Brennabor-Werke, Brandenburg (Havel)

Maria Berger

Adolf (1839-1910), Hermann (1841-1913) und Carl Reichstein (1847 -1931), wie ihr Vater Eduard Reichstein (1810-1862) gelernte Korbmacher, gründeten 1871 eine Firma mit Sitz am Neustädter Markt 23, in der sie handgeflochtene Korbwaren fertigten. Sie spezialisierten sich auf Kinderwagen, orientierten sich an Modellen aus Frankreich und England und optimierten die Herstellung durch Arbeitsteilung. Damit waren sie so erfolgreich, dass sie nach drei Jahren bereits 300 Mitarbeiter beschäftigen konnten. 1896 war die Jahresproduktion der mittlerweile 1.800 Beschäftigten auf 75.000 Kinderwagen angestiegen. Jahrzehnte galt der Betrieb als größte Kinderwagenfabrik Europas, in der aber auch Promenden-, Puppen- und Leiterwagen sowie Koffer fabriziert wurden (Krause 1998, 433ff.) (Abb. 1, 2).

Die Gebrüder Reichstein begannen dann um 1880 erste Fahrräder zu montieren, die in Einzelteilen aus England bezogen wurden. Bald entwickelten und bauten sie kleinere Jugend-, Hoch- und Dreiräder und schließlich Niederräder, deren Radtyp mit großen Rädern, der Tretkurbelanordnung unter dem Fahrersitz und Hinterradantrieb bis heute Standard ist.

Auf der nationalen Fahrradausstellung 1892 in Leipzig präsentierte die Firma erstmalig ihre Vehikel unter dem gesetzlich geschützten Markennamen „Brennabor“, der dem bisherigen Firmennamen angehängt wurde. Der Name wurde aus der irrtümlichen Annahme heraus gewählt, dass er die alte slawische Bezeichnung für Brandenburg sei (Abb. 3, 4).

Mit Beginn des 20. Jahrhunderts erweiterten die Reichsteins ihre Produktpalette durch motorisierte Fahrzeuge: Die ersten Motorräder gingen 1902 in Serie, die mit 3, 3,5 und 5,5 PS Fafnir-Motoren der Aachener Stahlwarenfabrik bestückt waren (Abb. 5). Kurzzeitig wurden nach 1905 auch Eisenbahn-Draisinen in zwei Varianten gebaut, fuß- und motorbetriebene. Von 1908 bis 1911 wurde das erste Automobil, die dreirädrige „Brennaborette“ produziert (Abb. 6), der ein vierrädriger Wagen mit Zweizylinderaggregat in V-Form folgte. Zum Maschinenpark des Werks zählten in diesem Jahr ca. 800 Maschinen, 50 Elektromotoren und fünf Dampfmaschinen von 1.500 PS. 1911 wurde die Abteilung Motorenbau eingerichtet.

Brennabor beschäftigte 2.500 Mitarbeiter, die alle, ob Werkzeugmacher, Korb- oder Stellmacher, Lackierer, Gießer, Tapezierer, Sattler oder Karosseriebauer, die betriebseigene Arbeitsordnung akzeptieren mussten, welche die Arbeitsbedingungen und- zeiten festschrieb und Geldstrafen bei Verstößen androhte (Abb. 7).

Während des Ersten Weltkriegs musste vom Fahrzeugbau auf Rüstungsgüter umgestellt werden. Carl Reichstein hatte während einer Amerikareise die „fließende Fertigung“ kennengelernt und setzte diese arbeitsteilige Produktionsweise in seiner Firma ein, was dazu führte, dass täglich allein bis zu 35.000 Geschosse hergestellt werden konnten. In Spitzenzeiten sollen bis zu 12.000 Arbeitskräfte, zumeist Frauen, in der Rüstungsproduktion gearbeitet haben (Kubisch 1985, 45).

Bereits kurz nach Kriegsende begann „Brennabor“ mit dem Bau von Mittelklassewagen. Carl Reichsteins jüngster Sohn Eduard kam 1920 von einem mehrjährigen Aufenthalt in den USA zurück. Dort hatte er u.a. in Detroit seine Kenntnisse im Bereich der Automobilherstellung erweitert. Zusammen mit Carl Reichstein jun. konstruierte er solide, preiswerte Wagen, die in hoher Stückzahl in Serie produziert wurden (Abb. 8, 9). Die Fabrikation stieg nochmals, als 1924, fast gleichzeitig mit Opel in Rüsselsheim, die automatische Fließbandarbeit eingeführt wurde. Auch der Kinderwagen- und Fahrradbau wurde so rationalisiert.

