Jürgen Bartholomäus

In der Gegend zwischen Wildgrube und Schönborn kann man wie nirgendwo anders im Elbe-Elster-Kreis in einem kompakten, überschaubaren Gebiet vielfältige Spuren eines ausgedehnten Bergbaus auf Braunkohle förmlich in der Landschaft lesen (Abb. 1). Freilich sind diese Merkzeichen für den Laien nicht ohne weiteres erkennbar, bedarf es selbst für die meisten Bewohner des Landkreises kundiger Führer und gezielter Hinweise, diese aufzufinden und zu erkennen. Zum großen Teil erhalten sind Gebäude der Hohenzollernzeche, einer Brikettfabrik in Bad-Liebenwerda, sowie verschiedene Baulichkeiten der Tröbitzer Brikettfabrik „Hansa“. Deren markantestes Bauwerk ist die neue Kraftwerkshalle, die nie – wie wir noch sehen werden – als solche genutzt wurde. Kippen, Halden, Tiefbaubruchfelder, Tagebaurestlöcher, Stollenmundlöcher, Reste von Betriebsanlagen und nicht zuletzt das komplette Ensemble des technischen Denkmals Brikettfabrik „Louise“ (Abb. 2) zeugen davon, dass diese Region fast 150 Jahre lang ein wichtiger Standort des Braunkohlebergbaus sowie der Veredelung von Braunkohle im Westen des Niederlausitzer Braunkohlereviers gewesen ist. Während Gewinnung und Förderung von Braunkohle seit dem Ende der 1950er Jahre hier eingestellt wurden, ging die Braunkohlebrikettierung an den Standorten Domsdorf und Wildgrube bis Anfang der 1990er Jahre weiter, kam die dazu nötige Kohle per Zug aus dem Förderraum Lauchhamer.

Um die Mitte des 19. Jahrhunderts begann im Domsdorf-Tröbitzer Gebiet der Abbau der Braunkohle. Durch Funde an solchen Stellen, wo die Kohle mit ihrem Flözausgehenden zutage trat, war man auf den Rohstoff aufmerksam geworden, jedoch ohne von Anfang an die volle Tragweite der Entdeckung zu begreifen.

Nach mündlicher Überlieferung befand sich eine solche Fundstelle in Nähe der heutigen Kleingartenanlage Domsdorf-Siedlung. Der erste planmäßig geführte Bergbaubetrieb war Grube „Pauline“ bei Schönborn (Abb. 1). Sie befand sich am Nordosthang von „Gottschlings“ Berg, gegenüber der heute stillgelegten Glashütte. Seit 1847 förderte man dort Braunkohle1, zunächst im Tiefbau, später in der Tagebautechnologie. Es dauerte Jahrzehnte bis im Revier um Domsdorf weitere Braunkohlengruben ihren Betrieb aufnahmen. Mit der Inbetriebnahme der Eisenbahnstrecke Halle-Cottbus stiegen jedoch die Absatzchancen. Davon profitierten zumindest einzelne Betriebe. So konnte Grube „Pauline“ ihr Absatzgebiet für Nasspresssteine – ein Vorläuferprodukt der Braunkohlebriketts – bis nach Reußen, einem Ort in der Nähe von Halle, ausdehnen.2

Schließlich gab es in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zwischen den Orten Schönborn und Rothstein bzw. Domsdorf etwa 20 Braunkohleschächte, die in Abhängigkeit vom örtlich-regionalen Absatz erst einmal diskontinuierlich förderten. Noch vor der Jahrhundertwende waren die meisten von ihnen längst wieder außer Betrieb. Als Besitzer dieser Kleinstbetriebe traten größtenteils Landwirte der Umgebung auf, jedoch erwirbt alsdann relativ frühzeitig eine Finsterwalder Braunkohlen-Bergbaugesellschaft die ersten Kohlenfelder. Später treten als Grubenbesitzer weitere Einzelunternehmer auf. Sie kauften, wie zum Beispiel Justizrat Köpke aus Liebenwerda, gezielt landwirtschaftlich genutzte Flächen für eine spätere bergbauliche Nutzung. Nach Inkrafttreten des „Allgemeinen Bergrechts für die preußischen Staaten“ von 1865 musste jedoch jeder Bergbaubetrieb gegenüber dem Bergamt durch einen bergbaulich ausgebildeten Repräsentanten – meist ein Steiger – vertreten sein. Um die Jahrhundertwende – die Errichtung von Kohlegewinnungs- und -veredelungsanlagen wurde immer kapitalintensiver – verdrängten zunehmend Kapitalgesellschaften die kleinen Einzelunternehmer.

