Dampfziegelei und Tonwerk „August Burg“, Hennigsdorf

Klaus Euhausen

Vor allem entlang der Havel waren schon im 17. Jahrhundert einzelne Ziegeleien vorhanden, mit der industriellen Revolution und dem Bauboom in der Hauptstadt wurden ab den 1830er Jahren auch nördlich von Berlin viele weitere Ziegelöfen und Thonwaaren-Fabriken errichtet, u. a. in Velten, Marwitz, Eichstädt und Birkenwerder.

An Hennigsdorf gingen diese Entwicklungen vorerst vorbei, erst im April 1866 beantragte der Rittergutsbesitzer zu Eichstädt (Osthavelland) Leopold Langner die Errichtung eines Ziegelbrennofens auf einem ihm gehörenden Ackerstück an der Havel nördlich von Hennigsdorf, das er zuvor vom Hennigsdorfer Lehnschulzen Luther erworben hatte. Neben der Verfügbarkeit des Grundstücks waren die hervorragenden Tone der Gegend (Havelniederung, Urstromtal, teilweise auf dem Glien) und die günstige Lage zu der sich rasant entwickelnden Stadt Berlin entscheidend für die Standortwahl. Der im Mai 1866 begonnene Preußisch-Österreichische Krieg verzögerte das Projekt wohl um einige Monate. Da es in unmittelbarer Nähe der Hennigsdorfer Ziegelei keine Tonvorkommen gab, wurde der Ton mit dem Pferdewagen aus Marwitz herangeschafft. Spätestens Anfang 1868 war ein einzelner Einkammer-Ziegelbrennofen mit Trockenschuppen errichtet (Abb. 1).

Der Krieg und auch die umständliche und kostenintensive Tonversorgung waren vermutlich der Grund für die Verschuldung des Eigentümers und für eine Zwangsversteigerung, das gesamte Gut Eichstädt ging zusammen mit der Hennigsdorfer Ziegeleianlage im Januar 1872 an den Berliner Schlächter Adolf Müller. Müller hatte durch die Belieferung der Preußischen Armee mit Wurst- und Fleischkonserven gute Geschäfte gemacht, erwarb auch den Hennigsdorfer Lehnschulzenhof und erweiterte die Ziegelei ab Mitte 1872 um acht weitere Brennöfen sowie einem Kesselhaus und ließ von der Tongrube in Marwitz eine Pferdeeisenbahn nach Hennigsdorf errichten (Abb. 2).

Wie schon Langner vor ihm hatte sich auch Adolf Müller viel Geld für seine Investitionen geliehen, unter anderem beim Bankhaus und Getreidegeschäft Simon Boehm in Berlin. Auch die Familie Boehm hatte in den Kriegen 1866 und 1870/71 das Militär beliefert und übernahm schon 1873 das Gut Eichstädt, während die Ziegelei in Hennigsdorf nebst Marwitzer Tongrube und Schmalspurbahn im Eigentum von Müller verblieben.

Um 1881 stieg der Kaufmann August Burg aus Berlin, der als Tabakfabrikant, Teilhaber einer Kerzenfabrik und als Kohlengroßhändler vermögend geworden war, finanziell in das Unternehmen ein. August Burg, der aus einer bedeutenden und großen jüdischen Berliner Familie stammte, starb aber schon im Januar 1882, ledig und kinderlos, kurz vor der Vollendung seines 62. Lebensjahres. Die Familien Burg und Boehm hatten privat wie geschäftlich miteinander zu tun. August Burgs Bruder Otto war mit einer Tochter von Simon Boehm verheiratet. Der finanzielle Einsatz von August Burg war offensichtlich beträchtlich, denn das Hennigsdorfer Werk erhielt etwa 1881 seinen Namen. Das eingebrachte Kapital von August Burg ermöglichte 1885 unter anderem die Anstellung eines erfahrenen Betriebsleiters, den aus Süddeutschland stammenden und zuletzt in Böhmen tätig gewesenen Anton Sandner. Er ließ innerhalb der folgenden Monate zwei Ringöfen erbauen, das Werk umfassend erweitern, modernisieren und schließlich spezialisieren. 1887 wurde eine Druckrohrleitung gebaut, mit der verflüssigter Ton von Marwitz nach Hennigsdorf transportiert wurde. Ab 1888 wurden Schmelzöfen, Ofenkacheln und andere Majolikawaren (glasierte Tonwaren) produziert. Um 1888/89 wurde der gesamte Ziegeleibetrieb und der Hennigsdorfer Lehnschulzenhof Eigentum der Firma Simon Boehm.

