Eisenhüttenkombinat Ost (EKO)

Benjamin Pinchas Unglaub

Nach 1945 befand man sich in der sowjetischen Besatzungszone in der prekären Lage, zwar über eine ehemals starke verarbeitende Industrie (Maschinenbau, Fahrzeugbau usw.) zu verfügen, jedoch nur sehr wenig Grundstofferzeugung vorzufinden. Dies war durch die regionale Arbeitsteilung im deutschen Reich bis 1945 kein Problem: Eisen, Stahl und andere wichtige Grundstoffe konnten leicht z.B. aus dem Rhein-Ruhr-Gebiet bezogen werden (Karlsch 1993, 42f.). Nun jedoch gestaltete sich dies deutlich komplizierter.

Ein einziges größeres Hüttenwerk, die Maxhütte in Unterwellenborn, war in der SBZ verblieben. Dazu kamen bereits kurz nach Kriegsende die sowjetischen Demontagen, die besonders auch die Eisen- und Stahlindustrie schwer trafen. Ein Großteil der Kapazitäten der Branche ging dadurch verloren (Karlsch 1993, 55ff.). Gleichzeitig bestand ein hoher Bedarf an Eisen und Stahl, um einerseits Reparationsleistungen an die UdSSR zu erfüllen, andererseits die Kriegszerstörungen zu beheben.

Vor diesem Hintergrund wurde schon ab 1948 der Bau eines neuen Hochofenwerkes diskutiert. Als schon damals ökonomisch besonders günstiger Standort für ein solches Werk galt eine Lage an der Küste. Denn eigene Vorkommen an Rohstoffen (in erster Linie Erz und Steinkohle) gab es in der SBZ/DDR kaum. Das Erz war meist von niedriger Qualität und auf Dauer nicht ausreichend, Steinkohle gab es bis auf einige kleine Vorkommen in Sachsen gar nicht (Eckart 1988, 23ff.). Wenn aber Rohstoffe importiert werden müssen, war und ist der Schiffstransport direkt zum Werk unschlagbar günstig. Dies ist die ökonomische Seite einer Standortwahl.

Über den realen Bedarf der Vergrößerung der Roheisenerzeugung hinaus hat auch noch ein anderer, politisch-sozialer Grund bei der Entscheidung für den Aufbau eines Hochofenwerkes eine Rolle gespielt: In der Sowjetunion war die Industrialisierung stark von der Grundstoffindustrie her forciert worden. Diese Vorgehensweise war dann bereits in den 1930er-Jahren in den Rang einer Theorie („sowjetische Industrialisierung“) erhoben worden. Die Industrie diente hier als Werkzeug zur ökonomischen Stärkung, wie auch als Mittel der Etablierung des Herrschafts- und Gesellschaftssystems (die hier ins Leben gerufene Arbeiterschaft sollte eine Massenbasis für die KPdSU schaffen, die es bisher in der agrarisch geprägten UdSSR kaum gab) (Boetticher 1979, 5). Nach 1945 kam es zu einer teilweisen Übertragung dieses Ansatzes auf die ostmitteleuropäischen Staaten im Einflussgebiet der UdSSR (Schultz 1999, 110), wenn auch die Ausprägungen unterschiedlich waren und manche Stimmen auch weniger von einer dezidiert „sozialistischen Industrialisierung“ sprechen wollten. (zum Ländervergleich: Jajeśniak-Quast 2010, zur Debatte um sozialistische Industrialisierung u.a.: Roesler 1987 und Hübner 1988).

Gegen einen per se sinnvollen Küstenstandort gab es nun von verschiedenen Seiten Bedenken, vor allem in Hinblick auf verteidigungspolitische Gesichtspunkte. Sowohl die sowjetische Kontrollkommission als auch Walter Ulbricht opponierten gegen die Küstenlage (Vgl. u.a.: Niederschrift der Geländebesichtigung, BArch, DE 1/11123, Bl. 1f.). In den Fokus geriet die Ostgrenze der SBZ/DDR, diskutiert wurden unter anderem Ueckermünde, Eberswalde, Frankfurt/Oder und Fürstenberg (Oder) (Vgl. u.a.: Ministerium für Aufbau, HA I Landesplanung, Gutachten zum Standort, 25.07.1950, BArch, DE 1/11123, Bl. 5ff.). Fürstenberg war bis dahin ein wenig bedeutendes Städtchen, geprägt durch die Oderschifffahrt und seit den 1940er-Jahren eine chemische Fabrik der Degussa (EKO 2000, 27f).

