Paul Sperber

1945: Stunde Null in Brandenburg

Die meisten Männer im Krieg gefallen, die Verwaltung kollabiert, verwüstete Landstriche und zerstörte Städte. Der von Hitler begonnene Zweite Weltkrieg hatte besonders in Brandenburg bis 1945 schwere Schäden verursacht. Auch die Strom- und Wasserversorgung waren zusammengebrochen. Die sowjetische Besatzungsmacht hatte anfangs zudem größte Schwierigkeiten, Verwaltungsstrukturen in der Mark zu reorganisieren. Dazu kam, dass rund 45% der industriellen Kapazitäten Brandenburgs verloren gegangen waren, 12% der Fabriken waren gänzlich ruinös. Der Verlust der noch verwertbaren Produktionseinheiten durch die sowjetische Demontage schwächte die wirtschaftliche Infrastruktur seinerzeit noch weiter. Erst nach einiger Zeit begann die Sowjetische Militäradministration (SMAD) zusammen mit den vor Ort agierenden Antifaschistischen Ausschüssen mit der Wiederherstellung und dem erneuten Aufbau der Versorgung der Bevölkerung.

Zwischen Demontage und Aufbau

Zu Kriegsende registrierten die Messinstrumente im Kraftwerk Heegermühle permanent starke Spannungsschwankungen, was auf die Beschädigungen und Zerstörungen der Stromleitungen in Brandenburg zurückzuführen sein dürfte. Das Kraftwerk stellte wohl erst am 24. April 1945 seinen Betrieb ein, nachdem man zuvor versucht hatte, die Stromversorgung noch so lange wie möglich aufrechtzuerhalten.

Bemerkenswerterweise hatten die Industriebetriebe entlang des Finowkanals selbst die Verheerungen des Krieges weitgehend unversehrt überstanden, im Gegensatz zu den Schleusen entlang des Kanals. Dabei hätte auch das Kraftwerk gemäß Hitlers „Nero-Befehl“ durch Sprengsätze zerstört werden sollen. Obwohl ihm die Betriebsdirektion der Märkischen Elektrizitätswerke AG (MEW) die Ausführung angeordnet hatte, weigerte sich der damalige Betriebsingenieur Standke jedoch, da ihm die Sinnlosigkeit des „Nero-Befehls“ bewusst war. Dagegen stieg Standke später sogar zum Betriebsleiter der MEW auf, da er mit den Siegermächten für den Wiederaufbau der regionalen Stromversorgung kooperierte.

Dennoch blieb auch das Heegermühler Kraftwerk nicht von den Reparationsforderungen und Demontagen durch die sowjetische Besatzungsmacht verschont. Beide 25 MW-Turbogeneratoren, inklusive der dazugehörigen Kessel und der Schornstein des Kesselhauses, sollten in die Sowjetunion abtransportiert werden. Einer davon verblieb jedoch letztlich trotz der bereits aufgebrachten russischen Beschriftung vor Ort. Zugleich arbeitete die Belegschaft mit Hochdruck daran, Lösungen für die technischen Probleme und Schäden nach dem Zusammenbruch des Stromnetzes zu finden. Und tatsächlich nahm das Kraftwerk Heegermühle bereits zwischen Juni und Juli 1945 wieder seinen Betrieb auf (Abb. 1), wenn auch erst einmal nur in kleinem Rahmen und wenig kontinuierlich. Nicht nur beeinträchtigten die technischen Mängel eine konstante Stromversorgung, sondern auch der fehlende, regelmäßige Rohstoffnachschub. Erst gegen Ende des Jahres gelang es, das Stromnetz weitgehend wiederherzustellen. 1947 setzte sich der Wiederaufbau fort, indem sogar einige Wohnungen im nebenstehenden 50 kV-Schalthaus des Kraftwerks eingebaut wurden (Abb. 2).

Von der Warmwasserbadeanstalt zum Netzbetrieb Eberswalde

In der Nachkriegszeit diente der Kühlwasserausfluss des Kraftwerks in den Finowkanal vielen Kindern im Sommer als „Warmwasserbadeanstalt“, wie der Zeitzeuge Helmut Adams es bezeichnete. Der MEW gelang es indes, sich dem Enteignungswillen der neuen Machthaber zu entziehen. So sollte der Konzern als landeseigene Aktiengesellschaft fortbestehen. Kurz darauf wurde die MEW in Brandenburgisch-Mecklenburgische Elektrizitätswerke AG (BMEW) umbenannt.

1950 gliederte die SED-Führung das Kraftwerk Heegermühle als „Netzbetrieb Eberswalde“ in den neu gebildeten Energiebezirk Nord ein, 1958 in den VEB Energieversorgung Frankfurt/Oder (Abb. 3). So technisch veraltet, wie die Anlage bereits vor 1945 gewesen sei, so nützlich war es doch der SMAD und später der jungen DDR für den Wiederaufbau der örtlichen Energieinfrastruktur und später zur Erfüllung des Energieplans. Während Anfang der 1950er Jahre eine der 6 MW-Turbinen entfernt und zwischen 1950 und 1965 die Kohlentransportanlage umgebaut wurde, erhielt es ab 1951 neue Bahngleise, Weichen sowie erneuerte Rangiergleise, um die Kohlenversorgung zu verbessern. Gleichzeitig installierte man die Abluftanlage neu, was wiederum die Emissionen des Kraftwerks um 80% senkte, und baute eine automatische Druckwasserentaschung ein. Für die Belegschaft richtete man 1952 ein betriebseigenes Kulturhaus mit einer Bibliothek, einer Küche und modernen Sanitäranlagen ein, um die schweren Arbeitsbedingungen zumindest etwas auszugleichen. Die weiteren technischen Anlagen wurden bis 1965 stetig modernisiert.

1959 feierte das Kraftwerk Heegermühle sein 50-jähriges Betriebsjubiläum. Noch Anfang 1962 projektierte die Bezirksleitung die Strom- und Fernwärmeversorgung des VEB Betonwerks Eberswalde durch das Elektrizitätswerk (Abb. 4). Die Planungen sahen einen entsprechenden, konstanten Betrieb ab 1967 vor, doch dazu sollte es nicht mehr kommen.

