Schiffsbau in Rathenow

Werner Coch

Schon seit Jahrtausenden waren die Flüsse die wichtigsten Lebensadern der Menschen. Sie ermöglichten nicht nur den Fischfang, sondern auch die Bewässerung von landwirtschaftlichen Flächen, den Transport von Waren, den Antrieb von Mühlen und vieles andere mehr. Obwohl schon vom Anfang des 18. Jahrhunderts größere Transporte von Rathenower Produkten auf der Havel bekannt sind, gibt es erst ab etwa 1790 Hinweise auf einen eigenen Schiffsbau.

Die wichtigsten Rathenower Werften (Abb. 1) lagen am Stadthof nördlich der Kanaleinmündung an der Havel (etwa ab 1790), am Stadt- oder Schleusenkanal nahe der Jederitzer Brücke (ab 1793) und an einem Stichkanal östlich davon (ab 1865). Die aus Bagow und Ribbeck zugezogenen Schiffsbaumeister und Brüder Carl Friedrich Dröscher (1755-1812), Joachim Friedrich Dröscher (1765-1830) und Friedrich Wilhelm Dröscher (1772-1845) begründeten eine Schiffsbautradition über mehrere Generationen, die erst im Jahre 1965 endete. Sie stellten zuerst kleinere Schiffe mit 15 bis 50 t Tragfähigkeit aus Holz und später größere bis zu 750 t aus Eisen her, versahen sie anfangs mit Segel und Mast als Antrieb, dann mit Dampfmaschinen und zuletzt mit Dieselmotoren. So waren sie über viele Jahrzehnte hinweg auf der Höhe der jeweiligen technischen Entwicklung und damit konkurrenzfähig. Einige andere Werften waren nur eine kurze Zeit am Markt und erlangten nicht diese Bedeutung.

Der Holzschiffbau

Der auf dem Stadtplanausschnitt von 1925 (Abb. 1) links markierte Platz am Stadthof gilt als der älteste und mit fast 200 Jahren gleichzeitig der am längsten betriebene Standort einer Rathenower Werft. Christian Friedrich Gronemeyer (1755-1831) begründete dort um 1790 sein Gewerbe auf städtischem Grund und Boden und nahm 1822 Friedrich Wilhelm Dröscher als Partner auf. Dieser entwickelte die Werft zu überregionaler Bedeutung. Zuerst standen Reparaturen der gebräuchlichsten Flussschiffe wie Oderkähne, offene Zillen, flache Spreeboote und Kaffenkähne im Vordergrund, wobei aber schon 1836 ein Oderkahn (Abb. 2) mit 57 t Tragfähigkeit hergestellt wurde. Es folgten bald danach weitere Neubauten. Die Werft benötigte dafür eine schräg abfallende Fläche oder Helling als Schiffsbauplatz sowie Fachkräfte wie Schiffsbauer, Schiffszimmerleute und Schmiede. Wichtige Zulieferer waren die einheimischen Holzhändler für die Schiffsplanken und Masten, die Teerschweler für das Pech zum Kalfatern, die Tuchmacher für die Segel und die Seiler für die Taue.

Auch als der Sohn Friedrich Wilhelm Dröscher jun. (1801-1872) im Jahre 1845 die Werft übernahm, blieb der Bau von Holzschiffen mit Segeleinrichtung der Schwerpunkt. Es waren zwar schon Dampfmaschinen bekannt, denn 1817 fuhr ein erstes dampfbetriebenes Schiff von Berlin über Rathenow nach Hamburg, aber für die einheimischen Werften war das damals noch eine Zukunftstechnologie.

Der zweitälteste Schiffsbauplatz lag am Stadt- oder Schleusenkanal direkt neben der Stadtziegelei (Abb. 3) und wurde 1793 von Carl Friedrich Dröscher (1755-1812), wie es damals üblich war, auch auf städtischem Pachtland gegründet. Etwa 100 Jahre später entstand dort das Elektrizitätswerk. Sein Sohn Carl Friedrich Dröscher jun. (1788-1871), der 1804 in Brandenburg die Gesellenprüfung als Schiffsbauer abgelegt hatte, übernahm nach dem Tod des Vaters 1812 die Werft. In den städtischen Akten über die „Schiffsgefäße“ wird er 1828 als Schiffsbaumeister bezeichnet, hatte sich also inzwischen qualifiziert. Er reparierte jährlich einen Oderkahn mit Tragfähigkeiten von 10 bis 50 t. Diese wurden an Schiffer der Region verkauft, so z.B. 1836 nach Werder und 1845 nach Pritzerbe. Im Jahre 1847 wurde er als Holzhändler und Schiffseigentümer bezeichnet. Sein Werftgelände benutzte er zu dieser Zeit überwiegend nur noch als Liegeplatz für Schiffe und als Lagerplatz für Holz. Zwischen 1850 und 1860 übergab er sein Gewerbe an den Nachfolger Karl Wilhelm Albert Todt (1827-1907), der als gelernter Schiffsbauer ebenfalls die traditionellen Holzboote mit Mast und Segel repariert und gebaut hat. Damit war er bald nicht mehr wettbewerbsfähig, zumal er kaum investiert und modernisiert hatte. Außerdem wird er als zu gutmütig und gutgläubig beschrieben, so dass er die Werft um 1890 aufgeben musste (Abb. 4).