Neben den verteidigungspolitischen Argumenten haben wahrscheinlich jedoch auch soziale und politische Fragen (im Sinne der „sozialistischen Industrialisierung“) den Standort bestimmt: Nach Kriegsende waren zahlreiche Flüchtlinge aus den ehemaligen „Ostgebieten“ im Oderraum eingetroffen, die ganze Region lechzte nach Arbeitsplätzen (Ludwig 1999, 55ff.). Ferner ging es der SED-Führung wohl auch um ein „Leuchtturmprojekt“ in einer weniger entwickelten Region (sozialistischen Industrialisierung!). Dieses Argument wird in der Literatur mehrfach angeführt, mit zeitgenössischen Quellen lässt es sich jedoch nur dünn belegen (Černy 1970, Richter1997).

Auf dem III. Parteitag der SED am 20.07.1950 wurde dann offiziell beschlossen, ein Hüttenwerk in Fürstenberg an der Oder (später mit der neu errichteten Wohnstadt zu Eisenhüttenstadt vereinigt) zu errichten (Černy 1970, 21) (Abb. 1, 2). Vorarbeiten dazu gab es da aber bereits (zur Standortfrage auch: Gayko 2000).

Zu diesem Zeitpunkt war geplant, ein integriertes Hüttenwerk zu bauen. Die darauffolgende Aufbauphase war geprägt von ständigen Mangelerscheinungen, Planänderungen und kurzfristigen Paradigmenwechseln. Trotzdem gelang es, innerhalb kurzer Zeit einen ersten Hochofen halbwegs fertigzustellen. Als er am 19.09.1951 feierlich angeblasen wurde, war er allerdings noch gar nicht fertig, die Inbetriebnahme war also ein rein politischer Akt (Selbmann 1999, 250ff.). Auch als der Hochofen dann kurz darauf tatsächlich fertig war, lief er nur mangelhaft. Spätestens hier rächte sich der Mangel an Fachkräften, die über Kenntnisse zum Hochofenbetrieb verfügten. Getrieben durch illusorische Planvorgaben versuchte das Personal erfolglos, die Probleme abzustellen. Auch der stark an der Entstehung des Werkes beteiligte Minister für Schwerindustrie, Fritz Selbmann, geriet in die Kritik (Karlsch 2016, 274). 1952/53 wurde das Werk dann von Hüttenfachleuten aus der Sowjetunion besucht, denen es gemeinsam mit dem örtlichen Personal schließlich in einem längeren Prozess gelang, das Werk halbwegs arbeitsfähig zu machen (Dienstreisebericht EKO, 01.03.1952-26.05.1952, BArch, NY 4113/20, Bl. 76). Doch 1953, bereits vor dem 17. Juni, wurde das Projekt massiv gekürzt. Vorerst blieb es also bei sechs Hochöfen, die ursprünglich geplanten Bauabschnitte Stahlwerk, Warm- und Kaltwalzwerk sowie Schmiedewerk wurden vorerst gestoppt (UA EKO, A 92, Werkleitung, Disposition für Weiterentwicklung des Investgeschehens, 10.06.53, Selbmann, Bl. 45-50) (Abb. 3, 4)

