Handwerk
Björn Berghausen
Die Geschichte des Handwerks ist auch eine Geschichte des Raums, in dem es sich angesiedelt hat: Ressourcen determinieren die Siedlungsorte und deren gewerbliche Prägungen. Neben Rohstoffen, Produktionsmitteln und Energie sind Städte und ihre Märkte Grundvoraussetzungen für die Nutzung des Naturraums. Großbegriffe der Handwerksgeschichte sind überdies Zünfte und städtische Gesellschaften sowie Handwerker- und Gesellenwanderungen ab dem Mittelalter. In der Renaissance und der Zeit des Absolutismus sind es Landesausbau, Ansiedlung von Réfugiés und Residenzbildungen – und vor allem die Organisationsformen der Produktion durch Verlage und Manufakturen. An der Schwelle zum Industriezeitalter verändern Gewerbefreiheit und die Dampfmaschine, später die Elektrizität das Handwerk grundlegend.
Die Bedeutung natürlicher Voraussetzungen
Obwohl die Geschichte des heutigen handwerklichen Traditionsgewerbes erst etwa zwei Jahrhunderte alt ist, beginnen ihre Entwicklungslinien in Brandenburg doch bereits mit der Besiedlung des Raumes zwischen Elbe und Oder und den Stadtgründungen. Damals war die Mark Brandenburg noch ein Waldland: Zwischen 1130 und 1330 wich der Wald durch Neusiedlungen zurück, doch das Bevölkerungswachstum war unter anderem durch den Ressourcenspielraum begrenzt. Dieser konnte zwar erheblich erweitert werden, doch blieben weite Flächen bis zur Möglichkeit von Landschaftsgestaltungen – wie das Oderbruch mittels Deichbau – bis in die Neuzeit ungenutzt. Das Handwerk breitete sich in dem Maße aus, in dem die Besiedlung des Landes voranschritt. In den Dörfern erledigten die Bauern alles selbst, was zum Herstellen von Werkzeugen für Ackerbau und Viehzucht, Hausbau und für die Erzeugung von Bekleidungsstoffen und Schuhwerk notwendig war. Wenn die Produktion über den eigenen oder den lokalen Bedarf hinausging, suchte man Märkte auf, sobald sich Marktstrukturen im Laufe des 12. Jahrhunderts etablierten. Die brandenburgischen Siedlungskerne folgten den alten Handelswegen und dem Verlauf der Flüsse Oder, Elbe, Havel und Spree, wobei die älteren Kaufmannssiedlungen wie Frankfurt an der Oder vor einem systematischen Landesausbau gegründet wurden.
Flüsse spielten als Energielieferanten, Ressource und Transportwege eine zentrale Rolle. Denn die wichtigste Antriebsmaschine war die Mühle, die über Jahrhunderte kaum Veränderungen erfuhr, ob das Mahlwerk von Wind, Wasser oder von Zugtieren angetrieben wurde. Genutzt wurde – vor allem schnell fließendes – Wasser, wobei für oberschlächtige Mühlräder, bei denen Wasser von oben auf die Radschaufeln geleitet wurde, Bäche genügten. Mühlen kamen zum Einsatz bei der Getreideverarbeitung, zur Verarbeitung von Lohrinden, beim Walken in der Tuchherstellung, bei der Behandlung von Ölfrüchten, beim Zerkleinern erzhaltigen Gesteins, für Eisenhämmer, in der Haderstampfe und der Papiermühle, später der Pulvermühle, zum Drahtziehen, zum Holzsägen und in der Bewässerungstechnik. Die Mühle war somit der universelle Motor des Handwerks. Das Windmühlengewerbe blühte erst im 19. Jahrhundert nach der Gewerbefreiheit auf, als die Zahl der Meister sprunghaft anstieg.
