Florian Wilke

Das 19. Jahrhundert ist das Jahrhundert der Dampfkraft und das Jahrhundert, in dem das Bürgertum grenzenlose Zukunftsvisionen hatte. Daneben existierten jedoch technische Probleme, an denen sich viele Erfinder lange Zeit erfolglos versuchten. Im Bereich des Pumpenbaus gab es damals gleich mehrere anscheinend unlösbare Dinge. Dampfpumpen erforderten eine komplizierte und teure Dampfmaschine als Antrieb und eine genauso komplizierte Pumpe, jeweils mit vielen präzisen beweglichen Teilen. So eine Anlage war eigentlich viel zu teuer, um gelegentlich eine kleine Menge Flüssigkeit zu bewegen. Außerdem erforderten die Anlagen Fachpersonal und eine Intensive Wartung. Verschmutzte Medien waren ein Problem, denn sie schädigten die Pumpen. Auch die Mobilität war eingeschränkt. Ein einfaches und robustes Pumpensystem wurde dringend benötigt!

In New York erfand Henry Hall im Jahr 1872 eine derartige Pumpe, die er Pulsometer nannte. Sie funktionierte nach dem Prinzip der frühen atmosphärischen Dampfmaschinen des 18. Jahrhunderts, doch mit selbsttätiger druckabhängiger Steuerung. Der Dampf in einer von zwei Kammern kondensierte und saugte dabei über ein einfaches und robustes Fußventil Wasser an. War der Dampf abgekühlt, so veränderten sich die Druckverhältnisse in dem Behälter und brachte damit das Dampfeinlassventil zum Umschlagen. Nun drückte der Dampf auf die Wasserfläche des Kessels und beförderte es in die Druckleitung. In dem anderen Behälter fand der jeweils entgegengesetzte Vorgang statt.

Das Gerät war nicht effizient und verbrauchte verhältnismäßig viel Dampf. Dafür war es klein und billig, brauchte keine Wartung, konnte ohne Mühe Schmutzwasser fördern und war durch jeden Arbeiter zu bedienen. Es wurde zur Wasserhaltung in Bergwerken eingesetzt, zur Grundwasserabsenkung bei Bauvorhaben, als Lenzpumpe, Löschwasserpumpe und Deckwaschpumpe in der Schifffahrt, zur Schlammgewinnung und vor allem zum Betreiben von Wasserkränen für das Füllen von Dampflokomotiven. Pulsometer gehörten zu den besonders wichtigen universellen Pumpen im 19. und frühen 20. Jahrhundert. Die Verwertungsrechte für die Erfindung übertrug Hall der späteren „Pulsometer Steam Company New York“. (Abb. 1, 2)

Henry Hall wähnte sich gerade am Ziel, als auf der Weltausstellung in Philadelphia 1876 die Firma „Aquameter-Steam-Pump-Co. Philadelphia“ auftrat, und ihm Ruhm und Umsatz durch Lug und Trug streitig machte.

Dagegen anzugehen war seinerzeit schwer und nicht das Metier eines Technikers. In Europa vermutete er bessere Möglichkeiten. Er ging 1875 nach England, wo die Firma „Hodgekin-Neuhaus & Co.“ das Ausführungsrecht für Pulsometer bekam. Ab 1878 nannte sich die Fabrik „The Pulsometer Engineering Company Ltd“, heute produziert sie unter dem Namen „SPP“.

Die nächste Station war Deutschland, und zwar die Wilhelmshütte in Eulau (Iława) bei Sprottau (Szprotawa). Hier beauftragte der Verein Deutscher Ingenieure Carl Schaltenbrand mit der Untersuchung der Maschine. Es wurden in dieser Zeit Verbesserungen an den Ventilen vorgenommen. Für Schmutzwasser blieben allerdings die alten Kugelventile unverzichtbar. Dynamischere Tellerventile und ein Pendelventil für die Dampfsteuerung steigerten die Leistung bei weniger verschmutztem Wasser. Die neue Bauform hieß Pendel-Pulsometer.

In dieser Zeit, um 1877, muss Henry Hall dem „Civil und Bergingenieur“ Carl Eichler begegnet sein. Vermutlich war dieser Mann ein Fürstenwalder Bürger. Sein Engagement im Braunkohlebergbau leitet sich wohl auch von dieser Herkunft ab, von den Gruben unmittelbar südlich von Fürstenwalde. Ebenfalls Ende der 1870er Jahre gründete Henry Hall Zweigstellen in Wien und Berlin. Das Wiener Büro bestand bis 1909 und wurde lange Zeit von Carl Eichler geleitet. Nach dem Tod Henry Halls im Februar 1882 in London wurde Carl Eichler sein Nachfolger. (Abb. 3, 4)

Die Produktion fand, anscheinend auf Betreiben Eichlers, dagegen in Fürstenwalde statt. Das wurde anfangs kaum wahrgenommen, konnten doch die zugelieferten Teile einfach in einer angemieteten Werkstadt eines Bürgerhauses in der Stadt montiert werden. Das von dieser Stelle aus große Teile Europas mit Pulsometern versorgt wurden, war höchstens den Käufern klar, aber wohl kaum den Einwohnern der Stadt.

Im Jahr 1889 wurde dann unter undurchsichtigen Umständen die Liegenschaft einer Wollspinnerei, welche zwischen dem Stadtpark und der Stadt lag, erworben und umgebaut. Hier entstand 1891 eine Eisengießerei. Damit war man von den Kapazitäten und der Auftragslage der Zulieferer unabhängig.  Wenig später wurden auch Dampfkessel, Lokomobile und Fahrpulsometer, Wasserkräne, Wassertürme für Eisenbahnen u.a. gefertigt.

Der Firma ging es in Fürstenwalde blendend. (Abb. 5) An der Spree entstand eine aufwändige Testanlage für Pumpen. Die Pulsometer lieferte man von Fürstenwalde aus in das gesamte Deutsche Reich, nach Österreich-Ungarn sowie nach Russland. In dem Katalog, den die Geschäftsstelle in Wien zwischen 1900 und 1903 herausgab, wirbt die Firma mit zahlreichen Gold- und Silbermedaillen regionaler und internationaler Industrieausstellungen. (Abb. 6) Es werden wenig später 41 wichtige Staatspreise, Gold und Silbermedaillen genannt!