Ein Heizwerk im Dienste des Sozialismus

In den 1960er Jahren war der Wiederaufbau Eberswaldes in vollem Gange. Die Stadtverwaltung beschloss zu jener Zeit, mindestens einen Teil der Stadt mit Fernwärme zu versorgen, insbesondere die vielen neuen Wohnviertel der Werktätigen der örtlichen volkseigenen Betriebe.

Am 13. Oktober 1965 legte ein Schaden an der Generatorwicklung die gesamte Stromproduktion des Heegermühler Kraftwerks lahm. Vor dem Hintergrund der aufwendigen Reparaturarbeiten, der trotz aller Modernisierungen veralteten und verschlissenen technischen Anlagen und dem Bedarf an Fernwärme entschied man sich, das Elektrizitätswerk in ein leistungsstarkes Heizkraftwerk umzuwandeln (Abb. 5). Die verbliebenen Turbinen samt Generatoren wurden nun ausgebaut, im Stahlwerk in Brandenburg an der Havel demontiert und dort eingeschmolzen. Nach Fertigstellung der Umrüstung und Wiederinbetriebnahme als Heizwerk Finow (auch „Heizwerk Wolfswinkler Straße“ oder „Heizwerk I“ genannt) versorgte dieses die umliegenden neuen Wohnviertel von Finow-Ost, wie den Kopernikusring oder auch den Karl-Marx-Ring mit Fernwärme.

Zwischen 1970 und 1989 wurden alle Kesselanlagen bis auf eine aus dem Heizwerk Finow ausgebaut und verschrottet, ebenso die acht charakteristischen blechernen Schornsteine. Es zeichnete sich die Ablösung des einstigen Kraftwerks durch die Heizwerke I und II in der Hans-und-Hilde-Coppi-Straße ab. Dies ist besonders vor dem Hintergrund bemerkenswert, da es seinerzeit in Eberswalde über 50 mehr oder weniger leistungsstrake Fernwärmeanlagen gegeben hat (z. B. das Heizwerk der NVA in der Winkelstraße), welche sich in insgesamt sechs Versorgungssprengeln über das Stadtgebiet verteilten, jedoch mit dem ständig steigenden Fernwärmebedarf aufgrund des massenhaften Wohnungsbaus kaum Schritt halten konnten.

Der verbleibende Kessel benötigte pro Stunde etwa 60 t Kohle (1.440 t pro Tag, rund 525.000 t pro Jahr) bei kontinuierlichem Betrieb. Im republikweiten Vergleich gab es zu jener Zeit bereits weitaus effizientere Anlagen, gegen die das Heizwerk Finow schlichtweg mit der Zeit ausgedient hatte.

Von der Treuhandanstalt bis in die Gegenwart

Im Vergleich mit denen der alten Bundesländer waren die Eberswalder Kraftwerksanlagen weitgehend veraltet, nicht selten verschlissen. Etwa die Hälfte der eingesetzten Dampfkessel wurden seit 20 Jahren oder länger betrieben, ihre Effizienz war oft bestenfalls mangelhaft. Die technische Ausstattung des Heizwerks Finow ist hierfür ein probates Beispiel. Als die Berliner Mauer fiel, war nur der neunte Kessel im nördlichen Anbau noch bis 1991 in Betrieb, wenn auch letztlich eher vertretungsweise. Kurz darauf wurde Klingenbergs Kraftwerk Heegermühle endgültig stillgelegt, da auch der örtliche Fernwärmebedarf zu dieser Zeit bereits zurückgegangen war. Die Treuhandanstalt löste das Werk aus dem Energieversorgungskombinat heraus und privatisierte es Anfang der 1990er Jahre an PreussenElektra, bevor es von der Oder-Spree Energieversorgung Aktiengesellschaft (OSE AG) übernommen wurde. Nach dem Abzug der sowjetischen Truppen verfiel auch das einstige MEW-Verwaltungsgebäude an der Heegermühler Straße 19 in Eberswalde, bevor dieses 2015 zugunsten eines Fachmarktzentrums abgerissen wurde.

Seit 1990 befindet sich das einstige Kraftwerk Heegermühle in einem desolaten Zustand. Seit 1997 ist es in der Denkmalliste des Landes Brandenburg aufgenommen. Doch die damals ohnehin schlechte Ausgangslage, Vandalismus sowie Umwelteinflüsse und Korrosion lassen das Baudenkmal heute sukzessive verfallen. 2006 wurde das Kesselhaus wegen Baufälligkeit abgerissen. Die an der einst innen liegenden Verbindungsmauer zum Maschinenhaus eingesetzten Ziegelsteine sind jedoch, im Gegensatz zu den restlichen, nicht frostbeständig, was Erosionen nach sich zieht. Auch das Dach ist bereits undicht und die Wasserableitungssysteme defekt, sodass das Mauerwerk selbst durchfeuchtet wird. Für eine fachgerechte und angemessene Sanierung des Kraftwerks fehlen seit 1997 die finanziellen Mittel, obgleich es um 2009/2010 Planungen zur Sanierung und Neunutzung des Denkmals gegeben hat, die jedoch bis heute nicht umgesetzt wurden. Zuletzt waren immer wieder Gerüchte über eine Veräußerung an private Käufer und über Pläne zur Einrichtung von Wohnraum im Kraftwerk Heegermühle aufgetaucht, zu denen es von offizieller Seite bislang jedoch keine Äußerungen gibt. Seither befindet sich das einstige Kraftwerk Heegermühle in einem beklagenswerten Zustand (Abb. 6-8).

Quellen

Kreisarchiv Barnim Eberswalde

Signatur P.02.01.-6/52 Energiewirtschaft. Märkisches Elektrizitätswerk (MEW) nach 1956 [Handakte].

Märkische Oder-Zeitung

13./14. 06. 2020, S. 15 Industriedenkmal hat neuen Eigentümer.

02. 03. 2021, S. 14 Burckhardt, Thomas: Neue Eigentümer des alten Kraftwerks am Finowkanal bleiben geheim.

Literatur (Auswahl)

Rohowski, Ilona: Denkmale in Brandenburg. Landkreis Barnim. Teil 1: Stadt Eberswalde. Worms am Rhein 1997.