Die Standortwahl eines Gewerbes war überdies vom Rohstoffvorkommen und dessen Nutzbarkeit abhängig. Metallverarbeitende Gewerbe konnten sich nur dort ausbreiten, wo es Erzvorkommen gab oder Metalle zu erhandeln waren, also entlang der etablierten Handelswege. Keramische Gewerbe benötigten Tonlagerstätten, Glashütten Kieselerde, Kalk und Holz. Leinenweberei bedurfte der Anbauflächen für Flachs und Hanf. Gewerbe, die große Hitze benötigten, brauchten Holz, dessen Verknappung zu Produktionseinbußen und der Suche nach Effizienzsteigerungsmöglichkeiten führte. Gegenden, die fern solcher Bedarfe Reichtum an Holz hatten, konnten dagegen gewerbliche Aktivitäten für den Export aufnehmen: Drechslerwaren, Eimer, Siebe, Körbe etc. Welche Bedeutung der freie Zugang zu den Ressourcen hatte, demonstrieren die im Streit liegende Brandenburger Neu- und Altstadt, deren Auseinandersetzung zwischen den konkurrierenden Handwerkergilden 1300, 1342 und 1420 eskalierte: Holzzufuhr sowie Schilf- und Rohrbedarf aus den Rohrbrüchen an der Havel mussten extra geregelt werden.
Unterschiedliche Gewerbe benötigten unterschiedliche Ressourcen: Die Brauer benötigten für das Grundnahrungsmittel Bier sauberes Wasser, Malz, Hefe und Hopfen (Abb. 1). Nach Einführung der Gewerbefreiheit gelangte zunehmend auch fremdes Bier in die Städte, Bernauer Bier aber gehörte zu den Exportbieren. Glas kam im Mittelalter vor allem für Kirchenfenster in Gebrauch, und noch im 19. Jahrhundert wurden die Bleiumfassungen vom Glaser selbst angefertigt. Die Herstellung von Flaschen, Gläsern, Ballons oder Lampen erfolgte in Glashütten unter Gluthitze durch Mundblasen (Abb. 2). Grundmaterial waren Quarzsand, Lehm, Kalk, Pottasche sowie Holz und später Kohlen zum Befeuern der Schmelzöfen. Das vor allem für die wirtschaftliche Entwicklung Brandenburg-Preußens ab dem 17. Jahrhundert wichtigste Gewerbe übten die Weber und Tuchmacher aus. Sie waren von der Prignitz bis in die Lausitz vertreten. Das hierfür notwendige Garn stammte entweder als Wolle von Schafen oder aus Flachsfasern, aus denen Leinen hergestellt wurde (Abb. 3). Die Spinner zogen aus den Flachsfasern das Leinengarn, das von den Leinenwebern zu Tuch gewebt wurde. Die Webarbeit war hart und kraftaufwändig, weshalb Innovationen zur Personal- und Kraftersparnis und zur Kraftübertragung das Gewerbe erheblich verbesserten. Hier spielten Verlagswesen und Manufakturen ab dem 17. Jahrhundert eine bestimmende Rolle.
Zu den ältesten Gewerben überhaupt gehören die Schmiede als erster metallverarbeitender Beruf (Abb. 4). Sie lieferten für die Landwirtschaft (Pflüge, Sensen, Spaten), für den Kampf (Waffen und Rüstungen) und für den Hausbau (Hämmer, Zangen, Schlösser). Für die Schmiedeproduktion wurden alle Elemente bemüht: Eisenerz aus der Erde wurde über dem durch Luft angefachten Feuer geschmiedet und im Wasser gehärtet. Das Roheisen wurde als Stab- oder Stangeneisen gehandelt und stammte meist aus nahen Eisenhütten (Abb. 5). Eine große Krise verursachte die Erschöpfung der Eisenvorräte in den großen Eisengebieten des deutschen Reiches im späten 16. und 17. Jahrhundert. Im 19. Jahrhundert veränderte die industrielle Produktion von Werkzeugen und Geräten das Gewerbe grundlegend.