Carl Eichler verstarb 1903 und Edmund Eichler übernahm den Betrieb. Edmund Eichler zog zunächst in das attraktivere Berlin und gab das Pumpengeschäft 1909 schon wieder auf.

Es wurde daraufhin eine GmbH gegründet, bei der die Entscheidungsträger und Geldgeber kaum etwas mit dem Fürstenwalder Pumpengeschäft zu tun hatten. Dabei war die Zeit gerade für Hersteller von Dampfpumpen schwierig.

Die Epoche, an der an jeder Ecke ein Dampfkessel stand, war vorbei. Dafür stand nun überall elektrischer Strom zur Verfügung. Ein Elektromotor konnte nun eine sogenannte Kreiselpumpe direkt antreiben, bei der nur noch der Kreisel beweglich ist. In der Mitte desselben wird die Flüssigkeit angesaugt und durch die Fliehraft zwischen den Flügeln des rotierenden Kreises nach außen in die Druckleitung gefördert.

Durch einen großen Kundenstamm, durch andere Pumpentypen und einige ganz spezielle Konstruktionen blieb die Firma jedoch ein wichtiger Produzent in Deutschland. (Abb. 7) Das führte 1927 zur Vereinigung mit Borsig zur Firma Borsig-Hall bzw. zur VDP, zur „Vereinigung Deutscher Pumpenfabriken Borsig-Hall“. (Abb. 8) In kurzer Zeit wurden weitere Pumpenfabriken in die Firma aufgenommen.

Turbulenzen bei dem großen Partner in Berlin, ungerechtfertigte Schuldzuweisungen, mangelnde technische Weiterentwicklung, Eifersüchteleien unter den Führungskräften und Betriebsteilen erschwerten das Pumpengeschäft. Als Borsig 1930/31 kurzzeitig zahlungsunfähig wurde, riss es die VDP mit in dem Abgrund. „Henry Hall“ existierte zwar noch einige Zeit als reine Eisengießerei, doch bereits vor dem großen Umbruch 1945 sind keine Aktivitäten mehr nachzuweisen. Das Gelände gehörte nun einem Kaufmann Paul Schmidt. Ab 1945 nutzte es die Rote Armee.

An die Pulsometer besteht heute keine Erinnerung mehr. Die meisten Dampfpumpen verschwanden schon in den 1920er Jahren. Nur in Tirol, an einer Station der Achenseebahn, arbeitete bis 2020 noch ein Hallscher Pulsometer aus Fürstenwalde, welcher 1889 hergestellt wurde. Der Zahnradlokomotive entnahm man dafür den Dampf, mit welchem ein „Pulsometer № 5“ Wasser aus einem Gebirgsbach pumpte und über den Wasserkran in die Wassertanks der Lock förderte. (Abb. 9)

Literatur

Alphabetisches Verzeichnis einiger von der Firma Carl Eichler vorm. Henry Hall, Wien – Fürstenwalde Spree – Berlin, ausgeführter Eisenbahnwasserstationen. In: Original- Pulsometer Carl Eichler, vorm. C. H. Hall, Wien (1900/1903).

Wilke, Florian: Der Wiener Katalog mit einer Betriebsgeschichte der Pumpenfabrik Henry Hall. Münster 2010.

Abbildungsnachweis

Abb. 1 SCIENTIFIC AMERICAN, New York, 31. 7. 1880

Abb. 2 SCIENTIFIC AMERICAN, New York, 30. 8. 1873

Abb. 3, 4, 6-8 Sammlung Wilke

Abb. 5 Sammlung Andreas Simon †, Rauen

Abb. 9 https://bimmelbahn-forum.de/forum/index.php?thread/14310-ohne-wasser-f%C3%A4hrt-keine-dampflok/

Empfohlene Zitierweise

Wilke, Florian: Pumpenfabrik und Eisengießerei Henry Hall, Fürstenwalde, publiziert am 01.10.2023; in: Industriegeschichte Brandenburgs, URL: http://www.brandenburgikon.de (TT.MM.JJJJ)

Julian-Dakota Bock

Nach der Kündigung seiner Stelle in der Berliner Lampenfabrik Köppen & Wenke, richtete der gelernte Klempner Julius Pintsch (1815-1884) (Abb. 1) 1843 in einem Keller eine Reparaturwerkstatt für Gasmessgeräte ein, welche zu diesem Zeitpunkt primär aus England importiert wurden. Mit der Konstruktion eines eigenen Gasmessers gelang der jungen Firma im Jahr 1847 ein erster Durchbruch. Ausgehend hiervon zog Pintsch im Jahr 1848 in eine neu eingerichtete Apparate-Fabrik am Stralauer Platz um und ging zur serienmäßigen Produktion der Messgeräte über. Einen ersten wirtschaftlichen Erfolg stellte die Bestellung von 50 Gasmessgeräten durch den Berliner Magistrat vom 20. Februar 1851 dar. Die wachsende Nachfrage machte 1862 den Umzug auf ein größeres Werksgelände in der Andreasstraße notwendig, wo das Stammwerk der Firma bis 1945 blieb (Abb. 2, 3).

Eng verbunden mit der Firmengeschichte war der Aufstieg von Gas als bevorzugtem Beleuchtungsmittel in Eisenbahnwagen. Auf Ersuchen der Königlich Niederschlesisch-Märkischen Eisenbahnen hatte das Unternehmen ab 1868 an der Entwicklung einer entsprechenden Beleuchtungstechnik auf Grundlage von komprimiertem Petroleum gearbeitet. Im Kontext des allgemeinen konjunkturellen Aufschwungs der Gründerzeit bis 1873, kam es zu einer raschen Verbreitung der Gasbeleuchtung der Firma Pintsch. So war diese Technik 1893 in 52.000 Eisenbahnwagen verbaut, um 1908 in 163.000 Wagen und im Jahr 1919 in 350.000. Die wachsende Nachfrage führte zu einem Ausbau der Produktionskapazitäten, welche für die Firmenleitung nur im Rahmen der Errichtung eines Zweigwerkes möglich schien. (Abb. 4)

Vor diesem Hintergrund erwarb das Unternehmen im Jahr 1872 ein Gelände an der Trebuser Straße in Fürstenwalde (Spree). Fortan kehrte eine strenge Arbeitsteilung im Betrieb ein: Während die Produktion von Kleinteilen sowie die Verwaltungs- und Entwicklungsabteilungen im Berliner Stammwerk verblieben, wurde der Hauptteil der Produktion nach Fürstenwalde verlagert. Von hier aus wurde ab 1874 auch die Preußische Staatseisenbahn mit Beleuchtungstechnik beliefert. Die Bedeutung des Fürstenwalder Werkes innerhalb der Betriebsstruktur schlug sich auch in der persönlichen Lebensführung des Firmengründers Julius Pintsch nieder, welcher 1879 nach Fürstenwalde umzog und dort bis zu seinem Tod im Jahr 1884 lebte.