Übersicht über weitere wichtige Aufschlüsse von Braunkohlengruben im Kreis Liebenwerda3:

 

Grube

Standort

Beginn des Aufschlusses

Friedrich Gustav

Hohenleipisch

1864

Nr. 450

Kraupa

1864

Robert

Biehla

1868

Liebenwerda

Domsdorf

1875

Alwine

Domsdorf

1876

Therese

Domsdorf

1877

Bernhard Wilhelm

Domsdorf

1878

Wilhelmine

Domsdorf

1880

Luise-Anna

Döllingen

1883

Michaek

Domsdorf

1883

Paukisch

Domsdorf

1887

Rothstein

Rothstein

1887

Daniel

Rothstein

1887

Alexandra II

Hohenleipisch

1889

Maasdorf

Domsdorf

1892

Vogelsfreude

Rothstein

1893

Lubwart

Domsdorf

1895

Lauchhammer III

Lauchhammer

1897

Milly

Bockwitz

1897

Emanuel

Naundorf

1901

Wohlfahrt

Rothstein

1907

Ada

Döllingen

1911

Marie-Anne

Kleinleipisch

1911

Gotthold

Hohenleipisch

1912

Anna

Hohenleipisch

1919

Heinrich

Döllingen

1923

Die Entwicklung der Braunkohleindustrie im Domsdorf-Tröbitzer Gebiet ist mit Personen verbunden, die maßgeblich Einfluss auf diesen Industriezweig ausübten und eine gewisse Pionierrolle spielten. Beispielgebend ist hier Carl Schwabach.4 1906 bezeichnete ihn das Liebenwerdaer Kreisblatt in einem Nachruf als Begründer der Domsdorfer Braunkohlenindustrie.5 Schwabach tritt zunächst als Repräsentant der Tiefbaugrube „Bismarck“ auf, die nördlich der Schadewitzer Straße in Domsdorf gelegen, von der bereits erwähnten Finsterwalder Braunkohlen-Bergbaugesellschaft gegründet worden war. Darüber hinaus vertrieb er Kohle der Grube „Alwine“, die ihm und zwei weiteren Gesellschaftern gehörte. Zum damaligen Zeitpunkt verfügte „Alwine“ – heute zeugt eine kleine Wohnsiedlung zwischen Domsdorf und Tröbitz von ihrer Existenz – neben der Schönborner Grube Pauline als einzige über einen eigenen Bahnanschluss.6 Wenig später schied Schwabach als Besitzer von „Alwine“ aus. Offensichtlich verkaufte er die Grube an die Bergbaugewerkschaft „Eintracht I“. Bald darauf ist der umtriebige Schwabach mit einem neuen Projekt beschäftigt, das in einem persönlichen Fiasko endet: Unter seiner Leitung entsteht in Liebenwerda 1889/90 die „Hohenzollernzeche“. Sie war bis 1899 in Betrieb und verfügte über eine der ersten Brikettfabriken der Region, bekohlt über eine Drahtseilbahn aus einem Tiefbauschacht der Grube „Daniel“ bei Rothstein.7 Was Fachleute von Anfang an ahnten, findet schnelle Bestätigung. Das ehrgeizige Unternehmen gerät nach kurzer Betriebszeit in Zahlungsschwierigkeiten. Ein viel zu kleines Kohlefeld und nicht zuletzt die weite Förderung mit der Drahtseilbahn – sie gestaltete sich im Winter wegen des hohen Wassergehalts der Kohle besonders problematisch – waren Ursachen für den Misserfolg. Zahlreiche Gläubiger der Region und der Stadt Liebenwerda verloren ihr eingesetztes Kapital, Schwabach selbst sein gesamtes Vermögen, wozu auch ein Gut in Maasdorf gehörte. Nach der Stillegung der ebenfalls ihm gehörenden Tiefbaugrube „Maasdorf“ verlässt er die Region und stirbt 1908 total verarmt in Lucka. Noch Jahrzehnte später taucht sein Name im Zusammenhang mit Grundstücksangelegenheiten und Baugenehmigungen auf. Manche Domsdorfer Hausbaubesitzer können geplante Hausbauprojekte erst in den späten 1930er Jahren realisieren, nachdem im Grundbuch das Vorkaufsrecht der Firma Schwabach gelöscht worden war.8

