Weseram (Landkreis Havelland) - germanische, awarische und slawische Funde

Felix Biermann, Christoph Lobinger, Thomas Kersting

Südlich des havelländischen Dorfes Weseram (Gemeinde Roskow) liegt direkt nördlich des Haveldeichs im alten Niederungsgebiet des Flusses eine kaum merkliche, etwa ovale Sandkuppe mit Scherben einer slawischen Siedlung (Abb. 1). Sie befindet sich wenig nordöstlich des bekannten slawisch-frühdeutschen „Alten Dorfes“ von Weseram, ebenfalls auf einer flachen Talsandinsel, das Anlass für die Studien zum deutschen und slawischen Siedlungswesen im Havelland von A. Krenzlin war. Unweit südwestlich liegt der mittelslawische Burgwall von Saaringen und ein Hügelgräberfeld des 10./11. Jahrhunderts; südöstlich liegt auf einer Landzunge eine fundreiche spätslawische Siedlung und jenseits der Havel ein reicher kaiserzeitlicher, spätslawischer und frühdeutscher Fundplatz, der „Golmberg“ von Götz. In dieser verkehrsgünstigen, von inselartigen Horsten und Platten in sumpfiger Niederung geprägten Region, zehn Kilometer nordöstlich der Heveller-Hauptburg Brandenburg, entwickelte sich in mittel- und spätslawischer Zeit also eine intensive Besiedlung.

Hier entdeckte Sieghard Wolter (Brandenburg/Havel) eine Konzentration von 13 Sachsen- bzw. Randpfennigen der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts, die Anlass für eine amtliche Nachuntersuchung im Oktober 2016 boten, bei der das Siedlungsareal großflächig mit dem Metalldetektor untersucht wurde (Abb. 2). Dabei konnte die Münzkonzentration nur durch vier Wendenpfennige verdichtet werden; die im Bereich der Münzstreuung sehr sorgfältige Prospektion schließt aus, dass irgendwo noch ein Kern des Schatzes verborgen liegt.

Hier dürfte zwischen 1050 und 1100 ein Beutel oder ein ähnliches Behältnis mit ca. 20 Münzen versteckt worden sein, und zwar angesichts der Scherbenstreuung mitten in der Siedlung. Im Laufe der letzten 900 Jahre ist der Beutel zerfallen, sein Inhalt vom Pflug erfasst und verstreut worden.

Die Prospektion erbrachte auch sonst interessante Funde, die mit der vor- und frühgeschichtlichen sowie mittelalterlichen Siedlungstätigkeit auf dem siedlungs-, verkehrs- und verteidigungsgünstigen Horst in der Havelniederung zusammenhängen. Wenige mittel- und viele spätslawische Scherben in großer Ausdehnung (mindestens 250 m in West-Ost-Ausrichtung) lagen auf der Erhebung. Es wurden zwei weitere Sachsenpfennige derselben Art, dann eine wohl etwas ältere deutsche Silbermünze (um 1000?) sowie das Hackstück eines arabischen Dirhams (wohl 10. Jahrhundert) gefunden (Abb. 3, 4), die als Verlustmünzen aus der Siedlungstätigkeit aufzufassen sind. An weiteren Metallfunden liegen eine eiserne Eimerattasche (?), ein Reiterspornfragment und diverse Bänder und Nägel vor, sowie wenige für spätslawische Siedlungen typische Dinge wie ein punzverzierter Messerscheidenbeschlag, ein Messer und ein bronzenes Messergriffplättchen. Von den Münzen absehen, fehlen Handelsnachweise wie Waagen oder Gewichte, im Übrigen auch Handwerksrelikte. Das spricht für eine wirtschaftlich nicht allzu bedeutende mittel- bis spätslawische Siedlung aus dem 10./11. Jahrhundert, wozu ja auch das bescheidene Sachsenpfennig-Vermögen passt.

Dafür wurden aber mehrere interessante Buntmetall-Trachtstücke aus älteren frühgeschichtlichen Phasen gefunden: Neben einer spätkaiserzeitlichen Fibel mit hohem Nadelhalter und weiteren Bruchstücken von Fibeln und Beschlägen dieser Zeit fand sich auch eine sog. „vendelzeitliche“ gleicharmige Fibel (Abb.  5, 6), die im Süd- und Ostskandinavien des 6. Jahrhunderts verbreitet ist – also in der Völkerwanderungszeit. Ähnliche Fibeln sind auch aus dem westlich angrenzenden Elberaum zwischen Anhalt und Altmark bekannt.