Im Kontext der zunehmenden Integration der Weltwirtschaft zwischen 1880 und 1914 entwickelte sich die seit 1879 von den Brüdern Oskar (1844-1912), Julius Karl (1847-1912) und Richard (1840-1919) geleitete Firma zu einem globalen Unternehmen. Dieser Prozess war eng mit der seit Mitte der 1870er Jahre forcierten Produktion von Beleuchtungstechnik für die Seefahrt verbunden. So wurde nicht nur der Finnische Meerbusen im Auftrag des russischen Zarenreiches mit Leuchtbojen ausgestattet, sondern auch der 1869 eröffnete Suez-Kanal. Weitere Leuchtbaken, -tonen und -schiffe der Firma Pintsch wurden u.a. nach England, Brasilien, Australien und in die Vereinigten Staaten geliefert (Abb. 5). Der globale Anspruch schlug sich auch im Selbstverständnis des Unternehmens nieder. So heißt es in einer Festschrift zum 50-jährigen Bestehen der Firma aus dem Jahr 1893: „Julius Pintsch gehoert zu den Firmen, deren Namen weit ueber die Grenzen ihres Vaterlandes hinaus auf dem ganzen zivilisierten Erdenrund einen guten Klang haben; er nimmt unter diesen eine erste Stelle ein, hochgeachtet und geehrt von allen denen, die mit der Firma in Verbindung standen und noch stehen.“ (LAB A Rep. 250-01-13 Nr. 667, S. 28). Auch auf der Pariser Weltausstellung im Jahr 1900 war die Firma Pintsch vertreten (Abb. 6).

Um Anschluss an die um die Jahrhundertwende einsetzende Elektrifizierung zu erhalten, gründeten die Gebrüder Pintsch im Jahr 1890 eine gesonderte Glühlampenfabrik auf dem Fürstenwalder Werksgelände. In der Fürstenwalde Glühlampenfabrik wurden jährlich ca. 1,5 Millionen Kohlefaden-Birnen hergestellt (Abb. 7). Damit verbunden war ein Anwachsen der Belegschaft. Waren 1893 noch 615 Fabrikarbeiter verzeichnet worden, verdreifachte sich diese Zahl bis 1906 auf 1.832.

Die Ausweitung des Produktsortiments hatte schließlich auch Einfluss auf die Entscheidung im Jahr 1907, die Betriebe in Fürstenwalde, Berlin und Frankfurt am Main zur „Julius Pintsch AG“ zusammenzufassen, wobei sämtliche Anteile jedoch im Besitz der Familienmitglieder blieben.

Mit dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs im August 1914 wurde die Produktion der Firma Pintsch auf den Heeresbedarf hin ausgerichtet. Dies lässt sich nur bedingt als Zäsur der Unternehmensgeschichte bezeichnen, hatte doch bereits Firmengründer Julius Pintsch im Kontext des deutsch-französischen Krieges 1870/71 Aufträge des preußischen Kriegsministeriums zur Fertigung von Torpedos und Seeminen entgegengenommen. Mit der faktischen Komplettumstellung zur Rüstungsproduktion, fand diese Tendenz zwischen 1914 und 1918 jedoch zu einer neuen Qualität. In diesem Kontext stellte auch das Kriegsende und die damit verbundene wirtschaftliche Demobilmachung eine schwere Belastung für das Unternehmen dar.

In der Zwischenkriegszeit wurde die Produktion der Gasbeleuchtung zugunsten elektrischer Glühlampen immer weiter zurückgefahren. Beschleunigt wurde dieser Prozess 1924 durch ein Zugunglück im schweizerischen Bellinzona, bei dem auch der DNVP-Politiker Karl Helfferich (1872-1924) ums Leben kam. Der Zusammenstoß zweier Züge hatte hierbei zu einem schweren Brand geführt, welcher auf das zum Zweck der Beleuchtung transportierte Gas zurückgeführt werden konnte (Abb. 8). Nachdem die Gasbeleuchtung im Eisenbahnverkehr in der Schweiz verboten worden war, sah sich die Deutsche Reichsbahn gezwungen, auch die eigenen Züge mit elektrischem Licht auszustatten. Die Firma Pintsch nahm im Rahmen dieser Umrüstung eine Schlüsselstellung ein und produzierte die Spannungsregler für die Generatoren, welche in den Zügen der Reichsbahn verbaut wurden.

Ab 1933 wurde die Firma Pintsch verstärkt in die rüstungswirtschaftlichen Pläne der Nationalsozialisten eingebunden. Vor diesem Hintergrund wurde die Belegschaft auf dem Fürstenwalder Werksgelände um rund 20% erhöht. Das 1936 in eine Kommanditgesellschaft umgewandelte Unternehmen produzierte wie bereits zur Zeit des Kaiserreichs primär für den Bedarf der Marine. Spätestens ab 1944 wurden im Betrieb auch rund 3.000 „Fremdarbeiter“ sowie 400 Kriegsgefangene beschäftigt, welche in einem Barackenlager in unmittelbarer Nähe des Werkgeländes an der Trebuser Straße untergebracht waren.

