Ziegel aus Rathenow

Werner Coch

Die Anfänge der Ziegelproduktion

Die ersten Backsteinbauten der Region zwischen Elbe und Havel waren das bekannte Kloster Jerichow (ab 1149) und die Dome von Brandenburg (ab 1165) und Havelberg (ab 1170). Nur wenige Jahrzehnte später wurde die Rathenower Kirche errichtet. Nach einem hölzernen Vorgängerbau entstand von 1190 bis 1200 eine kreuzförmige spätromanische Basilika aus putzfreiem Backstein, bestehend aus einem Chor und einem Turm mit Satteldach. Die Steine wurden sehr wahrscheinlich wie in Jerichow direkt vor Ort hergestellt. Beim Bau des Klosters hatten italienische Baumeister, die aufgrund typischer Merkmale ihr Handwerk in Umbrien/Mittelitalien gelernt haben müssen, die benötigten Ziegel auch schon selbst angefertigt. Sie kannten das Baumaterial Lehm und wussten aus ihrer Heimat, wie man daraus Ziegel produziert. Durch die reichen Vorkommen an eisenhaltigem und feinkörnigem Elbschlick im Elb-Havel-Winkel konnten die Ziegel in unmittelbarer Nähe der Baustelle gesumpft, geknetet, geformt und in Feldbrandöfen sowie in Gruben gebrannt werden. Es ist nicht ausgeschlossen, dass Rathenower Arbeiter in der Jerichower Bauhütte mitgewirkt und dort die Ziegelherstellung erlernt haben. Weitere frühe Backsteinbauten, kombiniert mit Feldsteinen, waren die Rathenower „Askanische Burg“ und ab 1295 die Stadtmauer. Aus dem Jahre 1347 ist bekannt, dass in Marquede im Milower Land ein Brennofen und eine Ziegelscheune erbaut werden sollten.

Aus der Geschichte der Stadtziegelei

In der Mitte des 14. Jahrhunderts muss es in Rathenow schon die städtische „Rathsziegelei“ gegeben haben, denn die Kirche wurde mit gebrannten Ziegeln zu einer dreischiffigen Anlage mit einem Chorumgang erweitert und mit zwei unterschiedlichen Kapellen zu Ehren der Schutzheiligen St. Maria und St. Andreas ergänzt. Als 1409 die Stadtmauer erneuert wurde, kamen mit Sicherheit auch Steine dieser Ziegelei zum Einsatz. Im Jahre 1460 wird sie in zwei Handschriften erwähnt. Sie bestand damals aus Ziegel- und Kalköfen, Trockenscheunen, einer Kalkkammer sowie einer Ziegelmeister-Wohnung mit Garten. Sie lag am Stadtkanal hinter der Baustraße an der Stadtmauer zwischen der Jederitzer Straße und dem Steintor (Abb. 1, 2). So konnten auf dem Wasserweg die Roh- und Brennstoffe transportiert und die Fertigprodukte verschifft werden.

Im Jahre 1531 schenkte die Stadt Rathenow der Kirche fast 40.000 Ziegel aus ihrer eigenen Ziegelei für den Weiterbau des Gotteshauses. Als die Altstadt 1591 mit 75 Häusern abbrannte, war auch die städtische Ziegelei betroffen. Erst 1662 wurde sie von vier wohlhabenden Rathenower Bürgern wiederaufgebaut. Sie lieferte pro Jahr 4.500 Steine an den Magistrat. Durch ein Gewitter wurden die Ziegeleigebäude 1694 erneut zerstört. Beim Wiederaufbau erhielten die Trockenscheunen jetzt Ziegeldächer statt der bisher üblichen Strohdächer. Die Ziegelei gehörte nun wieder der Stadt, die sie an interessierte Unternehmer, z.B. Peter Bode (1714-1719), Friedrich Wilhelm de Néve und Justus Adam Caroly (1720-1727), verpachtete. Für die zwischen 1733 und 1738 entstandene Rathenower Neustadt mit 37 zweistöckigen und 64 einstöckigen neuen Bürgerhäusern sowie sechs öffentlichen Gebäuden lieferte die Stadtziegelei einen wesentlichen Teil des Baumaterials. Hinzu kamen in den Jahren 1740 und 1741 die Steine für den Bau einer Zollmauer rings um die Neustadt mit dem Berliner Tor im Osten und dem Brandenburger Tor im Süden des neuen Stadtteils.

