Vinzenz Czech

Bereits vor dem Ersten Weltkrieg gab es bei den Verantwortlichen der „AEG“ Überlegungen zum Bau eines eigenen Stahlwerkes. Jedoch wurden diese erst mit dem „Hindenburg-Programm“ von 1916 zum Ausbau der deutschen Rüstungsindustrie konkreter. Als Standort kam das 1910 erworbene Gelände im Norden von Hennigsdorf in Betracht, nördlich der „August Burg AG“, die dort eine Dampfziegelei und ein Tonwerk betrieb. Nachdem die „AEG“ noch im selben Jahr 1916 die Aktien der „August Burg AG“ übernommen hatte, entstanden nördlich von Ziegelei und Tonfabrik eine Pulverfabrik sowie das Stahl- und Walzwerk, während der Ziegeleibetrieb gedrosselt weiterlief. Die Anbindung an den Hohenzollernkanal (1914 fertiggestellt) sowie die Eisenbahn boten überaus günstige Bedingungen (Abb. 1).

Im Süden von Hennigsdorf hatte die AEG bereits seit 1910 mit der Planung und Errichtung weiterer Fabriken begonnen. Bis 1913 waren dort eine Porzellanfabrik (für die Herstellung von Industrieporzellan und Kunstglimmer), eine Öltuchfabrik und eine Lackfabrik sowie eine Fabrik für Heizapparate und eine Lokomotivfabrik entstanden (Euhausen 2015) (Abb. 1, rechts).

In Kriegszeiten wurde das Stahlwerk anfangs auf den dafür notwendigen Bedarf hin geplant, jedoch mit der Möglichkeit von Anpassungen in späteren Friedenszeiten. Vorgesehen waren ein Stahl-, Press- und Walzwerk mit einem zukünftigen Blechwalzwerk, in denen sich die Produktion zunächst auf Stahlguss und Schmiedestücke erstrecken sollte (Pflüger 2012, 6).

Noch im November 1916 wurden das Material für die Stahlwerkshallen sowie das Press- und Walzwerk bestellt. Mitten im Krieg konnte die Wirtschaft jedoch nicht sämtliche Aufträge erfüllen, sodass sich das Preußische Waffen- und Munitionsbeschaffungsamt für eine Demontage von Fabrikanlagen im besetzten Frankreich entschied. Dafür wurden aus dem Stahlwerk Cail-Denain sowie aus Baume-Marpent u.a. Industriehallen, ein Radscheiben- und Bandagenwalzwerk und Gießgrubeneinrichtungen nach Hennigsdorf überführt. Bereits im Juni 1918 war die Stahlwerkshalle mit dem ersten Elektroofen fertiggestellt worden. Die Inbetriebnahme erfolgte dann am 20. Juli 1918. Die Hallen für das Presswerk trafen im August 1918 ein (Pflüger 2012, 8-13).

Nach dem Ende des Krieges und den Bestimmungen des Versailler Vertrages mussten die in Frankreich demontierten Hallen und Maschinen zum Teil wieder zurückgegeben werden. Krananlagen wurden abgebaut, ebenso das aus Baume-Marpent bezogene Walzwerk sowie ein 10t-Hammer. Nach Verhandlungen konnten dagegen die Gießgrubeneinrichtungen sowie die bereits aufgebauten Hallen in Hennigsdorf verbleiben. Dafür wurden von der Firma Krupp neue Hallen nach Denain geliefert. Ende Mai 1919 hatte das Werk 673 Beschäftigte. (Pflüger 2012, 15f.)

Aufgrund der wirtschaftlichen Schwierigkeiten in den Folgejahren kam die „AEG“ zu dem Schluss, das Stahlwerk auszugliedern und in eine eigene Aktiengesellschaft zu verwandeln. Enge Beziehungen zur „Linke-Hofmann-Werke AG Breslau“ sowie der „AG Lauchhammer“ führten 1921 gemeinsam zur Gründung der „Stahl- und Walzwerk Hennigsdorf AG“. Ziel war vorrangig die Herstellung von Stahlgussstücken und Lokomotiv-Radsätzen. Die bedeutete auch eine Kapazitätserweiterung des Hennigsdorfer Werkes. Dafür notwendige Fachkräfte und Arbeiter sollten aus den Linke-Hofmann-Werken sowie dem Lauchhammerwerk kommen. (Pflüger 2012, 17.)

Im Jahr 1923 bestand das Stahl- und Walzwerk im Wesentlichen aus folgenden Produktionseinrichtungen: dem Stahlwerk (drei Siemens-Martin-Öfen - ein vierter ging 1924 in Betrieb, 197 Mann Belegschaft, ca. 4.000 Tonnen Stahl im Monat), der Stahlgießerei (175 Mann Belegschaft, ca. 700 Tonnen im Monat), dem Presswerk (ca. 300 Tonnen im Monat, 47 Mann Belegschaft), der Radsatzfabrik (ca. 25 Lok- und 100 Waggon-Radsätze im Monat, 204 Mann Belegschaft), einer Bearbeitungswerkstatt (ca. 600 Tonnen im Monat, 61 Mann Belegschaft) den Reparaturwerkstätten ( (153 Mann Belegschaft), dem Kraftwerk (bestehend aus Kessel- und Maschinenhaus) sowie dem Eisenbahnbetrieb. (Pflüger 2012, 19) (Abb. 2)

Das Stahlwerk verarbeitete vor allem Schrott, den es von der Deutschen Schrott-Vereinigung GmbH und aus dem Entfall der anderen AEG-Fabriken in Hennigsdorf erhielt.