Technisches Denkmal Brikettfabrik „Louise“ und seine Geschichte

Insgesamt sind im Förderraum Schönborn-Tröbitz-Domsdorf Kohlenfelder mit einer Gesamtausdehnung von 2.300 Hektar ausgebeutet worden.9 Deren ausdruckvollstes Zeugnis ist heute die bereits erwähnte Brikettfabrik „Louise“. Sie firmierte zuletzt unter dem wenig prosaischen Namen Brikettfabrik „Lauchhamer 62“. Mit Ausnahme der letzten noch in Betrieb befindlichen Brikettfabrik Schwarze Pumpte (Mitte) ist diese Anlage die einzige in der Lausitz – hier arbeiteten in den letzten 100 Jahren insgesamt etwa 120 Brikettfabriken10 -, deren technische Ausrüstung fast vollständig erhalten ist. Teilweise stammt sie noch aus dem Jahr der Inbetriebnahme. (Abb. 3)

Die Geschichte von „Louise“ beginnt in den späten 1870er Jahren: Erste Kunde erhalten wir von einem Herrn Schmidtsdorf, der am 30. August 1877 dem Bergamt Halle-Ost den Tiefbauschacht „Louise“ beschreibt und anzeigt. Schmidtsdorf scheint im Auftrag der Finsterwalder Braunkohlen-Bergbaugesellschaft Repräsentant von „Louise“ sowie von Grube „Therese“ gewesen zu sein. In dieser Eigenschaft zeigt er am 19. Januar 1882 dem Hallenser Bergrevierbeamten, d.h. dem Königl. Bergrat Mehner, an, dass die Gesellschaft beabsichtigt, den Grubenbetrieb dauerhaft zu eröffnen und eine Brikettfabrik zu „etablieren“.11 Neun Monate später, im September 1882, ging diese dann in Betrieb. Mit Schreiben vom 1. Oktober 1882 erhielt das Bergamt Mitteilung über die personelle Zusammensetzung der Betriebsleitung sowie der Aufsichtspersonen. Unterzeichnet hat das Schreiben Josel Werminghoff. Er leitete zu diesem Zeitpunkt die Gewerkschaft „Eintracht I“, die sich bald darauf zu einer der größten Kapitalgesellschaften der Lausitzer Braunkohlenindustrie entfaltete.12 Nachdem die Finsterwalder Bergbaugesellschaft in Konkurs gegangen war, übernahm die „Eintracht“ „Louise“ als ihr erstes Besitztum im Lausitzer Revier. Die Brikettfabrik blieb bis zur ihrer Sillsetzung 1991 fast ununterbrochen in Betrieb. Ursprünglich mit zwei Exter-Einfachstrangpressen ausgerüstet, verfügte sie zum Schluss über drei Zwillingspressen und fünf Einstrangpressen, die älteste davon Modell 1883, die jüngste Baujahr 1985. Seit der Betriebsgründung stehen die vier Tellertrockner, Baujahr 1881, an ihrem Montagestandort. Sie sind nach wie vor voll funktionsfähig, einer ist zu Demonstrationszwecken hergerichtet (Abb. 4, 5).

