Raumnutzung (Slawenzeit)

Thomas Kersting

Raum- oder Landschaftsnutzung und ihre Änderungen im Übergang von der sogenannten Slawenzeit zur hochmittelalterlichen Ostexpansion lässt sich in archäologischen Fundplatz-Kartierungen ablesen. 

Auf überregionaler Ebene ist das unter Einbeziehung der archäologischen Primärquellen kaum zu schaffen, trotzdem soll hier das ganze Bundesland Brandenburg in einem möglichst großmaßstäbigen Rahmen untersucht werden. Brandenburg umfasst zahlreiche unterschiedliche Naturräume und historische Landschaften, die man auf diese Weise im Vergleich betrachten kann.

Seit fast 20 Jahren wird hier eine konsequent auf dem Verursacherprinzip basierende Bodendenkmalpflege verfolgt und damit ein flächendeckender und landesweit vergleichbarer Einblick in alle bodendenkmal-relevanten Erdeingriffe möglich. Im zentralen Landesamt für Denkmalpflege wird seit ca. 15 Jahren eine archäologische Datenbank geführt und gepflegt, die alle von außen eingehenden Informationen verarbeitet und die eine Gesamtzahl aller archäologischen Fundplätze (alle Perioden) im Lande von knapp 30.000 ausweist. Auch alle archäologischen Maßnahmen „im Felde“ werden hier erfasst, die Gesamtzahl aller Dokumentationen beträgt derzeit rund 20.000 - vom Hausanschluss bis zur Flughafengrabung.

Diese Datenbank enthält nicht nur die Eckdaten wie Gemarkung, Auffindungszeitpunkt oder Durchführungszeitraum, sondern in Funktionsfeldern Angaben zur archäologischen Zeitstellung (Perioden, Unterperioden, bis hin zu Kuturgruppen) sowie zu Befundkategorie und Untersuchungsmethode. Durch die Lage-Koordinaten ist sie mit einem georeferenzierten Geographischen-Informationssystem (GIS) verbunden. Die Datenbank ermöglicht qualifizierte Abfragen zu unterschiedlichsten Fragestellungen, die nicht nur als Tabelle, sondern auch gleich im GIS als Kartierung sichtbar gemacht werden können. Die hier als Beispiel für die Einsatzmöglichkeiten vorgelegte Untersuchung basiert also nicht auf der Auswertung von Grabungsberichten und einer Sichtung der Funde, allein die hohe Zahl der im archäologischen Dokumentationszentrum des BLDAM archivierten Informationen ermöglicht repräsentative Aussagen.

Als günstig erweist sich dabei die Gliederung der Bodendenkmalpflege in Brandenburg in vier vergleichbare Gebietseinheiten, da sie alle Anteil an unterschiedlichen Naturräumen haben und technisch als Abfrage-Ebene dienen können - von den knapp 30.000 km² Gesamtfläche des Landes Brandenburg entfallen auf die Gebietseinheiten Uckermark/Barnim/Oderland 30 %, Prignitz/Havelland 27 %, Lausitz-Elsterland 25 % und Zauche/Teltow/Fläming 18 %.

Die Zahl aller archäologischen Fundplätze der Slawenzeit beträgt derzeit knapp 5000 (Burgwälle, Siedlungen, Gräber, Schatz- und Einzelfunde), also etwas über 12 % der Gesamtzahl der Fundplätze aller Perioden. Sie verteilen sich nicht gleichmäßig im Lande, aber in etwa entsprechend ihrer Anzahl anteilig auf die vier Gebietseinheiten der archäologischen Denkmalpflege (Uckermark/Barnim/Oderland 38%, Prignitz/Havelland 28%, Lausitz/Elsterland 18%, Zauche/Teltow/Fläming 16%; Abb. 1).           

Als Erklärung können hier günstige Verhältnisse in kleinteilig gegliederten wasserreichen Landschaften wie im Spreewald und im Havelland dienen. Ausgeprägte Hochflächen wie Barnim, Teltow und Fläming wirken sich siedlungsungünstig aus, während die Uckermark als Gunstraum in allen archäologischen Perioden auch zu dieser Zeit extrem dicht belegt ist.