Einer der ersten Ziegelmeister der Hennigsdorfer Ziegelei war Carl August Conrad aus Lindow, er und seine beiden Söhne Hermann und August prägten Hennigsdorf und die Umgebung über Jahrzehnte, zuerst durch eine Kalkbrennerei, später durch zwei Sägewerke und Baubetriebe.

Die Hennigsdorfer Ziegelei hatte den Wettbewerbsnachteil, relativ spät gegründet worden zu sein und den Tontransport nur mit erheblichen Kosten sichern zu können. Standortvorteil war der kurze Wasserweg havelabwärts zum Hauptabsatzmarkt Berlin. Dem Werk gelang es aber, diese Nachteile wohl vor allem durch die Spezialisierung – ab 1895 – auf Dachfalzziegel und glasierte Dachziegel sowie durch eine ganzjährige Produktion durch Nutzung der Abwärme weitgehend zu kompensieren.

Mit dem 10. Januar 1899 wurde die Firma „August Burg“ in eine Aktiengesellschaft umgewandelt. Gründer der Gesellschaft waren die beiden in Berlin ansässigen Handelsgesellschaften „Simon Boehm“ und „Dampfziegelei und Thonwerk Hennigsdorf a. H. August Burg“ mit den Kaufleuten Gebrüder Isidor (Gustav) und Alfred Boehm (Söhne von Simon Boehm) sowie Hugo Deutsch (ebenfalls verheiratet mit einer Tochter von Simon Boehm). Erhalten ist ein Firmenschild, heute Bestandteil der Geschichtsausstellung in Hennigsdorf, außerdem ein eine Werbe-Annonce (Abb. 3, 4).

Zweck der Gesellschaft war laut Handelsregister die Tongewinnung in Marwitz, der Transport des Rohmaterials nach Hennigsdorf, die Herstellung von Baumaterialien (Dachfalzziegel, Ziegel, Klinker, Kachelöfen, etc.) auf den Hennigsdorfer Ziegelei- und Fabrikanlagen und der Handel damit, hauptsächlich über das in Berlin betriebene Baumaterialiengeschäft. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts war das Werk eine der größten Anlagen in Norddeutschland (Abb. 5, 6).

Der Erste Weltkrieg ab August 1914 ließ die Bauindustrie weitgehend zusammenbrechen. Ziegeleiarbeiter meldeten sich freiwillig zu den Waffen und wurden eingezogen, etliche kamen nicht wieder. Die AEG, die sich ab 1909/10 zuerst südlich von Hennigsdorf niederließ, wurde im Laufe des Krieges auf die Rüstungsproduktion umgestellt. Nachdem sie 1916 die Aktien der „August Burg AG“ übernahm, entstanden nördlich der Ziegelei und Tonfabrik die Pulverfabrik und das Stahl- und Walzwerk, während der Ziegeleibetrieb gedrosselt weiterlief. Im Zusammenhang mit der erfolgten Übernahme durch die AEG legte der „alte“ Aufsichtsrat der Aktiengesellschaft die Ämter nieder. Neu in den Aufsichtsrat gewählt wurden die zum Interessenkreise der AEG gehörenden Herren Geheimer Kommerzienrat Felix Deutsch, Kommerzienrat Paul Mamroth, Baurat Paul Jordan, Professor Dr. Georg Klingenberg und Baurat Philipp Pforr (sämtlich in Berlin). Südlich des Dorfes entstanden weitere Fabriken der AEG, darunter Elektro-Lokomotivfabrik, Heizapparatefabrik, Porzellanfabrik sowie Öltuchfabrik und Lackfabrik; der Flugzeugbau begann schon 1910 im ehemaligen Sägewerk von Hermann Conrad.

Im Sommer 1910 wurde anlässlich der Teilnahme an der II. Ton-, Zement- und Kalkindustrie-Ausstellung in Berlin die freitragende „Burg-Wand“ aus glasierten Mönch- und Nonnenfalzziegel präsentiert (Abb. 7).

Nachdem der Betriebsleiter des Tonwerks Sandner 1913 plötzlich starb, brachte der Radeberger Paul Nötzold den Ziegeleibetrieb über die „Leidensjahre“ bis zum Ende des Krieges 1918. Der Geschäftssitz wurde von Berlin nach Hennigsdorf verlegt. Der Brand eines Ofens und eine Munitionsexplosion im August 1917 zerstörten große Teile des Werkes.

