Im Jahr 1916 errichteten die „Vereinigten Köln-Rottweiler Pulverfabriken“ in Premnitz eine Pulver- und Schießwollefabrik. Nach Beendigung des Krieges wurde es als Werk der Rüstungsindustrie stillgelegt und musste seine Produktion umstellen. Unter der Firmenbezeichnung „Köln-Rottweil AG, Fabrik Premnitz“ erfolgte 1919 die Umstellung des Betriebes auf Kunstseidenproduktion nach dem Viskoseverfahren. Angetrieben durch den Konkurrenzkampf im In- und Ausland wurde in Premnitz neben der Herstellung von Kunstseide, v.a. der Travisseide, an der Entwicklung einer neuartigen Kunstfaser gearbeitet und es gelang erstmalig, eine Kunstspinnfaser herzustellen. Sie erhielt den Namen „Vistra“. Damit hatte sich Premnitz zum Pionierbetrieb auf dem Gebiet der Viskosefaser entwickelt.

Nach der Fusion der „Köln-Rottweil AG“ mit dem 1925 gegründeten „IG-Farben-Konzern“ wurde die Fabrik Premnitz in „IG Farbenindustrie AG, Werk Premnitz“ umbenannt und gehörte zur Sparte III des Konzerns (Betriebsgemeinschaft Berlin). Der IG-Farben-Konzern gliederte sich auf mittlerer Konzernebene nach Produktionsbranchen, die Sparte III fasste alle IG-Werke zusammen, die fotografische Produkte und Kunstfasern herstellten.

Mit der Zugehörigkeit zur „IG Farbenindustrie AG“ wurden in Premnitz die technischen Anlagen im Werk erweitert. Um den Absatz im In- und Ausland zu sichern, mussten die Produktion erhöht, die Verfahren wirtschaftlicher gestaltet und die Qualität der Erzeugnisse weiter verbessert werden. Für die Forschung und Entwicklung wurden erhebliche Mittel eingesetzt, die zur Verbesserung der Travisseide, einer feinstfädigen Kunstseide, und v.a. der Vistrafasern führten. Ende 1931 wurde die Herstellung einer mittelfädigen Seide neu aufgenommen, die als Glanzseide („Trinova“) und als Mattseide („Suprema“) herausgebracht wurde. Die „Suprema“ fand als Spezialstrumpfseide einen hohen Absatz. Versuche, die Supremaseide nach einem Direktverfahren herzustellen, führten zur Entwicklung des Zentrifugen-Zwirn-Verfahrens.

Während der Zeit der Weltwirtschaftskrise gestaltete sich der Absatz vor allem auf den ausländischen Märkten sehr schwierig. Die Werkleitung in Premnitz entließ zahlreiche Arbeiter und senkte die Löhne. Infolge mangelhaften Arbeitsschutzes ereigneten sich schwere Unfälle, Brände und Explosionen im Premnitzer Werk. Ein großes Explosionsunglück vom 7. Dezember 1932 forderte 12 Menschenleben.

Von 1933 an erfolgte die Einbeziehung des Betriebes in das Aufrüstungs- und Kriegsprogramm des NS-Staates. Aus dessen Autarkiestreben zog der IG-Farben-Konzern großen Nutzen. Im Rahmen des „Nationalen Faserstoffprogramms“ wurden Fasern aus einheimischen Rohstoffen gefordert, denn die Unabhängigkeit von Baumwollimporten war von besonderer Bedeutung. Die Zellwolle sollte die Baumwolle ersetzen und musste mit dem Naturprodukt konkurrenzfähig sein.

Während des Nationalsozialismus wurden in größerem Umfang die technischen Anlagen des Vistrabetriebes und des Travisbetriebes modernisiert und erweitert. Auf dem Gebiet der Viskosefaserforschung tauschte das Werk Premnitz Ergebnisse mit anderen IG-Werken, für die Herstellungsverfahren konnten sogar eigene Forschungsergebnisse zugrunde gelegt werden. In Premnitz wurden v.a. bei der Entwicklung der Vistrafasern wichtige Erfolge erzielt.

Als Spezialfaser für das Wollgebiet wurde die Vistra-XT-Faser entwickelt, eine Faser mit beständiger Kräuselung und Oberflächenstruktur ähnlich der natürlichen Wolle; die Vistra-XTh-Faser hatte zusätzlich wasserabweisende Eigenschaften. Der Hauptteil der Produktion ging an die Baumwolle verarbeitende Industrie, ein geringerer wurde für die Entwicklung von Fasern für das Wollgebiet verwendet. Die für die Baumwollindustrie hergestellten Spezialtypen waren Vistra-HB, die CWW-Fasern und die PKR-Faser, die sich durch eine besonders hohe Nassfestigkeit auszeichnete. Damit war „Vistra“ für die Herstellung von Militärtuchen geeignet. Mit den IG-Werken Premnitz, Wolfen, Dormagen, Oppau und Lichtenberg wurde die IG-Farben zum größten Zellwollunternehmen der Welt, wobei Premnitz die führende Rolle innehatte. Bei der Weltausstellung in Paris 1937 erhielt die „Vistra“ die höchste Auszeichnung, den Grand Prix (Abb. 1-5).

In Premnitz befand sich auch eine Anlage zur Herstellung von Schwefelkohlenstoff, die den Bedarf für sämtliche Kunstseidefabriken der IG deckte. Nach dem Ausbau alter Gebäude der ehemaligen Pulverfabrik wurde auch die Produktion von Aktivkohle aufgenommen.