Der Bau von Kompositkähnen und Stahlschiffen

Im Jahre 1872 erfolgte am Stadthof ein weiterer Generationswechsel, indem der dritte Friedrich Wilhelm Dröscher (1840-1920) die Führung der Werft übernahm. Unter seiner Regie liefen zwischen 1887 und 1912 sowohl Holzschiffe als auch Kompositkähne mit Stahlkörper und Holzböden vom Stapel (Abb. 5). Beim Übergang von der Holzbauweise zum Stahl wurde der Schiffsbau wesentlich verändert. Es waren nun Konstruktionsunterlagen erforderlich und die gesamte Werkstatttechnik musste schrittweise umgestellt werden. Die Stahlbleche wurden vernietet und Maschinen wie Blechscheren, Biege- und Bohrmaschinen gewannen an Bedeutung. Etwa 1922, inzwischen unter der Führung von Alfred Dröscher (1877-1954), waren die wichtigsten Maschinenantriebe auf elektrischen Strom umgestellt. Im Jahre 1929 warb Alfred Dröscher bereits mit elektrischer und autogener Schweißtechnik. Genietet wurde jetzt nicht mehr von Hand, sondern mit dem Presslufthammer. Eine Joggelmaschine erleichterte das Vernieten der sich überlappenden Stahlbleche.

Als in der Mitte des 19. Jahrhunderts die ersten mit Dampfmaschinen angetriebenen Schleppschiffe zur Verfügung standen, entwickelte sich auf den großen deutschen Flüssen die Schleppschifffahrt mit bis zu 8 angehängten Schleppkähnen. Auf Spree und Havel war diese rationelle Variante der Flussschifffahrt erst ab 1882 zu beobachten, allerdings wegen der engen und kurvenreichen Fahrrinne nur mit zwei oder drei antriebslosen Schleppkähnen. Für die einheimischen Werften ergab sich mit den Schleppkähnen ein lukratives Geschäftsfeld bis etwa 1936. Die Kähne waren inzwischen als Finower, Breslauer oder Plauer Maßkähne standardisiert worden und hatten Tragfähigkeiten bis zu 750 t. Nach den bekannt gewordenen Bau-Nummern sind auf der Dröscher-Werft bis 1940 insgesamt 129 Schiffe gebaut worden (Abb. 6). Darunter waren auch dampfbetriebene Güterschiffe und nachträglich motorisierte ehemalige Schleppkähne, was durch die notwendigen Umbauten am Heck eine sehr anspruchsvolle, aber durchaus lösbare Aufgabe war (Abb. 7).

Der Neubeginn 1945 erforderte zunächst die Instandsetzung der zerstörten Gebäude und der in der Werft liegenden Schiffe. Die Slipanlage mit Elektroantrieb war bald wieder funktionstüchtig, wie aus dem Lageplan von 1951 hervorgeht (Abb. 8). In den ersten Jahren wurden Pontons der Roten Armee und Schleppkähne von privaten Schiffseignern repariert und später Lotsenboote und Wirtschaftsfähren gebaut. Die Aufträge kamen von der staatlichen Schifffahrtsverwaltung mit dem Vorteil, dass die notwendigen Materiallieferungen damit gesichert waren. Nach dem Tod von Alfred Dröscher führte der erfahrene Schiffsbaumeister Bruno Grabowski die Werft ab 1956 mit acht Beschäftigten weiter. 1961 wurde sie mit inzwischen elf hochqualifizierten Mitarbeitern dem auf der Südseite des Stadt- oder Schleusenkanals angesiedelten VEB Schiffsreparaturwerft Rathenow angegliedert und brachte diesem Betrieb einen willkommenen Entwicklungsschub. Im Jahre 1965 kam es zur Stilllegung des traditionsreichen Werftgeländes am Stadthof. Die Schiffsreparaturwerft wurde 1970 dem VEB Chemiefaserwerkes Premnitz als Reparaturbetrieb zugeordnet, so dass der Schiffsbau auch hier endete.