Die Stadtziegelei besaß mit dem „Raths Ziegelschiff“ bzw. „Magistrats Steinschiff“ ein eigenes Transportmittel, das kostengünstige Transporte von Massengütern wie Branntkalk nach Hamburg und Ziegelsteinen nach Berlin ermöglichte. So erfolgte u.a. 1701 die Lieferung von 26.000 Dachsteinen für die „Alte Garnisonkirche“ nach Berlin. Die für den Bau des Schlosses Sanssouci erforderlichen Mauersteine hatten die Ziegeleien von Glindow und Rathenow hergestellt. Der Auftrag für die Lieferung von schwarzen Dachsteinen war 1743 an die Kurfürstliche Ziegelei in Mögelin gegangen, deren Zeitpächter und spätere Erbpächter J.A. Wienkoop war. Sein Ziegelmeister Zenner konnte die entsprechenden Mengen nicht liefern und verwies auf den erst 1732 für das Brennen von schwarzen Dachsteinen erbauten neuen Ziegelofen in Rathenow. Das führte dort zu Problemen, denn der Ofen hatte sich nicht bewährt und war gerade abgerissen worden. So erhielt der Rathenower Magistrat im August 1745 den Befehl, sofort einen neuen zu bauen und noch vor dem Winter 15.000 Dachsteine zu liefern. Das ist den Rathenowern zwar gelungen, aber in der Farbe waren sie mehr blau als schwarz.

Die Lieferungen nach Potsdam und Berlin waren immer vom Zustand der Schleusen abhängig. Als eine der Schleusen 1765 schadhaft war, kam das dem Bau der 50 Doppelhäuser für Textilarbeiter in Neufriedrichsdorf bei Rathenow zugute, indem dafür 10.000 Ziegel bereitgestellt werden konnten.

Aus dem Jahre 1803 wird berichtet, dass von den Pächtern der Stadtziegelei 13 Brände pro Jahr durchgeführt wurden. Die Pacht wurde „brandweise“ abgerechnet. Die letzten bedeutenden Pächter waren Johann Ludwig Borchmann (1820-1826), Carl Gotthelf Sittig (1827-1837) und Carl Friedrich Wilhelm Wiese (1840-1849), der die Stadtziegelei in Erbpacht betrieb und 1850 sogar kaufen konnte. 1890 nahm die Stadt ihr Vorkaufsrecht war und setzte bis zur Stilllegung 1902 wieder Pächter ein. Die Kapazität hatte zuletzt 750.000 Mauer- und Dachsteine sowie eine Kalkerzeugung nach Bedarf erreicht.

Höhepunkt und Niedergang

Der Bedarf an Ziegelsteinen stieg am Anfang des 19. Jahrhunderts überall stark an. Da die erforderlichen Rohstoffe in den uralten Überschwemmungsgebieten der Elbe ausreichend verfügbar waren, sind in Rathenow und Umgebung zahlreiche neue Ziegeleien entstanden. Beispiele aus dieser Zeit sind die Ziegelei-Gründungen von J.F.C. Borchmann in Semlin (1817), von A.F. Güldenpfennig in Bützer (1819), von J.C. Bölcker in Steckelsdorf (1820), von J.L. Borchmann am Weinberg (1826), von J.F. Meuss am Burgwall (1827) und von C.G. Sittig in Göttlin (1829). In den 1840er Jahren folgten weitere Betriebe, so dass es 1865 allein im Bereich der Stadt Rathenow sieben Ziegeleien gab. Das waren neben der Stadtziegelei und der schon genannten von J.F. Meuss am Burgwall (1827) die Ziegeleien von W. Schuwardt im Stadtteil Nordend (1840), von J.F. Schultze im späteren Albertsheim (1845), von Gebhardt und Barnewitz in Göttlin (1852), die Neugründung von W. Heidepriem am Weinberg (1856) und 1865 die von C.G. Matthes an der Herrenlanke (Abb. 3, 4). Parallel dazu entwickelte sich in Rathenow der Schiffsbau auf drei Werften, die stark nachgefragte Schleppkähne für Ziegelerde, Kohle, Kalk und Ziegelsteine herstellten.