Deutlich wird dabei nicht nur die enge Bindung der Fundplätze der Slawenzeit an die Gewässer, sondern auch an Räume mit einer gewissen morphologischen Formenvielfalt in einer „mittleren“ Höhenlage: die einförmigen Höhen- und Tiefenlagen wurden anscheinend gemieden – wenn auch in der Slawenzeit trockene Bereiche genutzt werden konnten, die später zu feucht wurden. Dies ist letztlich ein Charakteristikum fast aller ur- und frühgeschichtlichen Perioden nach dem Mesolithikum – die Fundplatz-Verteilung der Slawenzeit entspricht auf der Betrachtungsebene des ganzen Landes der fast aller vorangehenden ur- und frühgeschichtlichen Perioden.

Dabei muss man sich darüber im Klaren sein, dass eine solche Kartierung des Gesamtbestandes alle zeitlichen Schichten der Slawenzeit umfasst (früh-, mittel und spätslawisch), und damit eine Dichte vortäuscht, die es real nie gegeben hat. Dennoch ist das Bild verwendbar, da die slawischen Siedlungskammern bis weit in das 12. Jahrhundert hinein eine Siedlungsverdichtung erfuhren und maximal „ausgenutzt“ wurden, wie diverse Untersuchungen gezeigt haben. Über die Siedlungskammer hinaus wurde in der Regel nicht ausgegriffen. Dabei erreichten manche Räume in spätslawischer Zeit eine Verdichtung im Verhältnis von 1:2 bis 1:4 im Vergleich zur mittelslawischen Phase, so dass das Schlagwort einer „Bevölkerungsexplosion um die Jahrtausendwende“ nicht ohne Grund aufkam.

Die slawische Siedlungsverdichtung ist Teil eines europaweiten Phänomens: auf einem Höhepunkt der Ausnutzung der Landschaft mit den vorhandenen Mitteln beginnt Mitte des 12. Jahrhunderts überall, auch in den „Altsiedelgebieten“ ein Prozess, dessen Auswirkungen hier untersucht werden.

Schon im 10. Jahrhundert hatte das Ausgreifen begehrlicher Nachbarn ins heutige Brandenburg begonnen. Im 12. Jahrhundert begannen Deutsche, Polen und Pommern in den slawischen Gebieten des heutigen Brandenburgs ohne zentrale Macht Fuß zu fassen, indem sie gleichzeitig Herrschaft und Siedlung zu etablierten suchten.

Dies geschah offenbar von allen Seiten her mehr oder weniger gleichzeitig und in ähnlicher Art und Weise, indem ein gleichmäßig dichtes Netz von Ansiedlungen über das alte ungleichmäßige Muster der slawenzeitlichen Siedlungskammern gezogen wurde (hier anhand einer Kartierung des Gesamtbestandes an Siedlungen, Wüstungen, Städten und sonstigen Fundplätzen des deutschen Mittelalters: Abb. 3). Die ausgeprägte Netzstruktur des neuen Rasters wird noch deutlicher, wenn man die Städte hervorhebt (Abb. 4). 

Dieser augenfällige Unterschied zum „Raumnutzungs-Konzept“ der Slawenzeit bedeutet einen völligen Paradigmenwechsel zum seit Jahrtausenden konstanten Konzept der Landschaftsnutzung vorher. Es kommt zu einem so grundlegenden Wechsel der Landschaftsnutzung wie seit dem Übergang von der mesolithisch-jägerischen zu neolithisch- sesshaften Lebensweise nicht mehr. Hinter dieser neuen Raumnutzungsstrategie – sei sie bewusst oder unbewusst angewendet worden - steht der Wendepflug als technologische Neuerung der Agrartechnik. Er erlaubt, Böden und damit Räume zu nutzen, um die man früher einen Bogen machen musste, nämlich die schweren Lehmböden der Moränen-Hochflächen, die mit dem hölzernen Hakenpflug der Slawen nicht zu meistern waren. Nicht auszuschließen ist, dass die neuen Herren gleichzeitig eine neue, „raumbezogene“ Herrschaftsvorstellung mitbrachten, die sie danach streben ließ, eben den gesamten Raum zu erfassen und zu nutzen. Allerdings ist angesichts der Vielzahl der Fundplätze, die sowohl Material der Slawenzeit als auch „deutsch“ - hochmittelalterlicher Prägung erbracht haben (Abb. 2), zu erkennen, dass man beim Ausgreifen ins Slawengebiet zunächst an deren Siedlungskammern anknüpfte.

Die zeitliche Binnengliederung dieses Prozesses, der in wenigen Generationen die hiesige Welt veränderte, ist von archäologischer Seite nur schwer zu klären; das Fundmaterial gibt - abgesehen von den Hölzern - keine Feindatierungen her. So liegt es nahe, die Ersterwähnungen der Städte heranzuziehen (Abb. 5), und man kann vermuten, dass die Dorfgründungen parallel im gleichen Takt liefen (die Überlieferungslage bei den Dörfern ist erheblich ungünstiger als bei Städten, die allermeisten werden erst relativ spät erwähnt, nämlich 1375 im Landbuch Kaiser Karls IV.).