Während das Presswerk 1925 stillgelegt und die Radsatzfabrik im selben Jahr verpachtet wurden, begann ab 1924 der Aufbau eines Platinen und Feineisenwalzwerkes. Mit diesem bereits 1916 angedachten Betriebsteil sollte der enorme Blechbedarf jener Zeit gedeckt werden. (Pflüger 2012, 19)

Für den Zuwachs an notwendigen Arbeitskräften in dieser Erweiterungsphase war 1922 die „Gemeinnützige Heimstättengesellschaft mbH“ mit hohen Kapitalanteilen des Werkes gegründet worden. Sie hatte die Aufgabe, billige Werkswohnungen zu schaffen. Die angeworbenen Arbeiter kamen aus Westfalen, dem Rheinland und Oberschlesien, zum Teil auch mit Familien. Sie mussten sich dem Werk für mehrere Jahre verpflichten und bekamen dafür Werkswohnungen gestellt. (Pflüger 2012, 21f.)

Auch das Hennigsdorfer Werk war von den Veränderungen der Unternehmensstrukturen innerhalb der deutschen Stahlindustrie in den 1920er Jahren betroffen. 1926 erwarb die Aktiengesellschaft für Hüttenindustrie in Berlin, die sich im Besitz von Friedrich Flick befand, mehrere Werke der „Linke-Hofmann-Lauchhammer AG“. Der im November 1926 in „Mitteldeutsche Stahlwerke AG“ (kurz: „Mittelstahl“) umbenannte Konzern besaß auch eine Beteiligung von 63 % am Hennigsdorfer Werk. 1935 kaufte Flick der „AEG“ ihre 31-prozentige Beteiligung ab und kam nun auf eine Eigentumsquote von 94 %. 1935 erhielt die „Mitteldeutsche Stahlwerke AG“ (Mittelstahl) schließlich die vollständige Verfügungsgewalt über den Betrieb und im August 1937 erwarb die neu gegründete „Friedrich Flick Kommanditgesellschaft“ das Werk Hennigsdorf. Es wurde zusammen mit dem „Weberwerk“ in Brandenburg unter dem Namen „Mitteldeutsche Stahl und Walzwerke, Friedrich Flick Kommanditgesellschaft (Brandenburg / Havel)“ in den Konzern eingegliedert und bildete bei „Mittelstahl“ die sogenannte „Havelgruppe“. In den Gesellschaften, zu denen das Werk gehörte, hatte Friedrich Flick großen Einfluss. Anfangs in der westdeutschen Eisenindustrie und im Bankgewerbe engagiert, errang er in den 1930er Jahren die Herrschaft über die Montanindustrie in Mitteldeutschland. Die NS-Bewegung unterstützte er ab 1932 mit erheblichen finanziellen Mitteln. (Pflüger 2012, 23-27)

Vor dem Hintergrund des in den dreißiger Jahren gestiegenen Bedarfes an qualitativ höherwertigen Blechen erfolgte die Einrichtung eines Kaltwalzwerkes Mitte der dreißiger Jahre. Hier wurden vor allem Bleche für die Flugzeug- und Kraftwagenproduktion hergestellt. (Pflüger 2012, 28f.)

Im Rahmen der Kriegsproduktion bildete Hennigsdorf mit dem Stahlwerk in Brandenburg und Werken in Spandau im Flick-Konzern die sogenannte „Panzer-Achse“ entlang der Havel, da man vorrangig Panzer und Panzerfahrzeuge für die Wehrmacht produzierte. (Abb. 3-9)

Während des Zweiten Weltkriegs mussten auch im Stahl- und Walzwerk Hennigsdorf Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene in der Rüstungsproduktion arbeiten. Diese waren in über 30 nachgewiesenen Barackenlagern untergebracht. Ab 1941/42 wurden ein Außenlager des KZ Sachsenhausen sowie ein Außenlager des KZ Ravensbrück für weibliche Häftlinge installiert. (Fritsch 2001)

1945 war das Hennigsdorfer Werk durch Kriegseinwirkungen kaum beschädigt, stand entsprechend dem Potsdamer Abkommen als ehemaliger Rüstungsbetrieb aber auf der Liste zur Demontage als Reparationsleistung. Bis Oktober war der wesentliche Teil abgeschlossen und die Maschinen in die Sowjetunion abtransportiert. Dennoch blieb Hennigsdorf auch in der DDR als Stahlstandort erhalten, wenn auch unter völlig anderen Voraussetzungen.

Quellen

Brandenburgisches Landeshauptarchiv Rep. 75 Mitteldeutsche Stahl- und Walzwerke Friedrich Flick, Hennigsdorf [Siehe: Hier]

Brandenburgisches Landeshauptarchiv Rep. 75 AEG Hennigsdorf [Siehe: Hier]

Literatur

100 Jahre Stahlwerk in Hennigsdorf, hrsg. vom Stadtarchiv Hennigsdorf. 2017.

Pflüger, Rosemarie: Seit über 90Jahren fließt Stahl in Hennigsdorf – gelesen, nachgefragt, aufgeschrieben. Hennigsdorf 2012.

Euhausen, Klaus: Ausführungen zur frühen industriellen Entwicklung von Hennigsdorf und Nieder Neuendorf (Landkreis Osthavelland, Brandenburg) von 1866 bis zur Ansiedlung der Großindustrie (AEG) ab dem Jahre 1910. Regionalgeschichte und Familienforschung. 2015. In: http://www.euhausen-klaus.de/Euhausen_Hennigsdorf_fruehe_industrielle_Entwicklung.pdf (21.09.2023).

Fritsch, Helmut: Zwangsarbeit in Hennigsdorf. 1940-1945. Eine Dokumentation. Hennigsdorf 2001.

 

 

Abbildungsnachweis

Abb. 1 Gemeinfrei

Abb. 2-9 Stadtarchiv Hennigsdorf.

Empfohlene Zitierweise

Czech, Vinzenz: Stahl- und Walzwerk Hennigsdorf AG, publiziert am 05.04.2024; in: Industriegeschichte Brandenburgs, URL: http://www.brandenburgikon.de (TT.MM.JJJJ)

Klaus Euhausen

Einführung, Vorgeschichte

Neben den AEG-Standorten in Berlin-Gesundbrunnen war der Elektrokonzern von Emil Rathenau in den 1890er Jahren bereits in Oberschöneweide (ehemaliges Etablissement Wilhelminenhof, später Landgemeinde Oberschöneweide, dann Berlin-Oberschöneweide) mit großen Fabriken ansässig.