Die Qualität der produzierten Steine war durch den eisenhaltigen und fast kalkfreien Elbschlick als Rohstoff so gut, so dass diese sich einen legendären Ruf als „Rote Rathenower“ erwarben, die besonders für Sichtmauerwerk bzw. als Verblender geeignet waren und so die typische Ansicht von Backsteingebäuden prägten. Um ihre Herkunft zu kennzeichnen, wurden etwa ab 1820 die Ziegel-Rohlinge vor dem Brand mit Orts- oder Herstellernamen oder deren Abkürzungen gestempelt (Abb. 5, 6). Das geschah in der Regel auf der Kopfseite, aber manchmal auch auf der Lageseite. Der Ortsname „Rathenow“ versprach Qualität, so dass sich über 100 Ziegeleien zwischen Parey an der Elbe und Havelberg dieser Kennzeichnung anschlossen.

Die 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde eine Erfolgsgeschichte der Rathenower Ziegelindustrie, ab 1875 unterstützt durch den Bau von effektiven Hoffmann'schen Ringöfen. Dampfmaschinen waren schon seit etwa 1850 im Einsatz und ermöglichten durch bessere Trocknungsverfahren den ganzjährigen Betrieb. Die bisher übliche Formgebung durch das Handstrichverfahren wurde am Ende des Jahrhunderts in den größeren Ziegeleien durch den Maschinenbetrieb mit „Ziegelpressen“ ersetzt. So entwickelte sich die Ziegelindustrie zum wichtigsten Wirtschaftszweig im Westhavelland. Nach einer Berufszählung von 1895 lag hier die Zahl der Ziegeleiarbeiter bei 105, bezogen auf „Tausend der Bevölkerung“, während der Durchschnitt in Deutschland bei 8,8 lag. 

Das Rathenower Stadtbild wurde nachhaltig von roten Ziegelbauten geprägt (Abb. 7-11). So entstanden in dieser Zeit viele repräsentative Gebäude, die mit Ausnahme der 1883 erbauten Reichspost heute noch weitgehend erhalten bzw. restauriert worden sind. Dazu gehören die Dampfmühle (1849), der Bahnhof (1870), das Krankenhaus (1885), die Zietenkasernen (1891), die Brauerei (1892), die St. Georgskirche (1893), das Gebäude des Rathenower Bankvereins (1893), das Kreishaus (1895), das Amtsgericht (1905), der Bismarckturm (1913) und die Auferstehungskirche (1917). Neben der Deckung des Eigenbedarfs der Stadt war der Export nach Berlin und in das Umland ein wichtiger Baustein zur Erhaltung der Wirtschaftskraft. Die Frage ist, wo überall in Berlin die „Roten Rathenower“ eingesetzt wurden. Größere Objekte waren die Spandauer Zitadelle und die Wäscherei in Spindlersfelde, später bekannt als Rewatex sowie auch das Märkische Museum. Hinzu kamen zahlreiche Kirchen, Friedhofsmauern, Werkstattbauten, Gasometer und vieles andere mehr, aber nichts so Spektakuläres wie das Rote Rathaus, was viele Menschen glauben möchten.