Damit war der Ton für die Geschehnisse der folgenden Jahrzehnte gesetzt, immer wieder gab es Vorstöße, das Werk zu vervollständigen, immer wieder wurde das Projekt gestoppt. Zudem wandte sich die Wirtschaftspolitik ab Ende der 1950er-Jahre zunehmend weg von der „klassischen Schwerindustrie“, hin zur chemischen Industrie. Daraus resultierte dann unter anderem das „Petrolchemische Kombinat (PCK)“ in Schwedt, eine Raffinerie zur Veredelung von Rohöl. Erst Mitte der 1960er-Jahre wurde im EKO zumindest der Bau eines Kaltwalzwerkes konkret (Unger 2000, 322). Eine solche Anlage wurde dann auch tatsächlich errichtet, die gesamte Anlage lieferte die Sowjetunion (Abb. 5). Doch auch mit diesem Bauabschnitt war man darauf angewiesen, Zwischenprodukte des EKO zu anderen Werken zur Weiterverarbeitung zu transportieren, da der Weg vom Erz zu fertigem Blech nicht komplett am bestehenden Standort erfolgen konnte. Der Transportaufwand war dadurch natürlich enorm. Nicht nur, dass Zwischenprodukte hin- und hertransportiert werden musste, auch die Rohstoffe - Erz aus Krivoj Rog (UdSSR), Koks aus Oberschlesien (VR Polen) und Kalk unter anderem aus Rüdersdorf und dem Harz - mussten herangeschafft werden. Vor diesem Hintergrund ist auch die Frage Nikita Chruschtschows zu verstehen, die er anlässlich eines Besuchs des Werkes im Jahr 1963 äußerte, nämlich, ob es nicht eigentlich sinnvoller sei, das Werk zu schließen, und aus der Sowjetunion direkt Roheisen zu beziehen („Das Erz, das ihr von uns bezieht, hat einen Fe-Gehalt von 54%. Ihr transportiert also aus der Sowjetunion 46% Steine. Und nun frage ich mich, was kostet da allein schon der Transport?“, UA EKO, A 1313, Besuch Chruschtschow und Ulbricht am 19.01.1963 im EKO, Bl. 11.). Doch die DDR-Gesprächspartner verwiesen auf ihre speziellen Bedürfnisse an das Endprodukt und bezweifelten einen kontinuierlich möglichen Bezug. Dies erscheint angesichts der zum Teil erheblich schwankenden Rohstofflieferungen (nicht nur) aus der UdSSR als durchaus berechtigt.

Nachdem wiederum viele Jahre mit dem Erstellen und Verwerfen von Plänen vergangen waren, wurde Ende der 1970er Jahre beschlossen, doch noch ein Stahlwerk am Standort Eisenhüttenstadt zu bauen. Man entschied sich für die Bestellung eines kompletten Werkes aus Österreich. Der Grund für die Wahl dieses Angebotes aus dem „Nichtsozialistischen Wirtschaftsgebiet“ (NSW) lag vor allem in der gewünschten Technologie begründet. Während sich im „kapitalistischen Westen“ zu diesem Zeitpunkt bereits eine moderne Bauform von Stahlwerken (Sauerstoff-Blasstahlwerke) nahezu durchgesetzt hatte, war die Industrie im RGW, wie in vielen anderen Technologiebereichen auch, zunehmend nicht mehr in der Lage, solche Produkt- und Prozessinnovationen zu stemmen (Unger 2000, 358). Mit anderen Worten, vergleichbare Technologie gab es weder in der DDR noch in den „sozialistischen Bruderländern“.

Im Jahr 1984 wurde das neue Stahlwerk dann fertiggestellt und in Betrieb genommen (Nicolaus 2010, 13) (Abb. 6). Doch es blieb nach wie vor eine Leerstelle im Zyklus des Werkes, das Warmwalzwerk nämlich, das den frisch aus dem Stahlwerk kommenden Stahl umformen konnte. Dies führte nun zu der Entscheidung, Stahlblöcke (sog. „Brammen“) zum „Lohnwalzen“ in die Bundesrepublik zu versenden, da vergleichbare Werke für diese Aufgabe in der DDR nicht vorhanden waren (Eckart 1988, 176). Diese, ökonomisch natürlich äußerst unvorteilhafte Situation blieb bis zum Ende der DDR bestehen (Abb. 7, 8). Erst nach der Privatisierung des Werkes im vereinigten Deutschland gelang es der neuen Betreiberfirma schließlich, das Werk endlich zu komplettieren, über 40 Jahre nach der Inbetriebnahme der ersten Baustufe (Nicolaus 2010, 14).

