Stahl- und Walzwerk Hennigsdorf AG

Vinzenz Czech

Bereits vor dem Ersten Weltkrieg gab es bei den Verantwortlichen der „AEG“ Überlegungen zum Bau eines eigenen Stahlwerkes. Jedoch wurden diese erst mit dem „Hindenburg-Programm“ von 1916 zum Ausbau der deutschen Rüstungsindustrie konkreter. Als Standort kam das 1910 erworbene Gelände im Norden von Hennigsdorf in Betracht, nördlich der „August Burg AG“, die dort eine Dampfziegelei und ein Tonwerk betrieb. Nachdem die „AEG“ noch im selben Jahr 1916 die Aktien der „August Burg AG“ übernommen hatte, entstanden nördlich von Ziegelei und Tonfabrik eine Pulverfabrik sowie das Stahl- und Walzwerk, während der Ziegeleibetrieb gedrosselt weiterlief. Die Anbindung an den Hohenzollernkanal (1914 fertiggestellt) sowie die Eisenbahn boten überaus günstige Bedingungen (Abb. 1).

Im Süden von Hennigsdorf hatte die AEG bereits seit 1910 mit der Planung und Errichtung weiterer Fabriken begonnen. Bis 1913 waren dort eine Porzellanfabrik (für die Herstellung von Industrieporzellan und Kunstglimmer), eine Öltuchfabrik und eine Lackfabrik sowie eine Fabrik für Heizapparate und eine Lokomotivfabrik entstanden (Euhausen 2015) (Abb. 1, rechts).

In Kriegszeiten wurde das Stahlwerk anfangs auf den dafür notwendigen Bedarf hin geplant, jedoch mit der Möglichkeit von Anpassungen in späteren Friedenszeiten. Vorgesehen waren ein Stahl-, Press- und Walzwerk mit einem zukünftigen Blechwalzwerk, in denen sich die Produktion zunächst auf Stahlguss und Schmiedestücke erstrecken sollte (Pflüger 2012, 6).

Noch im November 1916 wurden das Material für die Stahlwerkshallen sowie das Press- und Walzwerk bestellt. Mitten im Krieg konnte die Wirtschaft jedoch nicht sämtliche Aufträge erfüllen, sodass sich das Preußische Waffen- und Munitionsbeschaffungsamt für eine Demontage von Fabrikanlagen im besetzten Frankreich entschied. Dafür wurden aus dem Stahlwerk Cail-Denain sowie aus Baume-Marpent u.a. Industriehallen, ein Radscheiben- und Bandagenwalzwerk und Gießgrubeneinrichtungen nach Hennigsdorf überführt. Bereits im Juni 1918 war die Stahlwerkshalle mit dem ersten Elektroofen fertiggestellt worden. Die Inbetriebnahme erfolgte dann am 20. Juli 1918. Die Hallen für das Presswerk trafen im August 1918 ein (Pflüger 2012, 8-13).

Nach dem Ende des Krieges und den Bestimmungen des Versailler Vertrages mussten die in Frankreich demontierten Hallen und Maschinen zum Teil wieder zurückgegeben werden. Krananlagen wurden abgebaut, ebenso das aus Baume-Marpent bezogene Walzwerk sowie ein 10t-Hammer. Nach Verhandlungen konnten dagegen die Gießgrubeneinrichtungen sowie die bereits aufgebauten Hallen in Hennigsdorf verbleiben. Dafür wurden von der Firma Krupp neue Hallen nach Denain geliefert. Ende Mai 1919 hatte das Werk 673 Beschäftigte. (Pflüger 2012, 15f.)

Aufgrund der wirtschaftlichen Schwierigkeiten in den Folgejahren kam die „AEG“ zu dem Schluss, das Stahlwerk auszugliedern und in eine eigene Aktiengesellschaft zu verwandeln. Enge Beziehungen zur „Linke-Hofmann-Werke AG Breslau“ sowie der „AG Lauchhammer“ führten 1921 gemeinsam zur Gründung der „Stahl- und Walzwerk Hennigsdorf AG“. Ziel war vorrangig die Herstellung von Stahlgussstücken und Lokomotiv-Radsätzen. Die bedeutete auch eine Kapazitätserweiterung des Hennigsdorfer Werkes. Dafür notwendige Fachkräfte und Arbeiter sollten aus den Linke-Hofmann-Werken sowie dem Lauchhammerwerk kommen. (Pflüger 2012, 17.)