Sperber, Paul: Das Kraftwerk Heegermühle und die industrielle Blüte im Finowtal. Eine architektur-, kunst- und industriehistorische Betrachtung im Kontext der Entwicklung der deutschen Elektroindustrie und dem Aspekt der Baudenkmalpflege (= Zeugnisse der Architekturgeschichte; Bd. 1). Eberswalde 2022.

Sperber, Paul: Einzigartiges Industriedenkmal oder volkseigene Ruine? Die Bedeutung des Kraftwerks Heegermühle als Zeugnis brandenburgischer Industriekultur und elektrotechnischen Pioniergeistes. In: Brandenburgisches Landesamt für Denkmalpflege und Archäologisches Landesmuseum (Hrsg.): Brandenburgische Denkmalpflege. Jahrgang 9. Heft 2. Wünsdorf 2023, S. 57-64.

Tetzlaff, Christian: Das ehemalige Kraftwerk Heegermühle. In: Verein für Heimatkunde zu Eberswalde e. V. (Hrsg.): Eberswalder Jahrbuch für Heimat-, Kultur- und Naturgeschichte 1996/1997. Eberswalde 1996, S. 126-137.

Abbildungsnachweis

Abb. 1 Kreisarchiv Barnim (Signatur: P.01.03.0560).

Abb. 2 Kreisarchiv Barnim (Signatur: C II BauE, Nr. 11613).

Abb. 3 Sammlung Sperber.

Abb. 4 Kreisarchiv Barnim (Signatur: D I Rat des Kreises Eberswalde, Nr. 2287).

Abb. 5 Fotografie von Karl-Dietrich Laffin; Sammlung Sperber.

Abb. 6-8 Fotografie von Paul Sperber, 2019.

Empfohlene Zitierweise

Sperber, Paul: Kraftwerk Heegermühle (nach 1945), publiziert am 30.06.2025; in: Industriegeschichte Brandenburgs, URL: http://www.brandenburgikon.de (TT.MM.JJJJ)

Benjamin Pinchas Unglaub

Nach 1945 befand man sich in der sowjetischen Besatzungszone in der prekären Lage, zwar über eine ehemals starke verarbeitende Industrie (Maschinenbau, Fahrzeugbau usw.) zu verfügen, jedoch nur sehr wenig Grundstofferzeugung vorzufinden. Dies war durch die regionale Arbeitsteilung im deutschen Reich bis 1945 kein Problem: Eisen, Stahl und andere wichtige Grundstoffe konnten leicht z.B. aus dem Rhein-Ruhr-Gebiet bezogen werden (Karlsch 1993, 42f.). Nun jedoch gestaltete sich dies deutlich komplizierter.

Ein einziges größeres Hüttenwerk, die Maxhütte in Unterwellenborn, war in der SBZ verblieben. Dazu kamen bereits kurz nach Kriegsende die sowjetischen Demontagen, die besonders auch die Eisen- und Stahlindustrie schwer trafen. Ein Großteil der Kapazitäten der Branche ging dadurch verloren (Karlsch 1993, 55ff.). Gleichzeitig bestand ein hoher Bedarf an Eisen und Stahl, um einerseits Reparationsleistungen an die UdSSR zu erfüllen, andererseits die Kriegszerstörungen zu beheben.

Vor diesem Hintergrund wurde schon ab 1948 der Bau eines neuen Hochofenwerkes diskutiert. Als schon damals ökonomisch besonders günstiger Standort für ein solches Werk galt eine Lage an der Küste. Denn eigene Vorkommen an Rohstoffen (in erster Linie Erz und Steinkohle) gab es in der SBZ/DDR kaum. Das Erz war meist von niedriger Qualität und auf Dauer nicht ausreichend, Steinkohle gab es bis auf einige kleine Vorkommen in Sachsen gar nicht (Eckart 1988, 23ff.). Wenn aber Rohstoffe importiert werden müssen, war und ist der Schiffstransport direkt zum Werk unschlagbar günstig. Dies ist die ökonomische Seite einer Standortwahl.

Über den realen Bedarf der Vergrößerung der Roheisenerzeugung hinaus hat auch noch ein anderer, politisch-sozialer Grund bei der Entscheidung für den Aufbau eines Hochofenwerkes eine Rolle gespielt: In der Sowjetunion war die Industrialisierung stark von der Grundstoffindustrie her forciert worden. Diese Vorgehensweise war dann bereits in den 1930er-Jahren in den Rang einer Theorie („sowjetische Industrialisierung“) erhoben worden. Die Industrie diente hier als Werkzeug zur ökonomischen Stärkung, wie auch als Mittel der Etablierung des Herrschafts- und Gesellschaftssystems (die hier ins Leben gerufene Arbeiterschaft sollte eine Massenbasis für die KPdSU schaffen, die es bisher in der agrarisch geprägten UdSSR kaum gab) (Boetticher 1979, 5). Nach 1945 kam es zu einer teilweisen Übertragung dieses Ansatzes auf die ostmitteleuropäischen Staaten im Einflussgebiet der UdSSR (Schultz 1999, 110), wenn auch die Ausprägungen unterschiedlich waren und manche Stimmen auch weniger von einer dezidiert „sozialistischen Industrialisierung“ sprechen wollten. (zum Ländervergleich: Jajeśniak-Quast 2010, zur Debatte um sozialistische Industrialisierung u.a.: Roesler 1987 und Hübner 1988).

Gegen einen per se sinnvollen Küstenstandort gab es nun von verschiedenen Seiten Bedenken, vor allem in Hinblick auf verteidigungspolitische Gesichtspunkte. Sowohl die sowjetische Kontrollkommission als auch Walter Ulbricht opponierten gegen die Küstenlage (Vgl. u.a.: Niederschrift der Geländebesichtigung, BArch, DE 1/11123, Bl. 1f.). In den Fokus geriet die Ostgrenze der SBZ/DDR, diskutiert wurden unter anderem Ueckermünde, Eberswalde, Frankfurt/Oder und Fürstenberg (Oder) (Vgl. u.a.: Ministerium für Aufbau, HA I Landesplanung, Gutachten zum Standort, 25.07.1950, BArch, DE 1/11123, Bl. 5ff.). Fürstenberg war bis dahin ein wenig bedeutendes Städtchen, geprägt durch die Oderschifffahrt und seit den 1940er-Jahren eine chemische Fabrik der Degussa (EKO 2000, 27f).