Mit zunehmender Pressenkapazität wuchsen die anderen Betriebsabteilungen. Zum Schluss waren sechs Teller- und zwei Röhrentrockner unterschiedlicher Größe und Alter in Betrieb. Parallel dazu passte man die Kesselanlage den höheren Kapazitäten an. Am Anfang hatte die Fabrik fünf Kessel mit dem heute bescheiden anmutenden Druck von 5 atü, bei der Stillsetzung verfügte sie über 11 Kessel. Das bedeutete eine größere Heizfläche und einen Druck von 12 bzw. 10 atü, bei einer überhitzten Dampftemperatur von 292°C/280°C. Das Wahrzeichen der Industrieanlage, der Schornstein, ist nicht mehr derselbe wie 1882. Seit 1901 waren es zwei, die allerdings 1925 im Rahmen einer Kesselhauserweiterung dem jetzt noch existierenden Schornstein weichen mussten (Abb. 6). Selbst den kürzte man in den 1990er Jahren im Rahmen der Denkmalsanierung und aus Sicherheitsgründen um einige Meter. All diese baulichen wie technologischen Veränderungen haben seit den 1880er Jahren das Gesicht von „Louise“ gewandelt. So erstaunt es nicht, dass der Lageplan von 1882 nicht mehr mit dem jetzigen identisch ist. Gleichwohl wurden die Bauwerke der Gründerzeit nicht abgerissen, vielmehr hat man sie im Laufe der Zeit sukzessive umgebaut, erweitert oder umgenutzt. Kühlhaus und Rohkohlebunker, die zur Optimierung des Produktionsablaufes und der Qualitätsverbesserung der Briketts entstanden, kamen neu hinzu.

Die technologische Weiterentwicklung und die Erhöhung der Produktionskapazität bestimmten über die Jahre nachhaltig die Entwicklung der Fabrik. In diesem Zusammenhang war die ständige Verbesserung der Energiewirtschaft von besonderer Bedeutung.

Die Modernisierung des Fabrikbetriebes

Eine Zäsur für die weitere Betriebsentwicklung war die durchgängige Einführung der Elektroenergie. Seit 1882 lief das Werk mit einfacher Dampf-Antriebstechnik und Petroleumlicht. Anfang hielt nur eine Dampfmaschine die Anlagen der gesamten Fabrik in Bewegung. Später kamen separate Antriebsmaschinen für den Nassdienst, d.h. für den Aufbereitungsbereich der grubenfeuchten Kohle, und den Betrieb des Trockendienstes hinzu. Nach 1925 begann die Installierung des allgemeinen Elektroantriebes auf der gesamten Grube. Gleichwohl ging die Einführung der neuen Energieform „Elektrizität“ nur schrittweise voran. Zuerst wurden die Betriebsanlagen durchgehend mit einer elektrischen Beleuchtung ausgestattet. Später folgten die Kraftanlagen. Erst mit dem Neuaufschluss des Tagebaus „Alwine“ kam auch ein elektrisch betriebener Abraumbagger zum Einsatz.13 Zeitzeugen14 berichten, dass die Tellertrockner Ende der 1920er Jahre (vermutlich 1928) vom Dampfmaschinen- auf Elektromotorenantrieb umgestellt wurden. Die beiden Röhrentrockner liefen von vornherein mit einem elektrischen Antrieb. Darüber hinaus setzte man für den gesamten Trockendienst von Anfang an die moderne Antriebstechnik ein, d.h. Drehstromnebenschlussmotoren. Erstmalig wird im Jahr 1904 eine elektrische Beleuchtung erwähnt. 1908 entstand auf „Louise“ die ursprüngliche Kraftzentrale. Ein Jahr später ging der erste Generator, ein sogenannter Schwungradgenerator, in Betrieb. Heute können Besucher des Denkmals seine Technologie an einem maßstabsgerechten Modell nachvollziehen. Für die Zukunft ist geplant, einen Generator gleicher Bauart aus einem anderem Werk der Region dauerhaft auf „Louise“ zu präsentieren. Unter einem Schwungradgenerator versteht man eine Dampfmaschine, bei der das Schwungrad als Generator ausgebildet ist. Die Maschinenleistung betrug bei einer Spannung von 3 x 500 Volt Wechselstrom etwa 250 Kilowatt. Während dieser Zeit setzte sich der Drehstrom gegenüber dem bisher üblichen Gleichstrom durch. Für den relativ weit entfernten Tagebau wurde die Spannung auf 5.000 Volt hoch- und dann am Verbrauchsort wieder auf 500 Volt abgespannt. Die Beleuchtungsspannung betrug 110 Volt.

Modernisierung des Grubenbetriebes

Für den eigentlichen Betrieb einer Brikettfabrik war die Einführung der Elektrizität als Antriebsenergie nicht so bedeutsam wie für die Tagebautechnik, die mit ihrer Hilfe einen massiven Aufschwung nahm. Beispielgebend war die 1924 in Betrieb genommene erste Abraumförderbrücke der Welt auf Grube „Agnes“ bei Plessa.15 Die Brückentechnik repräsentierte eine Technologie, die mit der Dampfmaschinentechnik nicht realisierbar gewesen wäre. Das Gleiche galt für moderne Schaufelradbagger.

