VEB Kunstseidenwerk / Chemiefaserwerk „Friedrich Engels“, Premnitz
Katrin Verch
Der VEB Kunstseiden- und später Chemiefaserwerk in Premnitz war der Nachfolger des ehemaligen IG-Farbenwerks. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs unterlagen dessen Produktionsanlagen den Bestimmungen des Potsdamer Abkommens. Große Teile der Anlagen wurden zu Reparationszwecken demontiert und der Betrieb enteignet. Die Kunstseidenanlage blieb jedoch bestehen und nahm bald die Produktion wieder auf.
Am 1. Juli 1948 übernahm die VVB (Z) Kunstfaser Glauchau die Premnitzer Produktionsanlagen in Treuhandschaft. Bis 1949 wurden verschiedene Namen für den Betrieb verwendet, so „I. G. Farben AG i. Auflösung“, „Agfa Seide“, „Travis-Kunstseidenfabrik“ und „Kunstseidenwerke“. Am 1. März 1949 erfolgte die offizielle Umbenennung in „VEB Kunstseidenwerk Premnitz“. Seit 1950 trug er den Namen „Friedrich Engels“ (Abb. 1).
Im Sommer 1945 wurde zunächst eine Viskosefaser unter dem Namen „Suprema“ hergestellt. Ab 1952 produzierte eine zweite Anlage unter dem Namen „Prezenta“, später wurde die Viskosefaser als „Regan“ vermarktet. Auch die Polyamidfaser „Perlon“, ab 1959 „Dederon“, entstand in kleinen Mengen in einer Versuchsanlage. 1954 wurde mit der Inbetriebnahme einer neuen Anlage auch in größeren Mengen eine synthetische Faser in Premnitz erzeugt. Versuche zur Herstellung einer Polyacrylnitrilfaser unter dem Namen „Prelana“, ab 1961 „Wolpryla“, starteten um 1953. In der 1956 errichteten Pilotanlage wurde sie zur Produktionsreife entwickelt. Am 13. November 1960, in der DDR der Tag des Chemiearbeiters, wurde die erste Bandstraße der Anlage angefahren. Mit der Serienproduktion der Polyamidfaser und der Polyacrylnitrilfaser standen erstmals die synthetischen Fasern im Vergleich zur Kunstseide im Mittelpunkt der Produktion. Aus diesem Grund wurde am selben Tag der „VEB Kunstseidenwerk Friedrich Engels“ in „VEB Chemiefaserwerk Friedrich Engels“ umbenannt. Als vierte Faser gab es eine Polyesterfaser, zunächst unter dem Namen „Lanon“, ab 1961, der Inbetriebnahme der Pilotanlage, als „Grisuten“. Die Fasern REGAN, DEDERON, WOLPRYLA und GRISUTEN bildeten in den folgenden Jahren in größeren Mengen und verbesserter Qualität die Schwerpunkte der Produktion (Abb. 2-5).
Im Zuge des Ausbaus des Werkes in den 1950er- und 1960er-Jahren und der damit verbundenen Zunahme der Einwohnerzahl entstanden in Premnitz neue Wohnviertel mit entsprechenden Versorgungseinrichtungen. Durch den Ausbau des Ortes zum Industriestandort erhielt er am 13. November 1962 das Stadtrecht verliehen.
1964 war Produktionsbeginn von DEDERON-DEDOTEX, 1968 einer neuen GRISUTEN-Anlage und 1970 der WOLPRYLA-65-Faser. 1972 nahm die GRISUTEN-72-Anlage den Dauerbetrieb auf, 1982 begann der Probebetrieb einer weiteren WOLPRYLA-Anlage und noch 1988 nahm die WOLPRYLA-Erweiterung ihren Betrieb auf. Aber auch Schwefelkohlenstoff (bis 1968), Aktivkohle, Schwefelsäure und Novoktan (Tetraäthylblei, ein Antiklopfmittel für Vergaserkraftstoffe, ab 1959) sowie Magnetbandkassetten (ab 1975) gehörten zum Sortiment (Abb. 6).