Neben den verteidigungspolitischen Argumenten haben wahrscheinlich jedoch auch soziale und politische Fragen (im Sinne der „sozialistischen Industrialisierung“) den Standort bestimmt: Nach Kriegsende waren zahlreiche Flüchtlinge aus den ehemaligen „Ostgebieten“ im Oderraum eingetroffen, die ganze Region lechzte nach Arbeitsplätzen (Ludwig 1999, 55ff.). Ferner ging es der SED-Führung wohl auch um ein „Leuchtturmprojekt“ in einer weniger entwickelten Region (sozialistischen Industrialisierung!). Dieses Argument wird in der Literatur mehrfach angeführt, mit zeitgenössischen Quellen lässt es sich jedoch nur dünn belegen (Černy 1970, Richter1997).

Auf dem III. Parteitag der SED am 20.07.1950 wurde dann offiziell beschlossen, ein Hüttenwerk in Fürstenberg an der Oder (später mit der neu errichteten Wohnstadt zu Eisenhüttenstadt vereinigt) zu errichten (Černy 1970, 21) (Abb. 1, 2). Vorarbeiten dazu gab es da aber bereits (zur Standortfrage auch: Gayko 2000).

Zu diesem Zeitpunkt war geplant, ein integriertes Hüttenwerk zu bauen. Die darauffolgende Aufbauphase war geprägt von ständigen Mangelerscheinungen, Planänderungen und kurzfristigen Paradigmenwechseln. Trotzdem gelang es, innerhalb kurzer Zeit einen ersten Hochofen halbwegs fertigzustellen. Als er am 19.09.1951 feierlich angeblasen wurde, war er allerdings noch gar nicht fertig, die Inbetriebnahme war also ein rein politischer Akt (Selbmann 1999, 250ff.). Auch als der Hochofen dann kurz darauf tatsächlich fertig war, lief er nur mangelhaft. Spätestens hier rächte sich der Mangel an Fachkräften, die über Kenntnisse zum Hochofenbetrieb verfügten. Getrieben durch illusorische Planvorgaben versuchte das Personal erfolglos, die Probleme abzustellen. Auch der stark an der Entstehung des Werkes beteiligte Minister für Schwerindustrie, Fritz Selbmann, geriet in die Kritik (Karlsch 2016, 274). 1952/53 wurde das Werk dann von Hüttenfachleuten aus der Sowjetunion besucht, denen es gemeinsam mit dem örtlichen Personal schließlich in einem längeren Prozess gelang, das Werk halbwegs arbeitsfähig zu machen (Dienstreisebericht EKO, 01.03.1952-26.05.1952, BArch, NY 4113/20, Bl. 76). Doch 1953, bereits vor dem 17. Juni, wurde das Projekt massiv gekürzt. Vorerst blieb es also bei sechs Hochöfen, die ursprünglich geplanten Bauabschnitte Stahlwerk, Warm- und Kaltwalzwerk sowie Schmiedewerk wurden vorerst gestoppt (UA EKO, A 92, Werkleitung, Disposition für Weiterentwicklung des Investgeschehens, 10.06.53, Selbmann, Bl. 45-50) (Abb. 3, 4)

Damit war der Ton für die Geschehnisse der folgenden Jahrzehnte gesetzt, immer wieder gab es Vorstöße, das Werk zu vervollständigen, immer wieder wurde das Projekt gestoppt. Zudem wandte sich die Wirtschaftspolitik ab Ende der 1950er-Jahre zunehmend weg von der „klassischen Schwerindustrie“, hin zur chemischen Industrie. Daraus resultierte dann unter anderem das „Petrolchemische Kombinat (PCK)“ in Schwedt, eine Raffinerie zur Veredelung von Rohöl. Erst Mitte der 1960er-Jahre wurde im EKO zumindest der Bau eines Kaltwalzwerkes konkret (Unger 2000, 322). Eine solche Anlage wurde dann auch tatsächlich errichtet, die gesamte Anlage lieferte die Sowjetunion (Abb. 5). Doch auch mit diesem Bauabschnitt war man darauf angewiesen, Zwischenprodukte des EKO zu anderen Werken zur Weiterverarbeitung zu transportieren, da der Weg vom Erz zu fertigem Blech nicht komplett am bestehenden Standort erfolgen konnte. Der Transportaufwand war dadurch natürlich enorm. Nicht nur, dass Zwischenprodukte hin- und hertransportiert werden musste, auch die Rohstoffe - Erz aus Krivoj Rog (UdSSR), Koks aus Oberschlesien (VR Polen) und Kalk unter anderem aus Rüdersdorf und dem Harz - mussten herangeschafft werden. Vor diesem Hintergrund ist auch die Frage Nikita Chruschtschows zu verstehen, die er anlässlich eines Besuchs des Werkes im Jahr 1963 äußerte, nämlich, ob es nicht eigentlich sinnvoller sei, das Werk zu schließen, und aus der Sowjetunion direkt Roheisen zu beziehen („Das Erz, das ihr von uns bezieht, hat einen Fe-Gehalt von 54%. Ihr transportiert also aus der Sowjetunion 46% Steine. Und nun frage ich mich, was kostet da allein schon der Transport?“, UA EKO, A 1313, Besuch Chruschtschow und Ulbricht am 19.01.1963 im EKO, Bl. 11.). Doch die DDR-Gesprächspartner verwiesen auf ihre speziellen Bedürfnisse an das Endprodukt und bezweifelten einen kontinuierlich möglichen Bezug. Dies erscheint angesichts der zum Teil erheblich schwankenden Rohstofflieferungen (nicht nur) aus der UdSSR als durchaus berechtigt.