Das Werk verfügte wie der gesamte Konzern über ein gut ausgebautes Netz sozialer Einrichtungen. Sie dienten v.a. dazu, die Arbeiter zur Werkstreue zu erziehen und eine Stammbelegschaft guter Fachleute im Werk heranzubilden (Abb. 6, 7).

Bereits seit 1933 hatte das Werk als Wehrwirtschaftsbetrieb mit besonderen Produktionsaufgaben fungiert. Nach Kriegsausbruch trat im Werk Premnitz das Mobilisierungsprogramm, dazu gehörte auch die Herstellung von Fallschirmseide, in Aktion. Für die Weiterentwicklung der Perlonfasern, v.a. für militärische Zwecke, wurde ein Teil der Perlonseideanlage von Landsberg (Warthe) (heute: Gorzów Wielkopolski) nach Premnitz verlagert. Inbetriebnahme und Ausbau der Perlonanlage wurden schnell vorangetrieben. Zu den weiteren Kriegsaufträgen gehörten die Erzeugung von Fallschirmtextilien und die Entwicklung eines für die Herstellung von Gasschutzstoffen einsetzbaren Perlongarns bzw. -gewebes. Neben den Versuchen auf dem Gebiet der Perlonfaser wurde bis Ende des Krieges an der für Militärtuche einsetzbaren Vistrafaser gearbeitet.

Zudem kam es in den Jahren des Zweiten Weltkriegs zu einer enormen Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage und der Rechte der Werksangehörigen. Zwangssparen und die Rationierung von Lebensmitteln und Gebrauchsgütern wurden eingeführt, durch Kriegsdienstverpflichtungen und die Einführung einer 60-Stunden-Woche (1944) erreichte die Belastung ihren höchsten Grad. Im Laufe des Krieges mussten in Premnitz immer mehr Frauen und Jugendliche in der Rüstungsindustrie arbeiten. Auch Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene, die unmenschlicher Behandlung, Unterbringung und mangelhafter Verpflegung ausgesetzt waren, mussten im IG-Farben Werk Höchstleistungen erbringen. Unter den schlechtesten Bedingungen litten sowjetische und polnische Zwangsarbeiter. Gescheiterte Fluchtversuche wurden mit dem Leben bezahlt. Ausländische Zwangsarbeiter riefen 1944 im Werk Premnitz zu Aktionen für die Beendigung des Krieges auf.

Nach dem Ende des Krieges fiel das Werk in Premnitz unter das von den vier Besatzungsmächten am 30. November 1945 gemeinsam beschlossene Kontrollratsgesetz Nr. 9: Beschlagnahme und Kontrolle des Vermögens der IG Farbenindustrie AG. Im Herbst 1945 wurde das Werk unter Treuhandverwaltung gestellt. Bei den Nürnberger Prozessen stand der gesamte IG Farben-Konzern unter Anklage und wurde für seine aktive Beteiligung an Kriegsverbrechen verurteilt.

 

(Textvorlage: Brandenburgisches Landeshauptarchiv Rep. 75 IG Farbenindustrie AG, Werk Premnitz, Bestandsübersicht / Firmengeschichte, ergänzt und bearbeitet von Vinzenz Czech)

Quellen

Brandenburgisches Landeshauptarchiv Rep. 75 IG Farbenindustrie AG, Werk Premnitz [Siehe: Hier].

Literatur

Plumpe, Gottfried: Die I.G.-Farbenindustrie AG. Wirtschaft, Technik und Politik 1904-1945. Berlin 1990.

Coch Werner: 100 Jahre Industriestandort Premnitz. Aus der Geschichte der „Villa am See“. In: Rathenower Heimatkalender 60 (2016), S. 81-84.

Coch Werner: 100 Jahre Industriestandort. Fortsetzung. In: Rathenower Heimatkalender 61 (2017), S. 67-71.

Seiffert, Gerhard: Die weitere industrielle Entwicklung von Premnitz von 1928 bis 1970. In: Rathenower Heimatkalender 15 (1971).

Abbildungsnachweis

Abb. 1, 3, 6, 7 http://www.ipp-premnitz.de/der-industriepark/historie.html.

Abb. 2 Gemeinfrei.

Abb. 4 https://nat.museum-digital.de/object/48710 (Industrie- und Filmmuseum Wolfen - CC-BY-NC-SA).

Abb. 5 https://nat.museum-digital.de/object/732422 (Industrie- und Filmmuseum Wolfen - CC-BY-NC-SA).

Empfohlene Zitierweise

IG Farbenindustrie AG, Werk Premnitz, publiziert am 17.05.2022; in: Industriegeschichte Brandenburgs, URL: http://www.brandenburgikon.de (TT.MM.JJJJ)

Maria Berger

Adolf (1839-1910), Hermann (1841-1913) und Carl Reichstein (1847 -1931), wie ihr Vater Eduard Reichstein (1810-1862) gelernte Korbmacher, gründeten 1871 eine Firma mit Sitz am Neustädter Markt 23, in der sie handgeflochtene Korbwaren fertigten. Sie spezialisierten sich auf Kinderwagen, orientierten sich an Modellen aus Frankreich und England und optimierten die Herstellung durch Arbeitsteilung. Damit waren sie so erfolgreich, dass sie nach drei Jahren bereits 300 Mitarbeiter beschäftigen konnten. 1896 war die Jahresproduktion der mittlerweile 1.800 Beschäftigten auf 75.000 Kinderwagen angestiegen. Jahrzehnte galt der Betrieb als größte Kinderwagenfabrik Europas, in der aber auch Promenden-, Puppen- und Leiterwagen sowie Koffer fabriziert wurden (Krause 1998, 433ff.) (Abb. 1, 2).