Die ersten Erwähnungen aus dem 10. und 11. Jahrhundert betreffen frühe zentrale Plätze, die noch in der Slawenzeit angelegt und erst später zu „deutschrechtlichen“ Städten wurden (rot) und konzentriert im Westen zu finden sind, was aber z.T. auch ein Überlieferungseffekt der ottonischen Feldzüge sein kann.

Im 12. Jahrhundert beginnt man mit regelrechten Stadtgründungen, die sich zwar unter den Askanieren im Westen konzentrieren (orange), aber nun auch in den anderen Regionen von Pommern, Polen und Meißen aus im Osten, Norden und Süden erfolgen. In der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts setzt dann eine regelrechte Gründungswelle ein, die bis auf die Lausitz (mit Ausnahmen) alle Gebiete erfasst (gelb). Die Fortsetzung dieser Welle in der 2. Hälfte des 13. Jahrhunderts ergreift vornehmlich den Norden, Osten und Süden des Landes (grün), ehe danach im 14. Jahrhundert sozusagen die „Lücken aufgefüllt werden“ (blau).

Mit dem Einsetzen dieses Prozesses kommt letztlich die innerhalb der Siedlungskammern eigentlich dynamische Besiedlung der Slawenzeit an ein Ende, Siedlungsverlagerungen sind dort häufig nachzuweisen. Spätestens mit der Feldsteinkirche im hochmittelalterlichen Dorf werden die neuen Siedlungen ortsstabil: das Dorf ist in der Landschaft nun fest verankert. Praktisch gleichzeitig beginnt aber auch schon ein gegenläufiger Prozess, der in das feinmaschige Netz die ersten Löcher reißt. Zunehmend müssen neue Standorte schon nach kurzer Zeit wieder aufgegeben werden, die sich aus verschiedenen Gründen nicht halten können: sei es, dass man trotz Umbruchs in der Agrartechnik an naturräumlich ungünstigen Stellen doch nicht wirtschaftlich arbeiten konnte, sei es, dass die Stadtgründungen den Dörfern in der Umgebung regelrecht „das Wasser abgraben“.

Doch dieser Wüstungsprozess gehört schon zu den Umformungen jenseits unseres engeren Themas.

 

Der Beitrag erschien unter dem Titel: Kersting, Thomas: Archäologische Zeugnisse hochmittelalterlicher Transformation in Brandenburg. In: Kersting, Thomas / Biermann, Felix / Klammt, Anne / Westphalen, Thomas (Hrsg.): Transformationen und Umbrüche des 12./13. Jahrhunderts. Beiträge der Sektion zur slawischen Frühgeschichte der 19. Tagung des Mittel- und Ostdeutschen Verbandes für Altertumsforschung in Görlitz, 01.-03. März 2010 (= Beiträge zur Ur- und Frühgeschichte Mitteleuropas; 64). Langenweißbach 2012, S. 9-16.

Literatur

Henker, Jens / Schöfbeck, Tilo / Weiß, Uwe: Slawen und Deutsche im Hochmittelalter östlich der Elbe: archäologisch-historische Studien zur Siedlungsentwicklung (= Studien zur Archäologie Europas; 8). 2008.

Henning, Joachim: Der slawische Siedlungsraum und die ottonische Expansion östlich der Elbe: Ereignisgeschichte - Archäologie – Dendrochronologie. In: Henning, J. (Hrsg.): Europa im 10. Jahrhundert - Archäologie einer Aufbruchszeit. Mainz 2002, S. 131-146.

Kirsch, Kerstin: Slawen und Deutsche in der Uckermark - vergleichende Untersuchungen zur Siedlungsentwicklung vom 11.-14. Jahrhundert (= Forschungen zur Geschichte und Kultur des östlichen Mitteleuropa; 21). 2004.

Abbildungsnachweis

Abb. 1-4 Th. Kesting, BLDAM.

Empfohlene Zitierweise

Kersting, Thomas: Raumnutzung (Slawenzeit), publiziert am 08.12.2023; in: Historisches Lexikon Brandenburgs, URL: http://www.brandenburgikon.de (TT.MM.JJJJ)

Kategorien

Epochen: Ur- und Frühgeschichte
Themen: Archäologie und Siedlung


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