Der Betrieb wechselte mehrmals seine Unterstellungen: Ab 1951 gehörte er zum Ministerium für Schwerindustrie sowie zum Staatssekretariat bzw. Ministerium für chemische Industrie, ab 1958 zur VVB Chemiefaser und Fotochemie Wolfen und ab 1. Januar 1970 zum VEB Chemiefaserkombinat „Wilhelm Pieck“ Schwarza. 1990 erfolgte die Privatisierung zur „Märkischen Faser AG“.
VVB (Z) – Vereinigung Volkseigener Betriebe
Quellen
Brandenburgisches Landeshauptarchiv Rep. 503 VEB Chemiefaserwerk „Friedrich Engels“ Premnitz. [Siehe: Hier]
Literatur
BPL des VEB Chemiefaserwerk „Friedrich Engels“ Premnitz (Hrsg.): Unser Werk in unserer Zeit. Bilddokumentation zur Entwicklung des VEB Chemiefaserwerk „Friedrich Engels“ Premnitz anläßlich des 165. Geburtstags von Friedrich Engels. Premnitz 1985.
Coch Werner: 100 Jahre Industriestandort Premnitz. Aus der Geschichte der „Villa am See“. In: Rathenower Heimatkalender 60 (2016), S. 81-84.
Coch Werner: 100 Jahre Industriestandort. Fortsetzung. In: Rathenower Heimatkalender 61 (2017), S. 67-71.
Kommission für Betriebsgeschichte im Auftrage der Betriebsparteiorganisation Chemiefaserwerk Friedrich Engels Premnitz (Hrsg.): Polyester contra Pulver. Zur Geschichte des VEB Chemiefaserwerk „Friedrich Engels“. Premnitz 1971.
Seiffert, Gerhard: Die weitere industrielle Entwicklung von Premnitz von 1928 bis 1970. In: Rathenower Heimatkalender 15 (1971), S. ?
Verch, Katrin: VEB Chemiefaserwerk „Friedrich Engels“ Premnitz. In: Posselt, Rosemarie u.a. (Hrsg.): Staatliche Verwaltung, Wirtschaft, Parteien und Organisationen in den Bezirken Cottbus, Frankfurt (Oder) und Potsdam 1952-1990 (= Übersicht über die Bestände des Brandenburgischen Landeshauptarchivs; Teil III/2). Berlin 2005, S. 339-341
Abbildungsnachweis
Abb. 1 MZV/Archiv Chemiefaserwerk
Abb. 2 File:Bundesarchiv Bild 183-62262-0002, VEB Kunstseidenwerk "Friedrich Engels" in Premnitz steigert Perlonfaserproduktion.jpg (Bundesarchiv Bild 183-62262-0002; Foto: Krueger - CC-BY-SA 3.0).
Abb. 3 File:Bundesarchiv Bild 183-62261-0005, VEB Kunstseidenwerk "Friedrich Engels", Versuchsproduktion von Prelanafasern.jpg (Bundesarchiv Bild 183-62261-0005, Foto: Krueger- - CC-BY-SA 3.0.
Abb. 4 File:Bundesarchiv Bild 183-62262-0004, VEB Kunstseidenwerk "Friedrich Engels" in Premnitz steigert Perlonfaserproduktion.jpg (Bundesarchiv, Bild 183-62262-0004; Foto: Krueger - CC-BY-SA 3.0).
Abb. 5 File:Bundesarchiv Bild 183-60599-0007, "VEB Kunstseidenwerk "Friedrich Engels"".jpg (Bundesarchiv, Bild 183-60599-0007, Foto: Weiss - CC-BY-SA 3.0).
Abb. 6 https://commons.wikimedia.org/wiki/File:20190530_Dresden_-_Die_Welt_der_DDR_-_080.jpg?uselang=de (Foto: Stefan Kühn – CCO).
Empfohlene Zitierweise
Verch, Katrin: VEB Kunstseidenwerk / Chemiefaserwerk „Friedrich Engels“, Premnitz, publiziert am 21.03.2022; in: Industriegeschichte Brandenburgs, URL: http://www.brandenburgikon.de (TT.MM.JJJJ)