Havelländische Kultur (um 3100-2700 v. Chr.)

Günter Wetzel

Gruppen / Kulturen der Jungsteinzeit im Gebiet des heutigen Brandenburg

Frühneolithikum (um 5200–4000/3800 v. Chr.)

-> Friesack-Boberger Gruppe / Kultur

-> Linienbandkeramik

-> Stichbandkeramik / Stichreihenkeramik

-> Rössener Kultur

-> Brześć Kujawski Gruppe / Guhrauer Gruppe

-> Michelsberger Kultur

-> Frühe Trichterbecherkultur

-> Baalberger Kultur

Mittelneolithikum (um 3800/3500–2800 v. Chr.)

-> Nordische Trichterbecherkultur

-> Übergangshorizont

-> Salzmünder Kultur

-> Uckermärkische Gruppe

-> Walternienburger Kultur

-> Altmärkische Tiefstichkeramik

-> Britzer Kultur

-> Waltersdorfer Gruppe

-> Havelländische Kultur

-> Fischbecker Gruppe der -> Schönfelder Kultur

-> Bernburger Kultur

-> Kugelamphorenkultur

Spätneolithikum (um 2800–2200/2000 v. Chr.)

-> Schnurkeramik

-> Einzelgrabkultur

-> Oderschnurkeramik

-> Schönfelder Kultur

-> Ammenslebener Gruppe der -> Schönfelder Kultur

-> Glockenbecherkultur

-> Dolchzeit / Aunjetitzer Kultur

 

Die Havelländische Kultur, früher Elb-Havel-Kultur bzw. noch früher Burg-Molkenberger Kultur genannt, jeweils nach der Region oder bedeutenden frühen Fundplätzen, ist hauptsächlich durch Grabfunde bekannt (Sprockhoff 1926; Kirsch 1981; Beier 1995; Ihde 1995; ders. 1998). Ihre reich mit feinen Geräten eingestochenen oder eingestempelten Verzierungen in der Keramik regten früh die Forscher an (Brunner 1898; Schumann 1904). Sie ist im Havelland bis in die Mittelelberegion und in der Uckermark verbreitet (Kirsch 1993, Karte 8; Ihde 1998).

Als Keramikformen sind Tassen, Schalen Kannen, Amphoren, Tüllengefäße und große Töpfe bekannt (Abb. 1–3). Die sich vom Hals bis über den größten Bauchdurchmesser erstreckenden, oft flächig angebrachten Stichverzierungen und -muster sind wie die Formen (Abb. 4–5) eng verwandt mit den gleichzeitigen Keramikgruppen der -> Walternienburger, -> Bernburger und -> Kugelamphorenkultur. In der Keramik von Falkenwalde hatte sich in einigen der eingestochenen Verzierungen sogar die weiße Inkrustation erhalten. Daneben sind Tontrommelfragmente, sogenannte Garnrollen, unbestimmter Zweckbestimmung und verzierte Spinnwirtel aus Ton vorhanden (Abb. 6–7).  Unter den Knochengeräten waren sogenannte „Flachshecheln“ aus Schulterblattknochen großer Tiere, deren Funktion umstritten ist, und feine Knochenspitzen, möglicherweise Tätowiergeräte, vorhanden (Abb. 8–9).

Selten sind Siedlungen entdeckt worden, so bei Falkenwalde 47 (Landkreis Uckermark). Hausgrundrisse sind noch nicht bekannt. Durch Tierknochenfunde in oder bei Gräbern (s. u.) und Getreidekornabdrücke in Keramik (Schultze-Motel/Wetzel 1979) kann übliche Landwirtschaft, mit einem Schwerpunkt eventuell auf der Viehwirtschaft, angenommen werden. Bestimmte Gruppen waren vielleicht auf Jagd und Fischfang spezialisiert (Teichert 1984).

Die Angehörigen dieser Kultur bestatteten ihre Toten in Körpergräbern in meist gestreckter Lage, denen sie Schalen, Tassen, Amphoren oder ähnliche Gefäße für das Jenseits beilegten. Daneben wurden Steinbeile, Jagdwaffen, erkennbar an querschneidigen Feuersteinpfeilspitzen, Feuerschlagbestecke und Hals- oder Armschmuck aus Knochen und Bernstein, selten aus Kupfer, mitgegeben (Abb. 10–11). Bedeutende Gräberfelder wurden bei Buschow, Mützlitz, Dreetz, Molkenberg im Havelland, Burg bei Magdeburg und bei Tangermünde in der Altmark in früheren Jahren geborgen (Beier 1995; Kirsch/Plate 1983).