Die Gebrüder Reichstein begannen dann um 1880 erste Fahrräder zu montieren, die in Einzelteilen aus England bezogen wurden. Bald entwickelten und bauten sie kleinere Jugend-, Hoch- und Dreiräder und schließlich Niederräder, deren Radtyp mit großen Rädern, der Tretkurbelanordnung unter dem Fahrersitz und Hinterradantrieb bis heute Standard ist.

Auf der nationalen Fahrradausstellung 1892 in Leipzig präsentierte die Firma erstmalig ihre Vehikel unter dem gesetzlich geschützten Markennamen „Brennabor“, der dem bisherigen Firmennamen angehängt wurde. Der Name wurde aus der irrtümlichen Annahme heraus gewählt, dass er die alte slawische Bezeichnung für Brandenburg sei (Abb. 3, 4).

Mit Beginn des 20. Jahrhunderts erweiterten die Reichsteins ihre Produktpalette durch motorisierte Fahrzeuge: Die ersten Motorräder gingen 1902 in Serie, die mit 3, 3,5 und 5,5 PS Fafnir-Motoren der Aachener Stahlwarenfabrik bestückt waren (Abb. 5). Kurzzeitig wurden nach 1905 auch Eisenbahn-Draisinen in zwei Varianten gebaut, fuß- und motorbetriebene. Von 1908 bis 1911 wurde das erste Automobil, die dreirädrige „Brennaborette“ produziert (Abb. 6), der ein vierrädriger Wagen mit Zweizylinderaggregat in V-Form folgte. Zum Maschinenpark des Werks zählten in diesem Jahr ca. 800 Maschinen, 50 Elektromotoren und fünf Dampfmaschinen von 1.500 PS. 1911 wurde die Abteilung Motorenbau eingerichtet.

Brennabor beschäftigte 2.500 Mitarbeiter, die alle, ob Werkzeugmacher, Korb- oder Stellmacher, Lackierer, Gießer, Tapezierer, Sattler oder Karosseriebauer, die betriebseigene Arbeitsordnung akzeptieren mussten, welche die Arbeitsbedingungen und- zeiten festschrieb und Geldstrafen bei Verstößen androhte (Abb. 7).

Während des Ersten Weltkriegs musste vom Fahrzeugbau auf Rüstungsgüter umgestellt werden. Carl Reichstein hatte während einer Amerikareise die „fließende Fertigung“ kennengelernt und setzte diese arbeitsteilige Produktionsweise in seiner Firma ein, was dazu führte, dass täglich allein bis zu 35.000 Geschosse hergestellt werden konnten. In Spitzenzeiten sollen bis zu 12.000 Arbeitskräfte, zumeist Frauen, in der Rüstungsproduktion gearbeitet haben (Kubisch 1985, 45).

Bereits kurz nach Kriegsende begann „Brennabor“ mit dem Bau von Mittelklassewagen. Carl Reichsteins jüngster Sohn Eduard kam 1920 von einem mehrjährigen Aufenthalt in den USA zurück. Dort hatte er u.a. in Detroit seine Kenntnisse im Bereich der Automobilherstellung erweitert. Zusammen mit Carl Reichstein jun. konstruierte er solide, preiswerte Wagen, die in hoher Stückzahl in Serie produziert wurden (Abb. 8, 9). Die Fabrikation stieg nochmals, als 1924, fast gleichzeitig mit Opel in Rüsselsheim, die automatische Fließbandarbeit eingeführt wurde. Auch der Kinderwagen- und Fahrradbau wurde so rationalisiert.

Mitte der 1920er Jahre stieg die Zahl der Beschäftigten auf 6.000 (Kubisch 1985, 45). Die Grundstücke mit Fabrikanlagen erstreckten sich während dieser Jahre auf über 250.000 qm an der Schützenstraße (heute die Geschwister-Scholl­Straße), der Kirchhofstraße, der Potsdamer und der Wilhelmsdorfer Straße. Verkehrstechnisch war das Gelände gut erschlossen: im Südosten grenzte es an den Güterbahnhof mit Verladehalle, die Fernstraße Nr. 1 führte hindurch und die Anbindung an die Havel war durch den Stadtkanal gegeben. Über den Wasserweg konnten Rohstoffe, in geringeren Mengen auch Fertigprodukte, transportiert werden.

Seit 1929 baute „Brennabor“ auch Lastkraftwagen und die Reichspost konnte als Kundin für Lieferwagen gewonnen werden. Bereits im selben Jahr begannen jedoch Finanzschwierigkeiten in Folge der Weltwirtschaftskrise: Ratenkäufe wurden üblich und machten bis zu 90 Prozent des Gesamtumsatzes aus, der Automobilbau schrumpfte auf die Hälfte der vorhandenen Kapazität zusammen bei gleichbleibend hohen Lagerbeständen. Die Absatzschwierigkeiten führten 1930 zu so gravierenden Verlusten, dass die „Gebr. Reichstein Brennabor-Werke“ im April 1931 liquidiert werden mussten. Die Firma konnte in Form einer AG, mit Banken als Haupteigner, weitergeführt werden. Der Automobilbau wurde im Oktober 1934 eingestellt und die Fabrik auf die Produktion von Rüstungsgütern umgestellt, mit der man bereits 1934/35 wieder begann. Von 1939 bis April 1945, als 40 Prozent des Werks zerstört wurden, arbeiteten dort 4.500 Menschen, darunter zahlreiche Zwangsarbeiter.

1947 wurde der „VEB Brandenburger Traktorenwerk“ in einigen Fabrikgebäuden eingerichtet. Der erste Schlepper bekam den Namen „Aktivist“. In dem später „VEB IFA Getriebewerke“ genannten Komplex wurden Traktoren, Planierraupen, Überkopflader sowie zeitweise Elektrogabelstapler hergestellt, nach 1962 spezialisierte man sich auf den Bau von Getrieben.

