Stahl- und Walzwerk Brandenburg (Havel)

Julian-Dakota Bock

Im Jahr 1912 erwarb Rudolf Weber (1856-1932) ein 800.000 m² großes Gelände am Silokanal und begann mit dem Aufbau eines „Stahl- und Walzwerkes“, welches eines der ersten seiner Art in Mitteldeutschland war. Weber hatte bereits im väterlichen Betrieb, der „Philipp Weber GmbH“, Erfahrungen im Bereich der Schwerindustrie gesammelt, bevor dieser eine Reihe von Werken im Ruhrgebiet wegen  hoher Verluste verkaufen musste. Aufgrund der Nähe zur Metropole Berlin versprach man sich von der Gründung eines Werkes in Brandenburg (Havel) einen hohen Absatz.

Für das Werk am Silokanal wurde zunächst der Bau einer Stahlwerkhalle, ausgestattet mit zwei Siemens-Martin-Öfen, sowie einer Walzstraße geplant. Das Stahlwerk nahm am 17. Mai 1914 seine Arbeit auf. Das Walzwerk folgte am 25. Mai. Das Fehlen erfahrener Arbeitskräfte aus dem Brandenburger Raum versuchte Weber durch den Zuzug von Arbeiterfamilien aus seiner saarländischen Heimat zu kompensieren.

Während des Ersten Weltkrieges wurden im Stahl- und Walzwerk verschiedene Geschosse, bspw. Granathülsen, hergestellt. Aufgrund der schlechten Versorgungslage mit Kohle kam es im Jahr 1917 fast zum Erliegen der Produktion. Einen Ausweg bot hierbei der Verkauf des Werkes an die „Deutsch-Luxemburgische Bergwerks- und Hütten-Aktiengesellschaft zu Bochum“, deren Haupteigentümer der rheinische Industrielle Hugo Stinnes (1870-1924) war. Die Eingliederung der „Abteilung Weber“ in das Unternehmen, ermöglichte die Stabilisierung der Rohstoffversorgung des Werkes. Die Leitungsfunktion wurde den Neffen Rudolf Webers übertragen. Arthur Hennecke übernahm 1917 die Position des kaufmännischen Leiters, sein Bruder Rudolf wurde technischer Leiter.

In der Zwischenkriegszeit kam es zu umfangreichen Erweiterungen, so dass die Produktionskapazität bis 1923 auf 96.400 t angestiegen war. Ermöglicht wurde dies durch den Bau zwei weiterer Siemens-Martin-Öfen in den Jahren 1919 und 1923, sowie der Errichtung eines zusätzlichen Walzwerkes 1920 (Abb. 1-4). Der Anstieg der Beschäftigungszahlen auf ca. 1.350 machte dabei auch die Bereitstellung von Wohnraum erforderlich. Aus diesem Grund kaufte die Werkleitung die Siedlung Wilhelmshof von der Stadt Brandenburg (Havel) auf und erweiterte diese 1921 um zusätzliche Doppelhäuser. Die 1920er-Jahre waren durch wiederholte Arbeitskämpfe im Stahlwerk geprägt. Bei einem Streik im Jahr 1924 wurde die durchschnittliche Arbeitszeit auf 53 Stunden und der durchschnittliche Lohn auf 43,86 RM festgelegt.

1926 kam es dann zu einem Wechsel der Besitzverhältnisse im Stahl- und Walzwerk. Nachdem dieses kurzzeitig zwischen Juni und Oktober als „Vereinigte Stahlwerke AG“ firmierte, wurde es vom Industriellen Friedrich Flick aufgekauft. Fortan war das Brandenburger Werk Teil der „Mitteldeutschen Stahlwerke AG“, zu der auch Betriebe in Lauchhammer, Wittenau und Burghammer, später ebenfalls das Werk in Hennigsdorf, gehörten. Der vom Flick-Konzern forcierte Ausbau der Produktionskapazitäten ging mit einem erneuten Anstieg der Beschäftigungszahlen einher. Aus diesem Grund wurde die Siedlung Wilhelmshof seit Beginn der 1930er-Jahre zur „Walzwerksiedlung“ ausgebaut (Abb. 5-7).

In der Zeit des Nationalsozialismus war das Brandenburger Werk in die Rüstungsproduktion eingebunden und fertigte primär Panzerwagen. So errichtete man ab August 1936 im Auftrag des Oberkommandos des Heeres das P-Werk zur Herstellung von Panzerkuppeln sowie das Quenz-Werk für Panzergehäuse. Zum Zwecke der Rüstungsproduktion wurden drei weitere Siemens-Martin-Öfen installiert, sowie 1938 ein weiteres Walzwerk gebaut (Abb. 8). Ab 1942 nutzte das Stahlwerk auch einen Teil des Geländes des Reichsbahnausbesserungswerkes Kirchmöser zur Panzerherstellung. Nach dem Zustandekommen eines Pachtvertrages im Jahr 1944 wurde das gesamte Gelände vom Flick-Konzern genutzt.

