Max Bahr Aktiengesellschaft, Landsberg an der Warthe

Lucas Lebrenz

Die „Max Bahr Aktiengesellschaft“ in Landsberg an der Warthe war einer der größten juteverarbeitenden Betriebe in Deutschland. Ihr Gründer Max Bahr (1848–1930) stammte aus einer ortsansässigen Tuchhändlerfamilie und stieg 1872 in das väterliche Geschäft ein (Abb. 1). Bereits im folgenden Jahr begann er auf eigene Rechnung den Handel mit englischen Jutesäcken. Anschließend baute er 1875 in Landsberg am Wartheufer eine eigene Sacknäherei auf (Abb. 2), der später Zweigniederlassungen in Magdeburg, Hamburg und kurzzeitig auch Danzig folgten. Die Jutesäcke, die zu dieser Zeit das effektivste Verpackungsmaterial waren, wurden in der Fabrik in unterschiedlichsten Größen und Formen gefertigt. Daneben gehörten aber auch Planen und später sogar Stoff-Filter und Segel zur Produktpalette. 1884 trat Max Bahr aus der Tuchhandlung der Familie aus und konzentrierte sich vollständig auf seine Sackproduktion, die er beständig ausweitete. 1906 wurden bereits mehr als neun Millionen Jutesäcke verkauft. 1913 stieg die Verkaufsmenge auf über 35 Millionen Säcke an. Die Rohstoffe und gefertigten Waren wurden vorwiegend auf dem kostengünstigen Wasserweg transportiert.

Um zur Fertigung von Garnen und Gewebe aus importierter Rohjute eine eigene Spinnerei und Weberei direkt am Warteufer gegenüber der Innenstadt gründen zu können, wandelte Max Bahr sein Unternehmen bereits 1903 in eine Aktiengesellschaft mit einem Kapital von drei Millionen Mark um. Die neue Firma nahm im Folgejahr unter dem Namen „Max Bahr Jute-Spinnerei und Weberei, Plan- und Sackfabrik Landsberg a.W.“ die Produktion auf (Abb. 3). Der Firmengründer erreichte dadurch eine größere Unabhängigkeit seiner wachsenden Sack- und Planenproduktion gegenüber den Juteproduzenten, die sich größtenteils im Verband der Jutespinnereien zusammengeschlossen hatten. Waren zu Beginn der Produktion in Landsberg 5.000 Spindeln und 300 Webstühle im Einsatz, vergrößerte sich deren Anzahl innerhalb von vier Jahren auf 12.000 Spindeln und 690 Webstühle. Vor dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs arbeiteten ca. 2.000 Personen in der Fabrik. Eine dauerhafte Herausforderung bestand für Bahrs Unternehmen aber darin, qualifizierte Arbeitskräfte anzuwerben und diese auch längerfristig in Landsberg zu halten. Schon wenige Jahre nach Gründung der Fabrik wurde eine den späteren Betriebsräten ähnliche Vertretung der Arbeiterschaft zur Lösung von auftretenden Problemen eingerichtet. 1904/05 sowie aufgrund der Versorgungsschwierigkeiten während des Ersten Weltkrieges 1917 kam es zu drei kurzen Streiks. Max Bahr führte auch eine leistungsorientierte Bezahlung ein, die bei den Gewerkschaften zum Teil jedoch als Akkordlohn verschrien war.

Nachdem er alle Aktien in seinen Besitz gebracht hatte, wandelte Max Bahr sein Unternehmen am 7. November 1908 in eine offene Handelsgesellschaft um, an der unter anderem auch sein Sohn Paul Bahr und der in Magdeburg tätige Unternehmer Emil Pick beteiligt waren.