Zünfte und der Übergang zum Manufakturwesen
Die Zünfte als Selbstorganisation des örtlichen Handwerks folgten dem für das Spätmittelalter zunächst innovativen Gedanken, das heimische Handwerk einerseits vor Konkurrenz von außen und andererseits innerhalb der Zunftgemeinschaft zu schützen. Die Zunft gab den Rahmen, in dem Fertigkeiten und Fähigkeiten von Generation zu Generation weitergegeben und gesichertes Erfahrungswissen vermittelt wurde. Sie garantierte Qualitätskontrolle, geregelte Ausbildung und Maßstäbe der Produktion sowie Arbeitszeiten. Der Zunftzwang legte allen Handwerkstreibenden die Pflicht auf, Zunftmitglied zu sein, und verbot allen Nichtmitgliedern – Fremden wie Mitgliedern anderer Zünfte – die Herstellung desselben Produktes.
Bis in die Zeit des Dreißigjährigen Krieges wurden Zünfte gegründet. Frauen konnten nur in Ausnahmen („Witwenrecht“) Zunftmitglieder sein, auch wenn sie von Anfang an für Nebentätigkeiten in die handwerkliche Produktion eingebunden waren. Stets waren viele Handwerker allerdings unzünftig – und es wurden immer mehr aus Zunftsicht so genannte „Störer“ und „Pfuscher“, erst recht nach der Aufhebung des Zunftszwanges.
Die Zunftregelungen galten weitestgehend nur für die Städte, die in Brandenburg nur etwa ein Drittel der Bevölkerung ausmachten. Auf dem Land hingegen gab es wenig differenziertes Handwerk – aber mit zunehmender Bevölkerungszahl immer mehr freie Arbeitskräfte. Dieses Potenzial machten sich zuerst die Textilhandwerker zunutze, die einzelne Produktionsschritte auslagerten und an Heimarbeiter in den umliegenden Dörfern gaben. Diese Spinner und Weber erhielten die Rohstoffe für ihre Arbeit und den Lohn für die Arbeit. Daraus entwickelte sich die Organisationsform des Verlagswesens, bei dem kapitalstarke Verleger arbeitsteilige Produktion dezentral organisierten. Die auftragsstärksten Verleger saßen gar nicht in Brandenburg, sondern in den oberdeutschen Städten, später in Hamburg, und ließen so Gewerbelandschaften entstehen, in denen auf dem platten Land viele arbeitende Hände in Heimarbeit, oft neben der agrarischen Haupttätigkeit, beschäftigt wurden. Für ihre auf den Export ausgerichtete Textilproduktion war vor allem die Lausitz bis hinauf nach Guben bekannt.
Eine andere Organisationsform der Produktion, die das Handwerk veränderte und zu verdrängen begann, war das Manufakturwesen. Wie beim Verlag wurden die Produktionsschritte zerlegt, allerdings nicht dezentral organisiert, sondern zentral, oft unter einem Dach. Von den dampfbetriebenen Fabriken unterschieden sich Manufakturen vor allem durch die Antriebskraft.
In Brandenburg-Preußen nahmen nach der Katastrophe des Dreißigjährigen Krieges die Manufakturen ab 1676 ihren Aufschwung, als die Gewerbepolitik des Großen Kurfürsten sie nach französischem Vorbild förderte
In Lauchhammer gab es seit 1725 eine Eisen- und Bronzegießerei, zu Zentren der Waffen- und Munitionsproduktion entwickelten sich Peitz, Neustadt (Dosse) und Zehdenick. Doch waren viele Manufakturen nur kurzlebig; in den 1790er Jahren gab es insgesamt wohl nur ca. 1.000. Typische Produkte waren Güter des Luxusbedarfs: Porzellan, Fayencen, Gläser, Tapisserien, Tabak und Zucker (Abb. 6). Diese Manufakturen konnten teils nur durch staatliche Subventionen künstlich am Leben gehalten werden, erst recht betraf das Gründungen mit hohem Kapitaleinsatz (z.B. Kattundruck) oder teuren Rohstoffen (etwa Seide). Sie wurden durch Schutzzölle und Einfuhrverbote stärker gefördert als das Handwerk, wobei in Friedrichs II. Idée générale du commerce 1749 die Manufakturen, die einheimische Rohstoffe verarbeiteten, von denen unterschieden wurden, die sich importierter Rohstoffe bedienten. Ein Beispiel staatlicher Förderung sind die wirtschaftlichen Unternehmungen Johann Ernst Gotzkowskys (1710-1775), der mit königlicher Unterstützung zum größten Seidenunternehmer des Staates aufstieg und mit sächsischen Kontributionen auch die Königliche Porzellanmanufaktur Berlin gründete, jedoch nach dem Ende des Siebenjährigen Krieges im Sog der Bankrotte unterging.