Nach dem Kriegsende im Jahr 1945 wurden die Maschinen und Geräte des Fürstenwalder Werkes auf Befehl der SMAD demontiert und in die UdSSR transportiert. Die Enteignung folgte im Jahr 1948, im Berliner Stammwerk erst im darauffolgenden Jahr. Nach der Übergabe an die Landesverwaltung wurde in den weitgehend geleerten Räumlichkeiten der „VEB Brandenburg, Industriewerk Fürstenwalde, Julius Pintsch“ eingerichtet. In der unmittelbaren Nachkriegszeit wurden hier v.a. Milchkannen und Fahrradreifen-Prüfmaschinen hergestellt. Ab 1951 firmierte der Betrieb als „VEB Gaselan“.

Quellen

LAB A Rep. 250-01-13 Nr. 638: Materialsammlung zur Geschichte der Firma Julius Pintsch und der Familie Pintsch (1849-1946).

LAB A Rep. 250-01-13 Nr. 667: „Zur Feier des 50jährigen Bestehens der Firma Julius Pintsch, Berlin. 1843-1893“ (1893).

o.A.: Die Besichtigung der Fürstenwalder Werke der Firma Julius Pintsch-Berlin. In: Jahrbuch der Schiffbautechnischen Gesellschaft 7 (1906), S. 677-715.

Literatur

Braun, Michael: Das Pintsch-Werk in Fürstenwalde/Spree. In: Kreiskalender Oder-Spree 2013, S. 74-78.

Escher, Felix: Pintsch, Julius Karl. In: Neue Deutsche Biographie 20 (2001), S. 461.

Escher, Felix: Pintsch, Julius. In: Neue Deutsche Biographie 20 (2001), S. 459-460.

Hirschfeld, Paul: Berlins Grossindustrie. Berlin 1897.

Kornrumpf, Martin: „Mehr Licht …“. Julius Pintsch (1815-1884) und seine Söhne. Pioniere der Beleuchtungstechnik. Ein Beitrag zur Geschichte der Pintsch-Werke in Fürstenwalde (Spree). 1872-1945 (= Kleiner unter Grossen. Lebenserinnerungen als zeitgeschichtliche Dokumentation, 2). München 1985.

Quandt, Ernst: Deutsche Industrie-Pioniere. Der Anbruch des technischen Zeitalters. Berlin 1940.

Seherr-Thoß, Hans Christoph Graf von: Pintsch, Richard. In: Neue Deutsche Biographie 20 (2001), S. 460-461.

Abbildungsnachweis

Abb. 1: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Pintsch_Julius_1815_1884.jpg (Gemeinfrei).  

Abb. 2 Gemeinfrei

Abb. 3, 5 Museum Fürstenwalde

Abb. 4 https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Sunset_Limited_parlor_and_compartment_car_1895.JPG (Gemeinfrei)

Abb. 6 https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Julius_Pintsch_Gasapparate_1900.jpg (Gemeinfrei)

Abb. 7 https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Sirius-Gl%C3%BChlampe.jpg (Gemeinfrei)

Abb. 8: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Eisenbahnunfall_Bellinzona_-_Badischer_Personenwagen.jpg (Gemeinfrei)

Empfohlene Zitierweise

Bock, Julian-Dakota: Julius Pintsch Aktiengesellschaft, Fürstenwalde, publiziert am 26.09.2022; in: Industriegeschichte Brandenburgs, URL: http://www.brandenburgikon.de (TT.MM.JJJJ)

Hans-Jürgen Woldt (ergänzt und bearbeitet von Julian-Dakota Bock)

Im Jahr 1922 wurde in Berlin die „Deka Pneumatik GmbH“ zur Herstellung von Kraftfahrzeugreifen gegründet. Die Firma war eine Fabrik der bereits 1896 gegründeten „Deutschen Kabelwerke“ der jüdischen Familie Hirschmann. Die Ausbreitung des Kraftfahrzeugwesens in Deutschland hatte die Eigentümerfamilie zum Anlass genommen, das Reifengeschäft kontinuierlich auszubauen. Die „Deka Pneumatik“ bot verschiedene Produkte für Fahr- und Motorräder und für Automobile und Lastkraftwagen an. Anfang der 1930er-Jahre stellte die Firma in Berlin-Boxhagen täglich 1.000 Reifen her (Abb. 1-3).

Mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten im Jahre 1933 wurde damit begonnen, die Familie Hirschmann zur Aufgabe zu zwingen und aus der Firma zu drängen. Unter dem Vorwand der Bilanzverschleierung verhaftete die Geheime Staatspolizei (Gestapo) Siegfried und Bernhard Hirschmann am 29. Juli 1933. Gegen die Hirschmanns wurde ab 15. Mai 1934 in Fürstenwalde die Hauptverhandlung begonnen. Diese Tatsache nahm man zum Vorwand, den Hirschmanns alle Verträge im Zusammenhang mit der Führung ihrer Firma zu kündigen. Gegen eine Abstandszahlung von 2.500 Mark war damit die sogenannte Arisierung der Kabelwerke vollzogen. In den Jahren 1934 und 1935 wurden die Hirschmanns zum Verkauf ihrer Anteile gezwungen. Die Gebrüder Hirschmann und ihre Familien verließen Deutschland zwischen 1935 und 1939.

In Fürstenwalde waren die „Deutsche Kabelwerke“ mit der Kabelproduktion bereits seit 1925 in einem modernen Werksbau in Ketschendorf bei Fürstenwalde aktiv. Im Jahr 1937 begann nun am nördlichen Ende des Tränkewegs in Ketschendorf bei Fürstenwalde der Bau eines neuen Werkes für die Herstellung von kriegswichtigen Reifen sowie Gummierzeugnissen für Panzer und Artilleriegeschütze (Abb. 4). Obwohl als Bauherr die „Deutsche Kabelwerke AG“ auftrat, wurde zur Verwirklichung dieses Vorhabens am 6. November 1936 in Berlin die „Wirtschaftsstelle für Kraftfahrzeugreifen (WIKRAFA) Gesellschaft mit beschränkter Haftung“ mit einem Stammkapital von 20.000 RM gegründet. Das Werk war von Anfang an als reiner Rüstungsbetrieb zur Versorgung der Deutschen Wehrmacht geplant.

Die „Deka Pneumatik GmbH - Werk 2 Ketschendorf“ – ging im September 1940 in Betrieb. Sie umfasste im wesentlichen folgende Anlagenteile:

  • 1 Roh- und Fertighalle
  • 1 Walzwerkhalle
  • 1 Kalanderhalle
  • 1 Brennerhalle
  • 1 Aufbereitungshalle
  • 1 Dampfturm
  • 1 Elektroturm
  • 1 Wasserwerk mit Filterhaus und Maschinenhaus
  • und die erforderlichen kleinen Nebengebäude.