Eine bisher einmalig für diese Kultur nachgewiesene Bestattungsart ist die Totenhütte von Buchow-Karpzow 8 (Landkreis Havelland) (Abb. 12–13). Eine dachförmige Holzkonstruktion unter einem Erdhügel, in der die Toten lagen, wurde abgebrannt. Dadurch wurden neben den Toten auch deren Schmuck und Beigaben dem Feuer ausgesetzt und verbrannt. Als Schmuck fanden sich Anhänger aus verschiedenen Kleintierknochen, sogar eine Bernsteinperle hatte sich erhalten (Abb. 11, 14). Vor der Totenhütte, die einen Eingang von Osten her besaß, lagen in 10 Gruben verteilt 19 Rinderskelette und daneben ein Kinderskelett, vermutlich Opfergaben für die Toten (Kirsch/Plate 1984). Da die meisten Rinder paarweise begraben wurden, könnte es sich um Gespanne gehandelt haben. Der Brauch findet sich auch in der -> Kugelamphorenkultur und anderen Kulturgruppen. Eine derartige Häufung wie vor der Totenhütte von Buchow-Karpzow 8 blieb bisher jedoch ohne Parallele. Möglicherweise sind Altfunde von Flieth und Dedelow in der Uckermark ähnliche Beisetzungsplätze gewesen (Brunner 1898; Ihde 1995; ders. 1998).

Bei Buchow-Karpzow 2, Zachow 12 und Wustermark 14 (alle Landkreis Havelland), wurden Kultplätze ausgegraben, die sich durch auffällige Behandlung der Überreste der Toten und besondere Keramik hervorhoben (Kirsch/Plate 1984; dies. 1990) (Abb. 10). Auch Schönermark 1 in der Uckermark mit verbrannten Knochen verschiedener Haustiere kann wohl dazugerechnet werden (Kirsch 1994, 59 f.; Ihde 1995). In Wustermark 14 kamen neben gestückelten menschlichen Knochen und einer doppelschneidigen Amazonen-Streitaxt reichverzierte Kannen und eine Doppeltüllenkanne zutage, die von „einer Hand“ gefertigt wurden und sich aus den Scherben des Scherbenpflasters zusammensetzen ließen (nach Wetzel 2017, Abb. 14a-c) (Abb. 15-17). Auch Doppel- oder Kopplungsgefäße gehören zum Inventar dieser Kultur.

Zusammenfunde mit -> Kugelamphorenkeramik an verschiedenen Fundplätzen belegen die enge zeitliche Verbindung dieser beiden Kulturen. Ebenso sind Verknüpfungen anhand von Keramikformen und Verzierungen mit der -> Walternienburger und -> Bernburger Kultur in Mitteldeutschland gegeben.

Literatur

Beier, Hans-Jürgen: Mittelneolithische Flachgräberfelder an Elbe und Havel. In: Beier, Hans-Jürgen / Beran, Jonas (Hrsg.): Selecta Praehistorica. Festschrift für Joachim Preuss (= Beiträge  zur Ur- und Frühgeschichte Mitteleuropas, 7). Wilkau-Hasslau 1995, S. 57-67.

Beran, Jonas: Landschaft der Trichterbecherkultur in Brandenburg. Ausgrabungen 1998 bis 2007. In: Beier, Hans-Jürgen / Claßen, Erich / Doppler, Thomas / Ramminger, Britta (Hrsg.): Varia Neolithica VI. Neolithische Monumente und neolithische Gesellschaften. Langenweißbach 2009, S. 123–131.

Beran, Jonas: Das 4. Jahrtausend im norddeutschen Havelland und in der ostmitteleuropäischen Lausitz. Neues zu Siedlungsstrukturen und Kulturentwicklung im Land Brandenburg aufgrund von Rettungsgrabungen seit 1998. In: Pyzel, Joanna (Hrsg.): Das 4. Jahrtausend (= Fokus Jungsteinzeit. Berichte der AG Neolithikum, 6). Kerpen-Loogh 2017, S. 93–106.

Brunner, Karl: Die steinzeitliche Keramik in der Mark Brandenburg. Braunschweig 1898.

Ihde, Christian: Die Uckermärkische Gruppe der Elb-Havel-Kultur des Neolithikums. Ungedr. Mag. Artium, Freie Univ. Berlin 1995.

Ihde, Christian: Die Uckermärkische Gruppe der Elb-Havel-Kultur. In: Archäologische Informationen 21/1 (1998), S. 181-183.

Kirsch, Eberhard: Die Havelländische Kultur und ihre kulturellen Beziehungen. In: Jahresschrift für mitteldeutsche Vorgeschichte 63 (1981), S. 99–111.

Kirsch, Eberhard: Funde des Mittelneolithikums im Land Brandenburg (= Forschungen zur Archäologie im Land Brandenburg, 1). Potsdam 1993.

Kirsch, Eberhard: Beiträge zur älteren Trichterbecherkultur in Brandenburg (= Forschungen zur Archäologie im Land Brandenburg, 2). Potsdam 1994.

Kirsch, Eberhard / Plate, Friedrich: Ein Körpergräberfeld der Havelländischen Kultur bei Dreetz, Kr. Kyritz. In: Veröffentlichungen des Museums für Ur- und Frühgeschichte Potsdam 17 (1983), S. 7–39.