Moderne Tagebautechnik setzte sich auch auf Grube „Louise“ sehr bald durch: Bereits 1902 begann das Werk, nordwestlich der Fabrik Kohle im Tagebau abzubauen (Abb. 1). Ihr Transport geschah vermutlich mittels Unter-Tage-Strecken zum Förderschacht der Fabrik, um dort durch die vorhandene Dampfmaschine nach Übertage befördert zu werden. Zunächst passierte die eigentliche Kohlengewinnung aus den Tagebaufeldern südlich und südöstlich der Brikettfabrik noch im Handbetrieb (Schurrenbetrieb, d.R.)16, während das Abräumen des Deckgebirges mittels dampfbetriebener Eimerkettenbagger erfolgte. Ab 1924 kam auch in der Kohlengewinnung ein dampfbetriebener Eimerkettenbagger zum Einsatz. Später ersetzte man die beiden dampfbetriebenen Abraumbagger durch einen elektrischen Doppelschütter – Eimerkettenbagger D 300. Wenig später kam in der Kohlengewinnung für die Aushaltung des Zwischenmittels ein Schaufelradbagger zum Einsatz. Er ersetzte endgültig die aufwendige Handschachtung. Da er sich gut bewährte, gab die Eintracht AG für „Louise“ einen zweiten Schaufelradbagger in Auftrag, der anstelle des Eimerkettendampfbaggers die Kohle abbaute.17

Für die Abraumbewegung lieferte 1929 die Firma Bleichert (Leipzig) einen so genannten Kabelbagger, eigentlich einen Kabelkran. Dieser Kabelkran war mit dem Bagger D 300 verbunden. Dessen Abraum-Massen förderte die Anlage mittels eines Kübels von der Baggerseite auf die Haldenseite, wo sie verstürzt wurden. Die Seile, über die dieser Kübel lief, waren an zwei Maschinentürmen aufgehängt, einer auf der Baggerseite, einer auf der Haldenseite. Gleichwohl erwies sich diese Anlage für „Louise“ als ungeeignet. Der voll beladene Kübel zog die Türme regelmäßig zur Grubenmitte. Dadurch entstanden kaum beherrschbare Gefahrensituationen, was schließlich dazu führte, dass im Dezember 1930, wenige Monate nach ihrer Inbetriebnahme, die Stillsetzung der Anlage erfolgte.18

Die Domsdorfer Abraumförderbrücke und ihr schwieriger Betrieb

Anstelle des Kabelkranes ging schon ein Jahr später, im Oktober 1931, eine Förderbrücke in Betrieb. Sie war eine der kleinsten des Reviers, wenn nicht überhaupt die Kleinste, und sie blieb von schlimmen Havarien verschont. Z.B. führte im Februar 1948 ein schwerer Sturm zum Einsturz der Brücke. Unter großen Schwierigkeiten – Material, Ausrüstungen und Fachleute waren in der Nachkriegszeit schwer aufzutreiben – wurde sie bis 1949 wiederaufgebaut, blieb sie bis 1954 im Tagebau Domsdorf in Betrieb. Wegen des sich verschlechternden Verhältnisses von Deckgebirge zur Kohle (D : K – Deckgebirge-Kohle-Verhältnis, d.V.) veranlasste die Eintracht AG Ende der 1930er Jahre eine Brückenertüchtigung, u.a. schloss man neben dem vorhandenen Eimerketten-Tiefbagger noch einen Hochbagger an.

Trotz ihrer geringen Größe schrieb die Domsdorfer Förderbrücke Technikgeschichte: Sie war die erste Brücke des Lausitzer Reviers, die 1939 circa drei Kilometer mit eigener Antriebskraft über Land verfahren wurde. Nach Auskohlung des so genannten Schadewitzer Feldes des Tagebaus Domsdorf bekam die Förderbrücke im Tagebau Grünewalde noch eine zweite Chance. Noch heute finden sich im Förderraum um Domsdorf Spuren ihres Betriebes, kann man ihre Tätigkeit, vorausgesetzt man/frau hat einen kundigen Führer, in der Bergbaufolgelandschaft lesen. Die so genannten Restlöcher 121, 124 und zum Teil 122 sind durch den Einsatz dieser Förderbrücke entstanden. Obwohl diese Folgelandschaft sich über 50 Jahre in freier Sukzession entfaltete und das von ihr ausgehende Gefahrenpotential als relativ gering angesehen werden kann, wird diese einzigartige Landschaft gegenwärtig im Auftrag der Lausitzer- und Mitteldeutschen Bergbau-Verwaltungsgesellschaft (LMBV, d. Red.) „saniert“. Es wird einige Mühe kosten sicherzustellen, dass nicht sämtliche Spuren des beschriebenen Bergbaubetriebes für immer verschwinden. Das würde das technische Denkmal Brikettfabrik „Louise“ in seiner Erklärung entwerten.