Bei der Suche nach weiterem Bauland für Fabriken wurde das Unternehmen südlich von Hennigsdorf fündig, wo die AEG-Tochter „Hennigsdorfer Terrain- und Hafengesellschaft“ unter anderem große Flächen des Rittergutes Nieder Neuendorf von den Kindern des 1905 verstorbenen Verlegers Emil Cohn (Cohn´sche Erben) erwarb.

Hennigsdorf und das wenige Kilometer südlich gelegene Nieder Neuendorf lagen verkehrsgünstig an der Havel, dessen Ausbau zum Großschifffahrtsweg Berlin – Stettin 1906 begonnen hatte (1914 fertiggestellt und Hohenzollernkanal genannt). Seit 1893 hatte Hennigsdorf über die sogenannte Kremmener Bahn Anschluss an Berlin und die nördlichen Vororte (Tegel, Dalldorf/Wittenau, Reinickendorf bis Schönholz/Nordbahn; alles Landkreis Niederbarnim). An diese Eisenbahnlinie ließ sich das neue AEG-Industriegebiet über den Bahnhof Hennigsdorf problemlos anschließen. Von der 1904 eröffneten Bahnstrecke Nauen – Velten der Osthavelländischen Kreisbahnen (OHKB) zweigte ab 1908 bei Bötzow eine Strecke nach Spandau (Johannesstift, später verlängert nach Spandau-West/Hamburger und Lehrter Bahn) ab; westlich von Nieder Neuendorf entstand ein Bahnhof. Auch hierüber waren sowohl Nieder Neuendorf als auch der AEG-Standort an der Hennigsdorfer Neuendorfstraße gut zu erreichen.

Anfang 1910 begann die AEG mit der Planung ihrer Fabriken in Hennigsdorf und Nieder Neuendorf; federführend war das Architekturbüro Peter Behrens. Bis 1913 entstand eine Porzellanfabrik (Pf, für die Herstellung von Industrieporzellan und Kunstglimmer), eine Öltuchfabrik (Öf) und eine Lackfabrik (Laf) sowie eine Fabrik für Heizapparate (Hf) und eine Lokomotivfabrik (Lokf). (Abb. 1)

Früher Flugzeugbau

Noch 1910 wurde eine Flugtechnische Abteilung gegründet, die sofort arbeitsfähig war, da sie ihre Werkräume in der ebenfalls aufgekauften Hermann Conrad´schen Dampfschneidemühle (DSM) in der Gemarkung Hennigsdorf, zu der auch eine Schmiede gehörte, einrichtete (Abb. 2). Im Jahr zuvor hatte die AEG zusammen mit anderen bedeutenden Maschinenbau- und Waffenfirmen bzw. Bank- und Handelshäusern die „Flugmaschine Wright GmbH“ gegründet. Orville Wright hatte auf dem Tempelhofer Feld sowie auf dem Bornstedter Feld bei Potsdam einen verbesserten Flugapparat vorgestellt.

In der Hennigsdorfer Flugzeugwerkstatt erfolgte nach einigen Monaten – Ende 1910/Anfang 1911 – der Bau eines Doppeldeckers nach dem Muster einer Wright-Maschine. Der Rahmen des Fluggeräts war aus dem leichten Holz der Sitka-Fichte gefertigt, hatte 17,5 Meter Spannweite und wog 850 kg. Mit einem Acht-Zylinder-75-PS-Körting-Motor kam es auf eine Geschwindigkeit von 65 km/h. Da es in Hennigsdorf und Umgebung kein Flugfeld und keine Startmöglichkeit gab, wurde diese und auch die folgenden Maschinen per Lastkraftwagen oder Bahn zum „Flugübungsfeld“ Teltow gebracht. Wahrscheinlich erfolgte erst dort die Endmontage und dann Probeflüge.

Die ersten Metall-Flugzeuge aus Hennigsdorf

Das zweite in Hennigsdorf gebaute Flugzeug war ein Eindecker, immer noch mit dem 75 PS starken Körting-Aggregat. Der Rumpf des Flugzeugs war aus Stahlrohr geschweißt, die Tragflächen aus Holz und mit Stoff bzw. Leinwand bespannt. Das dritte AEG-Flugzeug war wieder ein Doppeldecker (Zweidecker), Rumpf und Flügelholme waren aus Stahl. Im November 1911 konnte das mit einem Vier-Zylinder-Motor mit 95 PS ausgerüstete Fluggerät abheben.

Flugplatz Nieder Neuendorf

Nach fast zwei Jahren der Erprobung und dem Bau von drei Maschinen verfestigte sich bei der AEG der Entschluss, den Flugzeugbau am Standort Hennigsdorf weiter voranzutreiben. Westlich von Nieder Neuendorf wurde 1912 auf den sogenannten Teufelsbruchwiesen ein „Fabriksflugfeld“ eingerichtet (Abb. 2). Es entstand ein erster Flugzeugschuppen. Eigentümer der Anlage war die AEG in Berlin (Friedrich-Karl-Ufer 2-4), Grund und Boden gehörten ebenfalls den Cohn´schen Erben. Die in der Flugtechnischen Abteilung gefertigten Flugzeuge wurden nun von Lastkraftwagen auf Anhängern oder Hilfsfahrgestellen über die Landstraße von Hennigsdorf zum Flugplatz gezogen (Abb. 3).

Militärisches Interesse

Als Antwort auf die Forderungen des Militärs nach einem schnell und leicht – sowohl auf Eisenbahnwaggons als auch auf Lastkraftwagen – zu transportierenden Flugzeug, entwickelten die Hennigsdorfer Ingenieure im Sommer 1912 den Zweidecker Z 3, bei dem die Tragflächen seitlich angeklappt werden konnten (Abb. 4). Hinzu kam eine platzsparende Unterbringung der Maschinen in Schuppen, die Fluggeräte konnten sogar in Wald und Gebüsch versteckt werden. Eine ganze Reihe von Versuchstypen wurde in den folgenden Monaten entwickelt.