Im Jahr 1923 bestand das Stahl- und Walzwerk im Wesentlichen aus folgenden Produktionseinrichtungen: dem Stahlwerk (drei Siemens-Martin-Öfen - ein vierter ging 1924 in Betrieb, 197 Mann Belegschaft, ca. 4.000 Tonnen Stahl im Monat), der Stahlgießerei (175 Mann Belegschaft, ca. 700 Tonnen im Monat), dem Presswerk (ca. 300 Tonnen im Monat, 47 Mann Belegschaft), der Radsatzfabrik (ca. 25 Lok- und 100 Waggon-Radsätze im Monat, 204 Mann Belegschaft), einer Bearbeitungswerkstatt (ca. 600 Tonnen im Monat, 61 Mann Belegschaft) den Reparaturwerkstätten ( (153 Mann Belegschaft), dem Kraftwerk (bestehend aus Kessel- und Maschinenhaus) sowie dem Eisenbahnbetrieb. (Pflüger 2012, 19) (Abb. 2)

Das Stahlwerk verarbeitete vor allem Schrott, den es von der Deutschen Schrott-Vereinigung GmbH und aus dem Entfall der anderen AEG-Fabriken in Hennigsdorf erhielt.

Während das Presswerk 1925 stillgelegt und die Radsatzfabrik im selben Jahr verpachtet wurden, begann ab 1924 der Aufbau eines Platinen und Feineisenwalzwerkes. Mit diesem bereits 1916 angedachten Betriebsteil sollte der enorme Blechbedarf jener Zeit gedeckt werden. (Pflüger 2012, 19)

Für den Zuwachs an notwendigen Arbeitskräften in dieser Erweiterungsphase war 1922 die „Gemeinnützige Heimstättengesellschaft mbH“ mit hohen Kapitalanteilen des Werkes gegründet worden. Sie hatte die Aufgabe, billige Werkswohnungen zu schaffen. Die angeworbenen Arbeiter kamen aus Westfalen, dem Rheinland und Oberschlesien, zum Teil auch mit Familien. Sie mussten sich dem Werk für mehrere Jahre verpflichten und bekamen dafür Werkswohnungen gestellt. (Pflüger 2012, 21f.)

Auch das Hennigsdorfer Werk war von den Veränderungen der Unternehmensstrukturen innerhalb der deutschen Stahlindustrie in den 1920er Jahren betroffen. 1926 erwarb die Aktiengesellschaft für Hüttenindustrie in Berlin, die sich im Besitz von Friedrich Flick befand, mehrere Werke der „Linke-Hofmann-Lauchhammer AG“. Der im November 1926 in „Mitteldeutsche Stahlwerke AG“ (kurz: „Mittelstahl“) umbenannte Konzern besaß auch eine Beteiligung von 63 % am Hennigsdorfer Werk. 1935 kaufte Flick der „AEG“ ihre 31-prozentige Beteiligung ab und kam nun auf eine Eigentumsquote von 94 %. 1935 erhielt die „Mitteldeutsche Stahlwerke AG“ (Mittelstahl) schließlich die vollständige Verfügungsgewalt über den Betrieb und im August 1937 erwarb die neu gegründete „Friedrich Flick Kommanditgesellschaft“ das Werk Hennigsdorf. Es wurde zusammen mit dem „Weberwerk“ in Brandenburg unter dem Namen „Mitteldeutsche Stahl und Walzwerke, Friedrich Flick Kommanditgesellschaft (Brandenburg / Havel)“ in den Konzern eingegliedert und bildete bei „Mittelstahl“ die sogenannte „Havelgruppe“. In den Gesellschaften, zu denen das Werk gehörte, hatte Friedrich Flick großen Einfluss. Anfangs in der westdeutschen Eisenindustrie und im Bankgewerbe engagiert, errang er in den 1930er Jahren die Herrschaft über die Montanindustrie in Mitteldeutschland. Die NS-Bewegung unterstützte er ab 1932 mit erheblichen finanziellen Mitteln. (Pflüger 2012, 23-27)