Ausbau der Kraftzentrale der Brikettfabrik „Louise“

Nach dem Ersten Weltkrieg stand die Brikettfabrik „Louise“ vor der Aufgabe, den zunehmenden Energiebedarf des Tagebaubetriebes abzudecken. Das bedeutete ständige Erweiterung der vorhandenen Energieerzeugungsanlagen. Aus diesem Grunde wurde die Kraftzentrale der Fabrik in zwei Bauabschnitten 1924 und 1938 zur heutigen Größe erweitert.19 Leider sind die Schwungradgeneratoren, die 1908 (250 Kilowatt, J.B.) und 1924 (etwa 300 Kilowatt, J.B.) zur Aufstellung kamen, Anfang der 1960er Jahre verschrottet worden. Der 1938 in Betrieb genommene Turbogenerator (1,25 Megawatt, J.B.) blieb bis zur Stillsetzung der Fabrik im Jahr 1991 in Betrieb (Abb. 7). Da der Abdampf der Turbine zusammen mit dem Abdampf der Pressen der Kohletrocknung diente, lastete man die Maschine im Normalbetrieb stets nur zu einem Drittel aus, da andernfalls ein Überangebot an Trockendampf bestanden hätte, der dann in die Luft geblasen werden musste. In Zeiten von Energiemangel, wie z.B. nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges, durchbrach man dieses Prinzip sehr oft. Mündlich ist überliefert, dass beim so genannten Inselbetrieb, also wenn der Betrieb sich ohne Netzeinspeisung selbst versorgen musste, die Spannung regelmäßig beträchtlich absank, vor allem dann, wenn die Förderbrücke Frostschichten im Abraum anbaggerte. Eine Netzeinspeisung seitens der Elektroversorger bestand früher schon. Jedenfalls war der Abspannturm der Tagebaustation für einen solchen Freileitungsanschluss ausgelegt. Auf einem Lageplan der Braunkohlenverwaltung Mückenberg20 ist eine 15-Kilovolt-Freileitung vom Ort Domsdorf her über den Laasweg (Schwarzer Weg) zur Tagebaustation (später Gleichrichterstation) eingezeichnet. Ab etwa 1950 erfolgte über die Grube „Hansa“ die Einspeisung vom Landesnetz. Nach 1938 gab es keine Erweiterung der Energieerzeugungsanlagen von „Louise“. 1950 kam lediglich Kessel 11 zur Aufstellung, dessen modernere Muldenrostfeuerung bei Führungen durch das Denkmal in seiner Funktionsweise regelmäßig vorgeführt wird.