Die außerdem gefundenen beiden wappenförmig gegossenen Riemenbeschläge (jeweils mit zwei Ösen auf der Rückseite) sind hierzulande völlig ungewöhnlich: es handelt sich um Bestandteile spätawarischer Gürtelgarnituren und somit um südliches Fremdgut (Abb.  7, 8). Die Mode der vielteiligen Gürtel mit herabhängenden Nebenriemen ist sowohl bei Nomaden, Byzantinern, Persern, Romanen und Germanen festzustellen, wobei die Herkunft – Steppe oder Mittelmeerraum – in der Forschung umstritten diskutiert wird. Die Vorderseite der beiden Nebenriemenbeschläge ist leider in einem relativen schlechten Zustand erhalten, nur noch vage ist eine florale Rankenornamentik zu erkennen. Ähnlich wie bei der vielteiligen Gürtelmode an sich, wurde auch die Ranken- (und Tier-) Ornamentik auf awarenzeitlichen Beschlägen kontrovers diskutiert, wobei der Einfluss der spätantiken und frühbyzantinischen Kunst bei der Ornamentik awarenzeitlicher Beschläge nicht von der Hand zu weisen ist. Dass aber die Mehrheit der awarenzeitlichen Gürtelbeschläge – und so auch die beiden neuen Weseramer Stücke – keine mediterranen Massenimporte sind, sondern im Karpatenbecken produziert wurden, belegen nicht zuletzt fast identisch gegossene Gegenstände aus dem Karpatenbecken. Absolut chronologisch gehören diese beiden Stücke der zweiten Hälfte des 8. Jahrhunderts an.

Charakteristisch für byzantinische Gürtelschnallen ist die Befestigungsart mittels angegossener Lochzapfen, die auch ein profiliert gegossener, vogel- oder fischförmiger und teilvergoldeter Riemenbeschlag aus Weseram aufweist (Abb. 9). Welche Funktion der Weseramer Beschlag hatte muss jedoch mangels eindeutiger Analogien offenbleiben. Auch aus dem awarenzeitlichen Fundmaterial sind derartige Beschläge nicht bekannt, dennoch weist auch dieses Exemplar auch gewisse Bezüge zum Karpatenbecken auf. Eine Datierung in das 7.-8. Jahrhundert dürfte nicht unwahrscheinlich sein.

Insgesamt überraschen aber diese „fremden“ Funde (Zusammenstellung Abb. 10) auf der im Schwerpunkt deutlich späteren Siedlung. Der Fundplatz mit seinem Münzschatz, zeitgleicher Keramik, aber nur wenigen spätslawischen Kleinfunden macht insgesamt einen etwas inkonsistenten Eindruck. Offenbar wurde die Stelle im 3./4. Jahrhundert, im 6. Jahrhundert, im 8. und im 10./11. Jahrhundert immer wieder besiedelt oder anderweitig genutzt; für eine Nutzung in der späten Völkerwanderungszeit, im langen „dunklen Jahrhundert“ zwischen etwa 550 und 650/70, fehlen Indizien. Zu erwägen wäre allerdings auch, ob einige der früheren Metallfunde erst in spätslawischer Zeit an den Ort gelangten, wo sie als zum Einschmelzen gedachtes Rohmaterial im metallurgischen Kontext Verwendung gefunden haben könnten. Insbesondere für skandinavische Trachtsachen aus der Vendel- und Wikingerzeit im Süden der Ostsee wird das in den letzten Jahren immer wieder vermutet. Argumente für diese Einschätzung sind die oft viel späteren Fundzusammenhänge des betreffenden Sachguts, wie es sich auch in Weseram abzeichnet, die Notwendigkeit der Deckung des slawischen Buntmetallbedarfs durch Importe sowie zuweilen erkennbare Schmelzspuren am Metall.