Mitte der 1920er Jahre stieg die Zahl der Beschäftigten auf 6.000 (Kubisch 1985, 45). Die Grundstücke mit Fabrikanlagen erstreckten sich während dieser Jahre auf über 250.000 qm an der Schützenstraße (heute die Geschwister-Scholl­Straße), der Kirchhofstraße, der Potsdamer und der Wilhelmsdorfer Straße. Verkehrstechnisch war das Gelände gut erschlossen: im Südosten grenzte es an den Güterbahnhof mit Verladehalle, die Fernstraße Nr. 1 führte hindurch und die Anbindung an die Havel war durch den Stadtkanal gegeben. Über den Wasserweg konnten Rohstoffe, in geringeren Mengen auch Fertigprodukte, transportiert werden.

Seit 1929 baute „Brennabor“ auch Lastkraftwagen und die Reichspost konnte als Kundin für Lieferwagen gewonnen werden. Bereits im selben Jahr begannen jedoch Finanzschwierigkeiten in Folge der Weltwirtschaftskrise: Ratenkäufe wurden üblich und machten bis zu 90 Prozent des Gesamtumsatzes aus, der Automobilbau schrumpfte auf die Hälfte der vorhandenen Kapazität zusammen bei gleichbleibend hohen Lagerbeständen. Die Absatzschwierigkeiten führten 1930 zu so gravierenden Verlusten, dass die „Gebr. Reichstein Brennabor-Werke“ im April 1931 liquidiert werden mussten. Die Firma konnte in Form einer AG, mit Banken als Haupteigner, weitergeführt werden. Der Automobilbau wurde im Oktober 1934 eingestellt und die Fabrik auf die Produktion von Rüstungsgütern umgestellt, mit der man bereits 1934/35 wieder begann. Von 1939 bis April 1945, als 40 Prozent des Werks zerstört wurden, arbeiteten dort 4.500 Menschen, darunter zahlreiche Zwangsarbeiter.

1947 wurde der „VEB Brandenburger Traktorenwerk“ in einigen Fabrikgebäuden eingerichtet. Der erste Schlepper bekam den Namen „Aktivist“. In dem später „VEB IFA Getriebewerke“ genannten Komplex wurden Traktoren, Planierraupen, Überkopflader sowie zeitweise Elektrogabelstapler hergestellt, nach 1962 spezialisierte man sich auf den Bau von Getrieben.

(Der Text erschien bereits 2001 im Rahmen der Ausstellung „Marksteine. Eine Entdeckungsreise durch Brandenburg-Preußen“ im gleichnamigen Ausstellungskatalog: Berger, Maria: Brandenburg an der Havel - Die Brennabor-Werke. In: Marksteine. Eine Entdeckungsreise durch Brandenburg-Preußen. Eröffnungsausstellung des Hauses der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte 18. August – 11. November 2001. Herausgegeben vom Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte beim Museumsverband des Landes Brandenburg e.V. Berlin 2001, S. 367-369. Er wurde für diese Veröffentlichung mit einigen Ergänzungen und geänderten Abbildungen versehen.)

Literatur

Krause, Bernd: Fahrräder, Automobile und Traktoren. In: Heinrich, Gerd u.a. (Hrsg): Stahl und Brennabor. Die Stadt Brandenburg im 19. und 20. Jahrhundert. Potsdam 1998, S. 433-445.

Kreschel, Katharina / Mertink, Klaus-Jürgen: Brennabor-Werke Brandenburg / Havel. Eine Bilddokumentation. Brandenburg / Havel 1995.

Kubisch, Ulrich: Automobile aus Berlin - vom Tropfenwagen zum Amphicar. Berlin 1985.

Pavel, Bertold / Brekow, Frank / Krause Bernd: Von Brennabor bis ZF Brandenburg. Eine Industriegeschichte. Berlin 1996.

Stapf, Fred Frank / Stapf, Renate / Daniel, Roger: Brennabor. Vom Korbmacher zum Autokönig. Aus dem Leben der Industriellen-Familie Reichstein 1839–1971. Lappersdorf 2005.

Urban, Hermann: Gebr. Reichstein Brennabor-Werke Brandenburg (Havel). In: Magistrat der Stadt Brandenburg (Havel) (Hrsg.): Deutschlands Städtebau. Brandenburg (Havel). 2. Auflage. Berlin 1926, S. 130-133.

Abbildungsnachweis

Abb. 1 Brandenburger Anzeiger, 20.12.1872.

Abb. 2-4 Gemeinfrei.

Abb. 5 https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=3604572 (Foto: Lars-Göran Lindgren Sweden - CC BY-SA 4.0).

Abb. 6 https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=89058264 (Foto: Buch-t - CC BY-SA 3.0 de).

Abb. 7 Urban 1926.

Abb. 8 Bundesarchiv Bild 102-06820 (Foto: Georg Pahl - CC BY-SA 3.0).

Abb. 9 Bundesarchiv Bild 102-06826 (Foto: Georg Pahl - CC BY-SA 3.0).

Empfohlene Zitierweise

Berger, Maria: Brennabor-Werke, Brandenburg (Havel), publiziert am 03.10.2023; in: Industriegeschichte Brandenburgs, URL: http://www.brandenburgikon.de (TT.MM.JJJJ)


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