(Der Text erschien bereits 2001 im Rahmen der Ausstellung „Marksteine. Eine Entdeckungsreise durch Brandenburg-Preußen“ im gleichnamigen Ausstellungskatalog: Berger, Maria: Brandenburg an der Havel - Die Brennabor-Werke. In: Marksteine. Eine Entdeckungsreise durch Brandenburg-Preußen. Eröffnungsausstellung des Hauses der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte 18. August – 11. November 2001. Herausgegeben vom Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte beim Museumsverband des Landes Brandenburg e.V. Berlin 2001, S. 367-369. Er wurde für diese Veröffentlichung mit einigen Ergänzungen und geänderten Abbildungen versehen.)

Literatur

Krause, Bernd: Fahrräder, Automobile und Traktoren. In: Heinrich, Gerd u.a. (Hrsg): Stahl und Brennabor. Die Stadt Brandenburg im 19. und 20. Jahrhundert. Potsdam 1998, S. 433-445.

Kreschel, Katharina / Mertink, Klaus-Jürgen: Brennabor-Werke Brandenburg / Havel. Eine Bilddokumentation. Brandenburg / Havel 1995.

Kubisch, Ulrich: Automobile aus Berlin - vom Tropfenwagen zum Amphicar. Berlin 1985.

Pavel, Bertold / Brekow, Frank / Krause Bernd: Von Brennabor bis ZF Brandenburg. Eine Industriegeschichte. Berlin 1996.

Stapf, Fred Frank / Stapf, Renate / Daniel, Roger: Brennabor. Vom Korbmacher zum Autokönig. Aus dem Leben der Industriellen-Familie Reichstein 1839–1971. Lappersdorf 2005.

Urban, Hermann: Gebr. Reichstein Brennabor-Werke Brandenburg (Havel). In: Magistrat der Stadt Brandenburg (Havel) (Hrsg.): Deutschlands Städtebau. Brandenburg (Havel). 2. Auflage. Berlin 1926, S. 130-133.

Abbildungsnachweis

Abb. 1 Brandenburger Anzeiger, 20.12.1872.

Abb. 2-4 Gemeinfrei.

Abb. 5 https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=3604572 (Foto: Lars-Göran Lindgren Sweden - CC BY-SA 4.0).

Abb. 6 https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=89058264 (Foto: Buch-t - CC BY-SA 3.0 de).

Abb. 7 Urban 1926.

Abb. 8 Bundesarchiv Bild 102-06820 (Foto: Georg Pahl - CC BY-SA 3.0).

Abb. 9 Bundesarchiv Bild 102-06826 (Foto: Georg Pahl - CC BY-SA 3.0).

Empfohlene Zitierweise

Berger, Maria: Brennabor-Werke, Brandenburg (Havel), publiziert am 03.10.2023; in: Industriegeschichte Brandenburgs, URL: http://www.brandenburgikon.de (TT.MM.JJJJ)

 

Die „Arado-Flugzeugwerke GmbH“ wurde im Jahr 1925 als Tochterunternehmen des Stinnes-Imperiums in Warnemünde gegründet. Im Herbst 1933 entschied sich die Geschäftsführung des Stammbetriebes, ein neues Zweigwerk in Brandenburg (Havel) zu errichten. Hintergrund dieser Standortwahl waren dabei die günstigen topographischen Gegebenheiten, die den Bau von Wasserflugzeugen erlaubten, sowie die ausgebaute Infrastruktur der Region. Außerdem ermöglichten große stadtnahe Flächen den Aufbau eines Flugfeldes und eine kontinuierliche Erweiterung des Werkes. Darüber hinaus gab es in Brandenburg ein großes Potential an ausgebildeten Metallfacharbeitern. Auch die Nähe zur Metropolregion Berlin dürfte ein ausschlaggebendes Argument für den Standort gewesen sein.

Im September 1934 erwarben die „Arado-Flugzeugwerke“ die Gelände der ehemaligen „Deutschen Mähmaschinen-Fabrik“ sowie der „Hartungschen Gießerei“. Der Aufbau des Werkes oblag dem ehemaligen Piloten Erwin Martin. Am 16. Oktober 1934 erfolgte der Eintrag des Betriebes ins Handelsregister.  Noch im selben Jahr kam es zu einer Erweiterung des Werkes um Teile des Geländes der „Elisabethhütte“. Am 11.04.1935 lief das erste Schulflugzeug vom Typ Ar 66 C in Brandenburg (Havel) vom Band (Abb. 1). Im selben Jahr wurde das Konstruktionsbüro von Warnemünde nach Brandenburg verlegt. Zeitgleich hatten die „Arado-Flugzeugwerke“ im Jahr 1933, forciert vom Reichsluftfahrtministerium (RLM), ein Werksgelände in Potsdam-Babelsberg gekauft. Hier entstand im Juni 1936 die Verwaltungsstelle des Betriebes. Später wurden hier auch Drehteile zur Entlastung des Werkes in Brandenburg hergestellt.

In der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg verließen eine Reihe ziviler Eigenkonstruktionen das Werk in Brandenburg (Havel). So stellte man eine Anzahl von Schulflugzeugen her, zu denen auch die Typen Ar 66 sowie Ar 96 (Abb. 2) gehörten. Als besonderer Erfolg für das Werk kann das Reiseflugzeig Ar 79 von 1938/39 gelten. Jenes fand nicht nur einen großen Absatz, sondern stellte auch eine Reihe von Rekorden auf (Abb. 3, 4).