Während diese Interpretation für die Vendel-Fibel durchaus plausibel erschiene, sind die awarischen und byzantinischen Funde weit schwieriger durch Altmetallhandel zu erklären – die Kontakte des nordwestslawischen Raumes nach Südosten zur Donau waren insgesamt viel geringer als die nach Norden, entsprechende Belege sind trotz unserer neuen Stücke sehr rar, und die naturräumlichen Bedingungen für einen Massenguthandel keinesfalls ideal. Die Neufunde schließen sich einer kleinen Zahl awarischer Militaria, Tracht- und Schmuckstücke aus dem nördlichen westslawischen Raum an – aus Sachsen, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern, die in aller Regel in die späte Awarenzeit, also in das 8. Jahrhunderts, datieren. Neben Handelsverbindungen und allgemeinen Kulturkontakten könnten diese Funde auch auf reiternomadische Präsenz im Slawenland zwischen Elbe und Oder hinweisen, die intensiver war als die kargen Schriftquellen beleuchten. Das geschwächte späte Awarenkhaganat, im Süden nicht mehr schlagkräftig, könnte sich um Tributherrschaft über die polabischen Slawen bemüht, auch Raubzüge und Sklavenjagden in dieser Region durchgeführt haben. Die Einzelfunde von Weseram sind damit nur erste Mosaiksteine eines Gesamtbildes, das erst durch weitere Forschungen komplettiert werden kann.

Insgesamt werfen die bisherigen Untersuchungen in Weseram ein Schlaglicht auf einen interessanten Fundplatz an der Havel, der bisher keine Aufmerksamkeit gefunden hatte und das überraschende wissenschaftliche Potential auch solcher Plätze zu illustrieren vermag.

 

Der Beitrag erschien unter dem Titel: Kersting, Thomas / Biermann, Felix / Lobinger, Christoph / Trappen, H. J.: Kultureller Schmelztiegel Havelland. Ungewöhnliche germanische, awarische und slawische Funde von Weseram, Lkr. Potsdam-Mittelmark. In: Archäologie in Berlin und Brandenburg 2016. Darmstadt 2018, S. 74-75.

Literatur

Biermann, Felix: Über das „dunkle Jahrhundert“ in der späten Völkerwanderungs- und frühen Slawenzeit im nordostdeutschen Raum. In: Biermann, Felix / Kersting, Thomas / Klammt, Anne (Hrsg.): Die frühen Slawen – von der Expansion zu gentes und nationes. Beiträge der Sektion zur slawischen Frühgeschichte des 8. Deutschen Archäologiekongresses in Berlin, 06.–10. Oktober 2014 (= Beiträge zur Ur- und Frühgeschichte Mitteleuropas; 81/1). Langenweißbach 2016, S. 9–26.

Eger, Christoph / Biermann, Felix: Awarische Funde in Mittel- und Ostdeutschland. In: Acta Archäologica Carpathica 44 (2009), S. 137–170.

Kersting, Thomas / Slawinski, Frank: Wikinger-Einfluss in Brandenburg – der slawenzeitliche Fundplatz von Niederjesar, Lkr. Märkisch-Oderland. In: Archäologie in Berlin unf Brandenburg 2015. Darmstadt 2017, S. 85–87.

Krenzlin, Anneliese: Deutsche und slawische Siedlungen im inneren Havelland. In: Ausgrabungen und Funde 1 (1956), S. 174–185.

Schoknecht, Ulrich: Vendelzeitliche Funde aus Mecklenburg-Vorpommern. In: Biermann, Felix / Müller, Ulrich / Terberger, Thomas (Hrsg.): „Die Dinge beobachten…“, FS Günter Mangelsdorf zum 60. Geburtstag (= Archäologie und Geschichte im Ostseeraum; 2). Rahde/Westfalen 2008, S. 123-130.

Abbildungsnachweis

Abb. 1 -9 Th. Kersting, BLDAM.

Abb. 10 Chr. Unglaub, BLDAM.

Empfohlene Zitierweise

Biermann, Felix / Lobinger, Christoph / Kersting, Thomas: Weseram (Landkreis Havelland) - germanische, awarische und slawische Funde, publiziert am 27.11.2023; in: Historisches Lexikon Brandenburgs, URL: http://www.brandenburgikon.de (TT.MM.JJJJ)

Kategorien

Epochen: Ur- und Frühgeschichte
Themen: Archäologie und Siedlung


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