Am Flugfeld in Nieder Neuendorf wurde eine Fliegerschule eingerichtet, ein Offiziersunterkunftshaus (Fliegerhäuschen) errichtet und ab Sommer 1913 die ersten Fliegeroffiziere auf Zweideckern Z 3 und Z 4 ausgebildet.

Die AEG baute und erprobte zwischenzeitlich ausschließlich für die Militärverwaltung, die Schrittmacher der technischen Entwicklung war. Mehrere Zweidecker der Z-Reihe wurden für die Döberitzer Fliegertruppe eingeflogen, es gab regen Flugverkehr zwischen dem Flugplatz Nieder Neuendorf und dem militärischen Übungsgelände in Döberitz.

Die ersten sechs Flugzeuge der in Auftrag gegebenen Reihe Z 6 kamen als AEG B.I im Frühjahr 1914 zur Ablieferung. Die deutsche Fliegertruppe war ein Teil des aus Preußen, Bayern, Sachsen und Württemberg bestehenden Kontingentheeres, während die Land- und Seeflieger der Marine sowie deren Luftschiffe Kaiserlich waren. Deutschland hatte bei der Entwicklung der Flugzeugindustrie aufgeholt, die technische Entwicklung hatte große Fortschritte gemacht.

Aufgrund des steigenden Bedarfs an Flugzeugen und Piloten wurde der Flugplatz Nieder Neuendorf ausgebaut. Es folgten weitere Flugzeugschuppen, ein Motorhäuschen, später Sanitäranlagen (Abort) sowie ein Benzinlager. Komplettiert wurde die gesamte Anlage durch Wohnbaracken, ein Unterrichtsgebäude, einen Motorprüfschuppen sowie Pumpenhaus und Transformatorenhäuschen. In den Flugzeugschuppen auf dem Flugfeld wurden auch Endmontage- und Reparaturarbeiten durchgeführt.

Um die stetig steigende Zahl von Flugschülern besser unterbringen zu können, wurde nördlich des Gutshauses Nieder Neuendorf zuerst eine Wohnbaracke und dann das Fliegerheim (Fh) errichtet, das ab Juni 1914 Wohn- und Aufenthaltsräume für die angehenden Flugzeugführer zur Verfügung stellte (Abb. 5).

Anfang 1914 begann die AEG auch mit dem Bau von Seeflugzeugen, ein Doppeldecker-Wasserflugzeug (Zweischwimmerflugzeug) mit 150 PS-Motor und ein Eindecker-Flugboot mit einem 150 PS Benz-Motor (mit Druckpropeller) wurden in Hennigsdorf hergestellt. Wasserungs- und Flugversuche fanden auch auf dem Nieder Neuendorfer See statt.

Kriegsbeginn (1914)

Nach jahrelangen Spannungen und Konflikten und in der Folge des Attentats von Sarajevo (28. Juni 1914) kam es am 28. Juli 1914 zum Krieg zwischen Österreich-Ungarn und Serbien, in den am 1. August das deutsche und das russische Kaiserreich eintraten. Innerhalb weniger Tage folgten Frankreich, Belgien, Großbritannien, Australien, Kanada und Japan.

Die Heeresverwaltung hatte zwischenzeitlich alle bestellten AEG Z 6 / B.I erhalten und damit einige Feldflieger-Abteilungen (FFA) ausgerüstet. Zu Beginn des Krieges handelte es sich bei fast allen Flugzeugtypen der kriegführenden Nationen um unbewaffnete Aufklärungsmaschinen, mit denen man weit in die Tiefe des Raumes eindringen konnte, um Truppenbewegungen oder Artilleriestellungen des Gegners zu erkennen.

Im September 1914 fing bei einer Reparatur am Betriebsstoffgerät ein neu konstruierter und fast fertiggestellter „Wagner-Eindecker“ („Wagner-Eule“) auf dem Flugfeld Nieder Neuendorf Feuer. Der Brand griff auf weitere fünf Maschinen und auf die älteste Flugzeughalle über und äscherte diese ein.

Spätestens seit der „Julikrise“ und dem Kriegsbeginn im August war klar, dass man in Hennigsdorf in den bestehenden Räumlichkeiten nicht weiter produzieren konnte. Ab Oktober 1914 waren neue Fabrikhallen westlich der Porzellanfabrik im Bau und das abgebrannte Gebäude in Nieder Neuendorf wurde beschleunigt wiederaufgebaut.

Vom unbewaffneten Aufklärer zum Jagdflugzeug (C- und D-Typen) und Bomber (G-Typen, Großflugzeug)

Zum Jahreswechsel 1914/1915 wurde mit dem AEG-Zweidecker Z 9 / B.II ein neuer Typ ins Feld geliefert, mit dem Höhen von über 3.000 Metern erreicht werden konnten (Abb. 6). Absolvierten die Flieger in den ersten Monaten des Krieges fast ausschließlich Aufklärungsflüge, wandelten sich die Aufgaben im Laufe des Jahres hin zur Abwehr und zum Angriff gegen feindliche Flugzeuge. Schon im Sommer wurden auch mit Maschinengewehren (MG) ausgerüstete Flugzeuge der neuen Kategorie C an die Front geschickt, die Motorleistung noch einmal erhöht.

Die Heeresverwaltung bestellte immer mehr Flugzeuge, die Militärs regten außerdem den Bau von Großflugzeugen aus Stahl an, um große Bombenlasten transportieren zu können.