Im Jahr 1940 wurden in Ketschendorf 40.000 Reifen für Kraftfahrzeuge, 5.000 Gummipolster und 1.200 Bandagen und Geschützreifen produziert (Abb. 5). Dafür verarbeitete man rund 400 t Kautschuk. Die gesamte Produktion ging ausschließlich an die deutsche Wehrmacht. Der Kurswert der Deka Aktie stieg dadurch von 58,2 Punkten im Jahr 1933 auf 225 Punkte im Jahr 1942.

Zum Werk gehörten ein Lagerbereich, der Mischsaal für die Herstellung von Gummimischungen, die Reifenkonfektion sowie die Brennerei (Reifenvulkanisation) mit der dazugehörenden Heizschlauchfertigung. Die notwendige Dampfenergie wurde aus dem nebenan liegenden Kraftwerk der „Deutschen Kabelwerke“ bezogen. Anfangs wurde neben dem bereits erfolgenden Einsatz von BUNA Kautschuk noch Naturkautschuk verwendet, dessen Bezug aber für Deutschland zunehmend schwieriger wurde. Deshalb setzte man ab 1941 verstärkt auf den Einsatz von BUNA Kautschuk, was technologische Folgeinvestitionen erforderlich machte, wie z. B. den Bau einer Kondensataufbereitungsanlage.

Neben dem eigentlichen Werksbau wurden zudem Sozialgebäude, Kantinen und Belegschaftsunterkünfte erstellt. Auch die Deka Siedlung mit ca. 140 Wohnungen wurde 1940 fertig gestellt.

Am 12. August 1941 beschloss eine außerordentliche Gesellschafterversammlung eine Kapitalerhöhung auf 100.000 RM. Die WIKRAFA wurde einer der Gesellschafter mit einem Eigenanteil von 2.000 RM.

Eine erste Erweiterung des Werkes war bereits 1943 notwendig. Diese umfasste u.a. die Erweiterung des BUNA Abbaus (ein technologisches thermisches Verfahren zur Plastizierbarkeit des BUNA Kautschuks), eine Benzinrückgewinnung und einer Abwiegerei für Reifenrohstoffe. Hauptgrund war aber die Erweiterung der Vulkanisation um eine dritte Kesselanlage, bestehend aus zwölf Autoklavkesseln nebst Autoklavkeller.

1944 wies die Deka Pneumatik GmbH bei einem Umsatz von 35,5 Mio. Reichsmark einen Gewinn von 5,2 Mio. RM aus. Das Werk Ketschendorf hatte zu diesem Zeitpunkt ca. 1.500 Beschäftigte.

30 % der Beschäftigten im Jahr 1944 waren Deutsche und hier überwiegend Frauen. Dadurch, dass fast alle Männer an die Front mussten, waren z. B. in der Konfektion nur noch zwei Männer in einer Schicht.

Neben der Reifenwerksiedlung mit insgesamt 175 Wohnungen für die leitenden Angestellten (nur 22 Arbeiter leisteten sich die Wohnungen dort) wurden auch verschiedene Wohnkomplexe für Arbeitskräfte verschiedener Klassen gebaut, zum Beispiel eine sogenannte Gefolgschaftsbaracke südlich der Hauptwerkstraße für inländische Arbeitskräfte.

Das Ausländer-Lager weiter südlich war für französische, belgische und italienische Zwangsarbeiter und das Lager der „Ostarbeiter“ für polnische und sowjetische Zwangsarbeiter. Es waren Unterkünfte, in denen die Beschäftigten unter haftähnlichen Bedingungen untergebracht waren. Verstöße jeglicher Art, wie auch das Nichterbringen der geforderten Arbeitsleistung, wurden mit Überführung in das Nebenlager des KZ Sachsenhausen am Fuße der Rauener Berge geahndet.

Am 16. April 1945 gab es im Zuge des Sturms der Sowjetarmee auf Berlin einen Fliegerangriff auf Fürstenwalde. Obwohl die gesamte Stadt erhebliche Schäden und Zerstörungen zu verzeichnen hatte, blieben die Produktionsstätten der „Deutschen Kabelwerke“ und der „Deka Pneumatik“ nahezu unversehrt. Lediglich ein Treffer ging in das Barackenlager am Tränkeweg. Dabei kamen 17 Zwangsarbeiter ums Leben.

Literatur

Woldt, Hans-Jürgen: Profilspuren. 80 Jahre Reifenwerk, Kulturfabrik Fürstenwalde 2020.

Abbildungsnachweis

Abb. 1-3 Gemeinfrei

Abb. 4, 5 Museum Fürstenwalde

Empfohlene Zitierweise

Woldt, Hans-Jürgen: Deka Pneumatik GmbH, Fürstenwalde, publiziert am 17.08.2022; in: Industriegeschichte Brandenburgs, URL: http://www.brandenburgikon.de (TT.MM.JJJJ)

Vinzenz Czech

In den Jahren 1922 bis 1924 errichteten die „Deutschen Kabelwerke AG“ in Ketschendorf bei Fürstenwalde einen Zweigbetrieb. Das Unternehmen war 1896 vom jüdischen Unternehmer Siegfried Hirschmann mit weiteren Partnern als Aktiengesellschaft „Deutsche Kabelwerke vorm. Hirschmann & Co.“ in Boxhagen bei Berlin gegründet worden (Abb. 1). Die Produktpalette umfasste in den ersten Jahren die Herstellung von Kabeln für Schacht- und Hüttenanlagen. Die Firma stieg zum führenden Hersteller in dieser Sparte auf und zählte zu den namhaftesten Werken dieser Branche im Kaiserreich. Später kam die Produktion von Starkstromkabeln für die Berliner S-Bahn bis zu Überseekabeln hinzu. Darüber hinaus erfolgte eine Ausweitung in den Automobilbereich durch die Übernahme der „Cyklon Maschinenfabrik GmbH und Automobilfabrik“ zwischen 1904 und 1907 sowie nach dem Ersten Weltkrieg die Gründung der „Deka Pneumatik GmbH“ im Jahr 1922.