Vor dem Hintergrund des in den dreißiger Jahren gestiegenen Bedarfes an qualitativ höherwertigen Blechen erfolgte die Einrichtung eines Kaltwalzwerkes Mitte der dreißiger Jahre. Hier wurden vor allem Bleche für die Flugzeug- und Kraftwagenproduktion hergestellt. (Pflüger 2012, 28f.)

Im Rahmen der Kriegsproduktion bildete Hennigsdorf mit dem Stahlwerk in Brandenburg und Werken in Spandau im Flick-Konzern die sogenannte „Panzer-Achse“ entlang der Havel, da man vorrangig Panzer und Panzerfahrzeuge für die Wehrmacht produzierte. (Abb. 3-9)

Während des Zweiten Weltkriegs mussten auch im Stahl- und Walzwerk Hennigsdorf Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene in der Rüstungsproduktion arbeiten. Diese waren in über 30 nachgewiesenen Barackenlagern untergebracht. Ab 1941/42 wurden ein Außenlager des KZ Sachsenhausen sowie ein Außenlager des KZ Ravensbrück für weibliche Häftlinge installiert. (Fritsch 2001)

1945 war das Hennigsdorfer Werk durch Kriegseinwirkungen kaum beschädigt, stand entsprechend dem Potsdamer Abkommen als ehemaliger Rüstungsbetrieb aber auf der Liste zur Demontage als Reparationsleistung. Bis Oktober war der wesentliche Teil abgeschlossen und die Maschinen in die Sowjetunion abtransportiert. Dennoch blieb Hennigsdorf auch in der DDR als Stahlstandort erhalten, wenn auch unter völlig anderen Voraussetzungen.

Quellen

Brandenburgisches Landeshauptarchiv Rep. 75 Mitteldeutsche Stahl- und Walzwerke Friedrich Flick, Hennigsdorf [Siehe: Hier]

Brandenburgisches Landeshauptarchiv Rep. 75 AEG Hennigsdorf [Siehe: Hier]

Literatur

100 Jahre Stahlwerk in Hennigsdorf, hrsg. vom Stadtarchiv Hennigsdorf. 2017.

Pflüger, Rosemarie: Seit über 90Jahren fließt Stahl in Hennigsdorf – gelesen, nachgefragt, aufgeschrieben. Hennigsdorf 2012.

Euhausen, Klaus: Ausführungen zur frühen industriellen Entwicklung von Hennigsdorf und Nieder Neuendorf (Landkreis Osthavelland, Brandenburg) von 1866 bis zur Ansiedlung der Großindustrie (AEG) ab dem Jahre 1910. Regionalgeschichte und Familienforschung. 2015. In: http://www.euhausen-klaus.de/Euhausen_Hennigsdorf_fruehe_industrielle_Entwicklung.pdf (21.09.2023).

Fritsch, Helmut: Zwangsarbeit in Hennigsdorf. 1940-1945. Eine Dokumentation. Hennigsdorf 2001.

 

 

Abbildungsnachweis

Abb. 1 Gemeinfrei

Abb. 2-9 Stadtarchiv Hennigsdorf.

Empfohlene Zitierweise

Czech, Vinzenz: Stahl- und Walzwerk Hennigsdorf AG, publiziert am 05.04.2024; in: Industriegeschichte Brandenburgs, URL: http://www.brandenburgikon.de (TT.MM.JJJJ)


Wir nutzen Cookies auf unserer Website. Einige von ihnen sind essenziell für den Betrieb der Seite, während andere uns helfen, diese Website und die Nutzererfahrung zu verbessern (Tracking Cookies). Sie können selbst entscheiden, ob Sie die Cookies zulassen möchten. Bitte beachten Sie, dass bei einer Ablehnung womöglich nicht mehr alle Funktionalitäten der Seite zur Verfügung stehen.