Im Januar 1915 erfolgten die ersten Flüge eines AEG G-Typs mit 2 x 100 PS und 16 Metern Spannweite (Abb. 7), im Frühjahr bestand „Frontreife“. Die weiterentwickelte G.II mit 2 x 150 PS absolvierte im Sommer die ersten Feindflüge als Kampfflugzeug und „Bombenschlepper“. Auch bei diesen Typen konnte durch Umlegen der Tragflächen und Anklappen der beiden Motoren an den Rumpf das Bahnladeprofil eingehalten und bei der Unterbringung der Flugzeuge in Schuppen Platz gespart werden.

Das Gebäude der flugtechnischen Abteilung in Hennigsdorf wurde in der Pfingstnacht 1915 (vom 22. auf den 23. Mai) durch ein Schadensfeuer mitsamt Geräten und Material vollständig zerstört.

Erst Mitte 1915 wurde die neue Flugzeugfabrik (Ff) in Betrieb genommen (Abb. 8 und 9). Technischer Leiter war Direktor Kurt Baßler, Chefkonstrukteur Georg König, als Fluglehrer und Testpilot wirkte Theodor Schauenburg, weiterer Fluglehrer war Walter Mackenthun. Die neuen Fabrikhallen ermöglichten jetzt den Flugzeugbau in großer Stückzahl. Auf dem Flugplatz Nieder Neuendorf herrschte reger Flugverkehr (Abb. 10).

1915 begann – parallel zu den G-Maschinen – die Entwicklung der einmotorigen Doppeldecker C.I und C.II, die in größerer Stückzahl ins Feld geliefert wurden. Die B-Typen wurden nach und nach ausgemustert. Fast 1.000 Maschinen wurden vom Typ C.IV – zum Jahreswechsel 1915/1916 entwickelt – mit einem 160-PS-Motor gebaut, etwa 400 davon in Lizenz durch die Firma Fokker.

Die Flugzeugfabrik in Hennigsdorf wurde mehrmals erweitert, weitere Hallen wurden zu beiden Seiten angebaut und eine Mechanische Werkstatt eingerichtet. Außerdem wurde die Lagerhaltung verbessert, eine Sauerstoff-Erzeugungsanlage und eine Acetylen-Anlage sowie eine Rohrzieherei errichtet. Zur Verbesserung der Qualität wurde eine Material-Prüf- und eine Material-Kontroll-Abteilung und für die Prüfung und Abnahme von Bauteilen und fertigen Maschinen eine ständige Bauaufsicht durch die Inspektion der Fliegertruppen (IdFlieg) eingeführt. Für den Versand der Flugzeuge an die Front wurde im südlichen Bereich des AEG-Geländes eine Verladehalle mit Eisenbahnanschluss errichtet. Aus dem Feld zurückkehrende beschädigte oder nicht richtig funktionierende Maschinen wurden in Hennigsdorf repariert.

Die AEG in Hennigsdorf spezialisierte sich immer mehr auf Großflugzeuge. Aus der G.II wurde noch 1915 die fast zwei Tonnen schwere G.III mit 2 x 220 PS entwickelt (Abb. 11) und über 100 Stück im Jahre 1916 an das Militär geliefert.

Seit November 1914 stand das Osmanische Reich an der Seite Deutschlands und Österreichs-Ungarns im Krieg. Nach Kriegsbeginn erfolgte mit deutscher Hilfe der Ausbau der „türkischen Luftwaffe“ nach deutschem Vorbild. 1915 folgte die Lieferung weiterer Flugzeuge, türkische Offiziere wurden zur Ausbildung nach Deutschland entsandt. Ein Foto aus dem Nachlass von Theodor Schauenburg von 1916 zeigt neben Schauenburg (2. von rechts) die beiden AEG-Direktoren Kurt Baßler (links) und Richard Sprenger (3. von links), außerdem drei Angehörige einer türkischen Kommission vor einer AEG G.III auf dem Flugfeld Nieder Neuendorf (Abb. 12). AEG-Großflugzeuge standen auch auf der Wunschliste des Osmanischen Reiches, sind aber nach vorliegenden Erkenntnisses nicht geliefert worden.

Völlig neu entstand noch 1916 die G.IV mit 2 x 260 PS und 18 Metern Spannweite (Abb. 13), mit der zunächst zwei Kampfgeschwader ausgerüstet wurden.

Deutschland verfügte im August 1916 über etwas mehr als 1.200 Militärflugzeuge. Der Konflikt ging vom beweglichen Krieg immer mehr zu einem reinen Stellungskrieg über, bei dem immer häufiger starke Fliegerkräfte eingesetzt wurden. Es entstand eine neue Gattung von Flugzeugen: das stark gepanzerte und schwer bewaffnete Infanterieflugzeug.

Im ganzen Kaiserreich wurde die Wirtschaft im Laufe des Jahres 1917 komplett auf die Erfordernisse des Krieges umgestellt, während die Lebensmittelversorgung der Bevölkerung katastrophale Zustände annahm. Um die an der Front befindlichen oder bereits gefallenen Männer zu ersetzen, übernahmen viele Frauen Arbeiten in der Flugzeugindustrie wie der Flugzeugfabrik Hennigsdorf und anderen bisher männerdominierten Bereichen.

Anfang 1917 wurde erfolglos versucht, mit der D I einen Kampfeinsitzer zu bauen. Aus dem Grundmodell C.IV entstand das gepanzerte Infanterieflugzeug J.I, dass im Frühjahr 1917 in größerer Zahl geliefert und durch die verbesserte J.II mit einer Produktionszahl von über 500 Stück ergänzt wurde. Im Horizontalflug wurden Geschwindigkeiten von über 200 km/h erreicht.

1.000 Flugzeuge hatten bereits die AEG-Werkshallen in Hennigsdorf verlassen. Die mittleren Bomber wie die G.IVb und G.V mit 26,5 Metern Spannweite, trugen mittlerweile eine Bombenlast von über 1.000 kg und konnten Flughöhen bis zu 4.000 Metern erreichen.