Da die Erweiterungsmöglichkeiten des Unternehmens in Boxhagen erschöpft waren, kauften die Deutschen Kabelwerke zu Beginn der 1920er Jahre ca. 33 Hektar Land bei Fürstenwalde (Spree), um die Kabelproduktion dorthin auszulagern. Die Gummi- und Reifenproduktion verblieb dagegen in Berlin.

Das Gelände besaß eine 900 Meter lange Wasserfront an der Spree. Mit der Befestigung des Ufers entstand dort ein Hafen mit einer 350 Meter langen Verladerampe. Ein fahrbarer Kran mit einer Reichweite von über 70 Metern sorgte für die Be- und Entladung der anlegenden Frachtschiffe (Abb. 2, 3). Das Gelände verfügte zudem über einen eigenen Gleisanschluss zum Bahnhof Fürstenwalde. Die Fabrikanlagen umfassten ein Kraftwerk und ein Elektrizitätswerk. Das Kupferwalzwerk war als freistehende Halle mit einer täglichen Verarbeitungsleistung von bis zu 200 Tonnen Barrenkupfer errichtet. Neben dem Kupferdrahtziehwerk mit Verzinnerei befand sich die Bleikabelfabrik. Diese bestand aus elf zusammenhängenden, aus Eisenbeton errichtetet Hallen mit 24.000 Quadratmetern Fläche. Die einzelnen Hallen waren mit elektrischen Laufkränen ausgestattet und miteinander durch einen hochgelegenen, überdachten Laufgang verbunden. Auf dem Fabrikgelände befanden sich noch ein vierstöckiges Verwaltungsgebäude mit Kantinenanbau, eine Anzahl Lagergebäude und vier Beamtenhäuser. (Siebke 1930, 8). 1925 nahm das Werk seinen Betrieb auf.

Die für die Herstellung notwendigen Kupferbarren kamen aus Übersee und erreichten nach Umladung auf Frachtkähne unmittelbar die Verladerampe des Werkes. Zunächst wurden die ca. 90 Kilogramm schweren Barren in einem Ofen auf bis zu 600 Grad erhitzt. In einer Vorstraße von verschiedenen Walzen mit stets abnehmendem Querschnitt gestreckt, wurde das Kupfer in der folgenden Fertigstraße auf Drähte von 6-9 Millimeter Durchmesser gezogen und auf eine Haspel aufgewickelt. Aus einem Kupferbarren von 90 Kilogramm konnten etwa 160 Meter Walzdraht mit 9 Millimeter Durchmesser gezogen werden. Anschließend musste die entstandene oberflächliche Oxydationsschicht in Schwefelsäurebädern entfernt werden. In einer anderen Halle erfolgte dann das Ausziehen der Kupferwalzdrähte auf Grob-, Mittel- und Feinzugmaschinen auf die gewünschten Durchmesser. Die bei diesem Prozess spröde und hart gewordenen Drähte mussten, um ein späteres Brechen zu verhindern, in der sich anschließenden Glüherei unter Ausschluss von Luft abermals erwärmt werden. Danach wurden sie in der Verzinnerei in Schwefelsäure gereinigt und dann durch heiße Zinnbäder gezogen. Nun war der eigentliche Kupferleiter vorbereitet und es konnte mit der Kabelproduktion begonnen werden.

Je nach Art der Verwendung wurden die Kabel als Hoch- oder Niederspannungskabel gefertigt. Ein wesentlicher Produktionszweig war die Fertigung von Fernsprech- und Telefonkabeln. Die in den 1920er Jahren stetig wachsende Zahl von Telefonverbindungen führte zu entsprechender Nachfrage und wachsenden Anforderungen bei der Herstellung. Die Kabelwerke stellten dafür in dieser Zeit ein Kabel mit 3.200 Einzeladern her, mit dem bis zu 1.600 Gespräche gleichzeitig geführt werden konnten. Die einzelnen dafür notwendigen Kupferdrähte wurden für Ortsnetze auf 0,5 Millimeter Durchmesser gezogen und bei Fernkabeln auf 1,5 Millimeter. Jede Einzelader bekam eine oder zwei Lagen Isolierpapier auf Telefonader-Umspinnmaschinen umwickelt.

In Paaren oder zu viert wurden die Kabel dann auf entsprechenden Verseilmaschinen zu einer Kabelseele verseilt und diese nochmals mit einem Papiermantel umgeben (Abb. 4, 5). Unter Vakuum getrocknet gelangte die Kabelseele zur Bleipresse und wurde unter Druck mit einem Bleimantel versehen (Abb. 6). Kabel, welche direkt in der Erde oder im Wasser verlegt werden sollten, bekamen noch weitere Schutzmäntel aus einer Isoliermasse aufgezogen. Auf eine Kabeltrommel gewickelt erfolgte abschließend noch die Prüfung der Dichtheit des Kabels bevor es schließlich in den Versand ging (Abb. 7-9). (o.A. 1931, 75-80)

Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten drängten diese die Familie Hirschmann nach und nach aus dem Unternehmen. Siegfried und Bernhard Hirschmann wurden unter dem Vorwand der Bilanzverschleierung zeitweise inhaftiert und genötigt, die Firma viel zu billig zu verkaufen. Alle Verträge im Zusammenhang mit der Führung ihrer Firma wurden gekündigt. Gegen eine Abstandszahlung von 2.500 Mark war damit die sogenannte „Arisierung“ der Kabelwerke vollzogen. Die Gebrüder Hirschmann und ihre Familien verließen Deutschland zwischen 1935 und 1939. Auf Betreiben der Nationalsozialisten erwarben schließlich die „Kabelwerke Rheydt“ im Rheinland mithilfe der Dresdner Bank die meisten Aktien der „Deutschen Kabelwerke“.

Im Jahr 1937 begann die „Deutsche Kabelwerke AG“ in der direkten Nachbarschaft in Ketschendorf mit dem Bau eines neuen Werkes für die Herstellung von kriegswichtigen Reifen sowie Gummierzeugnissen für Panzer und Artilleriegeschütze. Bekanntlich war die „Deka Pneumatik GmbH“ seit 1922 Bestandteil des Unternehmens. Das Werk war von Anfang an als reiner Rüstungsbetrieb zur Versorgung der Deutschen Wehrmacht geplant.