Der Wandel zum technischen Denkmal

Seit Anfang der 1950er Jahre kam es in der Fabrik selbst zu keinen größeren Erweiterungsbauten mehr. Erwähnenswert ist jedoch der Einbau der Kühlwindsichteranlage im Jahr 1966. Damit stieg der Leistungsbedarf gegenüber der Jalousiekühlanlage21 von circa 10 kW auf fast 200 kW! 1985 kam nach der Demontage der alten Pressen 2, 3 und 4 eine neue, moderne Zwillings-Brikettpresse der Firma Zemag/ Zeitz zur Aufstellung. An dieser Stelle soll der Einbau der Elektrofilter in die so genannten Brüdenschlote nicht unerwähnt bleiben. Unter Brüden versteht man den Dampf, der aus der Rohkohle herausgetrocknet wird. Der Wassergehalt der Kohle wird dabei von etwa 60 Prozent auf 40 Prozent reduziert. Natürlich entweicht über den Schornstein nicht nur dieser Brüden, sondern auch der beim Trockenprozess aufgewühlte Kohlenstaub. Bereits Anfang der 1920er Jahre gab es Versuche, mittels Elektrofilter diesen Kohlenstaub zurückzugewinnen, um ihn dann zu verpressen. Anfang der 1930er Jahre bekamen die beiden Röhrentrocknerschlote derartige Anlagen. Die sechs Tellertrockner bleiben ohne eine solche. Sie allein dürften etwa vier Prozent der getrockneten Feinkohlenmenge – etwa zehn Tonnen Kohlenstaub pro Tag (!) – über die Schlote in die Luft und damit auf die Fabrik geblasen haben! Zu solchen, auch während DDR-Zeiten von den bergpolizeilichen Vorschriften abweichenden Technologien gehörten ferner der Einsatz veralteter Förderschnecken. Eine Ausnahmegenehmigung für deren Betrieb war beim zuständigen Bergamt jedes Jahr neu zu beantragen. Diese wurde regelmäßig erteilt, obwohl die Technik große Gefahren für den gesamten Fabrikbetrieb mit sich brachte.22 Den Rohkohlenabsatz stellte das Domsdorfer Werk noch vor Stillsetzung der Fabrik ein. Die dafür notwendigen Anlagen sind längst demontiert.

Am 18. November 1991 presste die inzwischen schon legendäre Presse 1, Jahr 1883, das letzte Brikett. Ein knapptes Jahr später, im September 1992, erfolgte die Aufnahme der Brikettfabrik – sie trug nun wieder ihren traditionellen Namen „Louise“ – als Gesamtensemble in die Denkmalliste des Landes Brandenburg. Die Trägerschaft für das zu entwickelnde technische Denkmal übernahm die Stadt Wahrenbrück – ein mutiger Schritt, der beispielgebend sein sollte. Seitdem sind mit Bergbausanierungs- und Denkmalgeldern umfangreiche Sanierungs- und Rekonstruktionsmaßnahmen an Dächern, Bauwerken und Innenanlagen durchgeführt worden. Zwölf unterschiedliche Maschinen und technische Anlagen werden bei Führungen durch das begehbare technische Denkmal in Funktion vorgeführt.

Weitere Brikettfabriken und Förderbetriebe im Förderraum Schönborn-Tröbitz-Domsdorf

Von April 1882 bis 1991 waren im Förderraum Schönborn-Tröbitz-Domsdorf zu unterschiedlichen Zeiten neben dem ausführlich beschriebenen Werk „Louise“ vier weitere Brikettfabriken in Betrieb. Sie gehörten zu verschiedenen Grubenbetrieben, die jeweils eigene Kohlenfelder ausbeuteten.

1. Grube „Pauline“ bei Schönborn

Wie bereits oben erwähnt, befand sich der Standort der Brikettfabrik „Pauline“ an der Wahrenbrücker Straße in Schönborn (Abb. 1). Heute sind die Spuren dieser Produktionsanlage weitgehend getilgt. Im Wald gelegen befinden sich dort noch Stallungen des in roter Ziegelbauwese errichteten Mehrfamilienhauses. Von der Produktionsstätte selbst ist nur noch das Gebäude der alten Schmiede erhalten. Vor der Inbetriebnahme der Fabrik produzierte man hier Nasspresssteine. Seit April 1882 bis 1924 war die Brikettfabrik in Betrieb (Abb. 8, 9). Anfangs kamen drei einfache Brikettstrangpressen sowie vier heißluftbeheizte Trockner (Windtrockenöfen) zur Aufstellung. Letztere stellten wegen der großen Verpuffungsgefahr ein erhebliches Betriebsrisiko (allein 1883 vier Explosionen, J.B.) dar. Deshalb tauschte man sie im Jahr 1884 gegen dampfbeheizte Trockenöfen aus.23

Die Bekohlung erfolgte aus einem Untertagebetrieb, später aus einem Tagebau. Die Auskohlung geschah übertage zunächst in Handschachtung, dem so genannten Schurrenbetrieb, und untertage im traditionellen Tiefbauverfahren des Pfeilerbruchbaus. Beim untertägigen Kohleabbau entdeckte man unterhalb der Abbausohle ein zweites Kohleflöz, das später alle Betriebe des gesamten Förderraumes ausschließlich im Tagebaubetrieb abbauten.