Zwischenzeitlich wurde im Frühjahr 1917 die Flugzeugführerausbildung in der Fliegerschule Nieder Neuendorf zugunsten des stetig steigenden Fabrikations- und Abnahmebetriebes aufgegeben.

Kriegsende (1918), Rüstungsbeschränkungen und Ende des Flugzeugbaus (1919)

Die Flugzeugfabrik Hennigsdorf, in der Mitte 1918 über 3.000 Menschen arbeiteten, wurde gemäß den Bestimmungen des Versailler Vertrages geschlossen und die Fabrikhallen für den Lokomotivbau genutzt (1945 bei einem Luftangriff schwer beschädigt und später vollständig abgerissen). Die meisten Anlagen und Gebäude am Flugplatz Nieder Neuendorf wurden bis 1922 abgebrochen. Das Fliegerheim an der Dorfstraße musste erst in den 1990er Jahren neuer Bebauung weichen.

Quellen

AEG-Flugzeugfabrik Hennigsdorf 1910/1919. Die Leistungen der AEG-Flugzeugfabrik (Firmenschrift, SDTB, Firmenarchiv AEG-Telefunken).

AEG-Zweidecker, AEG Flugtechnische Abteilung (Firmenschrift, SDTB, Firmenarchiv AEG-Telefunken).

AEG-Kriegsflugzeuge und Werkstattautomobilie (Firmenschrift, SDTB, Firmenarchiv AEG-Telefunken).

Nachlass Theodor Schauenburg (Fotos, Zeitungsberichte, u. a.).

Literatur

Als die AEG Flugzeuge baute. In: ADtranzparent 2/2000, S. 14/15.

Historiker Team bei Bombardier / Becker, Jürgen: Die Infrastruktur des Hennigsdorfer Werkes für Schienenfahrzeuge und Elektrotechnik (= Historische Schriftenreihe des Hennigsdorfer Werkes für Schienenfahrzeuge und Elektrotechnik; 1). Hennigsdorf 2014.

Historiker Team bei Bombardier / Becker, Jürgen: Flugzeugbau. Militärtechnik. Das militärische Engagement des Hennigsdorfer Werkes für Schienenfahrzeuge und Elektrotechnik von 1910 bis 1989 (= Historische Schriftenreihe des Hennigsdorfer Werkes für Schienenfahrzeuge und Elektrotechnik; 2). Hennigsdorf 2016.

Bronkhorst, Johannes: Das Paradies Oberhavel. Geschichten aus der Geschichte Nieder Neuendorf und einiges mehr. Berlin 2009.

Dürks, Wilhelm: Urkundliche Geschichte der Landgemeinde Hennigsdorf. Hennigsdorf 1931.

Euhausen, Klaus / Mückler, Jörg: Alter Adler Nr. 11: „Der Sonne entgegen“ – Theodor Schauenburg. In: Das Propellerblatt, Nr. 38 / 2017, S. 4 – 23.

Hoffmann, Max: Flugzeugbau. In: AEG (Hrsg.): Forschen und Schaffen. Beiträge der AEG zur Entwicklung der Elektrotechnik bis zum Wiederaufbau nach dem zweiten Weltkrieg. Band 2. Berlin 1965, S. 545-462.

Groehler, Olaf: Geschichte des Luftkriegs 1910 bis 1970. 1977.

Informationen aus der AEG Geschichte 3/91. Die AEG Fabriken Hennigsdorf. Zweite aktualisierte Auflage 1992. S. 6 - 8.

Mückler, Jörg: Deutsche Flugzeuge im Ersten Weltkrieg. 2013.

Schmeelke, Michael: AEG Flugzeuge. Die Flugzeuge der AEG Fabrik. In: Das Propellerblatt Nr. 13 / 2005, S. II/431 - II/455.

Abbildungsnachweis

Abb. 1, 3 Gemeinfrei (Eintragungen Klaus Euhausen).

Abb. 2 Sammlung Jürgen Becker, Hennigsdorf.

Abb. 4, 6, 7, 11-13 Sammlung Klaus Euhausen, Hennigsdorf (Nachlass Theodor Schauenburg).

Abb. 5, 8, 9 Stadtarchiv Hennigsdorf.

Abb. 10 Stiftung Deutsches Technikmuseum Berlin (Historisches Archiv, VI.2 D 063-03a).

Abb. 14 Foto Klaus Euhausen, Hennigsdorf, aus der Ständigen Geschichtsausstellung der Stadt Hennigsdorf.

Empfohlene Zitierweise

Euhausen, Klaus: AEG-Flugzeugbau, Hennigsdorf, publiziert am 03.11.2023; in: Industriegeschichte Brandenburgs, URL: http://www.brandenburgikon.de (TT.MM.JJJJ)

Klaus Euhausen

Vor allem entlang der Havel waren schon im 17. Jahrhundert einzelne Ziegeleien vorhanden, mit der industriellen Revolution und dem Bauboom in der Hauptstadt wurden ab den 1830er Jahren auch nördlich von Berlin viele weitere Ziegelöfen und Thonwaaren-Fabriken errichtet, u. a. in Velten, Marwitz, Eichstädt und Birkenwerder.

An Hennigsdorf gingen diese Entwicklungen vorerst vorbei, erst im April 1866 beantragte der Rittergutsbesitzer zu Eichstädt (Osthavelland) Leopold Langner die Errichtung eines Ziegelbrennofens auf einem ihm gehörenden Ackerstück an der Havel nördlich von Hennigsdorf, das er zuvor vom Hennigsdorfer Lehnschulzen Luther erworben hatte. Neben der Verfügbarkeit des Grundstücks waren die hervorragenden Tone der Gegend (Havelniederung, Urstromtal, teilweise auf dem Glien) und die günstige Lage zu der sich rasant entwickelnden Stadt Berlin entscheidend für die Standortwahl. Der im Mai 1866 begonnene Preußisch-Österreichische Krieg verzögerte das Projekt wohl um einige Monate. Da es in unmittelbarer Nähe der Hennigsdorfer Ziegelei keine Tonvorkommen gab, wurde der Ton mit dem Pferdewagen aus Marwitz herangeschafft. Spätestens Anfang 1868 war ein einzelner Einkammer-Ziegelbrennofen mit Trockenschuppen errichtet (Abb. 1).