Wissenstransfer im Handwerk
Handwerkliches Wissen wurde über Generationen aufgebaut und vom Meister an den Gesellen oft unter zünftigen Regeln weitergegeben, mitunter auch schriftlich niedergelegt. Einen festgeschriebenen Wanderzwang gab es in den meisten Gewerben ab dem 16. Jahrhundert. Im Wanderbuch des Handschuhmachergesellen Felix Ludwig Barthelmes, ausgestellt am 23. Mai 1828, finden sich Lehrorte zwischen Magdeburg und Wien (Abb. 7). Neben Erfahrung, Vielseitigkeit und Horizonterweiterung waren es auch Marktkenntnisse, Erfassung von Kunst- und Modetrends und der Aufbau von Beziehungen, die junge Männer zur Wanderschaft ermutigten. Um eine freie Meisterstelle zu erhalten, mussten viele Handwerker in der Fremde suchen – bisweilen gar im Ausland. Auch die Beschaffung von Rohstoffen oder Halbzeugen sowie Märkte und Messen zwangen Meister auf die Straße. Steinmetze oder Baumeister, Silber- und Goldschmiede oder Geschütz- und Büchsenmeister, Glockengießer und Wassertechniker zogen von Großbaustelle zu Großbaustelle (Abb. 8).
Die gewerbliche Entwicklung folgte den technischen Neuerungen, die selten Ingenieurleistungen waren, sondern sich aus der praktischen Handwerkserfahrung ergaben. So kamen verbesserte Werkzeuge und Geräte oder gar Maschinen in die Fertigungsabläufe. Mechanischer Drahtzug (Ende des 14. Jahrhunderts), Schichthobel, des Fassmachers Fügbank, die Drehbank (um 1560), das Flügelspinnrad und der Schraubstock (um 1500) kamen als neue Werkzeuge auf und zeigten, dass das Handwerk für Innovationen aufgeschlossen war. Manche Zunftmeister hingen jedoch konservativ, ja reaktionär an ihren Privilegien und versuchten, sich dieser Entwicklung mittels Schutzregelungen entgegenzustemmen, so verboten mancherorts die Tuchmacher den Webern den Gebrauch des von ihnen benutzten Wollkamms. Jedoch vergeblich: Neue Produkte und Materialien besetzten Marktlücken, in denen sie wirtschaftlichen Erfolg hatten. Es entstanden zwischen dem 15. und 17. Jahrhundert durch Innovation und Spezialisierung ganz neue Gewerbezweige, wie etwa Papiererzeugung und Buchdruck. Die erste Brandenburger Druckerpresse stand 1488 in Stendal, dann kamen Frankfurt (Oder) und Berlin 1540 sowie Brandenburg (Havel) 1664 hinzu.
Die Spezialisierung erfasste vor allem die Metallberufe, hier das Schmiedehandwerk, wobei der Rückgriff auf das heimische Raseneisenerz zunächst nur Produkte minderer Qualität zuließ. Von den Grob- und Hufschmieden setzten sich die Kleinschmiede zunehmend ab, etwa als Uhrmacher und Schlosser, als Spengler, Klempner oder Flaschner. Es begann gleichsam ein „Blechzeitalter“ (Elkar / Keller / Schneider 2014, 139), das auf das hölzerne folgte. Aus Weißblechen wurden Flaschen, Eimer, Kannen, Lampen oder Harnische hergestellt. Klein- und Werkzeugschmiede ersonnen Verbesserungen in der Mechanik, und mit Präzisionsinstrumenten (feine Bohrer, Zirkel, Messgeräte) konnten neue Produkte hergestellt werden.