Noch bis in die 1920er Jahren wurden unter Nötzold und August Conrad in Hennigsdorf Dachziegel hergestellt, ehe der Betrieb in Liquidation ging und das Gelände vollständig abgeräumt wurde. Etwa 1934 ging die „August Burg AG“ in die „Grundstücks-Aktiengesellschaft Marwitz“ über, die nur noch den Geschäftszweck hatte, die ehemals zur Ziegelei gehörenden Immobilien zu verkaufen.

Der Januar 1933 war für die jüdischen Familien eine dramatische Verschärfung. Alle tragischen Entwicklungen aus der folgenden Epoche trafen auch die hier genannten jüdischen Familien Burg, Boehm und Deutsch: behördliche und öffentliche Diskriminierung, Auswanderung, Verkauf des Eigentums unter Druck und Zwang, Enteignung, KZ-Haft, Tod im Vernichtungslager, Suizid u. a. m. Vielen gelang die Flucht. Hermann Deutsch – Sohn von Hugo Deutsch und Enkel von Simon Boehm – verwaltete die Geschäfte der verschmolzenen Betriebe Burg-Boehm-Deutsch „bis zuletzt“ und machte sozusagen 1938 „das Licht aus“, bevor er über England in die USA emigrierte.

Nach Krieg und NS-Gewaltherrschaft folgte im April/Mai 1945 der totale Zusammenbruch und die sowjetische Besatzungszeit.

Von den Fabrikanlagen der „Ziegelei und Tonfabrik August Burg“ blieb nichts erhalten, lediglich Grundriss und Grundmauern des ehemaligen Direktorenwohnhauses an der Fabrikstraße haben die Jahrzehnte überdauert. Nach August Burg ist in Hennigsdorf eine Nebenstraße der Fabrikstraße benannt, in Marwitz erinnern einige Straßennamen an Tonberg, Tongrube und Tonbahn.

Der Ziegeleibetrieb hat wesentliche Impulse zur städtebaulichen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklung von Hennigsdorf gegeben. Die Einwohnerzahl verdoppelte sich „quasi im 10-Jahresrhytmus“, von etwa 400 vor der Errichtung der Ziegelei auf 610 im Jahre 1885, ca. 1200 im Jahre 1895 auf etwa 2400 in dem Jahr, als die AEG nach Hennigsdorf kam. Die Wohnbebauung entlang der Fabrikstraße, der Burg-Straße (heutige Albert-Schweitzer-Straße), der Seilerstraße und an den nördlichen und südlichen Dorferweiterungen - sowie im Abstand von etwa 20 Jahren zwei neue Schulgebäude - entstanden aufgrund dieser Entwicklungen.

Literatur

Euhausen, Klaus: Hennigsdorfs Gründerzeit – Die frühe industrielle Entwicklung bis 1910. In: Dorfidyll – Industriestadt – Lebensort. Beiträge zur Geschichte Hennigsdorfs 2016, S. 10-17.

Euhausen, Klaus: Ausführungen zur frühen industriellen Entwicklung von Hennigsdorf und Nieder Neuendorf (Landkreis Osthavelland, Brandenburg) von 1866 bis zur Ansiedlung der Großindustrie (AEG) ab dem Jahre 1910. Regionalgeschichte und Familienforschung. In: http://www.euhausen-klaus.de/Euhausen_Hennigsdorf_fruehe_industrielle_Entwicklung.pdf (21.09.2023)

Abbildungsnachweis

Abb. 1, 6 Gemeinfrei (Eintragungen Klaus Euhausen).

Abb. 2 Stadtarchiv Hennigsdorf, Postkartensammlung.

Abb. 3 Foto Klaus Euhausen, Hennigsdorf, aus der Ständigen Geschichtsausstellung der Stadt Hennigsdorf.

Abb. 4 Sammlung Klaus Euhausen, Hennigsdorf.

Abb. 5 Stadtarchiv Hennigsdorf.

Abb. 7 https://dachziegelarchiv.de/ (Tonindustrie-Zeitung Nr. 73, 1910).

Empfohlene Zitierweise

Euhausen, Klaus: Dampfziegelei und Tonwerk „August Burg“, Hennigsdorf, publiziert am 26.09.2023; in: Industriegeschichte Brandenburgs, URL: http://www.brandenburgikon.de (TT.MM.JJJJ)


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