Konfessionswechsel Kurfürst Johann Sigismunds (1613)

Uwe Folwarczny

„Als haben demnach Seiner Churfürstlich Gnaden durch Anregung des Heiligen Geistes …“ (Confessio Sigismundi 1614, A2v).

Am ersten Weihnachtstag des Jahres 1613 feierte Kurfürst Johann Sigismund (reg. 1608–1619) (Abb. 1) in der Cöllner Domkirche das Abendmahl nach reformierten Ritus. Mit diesem Akt der Konversion machte der Kurfürst öffentlich, was er seinen Räten und den Predigern von Berlin und Cölln bereits wenige Tage zuvor, am 18. Dezember, mitgeteilt hatte: Er konvertierte vom Luthertum zum reformierten Glauben – einer Ausprägung des Calvinismus (Hering 1778, 51-55). Diese Konversion des Jahres 1613 sollte die brandenburgische Geschichte auf Jahrhunderte nachhaltig prägen. Und auch für heutige Zeitgenossen hat sie deutliche Spuren hinterlassen.

Über die Beweggründe der Konversion ist in der Literatur viel geschrieben worden: War sie eher politisch motiviert oder speiste sie sich doch aus religiösen Überzeugungen? Zu einer eindeutigen Antwort ist die Forschung bislang nicht gelangt. So eröffnete die Konversion neben politischen Möglichkeiten auch zahlreiche Konfliktzonen. Auch gebärdete sich Kurfürst Johann Sigismund weniger als frommer Betefürst. Vielmehr war er durchaus dem Zechen und der Jagd zugeneigt. Die Forschung hat sich daher zuletzt auf das Umfeld des Kurfürsten als Triebfeder der Konversion konzentriert. In seiner direkten Umgebung befanden sich mehrere reformierte Räte, denen er sein Ohr und sein Vertrauen schenkte. Deren Einflussnahmen werden einen nicht zu unterschätzenden Anteil an der Konversion des Kurfürsten gehabt haben (siehe u.a. Burghardt 2012, 85-89; Delius 1977, 125-129; Neugebauer 2009, 139-145).

Widerstände

Die Konversion des Kurfürsten Johann Sigismunds stieß in der Mark Brandenburg und darüber hinaus auf wenig Verständnis. Zu fest war das Luthertum Wittenberger Prägung in der Mark Brandenburg verwurzelt. Zu sehr hatten sich am Vorabend des Dreißigjährigen Krieges die konfessionellen Fronten zwischen Lutheranern, Katholiken und Reformierten verhärtet. Nach gegenseitigem Verständnis, gar nach Toleranz suchte man vergebens. Die Widerstände innerhalb der brandenburgischen Bevölkerung waren groß. Neben den Hofpredigern Martin Füssel und Salomon Finck bekannten sich daher nur wenige Räte des Kurfürsten sowie seine Brüder Johann Georg und Ernst zum Reformiertentum. Anna von Preußen, die Frau des Kurfürsten, blieb indes lutherisch. Die konfessionelle Spaltung drang somit bis in die kurfürstliche Familie vor.

Zwingen konnte der Kurfürst seine Untertanen nicht, ihm in seiner Konversion zu folgen. Zwar gestand der Augsburger Religionsfrieden des Jahres 1555 den Reichsfürsten mit dem ius reformandi das Recht zu, ihren Untertanen die Konfession vorzugeben. Doch beschränkte sich dieses Recht nur auf das Luthertum und auf den Katholizismus. Das Reformiertentum war nicht Bestandteil dieser Regelung (Gotthard 2004, 100-126). Dem Kurfürsten waren daher die Hände gebunden. Freiwillig wollten diese das Reformiertentum auch nicht annehmen. Im Mai 1614 veröffentlichte Johann Sigismund daher mit der sogenannten „Confessio Sigismundi“ sein Glaubensbekenntnis, dass jedem lutherischen Untertanen freistellte, bei seiner Konfession zu verbleiben: „[…] weil der Glaube nicht jedermans Ding ist, sondern ein Werck und Geschenck Gottes, und niemand zugelassen über die Gewissen zu herrschen […], als wollen Seine Churfürstlich Gnaden auch zu dieser Bekäntniß keinen Unterthanen öffentlich oder heimlich wider seinen Willen zwingen“ (Confessio Sigismundi 1614, B4v).