Seit 1937 lag der Hauptschwerpunkt des Werkes jedoch auf der Rüstungsproduktion. Hierbei stand der Lizenzbau im Vordergrund. Eigenkonstruktionen für den militärischen Bereich erwiesen sich fast durchgehend als Misserfolge, eine Ausnahme bildete dabei das Seekampfflugzeug Ar 196, welches seit 1939 von Kriegsmarine und Luftwaffe eingesetzt wurde. In wesentlich größeren Stückzahlen wurden die Maschinen fremder Konstrukteure im Werk produziert. Hierzu zählten bspw. Flugzeuge der Typen HE 51, HE 111, JU 88 sowie JU W33/ W34. Um den gestiegenen Ansprüchen des RLM gerecht zu werden, errichtete „Arado“ zwischen 1937 und 1941 ein weiteres Werk bei Neuendorf. Hierbei handelte es sich, wie bereits im Falle von Brandenburg und Warnemünde, um ein Endmontagewerk, welches durch weitere Zweigwerke beliefert wurde. Jene fanden sich in Anklam, Wittenberg und Rathenow.

Bei den Beschäftigungszahlen kam es in den „Arado-Flugzeugwerken“ zu einem kontinuierlichen Anstieg. Aus den anfänglich 3.749 Mitarbeitern im Jahr 1935, waren bis Oktober 1938 14.090 geworden. Einen Höchsttand erreichte diese Zahl im Juni 1944, als 30.670 Menschen im Flugzeugwerk beschäftigt waren. Hierbei muss jedoch berücksichtigt werden, dass seit 1940 auch vermehrt Zwangsarbeiter in den Werken eingesetzt wurden. Dabei handelte es sich primär um Franzosen, Holländer, Tschechen sowie „Ostarbeiter“. Die Zahl von 2.500 „Fremdarbeitern“ im Jahr 1943, stieg bis zum Kriegsende auf 3.500 an.

In der Schlussphase des Zweiten Weltkrieges wurde das Flugzeugwerk in Brandenburg wiederholt Ziel alliierter Luftangriffe. Erstmals am 18. April 1944 kam es hier zu Bombenabwürfen US-amerikanischer Flugzeuge. Ein weiterer Angriff wurde am 6. August 1944 geflogen. Der letzte Luftangriff folgte im März 1945. Im Mai wurde das Werk schließlich durch sowjetische Truppen besetzt. Ein Teil der dortigen Flugzeuge wurde als Reparationsleistung eingezogen und in die UdSSR transportiert.

Nach Kriegsende fanden unter der Treuhandverwaltung vom Juni 1945 bis Ende 1948 umfangreiche Demontagen und teilweise auch Abrissarbeiten an Hallen und Gebäuden statt. 1948 gingen die „Arado-Flugzeugwerke“ nach der Überführung in Volkseigentum in Liquidation.

 

(Textvorlage: Brandenburgisches Landeshauptarchiv Rep. 75 Arado Flugzeugwerke Potsdam; Bestandsübersicht / Firmengeschichte [Siehe: Hier], ergänzt und bearbeitet von Julian-Dakota Bock)

Quellen

Brandenburgisches Landeshauptarchiv Rep. 75 Arado Flugzeugwerke Potsdam.

Literatur

Brekow, Frank: 100 Jahre Luftfahrt in Brandenburg an der Havel. In: Historischer Verein Brandenburg (Havel) e.V. Jahresbericht 20 (2011), S. 12-23.

Brekow, Frank: Arado Flugzeugwerke. In: Geiseler, Udo; Heß, Klaus (Hrsg.): Brandenburg an der Havel. Lexikon zur Stadtgeschichte (= Einzelveröffentlichungen der Brandenburgischen Historischen Kommission e.V.; 13). Berlin 2008, S. 29.

Brekow, Frank: Die Arado-Flugzeugwerke GmbH – größter Rüstungsbetrieb Brandenburgs. In: Heinrich, Gerd (Hrsg.) u.a.: Stahl und Brennabor. Die Stadt Brandenburg im 19. und 20. Jahrhundert (= Bibliothek der Brandenburgischen und Preußischen Geschichte; 3). Potsdam 1998, S. 451-455.

Koos, Volker: Arado-Flugzeuwerke 1925-1945. Königswinter 2007.

Kranzhoff, Jörg Armin: Die Arado-Flugzeuge. Vom Doppeldecker zum Strahlflugzeug. Bonn 2001.

Heß, Klaus: Zwangsarbeiter. In: Geiseler, Udo; Heß, Klaus (Hrsg.): Brandenburg an der Havel. Lexikon zur Stadtgeschichte (= Einzelveröffentlichungen der Brandenburgischen Historischen Kommission e.V.; 13). Berlin 2008, S. 417-418.

Abbildungsnachweis

Abb. 1 https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Arado_Ar_66c,_D-IYMO,_1935_(3).jpg (Gemeinfrei).

Abb. 2 https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Arado_Ar_96_B,_So._1940_(2).jpg?uselang=de (Gemeinfrei).

Abb. 3 https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Arado_Ar_79_3-view.svg?uselang=de (MLWatts / eigenes Werk – CCO).

Abb. 4 https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Pressemitteilung_%C3%BCber_Rekordversuch_vom_19.07.1938.jpg (Rostocker Anzeiger - CC BY-SA 3.0).