Zur Steigerung nicht nur der gewerblichen Vielfalt, sondern auch zur „Peuplierung“ des Landes bemühte sich Brandenburg um Glaubensflüchtlinge, etwa von Niederländern im 16. und Franzosen im 17. Jahrhundert, die – so auch Kurfürst Friedrich Wilhelms Hoffnung – Modernisierungen im Textilgewerbe mitbrachten. 1685 lud das Edikt von Potsdam die in Frankreich verfolgten Hugenotten nach Brandenburg ein, wobei 1671 bis 1683 sieben weitere Einwanderungspatente vorangegangen waren. Angesichts von 9.-10.000 nach Brandenburg, vor allem nach Berlin strömenden Hugenotten sollte deren Einfluss auf die strukturelle Entwicklung dennoch nicht überbewertet werden. Im 18. Jahrhundert angelegte Kolonien rings um Berlin waren als Spinnerdörfer Lieferanten für die Textilmanufakturen der Stadt. Über kurz oder lang wurde die Mark Brandenburg zum Lieferanten für das Manufaktur- und Fabrikzentrum Berlin und so zu einer auf die Metropole ausgerichteten Wirtschaftsregion.
Von der Gewerbefreiheit bis ins 20. Jahrhundert
Als das Edikt zur Gewerbefreiheit in Preußen vom 2. November 1810 und das Gesetz über die polizeilichen Verhältnisse im Gewerbe vom 7. September 1811 die Zünfte abschafften, hatten diese bereits erheblich an Boden verloren. Die Belastungen der Napoleonischen Kriege und der damit einhergehende Einbruch des Gewerbes forcierten den Reformdruck. Vor allem das Textilgewerbe klagte über billige Konkurrenz aus dem Ausland, wobei ab 1818 liberale Zollgesetze die Situation kurzfristig verschärften. Neben den Reformen von außen zwangen Mechanisierung, Maschinisierung und Rationalisierung die Betriebe von innen zur Reorganisation und wiesen Teile des Handwerks in eine moderne Richtung. Schon die „Protoindustrialisierung“ (Kriedte / Medick / Schlumbohm 1977, 26) als Transformationsprozess im 17./18. Jahrhundert hatte durch den Einsatz von Handelskapital im Produktionsbereich aus unabhängigen Kleingewerbetreibenden zunehmend abhängige Lohnarbeiter gemacht.
Die Textilproduktion dominierte um 1800 mit 36% der Gewerbetreibenden, davon ein Viertel auf dem Land, und war Vorreiter der Industrialisierung im Handwerk. Dabei ließen Gewerbefreiheit und maschinelle Produktion das Tuchmacherhandwerk drastisch schrumpfen: 1860 produzierten drei Tuchfabriken in Pritzwalk, in dem 1800 noch 80 Tuchmacher gearbeitet hatten. Ein wesentlicher Unterschied zwischen altem und modernem Handwerk lässt sich durch unterschiedliche genutzte Antriebskräfte herstellen: Muskelkraft von Mensch oder natürliche Wasser- und Windenergie gegen Dampfkraft. Dampfmaschinen fanden zunächst im Berg- und Hüttenwesen ihren Einsatz. Ab 1797 gab es in Berlin Dampfmaschinen, 1849 waren es 170, in den Regierungsbezirken Potsdam 110 und Frankfurt (Oder) 78.
Neu aufkommende Materialien und Techniken kreierten jedoch auch neue Handwerksberufe: Fotografen, Drucker, Elektrotechniker/Elektriker, Karosseriebauer/Kfz-Mechaniker. Auf die neue Zeit besonders gut eingestellt waren die blechverarbeitenden Klempner und Spengler, die für das ganze Haus von außen und von innen da waren. Mit der Gründung der Königlich privilegierten optischen Industrie Anstalt begann in Rathenow 1801 der Aufbau eines Zentrums der optischen Industrie, das führend für Deutschland war. Auf dem Höhepunkt gab es mehr als 100 Betriebe.