Durch den Ausbruch des Ersten Weltkriegs im Sommer 1914 unterblieb der Import von Rohjute aus der britischen Kronkolonie Indien, was für den Betrieb zu einem großen Rückgang bei den Beschäftigten- und Produktionszahlen führte. Die geringen in Deutschland noch verfügbaren Rohstoffvorräte wurden von den zuständigen staatlichen Behörden beschlagnahmt und entsprechend der Anteile am Vorkriegsbedarf an die einzelnen Betriebe verteilt. Max Bahr hatte vor allem für militärische Aufträge weiter zu produzieren, wofür er jedoch verstärkt auf Ersatzstoffe wie etwa Papier zurückgreifen musste. Allerdings machte insbesondere die Umstellung auf das Verspinnen von Papier größere technische Veränderungen bis hin zur Anschaffung von neuen Maschinen notwendig. Deshalb versuchte Max Bahr während des Krieges, die Faserproduktion aus Hanf zu etablieren, was jedoch keinen großen Erfolg hatte. Erst ab 1919 konnte wieder Jute importiert werden und der Betrieb erholte sich von den Kriegsbelastungen.

Am 30. Juni 1922 beendete der Leiter der Hamburger Zweigniederlassung seine Teilhaberschaft an der offenen Handelsgesellschaft und führte jene ab dem Folgetag eigenständig weiter. Im Gegenzug trat mit Margarethe Bahr eine Tochter des Firmengründers als Gesellschafterin in den Betreib ein, die später unter anderem die Verantwortung für die Buchführung übernahm. Nach diesen personellen Veränderungen gründeten Max Bahr, seine Kinder Margarethe und Paul, dessen Ehefrau Gertrud Bahr, geb. Friedrich, und Pick am 21. November die „Max Bahr Aktiengesellschaft“ mit einem Grundkapital von 18 Millionen Mark bzw. aufgrund der Währungsstabilisierungsmaßnahmen im Zuge der Hyperinflation 1923 später drei Millionen Goldmark. Max Bahr hatte in der AG den Posten des Aufsichtsratsvorsitzenden inne. Nach seinem Tod übernahm sein Schwiegersohn Wilhelm Schulze-Bahr diese Position, während die Geschäftsführung des Unternehmens bereits seit 1918 der Sohn Paul schrittweise übernahm.

Die wechselvolle Entwicklung des weltweiten Jutemarktes veranlasste das Unternehmen beispielsweise Anfang 1926 zum Eintritt in die preisregulierende Interessengemeinschaft Deutscher Jute-Industrieller. Trotz dessen konnte die Produktion in Landsberg ausgebaut werden, sodass zu dieser Zeit ca. 11.000 Tonnen Rohjute durch rund 2.400 Beschäftigte verarbeitet wurden (Abb. 4). Dies entsprach etwa zehn Prozent der gesamten nach Deutschland importierten Rohjute. Zum Teil wurden die produzierten Waren auch ins Ausland exportiert. Durch diesen wirtschaftlichen Aufschwung war das Unternehmen seit Ende der 1920er Jahre in der Lage, Anteile an vielen deutschen Jutespinnereien zu erwerben. Ende 1929 konnte darüber hinaus der Neubau des Werkes in Magdeburg bezogen werden.

Max Bahr war zusätzlich sowohl in der Landsberger Stadtpolitik als auch zwischen 1919 und 1924 als Abgeordneter der linksliberalen Deutschen Demokratischen Partei in der Nationalversammlung und im Reichstag politisch aktiv. Dabei vertrat er liberale Vorstellungen, die ihn seit seiner Jugend stark geprägt hatten. Zu seinem Selbstverständnis gehörte auch, dass er sich neben dem Ausbau der Produktionsanlagen im Rahmen seines gemeinnützigen Engagements um die soziale Unterstützung seiner Arbeiterinnen und Arbeiter kümmerte. Dafür richtete er unter anderem eine Kinderbetreuung in einem eigenen Kinderheim, medizinische Versorgung einschließlich einer Entbindungsstation, eine Betriebskrankenkasse und eine Sparkasse ein. Diese bot, gestützt durch den wirtschaftlichen Aufstieg des Unternehmens, günstige Konditionen für die Spareinlagen der Belegschaft. Nahe der Fabrik wurden zudem in Zusammenarbeit mit dem von Max Bahr initiieren „Gemeinnützigen Bauverein“ preisgünstige Arbeiterwohnungen, die zum Teil über einen kleinen Garten verfügten, gebaut, um die Wohnungsnot zu lindern (Abb. 5). Hinzu kamen noch eine fabrikeigene Bibliothek, eine Kantine, Duschanlagen und Einrichtungen zur Freizeitgestaltung wie etwa Aufenthaltsräume mit einem Rundfunkgerät. Bis in die Zeit des Nationalsozialismus hinein wurden diese Fürsorgemaßnahmen einschließlich Erholungsangeboten und Möglichkeiten zur Altenversorgung kontinuierlich ausgebaut, wofür insbesondere die Tochter Margarethe als Vorstandsmitglied verantwortlich zeichnete.