Empfohlene Zitierweise

Arado-Flugzeugwerke GmbH, Brandenburg (Havel), publiziert am 28.03.2022; in: Industriegeschichte Brandenburgs, URL: http://www.brandenburgikon.de (TT.MM.JJJJ)

 

1867 gründete Carl Wiemann in Brandenburg (Havel) einen Schlosserei- und Maschinenbaubetrieb, der nach dem Beitritt seines Bruders Wilhelm den Namen „Gebr. Wiemann“ erhielt. Sitz des Unternehmens wurde die Packhofstraße, unweit der Langen Brücke (Abb. 1, 2). In zweiter Generation leitete Paul Wiemann, der Sohn des Gründers, den Familienbetrieb. Als dieser 1930 starb wurden seine Witwe Helene und sein Bruder Fritz Firmeninhaber.

Zunächst wurden Maschinen für die Ziegelindustrie angefertigt, dann solche, die zur Herstellung von Schiffen benötigt wurden. Bis zur Jahrhundertwende spezialisierte man sich auf die Reparatur von Schiffen und Schiffsmaschinen. Im Jahr 1901 lief dann der Schleppdampfer „Helene“ als erstes von „Gebr. Wiemann“ selbst hergestelltes Schiff aus. Der Übergang von der Maschinenschlosserei zur Maschinenfabrik wurde nicht zuletzt durch die Aufstellung eines Dampfkessels 1885 und die Errichtung einer Eisengießerei 1889 ermöglicht. Dreißig Jahre später waren bereits 264, bis 1945 insgesamt 379 Schiffe von der mittlerweile offenen Handelsgesellschaft „Gebr. Wiemann, Maschinenfabrik, Schiffswerft, Eisengießerei“ gebaut worden. Es handelte sich dabei unter anderem um Schlepp-, Fracht- und Passagierdampfer mit Schrauben- und Radantrieb, Motorschiffe, Eisbrecher, Spül- und Tankschiffe, Prähme oder Bagger, die vor allem in der Binnenschifffahrt eingesetzt wurden. Aber auch Modelle für die Küstenschifffahrt, wie der Schlepp- und Bereisungsdampfer „Oder“ aus dem Jahr 1912, wurden hier produziert (Abb. 3, 4, 5).

Nicht nur die 1916 von „Gebr. Wiemann“ selbst entwickelte Wiemann-Schraube, auch das um 1930 erworbene Patent der Kort-Düse brachte der Firma großen Erfolg bei ihrem Bau von schnelleren und zugstärkeren Schiffen. Diese wurden in der Schiffbauhalle sowie auf dem Quer- und Längsslip an der 500 m langen Wasserfront gefertigt, über die die Firma verfügte. Auf dem 47.150 qm großen Grundstück befanden sich daneben eine Schlosserei, Dreherei, Eisengießerei, Gussputzerei, Formerwerkstatt, Schmiede, Tischlerei, Maschinen- und Motorhäuser mit zugehörigen Anlagen sowie ein Bürogebäude.

Die Zahl der hier Arbeitenden stieg durch den florierenden Schiffbau zunächst auf ca. 450 und pendelte sich zwischen 1913 und 1928 auf etwa 350 ein. Hatte schon der Erste Weltkrieg mit der Umstellung der Maschinen auf die Produktion von Granaten wirtschaftliche Einbußen und der Winter 1923/1924 das Geschäft fast zum Erliegen gebracht, führte die Weltwirtschaftskrise zu einem Rückgang auf ein Drittel der normalen Leistung. Die Beschäftigtenzahlen sanken 1931 auf 150 und erreichten 1933 den Tiefststand mit 62 Arbeitern. Von 1932 bis 1938 zwang ein Neubauverbot von Flussschiffen auf den märkischen Wasserstraßen die Werft, betriebsfremde Fabrikationen aufzunehmen. Diese sicherten das finanzielle Bestehen der Firma jedoch kaum. Ein Großbrand im April 1937 zerstörte zudem die Schiffbauhalle und weitere Gebäude, sodass vorübergehend unter freiem Himmel gearbeitet werden musste. Am Ende der 1930er Jahre zog das Geschäft wieder an, im Zweiten Weltkrieg auch befördert durch Aufträge der Marine, die sogar einen Slipbau finanzierte. Im Frühjahr 1945 waren 429 Arbeiter sowie 40 Angestellte und 26 Kriegsgefangene beschäftigt. Auch Zwangsarbeiter verschiedener Nationalitäten wurden seit 1940 von „Gebr. Wiemann“ zur Arbeit herangezogen.

Am 31. März und 20. April 1945 wurden bei einem Bombenangriff große Teile des Fabrikgeländes zerstört. Nach Kriegsende konnten mithilfe des Schwimmkrans der „Gebr. Wiemann“ mehrere Brandenburger Brücken wieder aufgebaut und die Havel von Schiffswracks geräumt werden. Als ehemaliger Zulieferer der Marine musste der Betrieb 40 % seiner Anlagen und Maschinen als Reparation an die Sowjetunion demontieren. Auch der 1946 wiederaufgenommene Neubau von Schiffen diente dem Zweck der Reparationsleistungen, wie am Beispiel des seetauglichen Fischereifahrzeuges „Seiner“ deutlich wird. Ende 1945 wurde der Betrieb in Treuhandverwaltung übernommen, 1948 enteignet und in den „VEB Volkswerft Ernst Thälmann“ umgewandelt, der mit dem Jahresende 1962 die Produktion einstellte.

 

(Textvorlage: Brandenburgisches Landeshauptarchiv Rep. 75 Wiemann-Werft Brandenburg (Havel) - Bestandsübersicht / Firmengeschichte [Siehe: Hier], ergänzt und bearbeitet von Julian-Dakota Bock)

Quellen

Brandenburgisches Landeshauptarchiv Rep. 75 Wiemann-Werft Brandenburg (Havel).