Am 16. April 1945 gab es einen Fliegerangriff auf Fürstenwalde. Obwohl die gesamte Stadt erhebliche Schäden und Zerstörungen zu verzeichnen hatte, blieben die Produktionsstätten der „Deutschen Kabelwerke“ und der „Deka Pneumatik“ nahezu unversehrt. Nach dem Krieg wurden die Werke jedoch demontiert und enteignet.

Quellen

Brandenburgisches Landeshauptarchiv Rep. 75 Deutsche Kabelwerke AG, Ketschendorf [Siehe: Hier]

Literatur

o.A.: Ein Industriedorf der Mark. In: Kreiskalender für den Kreis Beeskow-Storkow 1931, S. 75-80.

Siebke, Ernst: Ketschendorf. Vom Bauernhof zum Industrieort. In: Kreiskalender für den Kreis Beeskow-Storkow 1930, S. 1-8.

Abbildungsnachweis

Abb. 1 https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Deutsche_Kabelwerke_(Briefkopf_1895).jpg#mw-jump-to-license (CC BY-SA 4.0)

Abb. 2-5, 7, 8 Museum Fürstenwalde.

Abb. 6, 9 Kreiskalender Beeskow-Storkow 1931.

Empfohlene Zitierweise

Czech, Vinzenz: Deutsche Kabelwerke AG, publiziert am 03.10.2023; in: Industriegeschichte Brandenburgs, URL: http://www.brandenburgikon.de (TT.MM.JJJJ)

Vinzenz Czech

Einen tiefen Einschnitt der Firmengeschichte der in Erkner bei Berlin ansässigen „Rütgerswerke Aktiengesellschaft“ stellt die Kooperation mit dem belgisch-amerikanischen Erfinder Leo Hendrik Baekeland (1863-1944) dar. Der Chefchemiker der „Rütgerswerke“ Dr. Max Weger (1869-1944) hatte sich mit Generaldirektor Sally Segall (1866-1925) darauf verständigt, Baekeland im Sommer 1909 nach Erkner einzuladen (Retzlaff 2010, 31). Dieser stimmte schließlich einem Verkauf der europäischen Lizenzen für die Herstellung von Bakelite, dem ersten Massenkunststoff, an die „Rütgerswerke“ zu und diese wurden Lizenznehmer und damit der weltweit erste Hersteller. Die Versuchsproduktion erfolgte Ende 1909 unter Wegers Leitung in einem Schuppen, der alten Böttcherei der Firma (Abb. 1). Der Standort Erkner eignete sich für die Herstellung von Bakelite nicht zuletzt deshalb, weil das in Erkner bei der Produktion von Steinkohleteerölen als Abfall entstehende Phenol für den Kunststoff benötigt wurde.

Technischer Direktor der neuen Firma wurde Max Weger, welcher seit 1901 im Forschungslabor der Rütgerswerke angestellt war. „Mit Dr. Max Weger fand Leo Baekeland endlich den Mann, dem er sei­ne Erfindung Bakelit und dessen industrielle Verwertung anvertraute. Schon länger hatte er danach vergeblich in den USA gesucht. Beide lernten sich Ende Juni 1909 bei einem Besuch Baekelands der Rütgerswerke in Erkner kennen. Schon im Frühjahr 1909 hatte Weger durch dessen Veröffentlichungen das Potential dieses neuen Materi­als erkannt und seinem Vorstand empfohlen. Nun überprüfte er Baekelands Erfindung, führte sie in den nächsten Monaten zur Pro­duk­tionsreife im industriellen Maßstab und stimmte dies bei einer USA-Reise im Februar/März 1910 mit Baekeland ab. Am 25. Mai 1910 wurde Weger mit der Gründung der Bakelite Gesellschaft mbH Berlin Erkner als technischer Direktor der Leiter der ersten Bakelite-Fabrik der Welt.“ (Retzlaff 2022). Produzierten die Rütgerswerke 1911 noch 48 Tonnen Bakelit, waren es 1913 bereits 192 Tonnen (Retzlaff 2010, 32), sodass ab 1913 gleich gegenüber der Phenol liefernden Teerraffinerie eine eigenständige Bakelitfabrik in der Flakenstraße (Abb. 2, 3, 4) errichtet wurde. Die volle Kapazität erreichte das Werk kriegsbedingt jedoch erst 1921.

In dieser Zeit kam es auch im globalen Maßstab zum Siegeszug des Bakelits. Es ließ sich bei der Herstellung in jede gewünschte Form pressen, war allerdings danach nicht mehr verformbar (Abb. 5). Die Vielseitigkeit beruhte auch auf einem Eigenschaftsprofil, das seinerzeit seinesgleichen suchte:

Es war hitze- und säurebeständig, unlöslich, kostengünstig herzustellen, leitete den elektrischen Strom nicht und hatte im Vergleich zu Metallen ein erheblich geringeres Gewicht.

Neben der Elektrotechnik entdeckten auch der Maschinenbau, die optische Industrie, die Möbelindustrie, der Automobil-, Flugzeug- und Meßapparatebau das Phenolharz für sich. Außerdem fanden Pressmassen mehr und mehr Verwendung, um Haushaltswaren und andere Gebrauchsgüter des täglichen Bedarfs bzw. deren Gehäuse herzustellen. Die verblüffende Vielfalt der Anwendungsmöglichkeiten illustriert vielleicht am besten die alphabetische Auflistung: Aschenbecher, Billardkugeln, Bleistiftanspitzer, Bremsbeläge (Bindemittel), Bügeleisen, Diabetrachter, Drehknöpfe, Filmkameras, Fotoapparate, Füllfederhalter, Griffe für Töpfe und Pfannen, Knöpfe für Textilien, Haartrockner, Kaffeemaschinen, Küchenmaschinen, Lampenfassungen, Lautsprecher, Lenkräder, Lichtschalter, Nähmaschinen, Radios, Schallplatten, Schweißzangen, Staubsauger, Stecker und Steckdosen, Stempelkissen, Telefone, Verteilerkappen, Wäschesprenger, Zündspulen und, und, und … (Deußing 2018). Der Markenname „Bakelite“ blieb von Beginn an mit dem Unendlichkeitssymbol verknüpft, als Hinweis auf zahllosen Möglichkeiten der Duroplaste (Abb. 6).