Doch trotz des gemäßigten und auf gegenseitiges Verständnis abzielenden Tenors dieser Schrift, vermochte der Kurfürst die erregten Gemüter nicht zu beruhigen. So schrieb der kurbrandenburgische Theologe Simon Gedicke, die „Heilige Schrift und Kalvinische Lehre [seien] so weit von und wider einander […] als Christus und Belial, Licht und Finsternis, Himmel und Hölle, Lüge und Wahrheit“ (Gedicke 1620, A4v). Gedicke musste daraufhin aus Brandenburg emigrieren. Von Sachsen aus beteiligte er sich gemeinsam mit zahlreichen Theologen inner- und außerhalb Brandenburgs am sich nun entwickelnden Schriftenstreit zur Konversion. Allein zwischen 1614 und 1617 erschienen in diesem Zusammenhang über 200 Schriften. Die gegenseitigen Vorwürfe verloren jedes Maß und „verzerrten die Gegensätze zu Fratzen“ (Faden 1954, 31). Gemäßigte Stimmen, die auf einen Ausgleich bedacht waren, wurden mundtot gemacht (Faden 1954, 31).

Ein im Februar 1614 vom Kurfürsten erlassenes Edikt („Lästeredikt“), dass den Geistlichen Brandenburgs das Schmähen und Lästern gegen Andersgläubige verbot, sowie ein für Oktober 1614 einberufenes und auf Ausgleich bedachtes Religionsgespräch, vermochten die Wogen nicht zu glätten (Schultze 2011, 192; Schindling/Rudersdorf 1990, 56f.). Seinen Höhepunkt erreichte der Widerstand gegen die Konversion und die Angst vor einer Ausbreitung des Reformiertentums in Brandenburg mit dem Berliner Tumult des Jahres 1615.

Anlass des Berliner Tumults war die durch den Markgrafen Johann Georg, dem Bruder des Kurfürsten, angeordnete Räumung des Berliner Doms von Bildwerken und Altären. Aus Sicht der Reformierten sollten somit die letzten katholischen Reste aus der Kirche entfernt werden, um sich frei von Bildnissen auf die reine christliche Lehre besinnen zu können. Hierbei wurde am helllichten Tage jedoch recht rabiat vorgegangen. So soll auch das Triumphkreuz des Doms entfernt, zerstört und in die Spree geworfen worden sein (Hering 1778, 281-284). Der Diakon der Petrikirche Peter Stüler hielt daraufhin eine scharfe Predigt gegen das Reformiertentum und dessen Anhänger. Während Stüler nach seiner Predigt aus Angst vor Verfolgung aus der Stadt floh, versammelten sich mehrere Gesellen und Bürger in der Nacht vom 3. auf den 4. April vor seinem Haus in der Brüderstraße, um den Geflohenen zu beschützen. Reichlich ausgeschenktes Freibier soll die Stimmung weiter aufgekocht haben. Da sich Kurfürst Johann Sigismund zu diesem Zeitpunkt auf einer Reise befand, bemühte sich dessen Bruder Johann Georg, der als Statthalter in Berlin geblieben war, die Versammelten zu beruhigen. Doch es half nichts, das Misstrauen saß zu tief und der Alkohol benebelte die Köpfe. Es fielen Schüsse, die Sturmglocken der Stadt wurden geläutet und der Statthalter durch Steinwürfe verletzt. Während sich dieser zurückzog, wurde das Haus des reformierten Predigers Martin Füssel gestürmt und geplündert. Die Versammlung löste sich daraufhin auf. Das Diebesgut wurde davongeschafft und es kehrte wieder Ruhe ein. Es folgte eine umfangreiche Untersuchung mit Zeugenvernehmungen, die insgesamt drei Monate andauerten. Die gesammelten Beweise wurden dem sächsischen Schöffenstuhl in Leipzig mit der Bitte um einen Schiedsspruch vorgelegt. Dieses fällte im Dezember 1615 sein Urteil: Der Diakon Peter Stüler wurde des Landes verwiesen sowie mehrere Plünderer, die sich bereits abgesetzt hatten, zur Fahndung ausgeschrieben (Faden 1954, 32-42).