Die 1929 einsetzende Weltwirtschaftskrise belastete den Betrieb allerdings wiederum sehr schwer. So mussten die Produktion eingeschränkt und die Arbeitszeiten verkürzt werden, was zu sinkenden Löhnen führte. Die Geschäftsleitung versuchte jedoch trotz geringerer Nachfrage aus Gründen des Gemeinwohls noch lange, eine möglichst große Zahl von Arbeitern zu beschäftigen. Dennoch erzwangen schließlich Exportschwierigkeiten Entlassungen unter der Belegschaft.

Während der Zeit des Nationalsozialismus konnte sich der Betrieb wirtschaftlich wieder erholen, wurde aber immer stärker mit einem Mangel an Arbeitskräften konfrontiert. Während des Zweiten Weltkriegs wurden daher zahlreiche Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene in der Produktion eingesetzt, für die in Landsberg eigene Lager eingerichtet wurden.

Nachdem die Rote Armee Ende Januar 1945 in die Stadt einmarschiert war, endete dort die Verarbeitung von Jute. Die Maschinen wurden teilweise demontiert und in die Sowjetunion gebracht. Landsberg wurde polnisch und erhielt den Namen Gorzów Wielkopolski. Die noch vorhandenen Firmengebäude der „Max Bahr AG“ werden zum Teil bis heute gewerblich genutzt. Zwischenzeitlich produzierte das Unternehmen „Silwana“ dort auch seine Textilfasern.

Quellen

Die Reste des Firmenarchives der Max Bahr AG befinden sich im Brandenburgischen Landeshauptarchiv in Potsdam. Eine Einpflegung in die Datenbank erfolgt demnächst.

Geschäftsberichte der „Max Bahr AG“ für die Geschäftsjahre vom 1. April 1924 bis zum 31. Dezember 1930 und für das Jahr 1932 sowie mehrere Ausschnitte aus dem „Deutschen Reichsanzeiger“ und „Preußischem Staatsanzeiger“ (Berlin) mit den jährlichen Bilanzen von Dezember 1930 bis Dezember 1942 [Siehe: Hier]

Literatur

Bahr, Max: Eines deutschen Bürgers Arbeit in Wirtschaft und Politik. Lebens-Erinnerungen und -Erfahrungen aus den Jahren 1848 bis 1926. Berlin 1926 (leicht gekürzte polnische Übersetzung: Max Bahr: Społecznik, polityk i przedsiębiorca. Wspomnienia z lat 1848–1926, übers. von Małgorzata Czabańska-Rosada, hrsg. von ders., Grażyna Kostkiewicz-Górska und Paweł A. Leszczyński. Gorzów Wielkopolski 2021).

Kozlowski, Jan: Max Bahr i jego praca obywatelska = Max Bahr und seine Bürgerarbeit. Gorzów Wielkopolski 2000.

Neininger, Falko/ Pache, Jörg:  Jute – Häuser – Republik. Der Industrielle und Sozialreformer Max Bahr (1848–1930). Katalog zur Wanderausstellung des Brandenburgischen Landeshauptarchivs, hrsg. vom Brandenburgischen Landeshauptarchiv. Potsdam 2022.

Abbildungsnachweis

Abb. 1, 3 Dr. Hans-Joachim Keller

Abb. 2 Robert Piotrowski

Abb. 4 Stiftung Brandenburg

Abb. 5 Brandenburgisches Landeshauptarchiv Potsdam

Empfohlene Zitierweise

Lebrenz, Lucas: Max Bahr Aktiengesellschaft, Landsberg an der Warthe, publiziert am 26.09.2022; in: Industriegeschichte Brandenburgs, URL: http://www.brandenburgikon.de (TT.MM.JJJJ)


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