Zum bekanntesten und mit Abstand verbreitetsten Phenolharzprodukt wurde der im August 1933 auf der Berliner Funkausstellung vorgestellte, von den nationalsozialistischen Machthabern in zweistelliger Millionenzahl in Auftrag gegebene „Volksempfänger“ (VE 301), ein preiswertes Radio mit Bakelitgehäuse (Abb. 7). Dieses bestand aus holzmehlgefüllter Phenolharz-Schnellpressmasse auf Basis von Novolaken mit Hexamethylentetramin-Härter, hergestellt vorwiegend von der „Bakelite GmbH“ in Erkner und im Presswerk Essen der mit Rütgers konkurrierenden Gesellschaft für Teerverwertung mbH Duisburg-Meiderich (Collin 2007, 17). Mittlerweile hatte nämlich der Wettbewerb eingesetzt, denn Baekelands Patente waren am 31. Januar 1930 abgelaufen; die Monopolstellung der „Bakelite GmbH“ in Erkner hatte seither ein Ende (Retzlaff 2010, 32). Allein in Deutschland stellten nun über 30 weitere Fabriken Phenolharzmassen her.
Das Werk in Erkner produzierte vor allem Kunststoffteile, die in der elektrotechnischen Industrie als Gehäuse und Sicherung Verwendung fanden. Hauptabnehmer waren die in Berlin ansässigen und schnell wachsenden Unternehmen der Elektroindustrie wie Siemens und AEG.

1937/38 entstand dann das Werk II der „Bakelite GmbH“ verkehrsgünsti­g gelegen an der Berliner Straße (Abb. 8). In diesem Zeitraum zählte das Unternehmen bereits 509 Beschäftigte.

Im Sterbejahr Baekelands – und übrigens auch Max Wegers – lag die Phenolharz-Weltproduktion bei 175.000 Tonnen, wozu die deutsche Bakelite Gesellschaft in Erkner mit 13.000 Tonnen rund acht Prozent beisteuerte. Insgesamt wurden in Deutschland 1944 rund 250.000 Tonnen Kunststoffe hergestellt (Collin 2007, 17), davon hauptsächlich duroplastische Phenolharz- und Harnstoffharz-Pressmassen, also Phenoplaste und Aminoplaste.

Am 8. März 1944 zerstörten Luftangriffe der Alliierten Teile des Bakelitwerks und der Teerraffinerie Erkner. Damit die kriegswichtige Phenolharzproduktion nicht einbrach, wurde ein Teil der Produktionsanlagen samt Fachpersonal in die Rütgerswerke München-Pasing und Dohna bei Dresden verlagert (Collin 2007, 18).

Nach Kriegsende wurden wesent­liche Teile der Industrie in Erkner durch die sowjetische Besatzungsmacht demontiert, zerstört oder enteignet. Die Bakelite-Produktion wurde 1948 in der Rütgers-Teerraffinerie München-Pasing und ab 1950 im neuerrichteten Bakelite-Werk Letmathe bei Iserlohn fortgesetzt. Aus dem Werk Erkner entstand 1948 die „VEB Plasta, Kunstharz- und Pressmassenfabrik Erkner“.

Literatur

Collin, Gerd: Julius Rütgers und Erkner (= Erkneraner Hefte; Bd. 6). Erkner 2004.

Collin, Gerd: Leo Hendrik Baekeland und das (die) Bakelit(e). Fürstenwalde: format (= Erkneraner Hefte, 9). Erkner 2007.

Collin, Gerd: Rütgers und Bakelite. In: Freundeskreis Chemie-Museum Erkner e. V. (Hrsg.): Bakelit100 - Kunst­stoff aus Erkner erobert die Welt. Ausstellungskatalog. Erkner 2009, S. 28-29.

Collin, Gerd: Geschichte der Steinkohlenteerchemie am Beispiel der Rütgerswerke. Hamburg 2009.

Deußing, Guido: 11 Jahre Bakelit. Werkstoff im Zeichen der Unendlichkeit. 2018. In: https://www.k-online.de/de/News/111_Jahre_Bakelit_-_Werkstoff_im_Zeichen_der_Unendlichkeit/111_Jahre_Bakelit_-_Werkstoff_im_Zeichen_der_Unendlichkeit (letzter Zugriff: 14.04.2022).

Freundeskreis Chemie-Museum Erkner e. V. (Hrsg.): Bakelit100 - Kunst­stoff aus Erkner erobert die Welt. Ausstellungskatalog. Erkner 2009.

Retzlaff, Frank: Max Weger – der Vater der Bakelite Gesellschaft. In: Freundeskreis Chemie-Museum Erkner e. V. (Hrsg.): Bakelit100 - Kunst­stoff aus Erkner erobert die Welt. Ausstellungskatalog. Erkner 2009, S. 30-33.

Retzlaff, Frank: Max Weger – Vater der Bakelite GmbH. In: http://www.chemieforum-erkner.de/projekte/ausstellung/2009/b100-tagung-vortraege.htm#d (letzter Zugriff: 25.03.2022).

Abbildungsnachweis

Abb. 1, 2, 8 http://www.chemieforum-erkner.de

Abb. 3 SLUB / Deutsche Fotothek / Dieter Möller.

Abb. 4 https://commons.wikimedia.org/wiki/File:IRS_2013_02_08.jpg (Foto: Axolotl Nr. 733 - CC BY-SA 3.0).

Abb. 5 https://nat.museum-digital.de/object/1107792 (ChemieFreunde Erkner - CC-BY-NC-SA).

Abb. 6 https://nat.museum-digital.de/object/184250 (ChemieFreunde Erkner - CC-BY-NC-SA).

Abb. 7 Zeitschrift des Vereins Deutscher Ingenieure, 1931.

Empfohlene Zitierweise

Czech, Vinzenz: Bakelite GmbH, Erkner, publiziert am 06.05.2022; in: Industriegeschichte Brandenburgs, URL: http://www.brandenburgikon.de (TT.MM.JJJJ)