Nachdem wiederum viele Jahre mit dem Erstellen und Verwerfen von Plänen vergangen waren, wurde Ende der 1970er Jahre beschlossen, doch noch ein Stahlwerk am Standort Eisenhüttenstadt zu bauen. Man entschied sich für die Bestellung eines kompletten Werkes aus Österreich. Der Grund für die Wahl dieses Angebotes aus dem „Nichtsozialistischen Wirtschaftsgebiet“ (NSW) lag vor allem in der gewünschten Technologie begründet. Während sich im „kapitalistischen Westen“ zu diesem Zeitpunkt bereits eine moderne Bauform von Stahlwerken (Sauerstoff-Blasstahlwerke) nahezu durchgesetzt hatte, war die Industrie im RGW, wie in vielen anderen Technologiebereichen auch, zunehmend nicht mehr in der Lage, solche Produkt- und Prozessinnovationen zu stemmen (Unger 2000, 358). Mit anderen Worten, vergleichbare Technologie gab es weder in der DDR noch in den „sozialistischen Bruderländern“.

Im Jahr 1984 wurde das neue Stahlwerk dann fertiggestellt und in Betrieb genommen (Nicolaus 2010, 13) (Abb. 6). Doch es blieb nach wie vor eine Leerstelle im Zyklus des Werkes, das Warmwalzwerk nämlich, das den frisch aus dem Stahlwerk kommenden Stahl umformen konnte. Dies führte nun zu der Entscheidung, Stahlblöcke (sog. „Brammen“) zum „Lohnwalzen“ in die Bundesrepublik zu versenden, da vergleichbare Werke für diese Aufgabe in der DDR nicht vorhanden waren (Eckart 1988, 176). Diese, ökonomisch natürlich äußerst unvorteilhafte Situation blieb bis zum Ende der DDR bestehen (Abb. 7, 8). Erst nach der Privatisierung des Werkes im vereinigten Deutschland gelang es der neuen Betreiberfirma schließlich, das Werk endlich zu komplettieren, über 40 Jahre nach der Inbetriebnahme der ersten Baustufe (Nicolaus 2010, 14).

Quellen

Bundesarchiv Berlin Lichterfelde

BArch, DE 1/11123

BArch, NY 4113/20

Unternehmensarchiv ArcelorMittal Eisenhüttenstadt

UA EKO, A 92

UA EKO, A 1313

Literatur

Boetticher, Manfred von: Industrialisierungspolitik und Verteidigungskonzeption der UdSSR 1926-1930. Herausbildung des Stalinismus und „äußere Bedrohung“. Düsseldorf 1979.

Černy, Jochen: Der Aufbau des Eisenhüttenkombinats Ost 1950/51. Univ. Diss., Jena 1970.

Eckart, Karl: Die Eisen- und Stahlindustrie in den beiden deutschen Staaten. Stuttgart 1988.

EKO Stahl GmbH (Hrsg.): Einblicke – 50 Jahre EKO Stahl. Eisenhüttenstadt 2000.

Gayko, Axel: Investitions- und Standortpolitik der DDR an der Oder-Neiße-Grenze 1950-1970. Frankfurt/Main 2000.

Hübner, Peter: Sozialhistorische Aspekte der industriellen Standortproblematik in der DDR. Bemerkungen zu einem Beitrag von Jörg Roesler. In: ZfG. 1988. H. 1, S. 41-50.

Jajeśniak-Quast, Dagmara: Stahlgiganten in der sozialistischen Transformation, Nowa Huta in Krakau, EKO in Eisenhüttenstadt und Kunčice in Ostrava. Wiesbaden 2010.

Karlsch, Rainer: Allein bezahlt? Die Reparationsleistungen der SBZ/DDR 1945 – 1953. Berlin 1993.

Karlsch, Rainer: Energie- und Rohstoffpolitik. In: Hoffmann, Dierk (Hrsg.): Die zentrale Wirtschaftsverwaltung in der SBZ/DDR, Akteure, Strukturen, Verwaltungspraxis. Berlin/Boston 2016, S. 249-362.

Ludwig, Andreas: Eisenhüttenstadt. Wandel einer industriellen Gründungsstadt. Potsdam 2000.

Nicolaus, Herbert: ArcelorMittal Eisenhüttenstadt. 60 Jahre Eisen und Stahl. Eisenhüttenstadt 2010.

Richter, Jenny / Förster, Heike / Lakemann, Ulrich: Stalinstadt – Eisenhüttenstadt. Von der Utopie zur Gegenwart. Wandel industrieller, regionaler und sozialer Strukturen in Eisenhüttenstadt. Marburg 1997.

Roesler, Jörg: Zum Strukturwandel in der Industrie der DDR während der fünfziger Jahre. Fakten und Überlegungen. In ZfG. 1987. H. 2, S. 138- 149.

Selbmann, Fritz: Acht Jahre und ein Tag. Bilder aus den Gründerjahren der DDR. Berlin 1999.

Unger, Stefan: Eisen und Stahl für den Sozialismus. Modernisierungs- und Innovationsstrategien der Schwarzmetallurgie in der DDR von 1949 bis 1971. Berlin 2000.

Abbildungsnachweis

Abb. 1 Bundesarchiv, Bild 183-09117-005 (Foto: Horst Sturm - CC BY-SA 3.0).

Abb. 2 Bundesarchiv, Bild 183-75141-0002 (Foto: Peukert - CC BY-SA 3.0).

Abb. 3 Bundesarchiv, Bild 183-17138-0003 (Foto: Horst Sturm - CC BY-SA 3.0).

Abb. 4 Bundesarchiv, Bild 183-26067-0005 (Foto: Horst Sturm - CC BY-SA 3.0).

Abb. 5 Bundesarchiv, Bild 183-H0422-0301-004 (Foto: Hubert Linke - CC BY-SA 3.0).

Abb. 6 Bundesarchiv, Bild 183-1984-1128-004 (Foto: Müller - CC BY-SA 3.0).

Abb. 7 Gemeinfrei.

Abb. 8 Bundesarchiv, Bild 183-1990-1108-001 (Foto: Rainer Weisflog - CC BY-SA 3.0).