Die Konkurrenz von schlesischen und Zehdenicker Ziegeleien wurde um 1900 so groß, dass die Betriebe unserer Region schrittweise vom Berliner Markt verdrängt wurden. Man hatte zwar noch 1897 eine Verkaufsgemeinschaft für die „Roten Rathenower“ mit 31 Ziegeleien des Elb-Havel-Winkels gegründet, um mit einheitlichen Preisen auftreten zu können, aber ihre Gesamtkapazität von etwa 40 Millionen Ziegelsteinen pro Jahr war gegenüber 625 Millionen aus Zehdenick nicht konkurrenzfähig. Außerdem wurden die Rohstoffe knapper, die Brennstoffe teurer und die Frachtkosten höher. Die Spezialisierung auf Dachsteine, glasierte Ziegel, Formsteine und Schmuckelemente brachte etwas Entlastung, konnte aber den Niedergang der Ziegeleien nicht mehr aufhalten. Die Nachfrage nach hochwertigen roten Fassadenklinkern war gesunken. Dafür wurden massenhaft einfache Hintermauerungssteine für den Wohnungsbau eingesetzt, die sowieso verputzt wurden und mit kurzen Transportwegen beschaffbar waren.

Weitere Ursachen für den Niedergang der einheimischen Ziegelindustrie ergaben sich aus dem Arbeitskräftemangel durch andere wachsende Industriezweige und durch die deutschlandweiten Kriegsvorbereitungen. Im Oktober 1912 sprach die Lokalpresse von „trostlosen Zuständen“ in der Branche und von fehlenden Aussichten auf baldige Besserung der Lage. So mussten die meisten Rathenower Ziegeleien noch vor dem Ersten Weltkrieg aufgeben. Viele sind zwischen 1915 und 1918 abgerissen worden, und die Grundstücke wurden teils industriell und teils landwirtschaftlich nachgenutzt. Heute erinnert neben den oben erwähnten Bauten auch das 1984 von Karl Mertens (1903-1988) geschaffene Denkmal des „Abtragejungen“ auf dem August-Bebel-Platz vor der Post an die Ziegeleigeschichte der Stadt Rathenow (Abb. 12).

Quellen

Brandenburgisches Landeshauptarchiv: Grundbücher, Akten des Landes Brandenburg, des Amtsgerichtes Rathenow und des Bezirkes Potsdam.

Kreis- und Verwaltungsarchiv Rathenow: Adressbücher und Bauakten.

Stadtarchiv der Stadt Rathenow: Sterberegister.

Domstiftsarchiv Brandenburg: Kirchenbücher.

Literatur

Backschat, Friedrich: Beiträge zur Baugeschichte von Sanssouci. Hohenzollern Jahrbuch 1916.

Brett, Heike: Stadtziegelei und Kalkbrennerei Rathenow. In: www.horsthartwig.de (letzter Besuch: 19.04.2022).

Bünnig, Wolfgang: Rathenower Ziegelstempel. Eine Spurensuche zur Ziegeleigeschichte des 19./20. Jahrhunderts im Elb-Havel-Dreieck. 2. Auflage. Rathenow 2018.

Coch, Werner: Die Rathenower Baumeister der Vergangenheit. Sonderausgabe Nr. 6 des Rathenower Heimatkalenders. Rathenow 2022.

Ferenzcy, Max: Die Rathenower Ziegel-Fabrikation und Kalkbrennerei. Töpfer- und Ziegler-Zeitung. Berlin 1890.

Gammert, Gustav: Die Entwicklung der Rathenower Ziegelindustrie unter besonderer Berücksichtigung ihrer technischen, wirtschaftlichen und sozialen Lage. Jena 1923.

Günther, Hermann: Bilder aus Alt-Rathenow. Rathenow 1934.

Wagener, Samuel Christoph: Denkwürdigkeiten der churmärkischen Stadt Rathenow. Rathenow 1803.

Abbildungsnachweis

Abb. 1: Coch, W.: Sonderausgabe Nr. 5 des Rathenower Heimatkalenders (bearbeitet).

Abb. 2, 5, 6, 8-12: Coch, W.: Persönliches Archiv.

Abb. 3: Homepage www.zglmap.de (bearbeitet vom Autor).

Abb. 4: Rathenower Heimatmuseum e.V.

Abb. 7: Kulturzentrum Rathenow GmbH.

Empfohlene Zitierweise

Coch, Werner: Ziegel aus Rathenow, publiziert am 19.04.2022; in: Industriegeschichte Brandenburgs, URL: http://www.brandenburgikon.de (TT.MM.JJJJ)


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