Im Allgemeinen lässt sich für die Zeit des Zweiten Weltkrieges eine Intensivierung der Fertigung im Stahlwerk feststellen, hierbei kamen auch Kriegsgefangene aus dem Lager Wilhelmshof (Quenzlager) zum Einsatz. Mit zeitweise 7.000 Insassen handelte es sich hierbei um das größte Kriegsgefangenenlager in Brandenburg (Havel).

Im Vergleich zu anderen Orten der Rüstungsproduktion in Brandenburg (Havel) blieb das Werk von Luftangriffen weitgehend verschont. Die Produktion wurde erst im April 1945 eingestellt, als die Rote Armee in die Stadt Brandenburg einrückte. Es kam zur vollständigen Demontage des Werkes, sämtliche Anlagen wurden in die Sowjetunion transportiert.

Literatur

Baxmann, Matthias; Hänsel, Jessica: Das Stahl- und Walzwerk in Brandenburg an der Havel. In: Die Mark Brandenburg. Zeitschrift für die Mark und das Land Brandenburg Sonderheft (2018), S. 12-14.

Brekow, Frank: Rüstungsindustrie. In: Geiseler, Udo / Heß, Klaus (Hrsg.): Brandenburg an der Havel. Lexikon zur Stadtgeschichte (= Einzelveröffentlichungen der Brandenburgischen Historischen Kommission e.V.; Bd. 13). Berlin 2008, S. 315-316.

Deutsch-Luxemburgische Bergwerks- und Hüttenaktiengesellschaft. Abteilung Weber, Brandenburg (Havel). In: Magistrat der Stadt Brandenburg (Havel) (Hrsg.): Deutschlands Städtebau. Brandenburg (Havel). 2. Auflage. Berlin 1926, S. 134-137.

Geschäftsführung der SWB GmbH (Hrsg.): Das Stahl- und Walzwerk Brandenburg im Spiegel der Zeit. Brandenburg 1994.

Heß, Klaus: Zwangsarbeiter. In: Geiseler, Udo / Heß, Klaus (Hrsg.): Brandenburg an der Havel. Lexikon zur Stadtgeschichte (= Einzelveröffentlichungen der Brandenburgischen Historischen Kommission e.V.; Bd. 13). Berlin 2008, S. 417-418.

Industriemuseum Brandenburg an der Havel (Hrsg.): Ein Jahrhundert Stahl aus Brandenburg im sozialen und politischen Umfeld. Brandenburg a. d. Havel 2000. [Siehe: Hier]

Kinder, Sebastian: Baugeschichte der Königlich-Preußischen Pulverfabrik bei Plaue (H.) und des Eisenbahnwerks Brandenburg-West in Kirchmöser. In: Historischer Verein Brandenburg (Havel) e.V. Jahresbericht 9 (1999), S. 16-34.

Treskow, Sieglinde von: Stahl- und Walzwerk Brandenburg. In: Geiseler, Udo / Heß, Klaus (Hrsg.): Brandenburg an der Havel. Lexikon zur Stadtgeschichte (= Einzelveröffentlichungen der Brandenburgischen Historischen Kommission e.V.; Bd. 13). Berlin 2008, S. 358-359.

Treskow, Sieglinde von; Sponholz, Wolfgang: Stahlstandort am Silokanal. In: Heinrich, Gerd u.a. (Hrsg.): Stahl und Brennabor. Die Stadt Brandenburg im 19. und 20. Jahrhundert (= Bibliothek der Brandenburgischen und Preußischen Geschichte; Bd. 3). Potsdam 1998, S. 419-431.

Treskow, Sieglinde von: Rudolf Weber. In: Geiseler, Udo / Heß, Klaus (Hrsg.): Brandenburg an der Havel. Lexikon zur Stadtgeschichte (= Einzelveröffentlichungen der Brandenburgischen Historischen Kommission e.V.; Bd. 13). Berlin 2008, S. 392-393.

Krohn, Marius: Versteinerte Geschichte. Die „Walzwerksiedlung“ in Brandenburg an der Havel. In: Historischer Verein Brandenburg (Havel) e.V. Jahresbericht 26 (2017), S. 145-157.

Abbildungsnachweis

Abb. 1-4 Deutsch-Luxemburgische Bergwerks- und Hüttenaktiengesellschaft 1926.

Abb. 5, 8 Slg. H.-M. Waßerroth - CC BY-NC-ND 3.0 de.

Abb. 6, 7 Brandenburger Anzeiger 1934.

Empfohlene Zitierweise

Bock, Julian-Dakota: Stahl- und Walzwerk Brandenburg (Havel), publiziert am 16.08.2022; in: Industriegeschichte Brandenburgs, URL: http://www.brandenburgikon.de (TT.MM.JJJJ)


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