Literatur

Historischer Hafen Brandenburg e.V. (Hrsg.): Die Wiemann Werft. Brandenburg 2017.

Nothnagel, Peter: Die Wiemann-Werft im Wechsel der Konjunkturen. In: Heinrich, Gerd u.a. (Hrsg.): Stahl und Brennabor. Die Stadt Brandenburg im 19. und 20. Jahrhundert (= Bibliothek der Brandenburgischen und Preußischen Geschichte; Bd. 3). Potsdam 1998, S. 511-517.

Stahlberg, Herbert: Die Werft der Gebrüder Wiemann in Brandenburg an der Havel. In: Heimatkundliche Blätter 39 (2015), S. 4-7.

Abbildungsnachweis

Abb. 1 Gemeinfrei.

Abb. 2 Wolf, Moritz (Bearb.): Brandenburg (Havel). Berlin 1926.

Abb. 3 https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Elbdampfer_%27Sachsenwald%27_in_Pirna_(01-2).jpg (Foto: Norbert Kaiser - CC BY-SA 3.0).

Abb. 4 https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Gustav-Havel-Potsdam-08-VII-2007-02.jpg?uselang=de (Foto: Botaurus – Gemeinfrei)

Abb. 5 https://commons.wikimedia.org/wiki/File:DS_Gustav_(3).JPG (Foto: Biberbaer - CC BY-SA 3.0).

Empfohlene Zitierweise

Gebr. Wiemann-Werft, Brandenburg (Havel), publiziert am 28.03.2022; in: Industriegeschichte Brandenburgs, URL: http://www.brandenburgikon.de (TT.MM.JJJJ)

Julian-Dakota Bock

Im Jahr 1912 erwarb Rudolf Weber (1856-1932) ein 800.000 m² großes Gelände am Silokanal und begann mit dem Aufbau eines „Stahl- und Walzwerkes“, welches eines der ersten seiner Art in Mitteldeutschland war. Weber hatte bereits im väterlichen Betrieb, der „Philipp Weber GmbH“, Erfahrungen im Bereich der Schwerindustrie gesammelt, bevor dieser eine Reihe von Werken im Ruhrgebiet wegen  hoher Verluste verkaufen musste. Aufgrund der Nähe zur Metropole Berlin versprach man sich von der Gründung eines Werkes in Brandenburg (Havel) einen hohen Absatz.

Für das Werk am Silokanal wurde zunächst der Bau einer Stahlwerkhalle, ausgestattet mit zwei Siemens-Martin-Öfen, sowie einer Walzstraße geplant. Das Stahlwerk nahm am 17. Mai 1914 seine Arbeit auf. Das Walzwerk folgte am 25. Mai. Das Fehlen erfahrener Arbeitskräfte aus dem Brandenburger Raum versuchte Weber durch den Zuzug von Arbeiterfamilien aus seiner saarländischen Heimat zu kompensieren.

Während des Ersten Weltkrieges wurden im Stahl- und Walzwerk verschiedene Geschosse, bspw. Granathülsen, hergestellt. Aufgrund der schlechten Versorgungslage mit Kohle kam es im Jahr 1917 fast zum Erliegen der Produktion. Einen Ausweg bot hierbei der Verkauf des Werkes an die „Deutsch-Luxemburgische Bergwerks- und Hütten-Aktiengesellschaft zu Bochum“, deren Haupteigentümer der rheinische Industrielle Hugo Stinnes (1870-1924) war. Die Eingliederung der „Abteilung Weber“ in das Unternehmen, ermöglichte die Stabilisierung der Rohstoffversorgung des Werkes. Die Leitungsfunktion wurde den Neffen Rudolf Webers übertragen. Arthur Hennecke übernahm 1917 die Position des kaufmännischen Leiters, sein Bruder Rudolf wurde technischer Leiter.

In der Zwischenkriegszeit kam es zu umfangreichen Erweiterungen, so dass die Produktionskapazität bis 1923 auf 96.400 t angestiegen war. Ermöglicht wurde dies durch den Bau zwei weiterer Siemens-Martin-Öfen in den Jahren 1919 und 1923, sowie der Errichtung eines zusätzlichen Walzwerkes 1920 (Abb. 1-4). Der Anstieg der Beschäftigungszahlen auf ca. 1.350 machte dabei auch die Bereitstellung von Wohnraum erforderlich. Aus diesem Grund kaufte die Werkleitung die Siedlung Wilhelmshof von der Stadt Brandenburg (Havel) auf und erweiterte diese 1921 um zusätzliche Doppelhäuser. Die 1920er-Jahre waren durch wiederholte Arbeitskämpfe im Stahlwerk geprägt. Bei einem Streik im Jahr 1924 wurde die durchschnittliche Arbeitszeit auf 53 Stunden und der durchschnittliche Lohn auf 43,86 RM festgelegt.

1926 kam es dann zu einem Wechsel der Besitzverhältnisse im Stahl- und Walzwerk. Nachdem dieses kurzzeitig zwischen Juni und Oktober als „Vereinigte Stahlwerke AG“ firmierte, wurde es vom Industriellen Friedrich Flick aufgekauft. Fortan war das Brandenburger Werk Teil der „Mitteldeutschen Stahlwerke AG“, zu der auch Betriebe in Lauchhammer, Wittenau und Burghammer, später ebenfalls das Werk in Hennigsdorf, gehörten. Der vom Flick-Konzern forcierte Ausbau der Produktionskapazitäten ging mit einem erneuten Anstieg der Beschäftigungszahlen einher. Aus diesem Grund wurde die Siedlung Wilhelmshof seit Beginn der 1930er-Jahre zur „Walzwerksiedlung“ ausgebaut (Abb. 5-7).