Hofcalvinismus und Toleranz

In Anbetracht der erheblichen Widerstände sagte Johann Sigismund den brandenburgischen Ständen im Jahre 1615 die freie Religionsausübung nach der Augsburger Konfession verbindlich zu (Neugebauer 2009, 141; Schindling/Rudersdorf 1990, 59f). Lutheraner und Reformierte einigten sich demnach auf ein Nebeneinander, das beide nicht angestrebt hatten. Es war daher „eine Duldung wider Willen und keine wirkliche Toleranz“ (Faden 1954, 43). Dennoch bot diese Einigung die Möglichkeit eines friedlichen Miteinanders der beiden Konfessionen und den Beginn eines ersten Toleranzdenkens. Das Reformiertentum blieb im Folgenden auf den kurbrandenburgischen Hof in Berlin-Cölln und dessen unmittelbare Umgebung als eine „elitäre Minderheitenreligion“ begrenzt. Deren Mitgliedern kam aufgrund ihrer exponierten Stellung jedoch ein beträchtlicher politischer und kultureller Einfluss in Regierung und Verwaltung zu (Schindling/Rudersdorf 1990, 60).

Johann Sigismund und seinen Amtsnachfolgern war im Folgenden daran gelegen, mittels einer gezielten Konfessionspolitik das Reformiertentum im Rahmen des Möglichen zu fördern. So wurden Reformierte unter den hohen Amtsträgern bevorzugt und zu Hofpredigern ernannt. Auch wurde das Joachimsthalsche Gymnasium, dessen Patronat allein beim Kurfürsten lag, zu einer reformierten Lehranstalt umgestaltet und an der Universität zu Frankfurt an der Oder wurden vermehrt reformierte Universitätsprofessoren berufen. Einen erheblichen Schub erhielt das brandenburgische Reformiertentum mit dem im Jahre 1685 von Kurfürst Friedrich Wilhelm (reg. 1640-1688) erlassenen Edikt von Potsdam. Der auch als „Toleranzedikt“ bezeichnete Erlass gestattete es tausenden, in Frankreich aufgrund ihrer calvinistischen Konfession verfolgten Hugenotten, sich in Brandenburg niederzulassen (Asche 2006, 129-141). Die zahlreich nach Brandenburg und insbesondere nach Berlin strömenden Glaubensflüchtlinge stärkten nicht nur die Position des Reformiertentums, sie gaben auch erhebliche wirtschaftliche und kulturelle Impulse (Abb. 2). So befanden sich unter den Einwanderern zahlreiche spezialisierte Handwerker wie Tuchmacher, Uhrmacher und Spiegelhersteller sowie Kaufleute und Apotheker. Sie machten in Brandenburg u.a. den Spargel populär und hinterließen zahlreiche Spuren in der Sprache. Noch heute feiert die reformierte Gemeinde in der 1685 eingeweihten Schlosskirche in Köpenick (Abb. 3) ihre Gottesdienste und die 1613 erlassene „Confessio Sigismundi“ bildet eine der Bekenntnisschriften der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland, der die Evangelische Kirche der Union im Jahre 2003 beigetreten ist (Kirchenverfassung EKM 2008; Gemeinsam Evangelisch 2016).

Die Konversion des Kurfürsten Johann Sigismund im Jahre 1613 und die hierauf folgenden Maßnahmen zur Stärkung des Reformiertentums in Brandenburg haben zu keinem Zeitpunkt zu einer Umkehrung der Konfessionsverhältnisse in Brandenburg geführt. Das Luthertum bildet bis auf den heutigen Tag die größte Religionsgemeinschaft in Berlin-Brandenburg. Dennoch hat das Reformiertentum zahlreiche Impulse gegeben und Spuren in Brandenburg hinterlassen, die sich dem aufmerksamen Zeitgenossen bis auf den heutigen Tag eröffnen.