Der Krieg und auch die umständliche und kostenintensive Tonversorgung waren vermutlich der Grund für die Verschuldung des Eigentümers und für eine Zwangsversteigerung, das gesamte Gut Eichstädt ging zusammen mit der Hennigsdorfer Ziegeleianlage im Januar 1872 an den Berliner Schlächter Adolf Müller. Müller hatte durch die Belieferung der Preußischen Armee mit Wurst- und Fleischkonserven gute Geschäfte gemacht, erwarb auch den Hennigsdorfer Lehnschulzenhof und erweiterte die Ziegelei ab Mitte 1872 um acht weitere Brennöfen sowie einem Kesselhaus und ließ von der Tongrube in Marwitz eine Pferdeeisenbahn nach Hennigsdorf errichten (Abb. 2).

Wie schon Langner vor ihm hatte sich auch Adolf Müller viel Geld für seine Investitionen geliehen, unter anderem beim Bankhaus und Getreidegeschäft Simon Boehm in Berlin. Auch die Familie Boehm hatte in den Kriegen 1866 und 1870/71 das Militär beliefert und übernahm schon 1873 das Gut Eichstädt, während die Ziegelei in Hennigsdorf nebst Marwitzer Tongrube und Schmalspurbahn im Eigentum von Müller verblieben.

Um 1881 stieg der Kaufmann August Burg aus Berlin, der als Tabakfabrikant, Teilhaber einer Kerzenfabrik und als Kohlengroßhändler vermögend geworden war, finanziell in das Unternehmen ein. August Burg, der aus einer bedeutenden und großen jüdischen Berliner Familie stammte, starb aber schon im Januar 1882, ledig und kinderlos, kurz vor der Vollendung seines 62. Lebensjahres. Die Familien Burg und Boehm hatten privat wie geschäftlich miteinander zu tun. August Burgs Bruder Otto war mit einer Tochter von Simon Boehm verheiratet. Der finanzielle Einsatz von August Burg war offensichtlich beträchtlich, denn das Hennigsdorfer Werk erhielt etwa 1881 seinen Namen. Das eingebrachte Kapital von August Burg ermöglichte 1885 unter anderem die Anstellung eines erfahrenen Betriebsleiters, den aus Süddeutschland stammenden und zuletzt in Böhmen tätig gewesenen Anton Sandner. Er ließ innerhalb der folgenden Monate zwei Ringöfen erbauen, das Werk umfassend erweitern, modernisieren und schließlich spezialisieren. 1887 wurde eine Druckrohrleitung gebaut, mit der verflüssigter Ton von Marwitz nach Hennigsdorf transportiert wurde. Ab 1888 wurden Schmelzöfen, Ofenkacheln und andere Majolikawaren (glasierte Tonwaren) produziert. Um 1888/89 wurde der gesamte Ziegeleibetrieb und der Hennigsdorfer Lehnschulzenhof Eigentum der Firma Simon Boehm.

Einer der ersten Ziegelmeister der Hennigsdorfer Ziegelei war Carl August Conrad aus Lindow, er und seine beiden Söhne Hermann und August prägten Hennigsdorf und die Umgebung über Jahrzehnte, zuerst durch eine Kalkbrennerei, später durch zwei Sägewerke und Baubetriebe.

Die Hennigsdorfer Ziegelei hatte den Wettbewerbsnachteil, relativ spät gegründet worden zu sein und den Tontransport nur mit erheblichen Kosten sichern zu können. Standortvorteil war der kurze Wasserweg havelabwärts zum Hauptabsatzmarkt Berlin. Dem Werk gelang es aber, diese Nachteile wohl vor allem durch die Spezialisierung – ab 1895 – auf Dachfalzziegel und glasierte Dachziegel sowie durch eine ganzjährige Produktion durch Nutzung der Abwärme weitgehend zu kompensieren.

Mit dem 10. Januar 1899 wurde die Firma „August Burg“ in eine Aktiengesellschaft umgewandelt. Gründer der Gesellschaft waren die beiden in Berlin ansässigen Handelsgesellschaften „Simon Boehm“ und „Dampfziegelei und Thonwerk Hennigsdorf a. H. August Burg“ mit den Kaufleuten Gebrüder Isidor (Gustav) und Alfred Boehm (Söhne von Simon Boehm) sowie Hugo Deutsch (ebenfalls verheiratet mit einer Tochter von Simon Boehm). Erhalten ist ein Firmenschild, heute Bestandteil der Geschichtsausstellung in Hennigsdorf, außerdem ein eine Werbe-Annonce (Abb. 3, 4).

Zweck der Gesellschaft war laut Handelsregister die Tongewinnung in Marwitz, der Transport des Rohmaterials nach Hennigsdorf, die Herstellung von Baumaterialien (Dachfalzziegel, Ziegel, Klinker, Kachelöfen, etc.) auf den Hennigsdorfer Ziegelei- und Fabrikanlagen und der Handel damit, hauptsächlich über das in Berlin betriebene Baumaterialiengeschäft. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts war das Werk eine der größten Anlagen in Norddeutschland (Abb. 5, 6).