Empfohlene Zitierweise

Unglaub, Benjamin Pinchas: Eisenhüttenkombinat Ost (EKO), publiziert am 23.09.2022; in: Industriegeschichte Brandenburgs, URL: http://www.brandenburgikon.de (TT.MM.JJJJ)

Katrin Verch (bearbeitet und ergänzt von Julian-Dakota Bock)

Die in Ketschendorf ansässige „Deka Pneumatik GmbH“ wurde nach 1945 enteignet und das insgesamt nur wenig zerstörte Werk bis auf die Gebäude demontiert. Der SMAD-Befehl Nr. 84 vom 18. März 1946 verfügte dann den Wiederaufbau des Werkes und Anfang 1947 entstand in dem nunmehr provinzeigenen Betrieb der erste neue Reifen. Zuvor waren auf Befehl der SMAD Maschinen und weitere Ausrüstung aus der gesamten SBZ in das Reifenwerk gebracht worden, um den Wiederaufbau zu beschleunigen. Darüber hinaus stand das Werk in der unmittelbaren Nachkriegszeit vor erhebliche Rohstoffproblemen. Auch hier intervenierte die SMAD und verpflichtete Betriebe in der Besatzungszone, die entsprechenden Rohstoffe zu liefern. Ab Ende des Jahres 1948 wurden im Werk auch die ersten Gummifacharbeiter ausgebildet.

Nach der am 1. Juli 1950 erfolgten Eingemeindung von Ketschendorf als Stadtteil von Fürstenwalde änderte sich der Name von „VEB Reifenwerk Ketschendorf“ in „VEB Reifenwerk Fürstenwalde“. Zunächst wurde noch unter dem Warenzeichen „Deka“ produziert, ab 1959 aber unter dem neuen Warenzeichen „Pneumant“ (Abb. 1, 2). Während des Volksaufstandes vom 17. Juni 1953 kam es auch im Reifenwerk zu Demonstrationen. Obgleich die DDR-Behörden meldeten, dass die Resonanz auf die Protestaktionen im Werk gering ausfiel, wurden am Abend des 17. Juni sechs Mitarbeiter festgenommen.

Im Werk wurden Decken und Schläuche für LKW, PKW, Traktoren, Flugzeuge, Motorräder und Fahrräder hergestellt. Allerdings wurde 1953 die Fahrradreifenproduktion ausgelagert. Nach einer Sortimentsbereinigung zwischen den reifenherstellenden Industriestandorten der DDR in den 1960er Jahren spezialisierte sich Fürstenwalde auf LKW-, Ackerschlepper- und Spezialreifen (Abb. 3-5).

Am 1. Januar 1964 erfolgte der Anschluss des „VEB Reifencord- und Baumwollweberei Fürstenwalde“, einem wichtigen Zulieferer, an den „VEB Reifenwerk“ 1965 nahm eine neue Schlauchabteilung, 1973 eine Radialreifenabteilung und 1986 ein Stahlkordwerk die Produktion auf. Ermöglicht wurden die Erweiterungen der 1970er und 1980er-Jahre durch die intensivierte Kooperation zwischen der DDR und der BRD. So kamen im neuen Radialreifenwerk französische Maschinen und Ausrüstung zum Einsatz, welche von der DDR erst im Zuge der Annäherung an den Westen auf den dortigen Märkten erworben werden konnten. Vor diesem Hintergrund konnte das Reifenwerk ab den 1970ern verstärkt in das nicht-sozialistische Ausland exportieren. Dieser Handel diente zum Großteil der Beschaffung von Devisen (Abb. 6-8).

Der „VEB Reifenwerk“ unterstand ab 1948 der VVB (Z) Kautschuk und Asbest Leipzig, ab 1951 dem Ministerium für Schwerindustrie bzw. dem Ministerium für Chemische Industrie und ab 1958 der VVB Gummi und Asbest Berlin. Innerhalb der VVB Gummi und Asbest schlossen sich am 1. Januar 1969 die Reifenwerke Fürstenwalde, Riesa, Dresden und Heidenau zum „VEB Reifenkombinat Pneumant Fürstenwalde“ zusammen (Abb. 9). Das Reifenkombinat gehörte ab 1. Januar 1970 zur VVB Plast- und Elastverarbeitung. Am 1. Januar 1975 wurde es dem Ministerium für chemische Industrie direkt unterstellt. Bis Ende der 80er Jahre gehörten zum „VEB Reifenkombinat“ der Stammbetrieb Fürstenwalde, die Reifenwerke in Riesa, Berlin, Dresden, Heidenau und Neubrandenburg sowie zeitweilig der VE Außenhandelsbetrieb Pneumant-Bereifung Export-Import Berlin und das Leitkontor Reifen Berlin.

1990 entstand mit der Privatisierung die „Pneumant Reifenwerke Fürstenwalde AG“.

VVB - Vereinigung Volkseigener Betriebe

Quellen

Der Reifen. Betriebszeitung der Belegschaft des Reifenwerk Fürstenwalde VEB (1952-1953).

Der Reifenwerker. Betriebszeitung. Organ des SED-BPO des VEB Reifenwerk (1953-1965).

Pneumant Profil. Betriebszeitung. Organ der Betriebsparteileitung der SED des VEB Reifenkombinat Fürstenwalde (1971-1988).

Brandenburgisches Landeshauptarchiv Rep. 703 VEB Reifenwerk Fürstenwalde [Siehe: Hier].

Literatur

Stammbetrieb des VEB Reifenkombinats Pneumant (Hg.): Unser Werk Pneumant. 25 Jahre Reifenwerk Fürstenwalde 1946-1971. Fürstenwalde 1971.

Stammbetrieb des VEB Reifenkombinats Pneumant (Hg.): Unser Werk Pneumant. Betriebsgeschichte Teil II 1969-1974. Fürstenwalde 1975.

Verch, Katrin: VEB Reifenwerk Fürstenwalde. Stammbetrieb des VEB Reifenkombinat Fürstenwalde. In: Posselt, Rosemarie u.a. (Hrsg.): Staatliche Verwaltung, Wirtschaft, Parteien und Organisationen in den Bezirken Cottbus, Frankfurt (Oder) und Potsdam 1952-1990 (= Übersicht über die Bestände des Brandenburgischen Landeshauptarchivs; Teil III/2). Berlin 2005, S. 351-353.

Woldt, Hans-Jürgen: Profilspuren. 80 Jahre Reifenwerk, Fürstenwalde 2020.