Die auf Abb. 1 rechts markierte dritte Schiffswerft am Stichkanal des Stadt- oder Schleusenkanals wurde 1865 von Hermann Weiß und August Günther gegründet und später von den Gebrüdern Weiß betrieben. Sie bot 1882 neben Reparaturen den Bau von „eisernen sowie Holzkähnen bis zu 10.000 Ctr. Tragfähigkeit mit und ohne Verschlußdeck“ an (Abb. 9). Die bei Weiß erreichte Tragfähigkeit der Schiffe stieg von anfangs 500 t bis zum Jahre 1892 auf rund 700 t (Abb. 8). Bekannt geworden sind u.a. die Kompositkähne „Marie“ von 1901 mit 551 t und 55 m Länge und „Ida“ mit 701 t und 65 m Länge. Der Auftragsmangel nach dem Ersten Weltkrieg führte 1920 zu einer Teilung der Firma, die aber die anschließende Inflationszeit 1922/23 trotzdem nicht überlebt hat.

Die Nachfolgefirma von Henry Schärff und Alfred Zeuch suchte zunächst mit Flachwasserfahrzeugen, die von Luftschrauben angetriebenen werden sollten, den Erfolg im Ausland. Da dieser ausblieb, wurden ab 1928 auf den Anlagen der Gebr. Weiß wieder einige Breslauer und Plauer Maßkähne ohne Eigenantrieb hergestellt. Nach juristischen Turbulenzen wie Konkursantrag, Vergleich, Einstellung des Verfahrens und Wiedereintragung ins Handelsregister wurde der Betrieb 1937 bis auf kleine Bootsreparaturen eingestellt.

Eine noch kürzere aktive Zeit hatte die Werft von Wilhelm Sorge in Göttlin bei Rathenow, die von 1928 bis 1929 den Standort einer ehemaligen Ziegelei für den Bau von mittelgroßen Plauer Maßkähnen und Motorschleppern nutzte. Nach den Zwangsversteigerungen vom November 1929 und Mai 1930 kam auch hier das Ende.

Das Gelände der ehemaligen Dröscher-Werft am Stadthof erfuhr ab 1985 eine Wiederbelebung durch das Agrochemische Zentrum Nennhausen, das hier einen Reparaturbetrieb für Lastkähne einrichtete, die für den Seeschlammtransport genutzt wurden. Trotz einiger Investitionen zur Sanierung der Werftanlage sowie zur Vorbereitung neuer Geschäftsfelder musste der Betrieb im Juni 1992 eingestellt werden.

Quellen

BLHA, Akten des Amtsgerichts Rathenow, des Landes Brandenburg und des Bezirkes Potsdam

Kreis- und Verwaltungsarchiv Friesack, Adressbücher und Bauakten

Domstiftsarchiv Brandenburg, Kirchenbücher

Privatarchiv Gudrun Meetz geb. Dröscher

Literatur

Zesewitz, Sigbert: Zur Geschichte des Schiffsbaus in Rathenow. In: navalis 01/08, S. 37-47.

Coch, Werner: Schifffahrt und Schiffsbau in Rathenow. Sonderausgabe Nr. 5 des Rathenower Heimatkalenders. Rathenow 2021.

Abbildungsnachweis

Abb. 1 Coch, Werner: Sonderausgabe Nr. 5 des Rathenower Heimatkalenders (bearbeitet).

Abb. 2 Stertz, Herbert: Havelschiffahrt unter Dampf. Teil 1 (2006). Teil 2 (2008).

Abb. 3-7, 9 Coch, Werner: Sonderausgabe Nr. 5 des Rathenower Heimatkalenders.

Abb. 8 Zesewitz, Sigbert: Zeichnung des Lageplans der Schiffswerft W. Dröscher in     Rathenow 1951 nach Original-Kopie in der Sammlung G. Meetz.

Empfohlene Zitierweise

Coch, Werner: Schiffsbau in Rathenow, publiziert am 14.03.2022; in: Industriegeschichte Brandenburgs, URL: http://www.brandenburgikon.de (TT.MM.JJJJ)


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