Der Erste Weltkrieg ab August 1914 ließ die Bauindustrie weitgehend zusammenbrechen. Ziegeleiarbeiter meldeten sich freiwillig zu den Waffen und wurden eingezogen, etliche kamen nicht wieder. Die AEG, die sich ab 1909/10 zuerst südlich von Hennigsdorf niederließ, wurde im Laufe des Krieges auf die Rüstungsproduktion umgestellt. Nachdem sie 1916 die Aktien der „August Burg AG“ übernahm, entstanden nördlich der Ziegelei und Tonfabrik die Pulverfabrik und das Stahl- und Walzwerk, während der Ziegeleibetrieb gedrosselt weiterlief. Im Zusammenhang mit der erfolgten Übernahme durch die AEG legte der „alte“ Aufsichtsrat der Aktiengesellschaft die Ämter nieder. Neu in den Aufsichtsrat gewählt wurden die zum Interessenkreise der AEG gehörenden Herren Geheimer Kommerzienrat Felix Deutsch, Kommerzienrat Paul Mamroth, Baurat Paul Jordan, Professor Dr. Georg Klingenberg und Baurat Philipp Pforr (sämtlich in Berlin). Südlich des Dorfes entstanden weitere Fabriken der AEG, darunter Elektro-Lokomotivfabrik, Heizapparatefabrik, Porzellanfabrik sowie Öltuchfabrik und Lackfabrik; der Flugzeugbau begann schon 1910 im ehemaligen Sägewerk von Hermann Conrad.

Im Sommer 1910 wurde anlässlich der Teilnahme an der II. Ton-, Zement- und Kalkindustrie-Ausstellung in Berlin die freitragende „Burg-Wand“ aus glasierten Mönch- und Nonnenfalzziegel präsentiert (Abb. 7).

Nachdem der Betriebsleiter des Tonwerks Sandner 1913 plötzlich starb, brachte der Radeberger Paul Nötzold den Ziegeleibetrieb über die „Leidensjahre“ bis zum Ende des Krieges 1918. Der Geschäftssitz wurde von Berlin nach Hennigsdorf verlegt. Der Brand eines Ofens und eine Munitionsexplosion im August 1917 zerstörten große Teile des Werkes.

Noch bis in die 1920er Jahren wurden unter Nötzold und August Conrad in Hennigsdorf Dachziegel hergestellt, ehe der Betrieb in Liquidation ging und das Gelände vollständig abgeräumt wurde. Etwa 1934 ging die „August Burg AG“ in die „Grundstücks-Aktiengesellschaft Marwitz“ über, die nur noch den Geschäftszweck hatte, die ehemals zur Ziegelei gehörenden Immobilien zu verkaufen.

Der Januar 1933 war für die jüdischen Familien eine dramatische Verschärfung. Alle tragischen Entwicklungen aus der folgenden Epoche trafen auch die hier genannten jüdischen Familien Burg, Boehm und Deutsch: behördliche und öffentliche Diskriminierung, Auswanderung, Verkauf des Eigentums unter Druck und Zwang, Enteignung, KZ-Haft, Tod im Vernichtungslager, Suizid u. a. m. Vielen gelang die Flucht. Hermann Deutsch – Sohn von Hugo Deutsch und Enkel von Simon Boehm – verwaltete die Geschäfte der verschmolzenen Betriebe Burg-Boehm-Deutsch „bis zuletzt“ und machte sozusagen 1938 „das Licht aus“, bevor er über England in die USA emigrierte.

Nach Krieg und NS-Gewaltherrschaft folgte im April/Mai 1945 der totale Zusammenbruch und die sowjetische Besatzungszeit.

Von den Fabrikanlagen der „Ziegelei und Tonfabrik August Burg“ blieb nichts erhalten, lediglich Grundriss und Grundmauern des ehemaligen Direktorenwohnhauses an der Fabrikstraße haben die Jahrzehnte überdauert. Nach August Burg ist in Hennigsdorf eine Nebenstraße der Fabrikstraße benannt, in Marwitz erinnern einige Straßennamen an Tonberg, Tongrube und Tonbahn.

Der Ziegeleibetrieb hat wesentliche Impulse zur städtebaulichen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklung von Hennigsdorf gegeben. Die Einwohnerzahl verdoppelte sich „quasi im 10-Jahresrhytmus“, von etwa 400 vor der Errichtung der Ziegelei auf 610 im Jahre 1885, ca. 1200 im Jahre 1895 auf etwa 2400 in dem Jahr, als die AEG nach Hennigsdorf kam. Die Wohnbebauung entlang der Fabrikstraße, der Burg-Straße (heutige Albert-Schweitzer-Straße), der Seilerstraße und an den nördlichen und südlichen Dorferweiterungen - sowie im Abstand von etwa 20 Jahren zwei neue Schulgebäude - entstanden aufgrund dieser Entwicklungen.

Literatur

Euhausen, Klaus: Hennigsdorfs Gründerzeit – Die frühe industrielle Entwicklung bis 1910. In: Dorfidyll – Industriestadt – Lebensort. Beiträge zur Geschichte Hennigsdorfs 2016, S. 10-17.

Euhausen, Klaus: Ausführungen zur frühen industriellen Entwicklung von Hennigsdorf und Nieder Neuendorf (Landkreis Osthavelland, Brandenburg) von 1866 bis zur Ansiedlung der Großindustrie (AEG) ab dem Jahre 1910. Regionalgeschichte und Familienforschung. In: http://www.euhausen-klaus.de/Euhausen_Hennigsdorf_fruehe_industrielle_Entwicklung.pdf (21.09.2023)

Abbildungsnachweis

Abb. 1, 6 Gemeinfrei (Eintragungen Klaus Euhausen).

Abb. 2 Stadtarchiv Hennigsdorf, Postkartensammlung.

Abb. 3 Foto Klaus Euhausen, Hennigsdorf, aus der Ständigen Geschichtsausstellung der Stadt Hennigsdorf.

Abb. 4 Sammlung Klaus Euhausen, Hennigsdorf.

Abb. 5 Stadtarchiv Hennigsdorf.

Abb. 7 https://dachziegelarchiv.de/ (Tonindustrie-Zeitung Nr. 73, 1910).

Empfohlene Zitierweise

Euhausen, Klaus: Dampfziegelei und Tonwerk „August Burg“, Hennigsdorf, publiziert am 26.09.2023; in: Industriegeschichte Brandenburgs, URL: http://www.brandenburgikon.de (TT.MM.JJJJ)

Oberhavel

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