Quellen

Confessio Fidei Joannis Sigismundi, Electoris Brandenburgici, Berlin 1614 [Siehe: Hier]

Gedicke, Simon: Antipistorius, Oder Widerlegung des Calvinischen Politici Simonis Ulrich Pistoris in Seuselitz, der in seiner andern Antwort unter einer F. Person Nahmen, die verdampte Calvinisterey wider D. Simonem Gediccum zu salviren sich unterstanden, und dieselbe dem Berlinischen Reformation Werck einverleibet hat. Und werden hierin die fürnemsten Argument der Sacramentierer, sonderlich aber Pistoris, Pelargi […] widerleget [Leipzig] 1620.

Verfassung der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland (Kirchenverfassung EKM – KVerfEKM) vom 5. Juli 2008. Herausgegeben vom Kirchenamt der Föderation Evangelischer Kirchen in Mitteldeutschland.

Literatur

Asche, Matthias: Neusiedler im verheerten Land. Kriegsfolgenbewältigung, Migrationssteuerung und Konfessionspolitik im Zeichen des Landeswiederaufbaus. Die Mark Brandenburg nach den Kriegen des 17. Jahrhunderts. Münster 2006.

Burghardt, Franz Josef: Zwischen Fundamentalismus und Toleranz. Calvinistische Einflüsse auf Kurfürst Johann Sigismund von Brandenburg vor seiner Konversion. Berlin 2012.

Burghardt, Franz Josef: Brandenburg 1618–1688. Hofcalvinismus und Territorienkomplex. In: Selderhuis, Herman J. / Ravenswaay, J. Marius J. Lang van (Hrsg.): Reformed Majorities in Early Modern Europe. Göttingen 2015, S. 111–138.

Delius, Walter: Der Konfessionswechsel des Brandenburgischen Kurfürsten Johann Sigismund. Eine Berliner Weihnachtsüberraschung am Anfang des 17. Jahrhunderts. In: Jahrbuch für Berlin-Brandenburgische Kirchengeschichte 50 (1977), S. 125–129.

Faden, Eberhard: Der Berliner Tumult von 1615. In: Jahrbuch für brandenburgische Landesgeschichte 5 (1954), S. 27–45.

Gemeinsam evangelisch. 200 Jahre lutherisch-reformierte Unionen in Deutschland, hrsg. im Auftrag des Präsidiums vom Amt der UEK. Hannover 2016.

Gotthard, Axel: Der Augsburger Religionsfrieden. Münster 2004.

Hering, Daniel Heinrich: Historische Nachricht von dem ersten Anfang der Evangel.-Reformierten Kirche in Brandenburg und Preußen. Halle 1778.

Neugebauer, Wolfgang (Hrsg.): Handbuch der Preußischen Geschichte. Bd. 1: Das 17. und 18. Jahrhundert und große Themen der Geschichte Preußens. Berlin/New York 2009.

Rudersdorf, Manfred / Schindling, Anton: Kurbrandenburg. In: Schindling, Anton / Ziegler, Walter (Hrsg.): Die Territorien des Reichs im Zeitalter der Reformation und Konfessionalisierung. Land und Konfession 1500–1650. Bd. 2. Münster 1990, S. 34–67.

Schultze, Johannes: Die Mark Brandenburg. Bd. 1–5. 4. Aufl. Berlin 2011.

Abbildungsnachweis

Abb. 1 Preußen - Versuch einer Bilanz. Ausstellungskatalog in 5 Bänden hrsg. von Gottfried Korff (Berlin 1981), Bd. 1, S. 88.

Abb. 2 https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Relief_1885.jpg:Relief_1885.jpg

Abb. 3 Autor

Empfohlene Zitierweise

Folwarczny, Uwe: Konfessionswechsel Kurfürst Johann Sigismunds (1613), publiziert am 30.08.2021; in: Historisches Lexikon Brandenburgs, URL: http://www.brandenburgikon.de (TT.MM.JJJJ)

Kategorien

Epochen: Konfessionelles Zeitalter
Themen: Herrschaft und Verwaltung - Religion und Kirche


Wir nutzen Cookies auf unserer Website. Einige von ihnen sind essenziell für den Betrieb der Seite, während andere uns helfen, diese Website und die Nutzererfahrung zu verbessern (Tracking Cookies). Sie können selbst entscheiden, ob Sie die Cookies zulassen möchten. Bitte beachten Sie, dass bei einer Ablehnung womöglich nicht mehr alle Funktionalitäten der Seite zur Verfügung stehen.