Abbildungsnachweis

Abb. 1, 2, 6 Gemeinfrei

Abb. 3 https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Bundesarchiv_Bild_183-69929-0001,_Reifenwerk_F%C3%BCrstenwalde,_Jugendbrigade_%22Max_Reimann%22.jpg?uselang=de (Bundesarchiv, Bild 183-69929-0001; Foto: Schreiber - CC-BY-SA 3.0)

Abb. 4, 5 SLUB / Deutsche Fotothek / Richard Peter jun.

Abb. 7, 8 Technisches Handbuch 1972.

Abb. 9 Museum Fürstenwalde

Empfohlene Zitierweise

Verch, Katrin: VEB Reifenwerk Fürstenwalde, publiziert am 16.08.2022; in: Industriegeschichte Brandenburgs, URL: http://www.brandenburgikon.de (TT.MM.JJJJ)

Katrin Verch (bearbeitet und ergänzt von Julian-Dakota Bock)

Der „VEB Textilwerke Fürstenwalde“ ging aus der Firma „AMC Textilwerke“ hervor, einem Textilwerk in Berlin, welches ab 1900 in Fürstenwalde ein Zweigwerk führte. Nach 1945 wurden in dem enteigneten Betrieb vorerst Färbearbeiten durchgeführt und dann Stopftwist, Stopfgarne und Gewebe produziert.

In Fürstenwalde war außerdem der größte reifenherstellende Betrieb der DDR ansässig, der „VEB Reifenwerk Fürstenwalde“. Deshalb gab es bereits ab 1954 Überlegungen zum Bau einer Reifencordanlage im „VEB Textilwerke“. Anfangsuntersuchungen zeigten, dass das Werk für dieses Vorhaben nicht geeignet war und ein Neubau projektiert werden musste. Am 1. Juli 1956 nahm die Aufbauleitung des „VEB Cordzwirnerei“ ihre Tätigkeit auf. Der Bau wurde allerdings storniert und verschoben.

Inzwischen konnte jedoch der „VEB Baumwollspinnerei Leipzig“ als Hersteller von Cordgewebe für die Reifenindustrie die nötigen Mengen nicht mehr erbringen. Andererseits war die Fertigstellung des neuen Cordwerkes nicht in Sicht. So wurden Mitte 1958 im „VEB Textilwerke“ neue Maschinen zur Cordproduktion aufgestellt und somit die Produktion umgestellt. Haupterzeugnisse waren nun Baumwoll-, Zellwoll- und Reifencordgewebe. Erst am 1. Juli 1960 nahm der „VEB Cordzwirnerei“ die Produktion auf, welcher von der Betriebsleitung des „VEB Textilwerke“ verwaltet wurde. Da nun sowohl im „VEB Textilwerke“ als auch im „VEB Cordzwirnerei“ vorwiegend Reifencord hergestellt wurde, erfolgte zum 1. Januar 1961 die offizielle Zusammenlegung beider Betriebe zum „VEB Reifencord- und Baumwollweberei Fürstenwalde“. Die endgültige Fertigstellung des Investitionsobjektes dauerte bis 1963.

Im „VEB Reifencord- und Baumwollweberei“ wurde neben Reifencordgewebe auch baumwoll- und zellwollartiges Gewebe und Baumwollgewebe hergestellt. 95 % der Produktion waren für die Reifenindustrie bestimmt. Der „VEB Reifenwerk Fürstenwalde“ war dabei der größte Abnehmer mit 75 % der Produktion. Da der „VEB Reifencord- und Baumwollweberei“ als Außenseiter innerhalb des Produktionsprofils der VVB Baumwolle fast nur für die Reifenindustrie arbeitete und auch unmittelbar an das Reifenwerk grenzte, wurde er zum 1. Januar 1964 als Produktionsabteilung dem VEB Reifenwerk angegliedert (Abb. 1, 2).

Quellen

Brandenburgisches Landeshauptarchiv Rep. 703 VEB Reifencord- und Baumwollweberei Fürstenwalde [Siehe: Hier].

Literatur

Verch, Katrin: VEB Reifencord- und Baumwollweberei Fürstenwalde. In: Posselt, Rosemarie u.a. (Hrsg.): Staatliche Verwaltung, Wirtschaft, Parteien und Organisationen in den Bezirken Cottbus, Frankfurt (Oder) und Potsdam 1952-1990 (= Übersicht über die Bestände des Brandenburgischen Landeshauptarchivs; Teil III/2). Berlin 2005, S. 349-351.

Woldt, Hans-Jürgen: Profilspuren. 80 Jahre Reifenwerk, Kulturfabrik Fürstenwalde 2020.

Abbildungsnachweis

Abb. 1 Bundesarchiv, Bild 183-1989-0323-010.

Abb. 2 Museum Fürstenwalde.

Empfohlene Zitierweise

Verch, Katrin: VEB Reifencord- und Baumwollweberei Fürstenwalde, publiziert am 17.08.2022; in: Industriegeschichte Brandenburgs, URL: http://www.brandenburgikon.de (TT.MM.JJJJ)

Katrin Verch (bearbeitet und ergänzt von Julian-Dakota Bock)

Nach der Enteignung der „Pintsch“-Konzerns 1945 wurden Teile des Betriebes in Fürstenwalde als Reparationsleistung demontiert. Mit der Übergabe in Landes- und später Volkseigentum firmierte der Betrieb seit Oktober 1947 als „VEB Industriewerk Fürstenwalde“. Er unterstand den Landeseigenen Betrieben Brandenburg und ab 1. Juli 1948 der VVB Eisen und Metall Land Brandenburg. In dieser Zeit wurden u.a. Bremsluftbehälter für die Deutsche Reichsbahn, Mulden-Kipper, Förderwagen und Kleineisenwaren (Hobel, Bügelsägen, Fahrradgepäckständer) hergestellt.

Nach der Auflösung der VVB Eisen und Metall wurde das Industriewerk am 1. April 1951 als Werk III dem „VEB Mechanik Gaselan“ (Gas- und Elektrische Anlagen, später Gaserzeugungs-, Mess- und Regelanlagen) Berlin als Betriebsteil angegliedert. Auch bei dem Berliner Betrieb handelte es sich um ein ehemaliges Unternehmen der Pintsch AG. Der „VEB Mechanik Gaselan“ unterstand dem Ministerium für Maschinenbau, Hauptverwaltung Feinmechanik/Optik. 1952 wurde die Gaszähler- und Reglerfertigung von Berlin nach Fürstenwalde verlegt, 1953 begann die Fertigung von Wasserzählern und 1954 nahm schließlich der Armaturenbau seine Arbeit auf. Auch der Groß-Behälterbau wurde weiter ausgebaut.

