Fachkräfte, erneuerten ständig ihre Produkte und konnten so große Marktanteile gewinnen. Durch den Ersten Weltkrieg und die Weltwirtschaftskrise um 1930 erlitten die Firmen erhebliche Einbrüche. Einige erholten sich davon, aber andere mussten sich neue Geschäftsfelder erschließen. Im Mai 1945 waren die Betriebe bis zu 50 % zerstört, wurden demontiert und schließlich enteignet. Nur die ehemalige Firma Richter produzierte nach schwierigen Umstellungsprozessen noch bis 1970. Heute sind von den genannten Betrieben fast keine Spuren mehr vorhanden. Deshalb soll mit der vorliegenden Ausarbeitung an diesen ehemals bedeutenden Rathenower Wirtschaftszweig erinnert werden.

Quellen

BLHA, Grundbücher, Amtsgericht Rathenow, Akten des Landes Brandenburg und des Bezirkes Potsdam.

Kreis- und Verwaltungsarchiv Rathenow, Adressbücher und Bauakten.

Stadtarchiv der Stadt Rathenow, Sterberegister.

Domstiftsarchiv Brandenburg, Kirchenbücher.

Literatur

Coch, Werner: Der Landmaschinenbau in Rathenow. Sonderausgabe Nr. 2 des   Rathenower Heimatkalenders. Rathenow 2018.

Czada, Peter u.a. (Hg.): Wirtschaftspolitik. Aktuelle Problemfelder. Wiesbaden 1987.

Richter, Bernd: Landmaschinen für Brandenburg. Bergisch-Gladbach 2014.

Abbildungsnachweis

Abb. 1: Wohnungsanzeiger für die Kreisstadt Rathenow 1882/83, Anhang Anzeigen.

Abb. 2: Adreßbuch für Rathenow, Rathenow 1904.

Abb. 3: Sprotte, J.F.: Deutschlands Städtebau, Rathenow 1923 und 1930.

Abb. 4: Richter, B.: Landmaschinen für Brandenburg, Bergisch-Gladbach 2014.

Abb. 5 und 6: Coch, Werner: Der Landmaschinenbau in Rathenow, Sonderausgabe Nr. 2 des Rathenower Heimatkalenders, Rathenow 2018.

Abb. 7 und 8: Adreßbücher der Stadt Rathenow, Rathenow 1909 und 1913.

Empfohlene Zitierweise

Coch, Werner: Landmaschinen aus Rathenow, publiziert am 14.03.2022; in: Industriegeschichte Brandenburgs, URL: http://www.brandenburgikon.de (TT.MM.JJJJ)


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