Kirsch, Eberhard / Plate, Friedrich: Zwei mittelneolithische Fundplätze bei Buchow-Karpzow, Kr. Nauen. In: Veröffentlichungen des Museums für Ur- und Frühgeschichte Potsdam 18 (1984), S. 7–61.

Kirsch, Eberhard / Plate, Friedrich: Der Gallberg bei Zachow, Kr. Nauen - ein mittelneolithischer Kultplatz. In: Veröffentlichungen des Museums für Ur- und Frühgeschichte Potsdam 24 (1990), S. 27–43.

Kirsch, Eberhard / Schultze, Erdmute: Die archäologischen Untersuchungen [betr. Passow 1]. In: Gringmuth-Dallmer, Eike / Leciejewicz, Lech (Hrsg.): Forschungen zu Mensch und Umwelt im Odergebiet in ur- und frühgeschichtlicher Zeit (= Römisch-Germanische Forschungen, 60). Mainz am Rein 2002, S. 117–123.

Müller, Johannes: Zur Radiocarbondatierung des Jung- bis Endneolithikums und der Frühbronzezeit im Mittelelbe-Saale-Gebiet (4100–1500 v. Chr.). In: Bericht der Römisch Germanischen Kommission 80 (1999/2001), S. 31–90.

Müller, Johannes: Soziochronologische Studien zum Jung- und Spätneolithikum im Mittelelbe-Saale-Gebiet (4100–2700 v. Chr.) (= Vorgeschichtliche Forschungen, 21). Rahden/Westfalen 2001.

Schultze-Motel, Jürgen / Wetzel, Günter: Pflanzenabdrücke an mittel- und spätneolithischen Gefäßen. In: Veröffentlichungen des Museums für Ur- und Frühgeschichte Potsdam 12 (1979), S. 51–58.

Schumann, Hugo: Die Steinzeitgräber der Uckermark. Prenzlau 1904.

Sprockhoff, Ernst: Die Kulturen der Jüngeren Steinzeit in der Mark Brandenburg (= Vorgeschichtliche Forschungen, 4). Berlin 1926.

Teichert, Lothar: Neolithische Tierknochenfunde von zwei Kultplätzen bei Buchow-Karpzow, Kr. Nauen. In: Veröffentlichungen des Museums für Ur- und Frühgeschichte Potsdam 18 (1984), S. 65–76.

Wetzel, Günter: Im Tod vereint – Ein Grab mit drei Kindern und einer Frau bei Falkenwalde, Lkr. Uckermark. In: Die Autobahn A 20 – Norddeutschlands längste Ausgrabung. Archäologische Forschungen auf der Trasse zwischen Lübeck und Stettin (= Archäologie in Mecklenburg-Vorpommern, 4). Schwerin 2005, S. 79–80.

Wetzel, Günter: Neues zur Jungsteinzeit nach 25 Jahren. In: Meyer, Michael / Schopper, Franz / Wemhoff, Matthias (Hrsg.): Feuerstein, Fibel, Fluchttunnel. Archäologie in Berlin und Brandenburg seit der Wende. Petersberg 2017, S. 39–50.

Abbildungsnachweis

Abb. 1 BLDAM, Foto D. Sommer.

Abb. 2 Staatliche Museen zu Berlin, Museum für Vor- und Frühgeschichte; Foto: BLDAM, D. Sommer.

Abb. 3 BLDAM, nach Kirsch/Schultze 2002, Abb. 55.

Abb. 4 BLDAM, Foto D. Sommer.

Abb. 5 BLDAM, Foto D. Sommer.

Abb. 6 BLDAM, Foto D. Sommer.

Abb. 7 BLDAM, Foto D. Sommer.

Abb. 8 BLDAM, Foto D. Sommer (nach Wetzel 2005).

Abb. 9 BLDAM, Foto D. Sommer.

Abb. 10 BLDAM, nach Kirsch/Plate 1984, Abb. 53.

Abb. 11 BLDAM, nach Kirsch/Plate 1984, Abb. 52.

Abb. 12 Nach Kirsch/Plate 1984, Abb. 51.

Abb. 13 Nach Kirsch/Plate 1984.

Abb. 14 Nach Wetzel 1994, Abb. 28.

Abb. 15 BLDAM, Foto D. Sommer.

Abb. 16 Nach Wetzel 2017, BLDAM, Foto D. Sommer.

Abb. 17 Nach Wetzel 2017, BLDAM, Foto D. Sommer.

Abb. 18 Nach Wetzel 2017, BLDAM, Foto D. Sommer.

Empfohlene Zitierweise

Wetzel, Günter: Havelländische Kultur (um 3100-2700 v. Chr.), publiziert am 02.05.2019; in: Historisches Lexikon Brandenburgs, URL: http://www.brandenburgikon.de (TT.MM.JJJJ)

Kategorien

Epochen: Frühzeit
Themen: Archäologie und Siedlung 


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