Die zunehmende Größe der Betriebsteile des „VEB Gaselan Berlin“ und die räumliche Trennung der Abteilungen für die Vorbereitung der Produktion, die Leitung, Verwaltung und Abrechnung führten zu komplizierten Arbeitsbedingungen. Zum 1. Juli 1956 wurde das Werk III in Fürstenwalde daher vom Stammbetrieb Berlin getrennt. Berlin wurde das gesamte Sortiment der elektrischen Ausrüstungen, insbesondere für den Schienenfahrzeugbau, zugeordnet. Er erhielt den Namen „VEB Fahrzeugausrüstung Berlin“. Der nun selbstständige „VEB Gaselan Fürstenwalde“ behielt allerdings eine Außenstelle in Berlin für die Konstruktion und Außenmontage. Übergeordnetes Organ war das Ministerium für Allgemeinen Maschinenbau, Hauptverwaltung Leichtmaschinenbau, und ab 1958 die VVB Chemie- und Klimaanlagen Berlin.

Das Kohle- und Energieprogramm der DDR von 1957 sowie das Chemieprogramm von 1958 bestimmten wesentlich den weiteren Ausbau der Produktionskapazitäten. Der „VEB Gaselan Fürstenwalde“ lieferte beispielsweise Tank- und Lagerkapazitäten für den „VEB Erdölverarbeitungswerk Schwedt“, den „VEB Leunawerke Walter Ulbricht II“ und den „VEB Kombinat Schwarze Pumpe“. 1968 begann eine umfassende Rekonstruktion und Erweiterung des Betriebes (Abb. 1, 2).

Zum 1. Juli 1969 entstand aus dem „VEB Gaselan Fürstenwalde“ ein Kombinat, der „VEB Chemie- und Tankanlagenbau-Kombinat Fürstenwalde“ mit den nun zugeordneten Betriebsteilen „Vaka-Werke Halle“ und „Chemieanlagenbau Magdeburg“. In Halle wurden vorwiegend Zapfsäulen für Tankstellen, Behälter- und Gießereierzeugnisse gefertigt. In Magdeburg produzierte man Behälter, Tanks und Luftbehälter. Das Kombinat gehörte zur VVB Chemieanlagen Leipzig. Am 21. Oktober 1977 wurde dem „VEB Chemie- und Tankanlagenbau“ der Name „Ottomar Geschke“ verliehen.

Eine nochmalige Namens- und Strukturänderung gab es zum 1. Januar 1979. Die VVB Chemieanlagen Leipzig wurde aufgelöst. Dem neu gebildeten VEB Chemieanlagenbaukombinat Leipzig-Grimma wurde auch der „VEB Chemie- und Tankanlagenbau Ottomar Geschke Fürstenwalde“ zugeordnet. Die ehemaligen Betriebsteile Halle und Magdeburg wurden ausgegliedert.

Der „VEB Chemie- und Tankanlagenbau“ war Hauptauftragnehmer für die Projektierung, Lieferung, Montage und Inbetriebnahme von Tankanlagen, Anlagen zur Gasaufbereitung und Abluftreinigung sowie Gasdruck-Regleranlagen. Er war Hauptauftragnehmer für Bio-Gasanlagen, Erzeugnisgruppen-Leitender Betrieb für die Produktion von Tanks und Behältern und in der DDR Alleinhersteller von Haushalts- und Industriegaszählern sowie Gasdruckregel- und Gasdrucksicherungsgeräten (Abb. 3-5).

1990 erfolgte die Privatisierung zur CTA Chemie- und Tankanlagenbau GmbH.

VVB – Vereinigung Volkseigener Betriebe

Quellen

Gaselan-Echo. Organ der Betriebsparteiorganisation der SED des VEB Gaselan (1956-1990)

Brandenburgisches Landeshauptarchiv Rep. 703 VEB Chemie- und Tankanlagenbau „Ottomar Geschke“ Fürstenwalde. [Siehe: Hier]

Literatur

Schiemann, Peter: Unser Betrieb. VEB Chemie- und Tankanlagenbau-Kombinat „Ottomar Geschke“ Fürstenwalde [Spree]. 1872-1949 (= Gaselan Betriebsgeschichte; Bd. 1). Fürstenwalde 1977.

Schiemann, Peter: Unser Betrieb. VEB Chemie- und Tankanlagenbau-Kombinat „Ottomar Geschke“ Fürstenwalde [Spree]. 1947-1962 (= Gaselan Betriebsgeschichte; Bd. 2). Fürstenwalde 1979.

Schiemann, Peter: Unser Betrieb. VEB Chemie- und Tankanlagenbau-Kombinat „Ottomar Geschke“ Fürstenwalde [Spree]. 1962-1981 (= Gaselan Betriebsgeschichte; Bd. 3). Fürstenwalde 1982.

Verch, Katrin: VEB Chemie- und Tankanlagenbau „Ottomar Geschke“ Fürstenwalde. In: Posselt, Rosemarie u.a. (Hrsg.): Staatliche Verwaltung, Wirtschaft, Parteien und Organisationen in den Bezirken Cottbus, Frankfurt (Oder) und Potsdam 1952-1990 (= Übersicht über die Bestände des Brandenburgischen Landeshauptarchivs; Teil III/2). Berlin 2005, S. 347-349.

Abbildungsnachweis

Abb. 1-3 Schiemann 1979.

Abb. 4 http://www.fuewa-nord.de/historisches/zeitzeugen/

Abb. 5 SLUB / Deutsche Fotothek / Fotograf: Michael Weimer

Empfohlene Zitierweise

Verch, Katrin: VEB Gaselan / Chemie- und Tankanlagenbau „Ottomar Geschke“ Fürstenwalde, publiziert am 16.11.2022; in: Industriegeschichte Brandenburgs, URL: http://www.brandenburgikon.de (TT.MM.JJJJ)