In der Zeit des Nationalsozialismus war das Brandenburger Werk in die Rüstungsproduktion eingebunden und fertigte primär Panzerwagen. So errichtete man ab August 1936 im Auftrag des Oberkommandos des Heeres das P-Werk zur Herstellung von Panzerkuppeln sowie das Quenz-Werk für Panzergehäuse. Zum Zwecke der Rüstungsproduktion wurden drei weitere Siemens-Martin-Öfen installiert, sowie 1938 ein weiteres Walzwerk gebaut (Abb. 8). Ab 1942 nutzte das Stahlwerk auch einen Teil des Geländes des Reichsbahnausbesserungswerkes Kirchmöser zur Panzerherstellung. Nach dem Zustandekommen eines Pachtvertrages im Jahr 1944 wurde das gesamte Gelände vom Flick-Konzern genutzt.

Im Allgemeinen lässt sich für die Zeit des Zweiten Weltkrieges eine Intensivierung der Fertigung im Stahlwerk feststellen, hierbei kamen auch Kriegsgefangene aus dem Lager Wilhelmshof (Quenzlager) zum Einsatz. Mit zeitweise 7.000 Insassen handelte es sich hierbei um das größte Kriegsgefangenenlager in Brandenburg (Havel).

Im Vergleich zu anderen Orten der Rüstungsproduktion in Brandenburg (Havel) blieb das Werk von Luftangriffen weitgehend verschont. Die Produktion wurde erst im April 1945 eingestellt, als die Rote Armee in die Stadt Brandenburg einrückte. Es kam zur vollständigen Demontage des Werkes, sämtliche Anlagen wurden in die Sowjetunion transportiert.

Literatur

Baxmann, Matthias; Hänsel, Jessica: Das Stahl- und Walzwerk in Brandenburg an der Havel. In: Die Mark Brandenburg. Zeitschrift für die Mark und das Land Brandenburg Sonderheft (2018), S. 12-14.

Brekow, Frank: Rüstungsindustrie. In: Geiseler, Udo / Heß, Klaus (Hrsg.): Brandenburg an der Havel. Lexikon zur Stadtgeschichte (= Einzelveröffentlichungen der Brandenburgischen Historischen Kommission e.V.; Bd. 13). Berlin 2008, S. 315-316.

Deutsch-Luxemburgische Bergwerks- und Hüttenaktiengesellschaft. Abteilung Weber, Brandenburg (Havel). In: Magistrat der Stadt Brandenburg (Havel) (Hrsg.): Deutschlands Städtebau. Brandenburg (Havel). 2. Auflage. Berlin 1926, S. 134-137.

Geschäftsführung der SWB GmbH (Hrsg.): Das Stahl- und Walzwerk Brandenburg im Spiegel der Zeit. Brandenburg 1994.

Heß, Klaus: Zwangsarbeiter. In: Geiseler, Udo / Heß, Klaus (Hrsg.): Brandenburg an der Havel. Lexikon zur Stadtgeschichte (= Einzelveröffentlichungen der Brandenburgischen Historischen Kommission e.V.; Bd. 13). Berlin 2008, S. 417-418.

Industriemuseum Brandenburg an der Havel (Hrsg.): Ein Jahrhundert Stahl aus Brandenburg im sozialen und politischen Umfeld. Brandenburg a. d. Havel 2000. [Siehe: Hier]

Kinder, Sebastian: Baugeschichte der Königlich-Preußischen Pulverfabrik bei Plaue (H.) und des Eisenbahnwerks Brandenburg-West in Kirchmöser. In: Historischer Verein Brandenburg (Havel) e.V. Jahresbericht 9 (1999), S. 16-34.

Treskow, Sieglinde von: Stahl- und Walzwerk Brandenburg. In: Geiseler, Udo / Heß, Klaus (Hrsg.): Brandenburg an der Havel. Lexikon zur Stadtgeschichte (= Einzelveröffentlichungen der Brandenburgischen Historischen Kommission e.V.; Bd. 13). Berlin 2008, S. 358-359.

Treskow, Sieglinde von; Sponholz, Wolfgang: Stahlstandort am Silokanal. In: Heinrich, Gerd u.a. (Hrsg.): Stahl und Brennabor. Die Stadt Brandenburg im 19. und 20. Jahrhundert (= Bibliothek der Brandenburgischen und Preußischen Geschichte; Bd. 3). Potsdam 1998, S. 419-431.

Treskow, Sieglinde von: Rudolf Weber. In: Geiseler, Udo / Heß, Klaus (Hrsg.): Brandenburg an der Havel. Lexikon zur Stadtgeschichte (= Einzelveröffentlichungen der Brandenburgischen Historischen Kommission e.V.; Bd. 13). Berlin 2008, S. 392-393.

Krohn, Marius: Versteinerte Geschichte. Die „Walzwerksiedlung“ in Brandenburg an der Havel. In: Historischer Verein Brandenburg (Havel) e.V. Jahresbericht 26 (2017), S. 145-157.

Abbildungsnachweis

Abb. 1-4 Deutsch-Luxemburgische Bergwerks- und Hüttenaktiengesellschaft 1926.

Abb. 5, 8 Slg. H.-M. Waßerroth - CC BY-NC-ND 3.0 de.

Abb. 6, 7 Brandenburger Anzeiger 1934.

Empfohlene Zitierweise

Bock, Julian-Dakota: Stahl- und Walzwerk Brandenburg (Havel), publiziert am 16.08.2022; in: Industriegeschichte Brandenburgs, URL: http://www.brandenburgikon.de (TT.MM.JJJJ)


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