Auf Blech folgten die Kunststoffe: Der Modernisierungsschub im frühen 20. Jahrhundert ging von der Chemischen Industrie und der Elektrotechnik aus. Die Elektrizität veränderte das Handwerk erneut grundlegend, indem statt Werkzeugen immer mehr Werkzeugmaschinen eingesetzt wurden. Es waren zunächst schwere, standortgebundene Maschinen, doch kamen später mobilere Geräte mit Elektromotor zum Einsatz, etwa Bohrer. Am Ende des Jahrhunderts stellten Computerisierung und Digitalisierung neue Herausforderungen dar. Im 20. Jahrhundert kamen mit den Kunststoffen neue Materialien, neue Einsatzfelder, technische Neuerungen und neue Berufe in die Handwerkerwelt.
Institutionen
Die jüngste Handwerksgeschichte ist vor allem eine Geschichte der Institutionen: In punkto Organisation war das Handwerk bestrebt, die Gewerbeordnung im Hinblick auf die Praxis, die Ausbildung und Zusammenschluss von Handwerkern des gleichen Berufes zu novellieren, was 1881 die Neuregelung des Innungswesens zur Folge hatte. Stärker der Zunfttradition verbunden waren die nach 1871 entstandenen Innungen, deren Charakter der von Arbeitgeberverbänden bei freiwilliger Zugehörigkeit entsprach. 1897 wurde durch das Handwerkerschutzgesetz die Überwachung des Lehrlings- und Gesellenwesens durch die Handwerkskammern gesetzlich geregelt − 71 dieser Kammern entstanden im Jahr 1900, darunter Berlin, Potsdam und Frankfurt (Oder) (Abb. 9). Cottbus folgte erst 1953 im Zuge der Bezirksbildung in der DDR. 1908 regelte die Novelle zur Gewerbeordnung, dass niemand ohne Meisterprüfung Lehrlinge ausbilden darf (Kleiner Befähigungsnachweis). Die Handwerkernovelle vom Februar 1929 verpflichtete die Kammern, Handwerkerrollen zu führen. Der Große Befähigungsnachweis, der nur Meistern die Selbständigkeit gestattet, wurde mit der Handwerksordnung im Jahr 1935 eingeführt.
Der Erste Weltkrieg mit bis zu 70% Werkstattschließungen und die Weimarer Zeit waren für viele Handwerksbetriebe von den Krisen begleitet, die der gesamten deutschen Wirtschaft Schwierigkeiten bereiteten. Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten und der Umsetzung der Ideen einer Ständeordnung wurde der Reichsverband im Mai 1933 in den Reichsstand des deutschen Handwerks überführt. Vor allem die kriegsbedingten Ausfälle von Handwerkern, die ab 1939 als Soldaten an der Front dienten oder die in kriegswichtiger Produktion in Fabriken eingesetzt waren, führten zur Verarmung der Gewerbelandschaft.
Das Kriegsende bedeutete für das Handwerk einen Neuanfang mit geringen Rohstoffvorräten und Produktionsmitteln, erheblichem Reparaturbedarf und personellen Engpässen. Die Strukturen wurden in den besetzten Teilen Deutschlands nur langsam wiederhergestellt, etwa indem das Selbstvertretungsrecht der Wirtschaft und damit die Befugnisse der Kammern ab Oktober 1945 wieder Geltung erhielten. Im Dezember 1947 wurde für die Zonen der Westalliierten die Zentralarbeitsgemeinschaft des Handwerks im vereinigten Wirtschaftsgebiet geschaffen, der die Gründung des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks am 30. November 1949 vorbereitete.
Die traditionellen Handwerksbetriebe wurden auch in der DDR fortgeführt, allerdings unterlagen sie im Laufe der Zeit immer stärkeren Zwängen. Probleme bereiteten vor allem die Belieferung mit Material, Maschinen und Geräten sowie der nicht selten unter Druck erfolgte Zusammenschluss zu einer der „Produktionsgenossenschaften des Handwerks (PGH)“ ab den 1950er Jahren (Abb. 10).