Quellen

Bundesarchiv Berlin Lichterfelde

BArch, DE 1/11123

BArch, NY 4113/20

Unternehmensarchiv ArcelorMittal Eisenhüttenstadt

UA EKO, A 92

UA EKO, A 1313

Literatur

Boetticher, Manfred von: Industrialisierungspolitik und Verteidigungskonzeption der UdSSR 1926-1930. Herausbildung des Stalinismus und „äußere Bedrohung“. Düsseldorf 1979.

Černy, Jochen: Der Aufbau des Eisenhüttenkombinats Ost 1950/51. Univ. Diss., Jena 1970.

Eckart, Karl: Die Eisen- und Stahlindustrie in den beiden deutschen Staaten. Stuttgart 1988.

EKO Stahl GmbH (Hrsg.): Einblicke – 50 Jahre EKO Stahl. Eisenhüttenstadt 2000.

Gayko, Axel: Investitions- und Standortpolitik der DDR an der Oder-Neiße-Grenze 1950-1970. Frankfurt/Main 2000.

Hübner, Peter: Sozialhistorische Aspekte der industriellen Standortproblematik in der DDR. Bemerkungen zu einem Beitrag von Jörg Roesler. In: ZfG. 1988. H. 1, S. 41-50.

Jajeśniak-Quast, Dagmara: Stahlgiganten in der sozialistischen Transformation, Nowa Huta in Krakau, EKO in Eisenhüttenstadt und Kunčice in Ostrava. Wiesbaden 2010.

Karlsch, Rainer: Allein bezahlt? Die Reparationsleistungen der SBZ/DDR 1945 – 1953. Berlin 1993.

Karlsch, Rainer: Energie- und Rohstoffpolitik. In: Hoffmann, Dierk (Hrsg.): Die zentrale Wirtschaftsverwaltung in der SBZ/DDR, Akteure, Strukturen, Verwaltungspraxis. Berlin/Boston 2016, S. 249-362.

Ludwig, Andreas: Eisenhüttenstadt. Wandel einer industriellen Gründungsstadt. Potsdam 2000.

Nicolaus, Herbert: ArcelorMittal Eisenhüttenstadt. 60 Jahre Eisen und Stahl. Eisenhüttenstadt 2010.

Richter, Jenny / Förster, Heike / Lakemann, Ulrich: Stalinstadt – Eisenhüttenstadt. Von der Utopie zur Gegenwart. Wandel industrieller, regionaler und sozialer Strukturen in Eisenhüttenstadt. Marburg 1997.

Roesler, Jörg: Zum Strukturwandel in der Industrie der DDR während der fünfziger Jahre. Fakten und Überlegungen. In ZfG. 1987. H. 2, S. 138- 149.

Selbmann, Fritz: Acht Jahre und ein Tag. Bilder aus den Gründerjahren der DDR. Berlin 1999.

Unger, Stefan: Eisen und Stahl für den Sozialismus. Modernisierungs- und Innovationsstrategien der Schwarzmetallurgie in der DDR von 1949 bis 1971. Berlin 2000.

Abbildungsnachweis

Abb. 1 Bundesarchiv, Bild 183-09117-005 (Foto: Horst Sturm - CC BY-SA 3.0).

Abb. 2 Bundesarchiv, Bild 183-75141-0002 (Foto: Peukert - CC BY-SA 3.0).

Abb. 3 Bundesarchiv, Bild 183-17138-0003 (Foto: Horst Sturm - CC BY-SA 3.0).

Abb. 4 Bundesarchiv, Bild 183-26067-0005 (Foto: Horst Sturm - CC BY-SA 3.0).

Abb. 5 Bundesarchiv, Bild 183-H0422-0301-004 (Foto: Hubert Linke - CC BY-SA 3.0).

Abb. 6 Bundesarchiv, Bild 183-1984-1128-004 (Foto: Müller - CC BY-SA 3.0).

Abb. 7 Gemeinfrei.

Abb. 8 Bundesarchiv, Bild 183-1990-1108-001 (Foto: Rainer Weisflog - CC BY-SA 3.0).

Empfohlene Zitierweise

Unglaub, Benjamin Pinchas: Eisenhüttenkombinat Ost (EKO), publiziert am 23.09.2022; in: Industriegeschichte Brandenburgs, URL: http://www.brandenburgikon.de (TT.MM.JJJJ)


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