Freienwalder Schamottewerk Henneberg & Co.
Julian-Dakota Bock
Mit der Ausbreitung der Industrie im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts wuchs in Berlin und Umgebung auch der Bedarf an feuerfesten Baumaterialien. Den mitteldeutschen, feuerfestes Material herstellenden Werken, die sich wegen der vorhandenen Rohstoff- und Kohlelager dort entwickelt hatten, gelang es nicht, den Bedarf des norddeutschen Gebietes vollkommen zu befriedigen.
Die aus Gotha stammenden Gebrüder Henneberg gründeten 1883 aus diesem Grund in Freienwalde an der Oder eine Schamottefabrik, die zunächst hauptsächlich Retorten aus Schamotte für die Industrie- und Leuchtgaserzeugung, ferner feuerfestes Steinmaterial für Ofenanlagen in der Ziegel- und Zuckerindustrie sowie Schamotte für Hausbrand- und Backöfen produzierte (Abb. 1, 2, 3).
Da im oberbarnimschen Gebiet auch die Ziegelindustrie eine starke Ausweitung durch die vorhandenen Tonschluffvorkommen erfuhr und entsprechend der landwirtschaftlichen Struktur sich eine relativ starke Zuckerindustrie entwickelte, war der Absatz einerseits durch den laufenden Bedarf dieser Industriezweige und andererseits durch die verkehrsgünstige Situation von Freienwalde begünstigt.
Der Standort der Schamottefabrik wurde unter dem Gesichtspunkt des günstigsten Absatzes ausgewählt. Von dort konnte die Industrie in der Nähe und Ferne durch gute Transportverbindungen versorgt werden. Außer einem Gleisanschluss an das öffentliche Eisenbahnnetz konnten weitere Möglichkeiten zu Wasser genutzt werden, da die Südseite des Werkes an einen Kanal grenzt. Auf den Verbindungsstraßen zwischen Eberswalde - Angermünde - Berlin ist auch der Versand durch Fahrzeuge leicht möglich. Der anfangs beliebte Wasserweg, der sich durch billige Transportkosten auszeichnete, wurde in den letzten Jahren fast vollständig durch den Bahnversand ersetzt, der sich mehr und mehr ausweitete. Da der kalk- und eisenhaltige Ton aus der Region den Ansprüchen der Schamotteproduktion nicht genügte, musste der Ton aus Schlesien, Sachsen und der Rheinregion beschafft werden. Nicht zuletzt deshalb erwies sich eine gute Anbindung an das Transportnetz als wichtige Grundlage der Produktion.
Die Arbeitskräftelage war während der Gründerzeit äußerst labil, denn die Ziegeleien um Freienwalde und auf der Insel Neuenhagen hatten bereits aus Handwerk und Landwirtschaft Kräfte angeworben. Der bodenständige Zweig der Ziegeleien, deren älteste seit 1414 (Kirchenziegelei) urkundlich bekannt ist, hatte sich bereits versorgt. Deshalb sahen sich die Hennebergs gezwungen, rund 60 Arbeiter aus Gotha in Freienwalde anzusiedeln, die den ursprünglichen Stamm an Facharbeitern ausmachten. Vielleicht waren die Gründer auch zuversichtlich angesichts der geographischen Lage und des Milieus, so dass sie sich nur geringe Sorge um die Gewinnung von Arbeitskräften gemacht haben mögen. Damals hatte auch noch das Oderbruch eine gewisse Reserve an Arbeitern. Die Arbeitskräfte waren billig; denn der Stundenlohn betrug vor und nach der Jahrhundertwende 15 bis 28 Pfennig. Um 1900 waren rund 120 Arbeiter im Betrieb beschäftigt, 1936 waren es rund 260.
Nach der Gründung der Schamottefabrik besaß der Betrieb bis zum Jahre 1925 eine eigene Ofenbauabteilung, die dafür erforderlichen Materialien wurden mit der Hand geformt. Diese Arbeitsweise bedeutete für die Arbeiter eine überaus große Kraftanstrengung: das mit der Hand hergestellte plastische Ton- und Schamottekorngemisch musste durch Klopfen, Schlagen, Drücken und Stauchen den Formflächen der Holzform angepasst werden. Solche komplizierten Schamottesteine, die mit der Hand geformt waren, fanden ihre Verwendung im Gas- und Elektroofenbau sowie im Schiffs- und Heizkesselbau (Abb. 4). Die Rentabilität des Werkes hing entscheidend von der Verarbeitung hochwertiger Massen ab, deren Endprodukte einen hohen Schmelzpunkt besitzen und speziell im Lokomotivbau, in der Schiffskesselindustrie und in der Emaillier- und chemischen Industrie Verwendung finden.
Obwohl das Werk 1895 einen Vertrag mit dem Verein Deutscher PortlandZementfabrikanten über die Herstellung von Normensand (Quarzsand mit 09,9% Si02) für die Zementfestigkeitsprüfungen abschloss, musste es von den Gebr. Henneberg 1918 an die Deutsche Ton- und Steinzeugwerke A.G. als Konkursmasse übergeben werden. Die Monopolstellung in der Ton und Steinzeugindustrie gestattete es der A.G., das Werk vor der endgültigen Schließung zu bewahren. Die damaligen Halbgasöfen wurden durch Gaskammerringöfen ersetzt. Ein Tunnelofen wurde 1939 in Betrieb genommen. Während des zweiten Weltkrieges wurde der Betrieb für die Herstellung der Schiffskesselausmauerungen zur Verwendung der Kriegsmarine eingesetzt. In diesem Zeitraum wurden auch Zwangsarbeiter in der Schamottefabrik beschäftigt. Nach Kriegsende erfolgte die Enteignung des Werkes.
Literatur
Aurich, H.: Die Industrie am Finowkanal. Bilder aus dem Industrieleben am Finowkanal. Eberswalde 1907, S. 46-60.
Olias, Charlotte: VEB Schamottewerk Bad Freienwalde (Oder). In: Heimatkalender für den Kreis Bad Freienwalde 9 (1965), S. 122-126.
Schubert, Manfred: 100 Jahre feuerfeste Erzeugnisse aus Bad Freienwalde/ Oder. In: Heimatkalender für den Kreis Bad Freienwalde 27 (1983), S. 15-21.
Wranik, G.: Der VEB Schamottewerk in Bad Freienwalde. In: Heimatkalender für den Kreis Bad Freienwalde 3 (1959), S. 92-95.
Abbildungsnachweis
Abb. 1 -4 Aurich, H.: Die Industrie am Finowkanal. Bilder aus dem Industrieleben am Finowkanal. Eberswalde 1907.
Empfohlene Zitierweise
Bock, Julian-Dakota: Freienwalder Schamottewerk Henneberg & Co., publiziert am 17.03.2022; in: Industriegeschichte Brandenburgs, URL: http://www.brandenburgikon.de (TT.MM.JJJJ)