Bei der Definition von Handwerk spielt die Arbeit mit der Hand immer noch eine Rolle, auch wenn der „Verlust des manuellen Kerns“ durch einen wachsenden Anteil von Maschinen und automatisierter Technik am Produktionsprozess das „neue“ Handwerk auf eine Weise verändert, die die Tradition oftmals kaum noch erkennen lässt. Es bleiben die wirtschaftliche Selbständigkeit, das „meisterliche Vorbild“ in der Ausbildung, die Dienstleistung auf Bestellung und der Absatz an den Endverbraucher. Das Handwerk hat sich nicht verdrängen lassen, es wandelt sich nur.
Literatur
Bernd, Iris: Industriekultur in Brandenburg – Bausteine archivalischer Überlieferung. In: Brandenburgische Archive 29 (2012), S. 63-75.
Büsch, Otto (Hrsg): Untersuchungen zur Geschichte der frühen Industrialisierung vernehmlich im Wirtschaftsraum Berlin/Brandenburg (= Einzelveröffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin, 6). Berlin 1971.
Elkar, Rainer S. / Keller, Katrin / Schneider / Helmuth: Handwerk. Von den Anfängen bis zur Gegenwart. Berlin 2014.
Kaufhold, Karl Heinrich: Das Gewerbe in Preußen. Göttingen 1978.
Kriedte, Peter / Medick, Hans / Schlumbohm, Jörg: Industrialisierung vor der Industrialisierung. Gewerbliche Warenproduktion auf dem Land in der Formationsperiode des Kapitalismus. Göttingen 1977.
Kuczynski, Jürgen: Geschichte des Alltags des deutschen Volkes. Köln 1992.
Materna, Ingo / Ribbe, Wolfgang (Hrsg.): Brandenburgische Geschichte. Berlin 1995.
Neitmann, Klaus (Hrsg.): Im Schatten mächtiger Nachbarn. Politik, Wirtschaft und Kultur der Niederlausitz zwischen Böhmen, Sachsen und Brandenburg-Preußen. Berlin 2006.
Abbildungsnachweis
Abb. 1, 3 Eygentliche Beschreibung aller Stände auff Erden hoher und nidriger, geistlicher und weltlicher, aller Künsten, Handwerken und Händeln […], durch den weitberümpten Hans Sachsen Gantz fleissig beschrieben/ vnd in Teutsche Reimen gefasset ... [Kupferstiche: Jost Amman]. Frankfurt am Main 1568.
Abb. 2 Diderot, D. / D’Alembert, M.: Encyclopédie ou Dictionnaire raisonné des sciences, des arts et des métiers, vol. 9 (plates). Paris 1772.
Abb. 4 Diderot, D. / D’Alembert, M.: Encyclopédie ou Dictionnaire raisonné des sciences, des arts et des métiers, vol. 7 (plates). Paris 1769.
Abb. 5 Cigaretten-Bilderdienst Hamburg (Hrsg.): Deutsche Kulturbilder - Deutsches Leben in 5 Jahrhunderten, Hamburg1934.
Abb. 6, 8 Weigel, Christoph: Abbildung Der Gemein-Nützlichen Haupt-Stände Von denen Regenten Und ihren So in Friedens- als Kriegs-Zeiten zugeordneten Bedienten an, biß auf alle Künstler Und Handwercker. Regenspurg 1698.
Abb. 7, 9 Berlin-Brandenburgisches Wirtschaftsarchiv.
Abb. 10 https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Bundesarchiv_Bild_183-68658-0003,_Eisenh%C3%BCttenstadt,_Herrenschneiderei.jpg?uselang=de (Bundesarchiv, Bild 183-68658-0003 / Weiß - CC-BY-SA 3.0).
Empfohlene Zitierweise
Berghausen, Björn: Handwerk, publiziert am 29.02.2020; in: Historisches Lexikon Brandenburgs, URL: http://www.brandenburgikon.de (TT.MM.JJJJ)
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