2. Hohenzollernzeche in Bad Liebenwerda

Der Standort der Hohenzollernzeche befand sich in der Berliner Straße, ihre Inbetriebnahme erfolgte im Mai 1890. Die Bekohlung geschah wie bereits erwähnt über eine 6,5 Kilometer lange Drahtseilbahn von der Tiefbaugrube „Daniel“ bei Rothstein. Der Standort dieser Grube ist heute noch erkennbar. An dieser Stelle befand sich auch die Dampfmaschine (etwa 23 PS, J.B.) für den Antrieb der Drahtseilbahn.24

Sehr bald erwies sich die Unternehmung wegen der geringen Kohlenvorräte und des langen Förderweges als irreparabel defizitär. Was folgte waren häufige Besitzwechsel. Nach 1900 richtete man in den Räumen der Hohenzollernzeche eine Ofenfabrik ein (Abb. 10). Diesem Umstand ist es zu verdanken, dass heute die Gebäude der damaligen Brikettfabrik noch weitgehend erhalten sind (2010 abgerissen – d.R.). Sie gleichen in ihrer Struktur und Anordnung denen der Brikettfabrik der Beutersitzer Kohlenwerke.

3. Die Beutersitzer Kohlenwerke

Der Standort der ersten Betriebsanlagen der Beutersitzer Kohlenwerke befindet sich heute im Südrandbereich vom so genannten Restloch 120 (Abb. 1). Dort gab es 1896 einen Tiefbauschacht, Schacht „Wilhelm“. Die hier geförderte Kohle expedierte man über eine Drahtseilbahn zum Bahnhof Beutersitz. Im Juni 1898 ging die Brikettfabrik in Betrieb (Abb. 10). Etwa zur gleichen Zeit verlor das Werk durch einen Brand die Endstation ihrer Drahtseilbahn am Bahnhof. Ein mit der Eintracht AG – wir erinnern uns, sie war die Besitzerin von Grube „Louise“ – abgeschlossener Vertrag25 legte später fest, dass die Anschlusslok der Fabrik „Louise“ auch die Kohleprodukte der Beutersitzer Kohlenwerke nach Beutersitz transportiert, d.h. nachdem eine entsprechende Stichbahn nach dem Bahnhof 1922 und ein neuer Brikettbunker auf dem Grubenanschlusshof von „Wilhelm“ gebaut worden war. Entsprechend dem Trend zur Großraumförderung hatte man hier bereits 1921 eine neue Waggonwaage mit einer Kapazität von 40 Tonnen gebaut, die der alten Waage betrug lediglich 25 Tonnen.26

Die Brikettfabrik – in der Region bekannt unter dem Namen „Wildgrube“ bzw. „Fabrik 61“ des Braunkohlekombinats Lauchhamer – rüstete die Maschinenfabrik Magdeburg-Buckau aus. Zunächst kamen vier Röhrentrockner und drei Einstrangbrikettpressen zur Aufstellung.

Für die Dampferzeugung standen vier Kessel mit je 95 Quadratmeter Heizfläche zur Verfügung. Der Kesseldruck betrug 8 atü. Mitte der 1920er Jahre gab es umfangreiche Modernisierungen auf „Wildgrube“. Gebaut wurden ein neues Kesselhaus mit Steilrohrkesseln und einem Schornstein sowie ein Maschinenhaus mit zwei Dampfturbinen.27 Im Betriebsplanantrag für das Jahr 1926 – wir wissen, dass die Wirtschaft der Weimarer Republik inzwischen boomte und der Brennstoffbedarf entsprechend groß war – begründet die Betriebsleitung der Beutersitzer Kohlenwerke die damalige Investitionsentscheidung folgendermaßen: Nach Ausdehnung der Grubenanlage „Wilhelm" Mitte der 1920er Jahre reicht „die elektrische Zentrale in der Brikettfabrik für unseren Grubenbetrieb in der bisherigen Stärke nicht mehr aus".28 Deshalb müsse man „eine neue elektrische Zentrale in solcher Höhe […] erbauen, dass wir unseren Bedürfnissen gerecht werden und außerdem die Erdbagger des Abraumbetriebes mit elektrischem Strom versorgen können".29

Bei der Fabrikstillsetzung im November 1991 waren acht Flammrohr- und zwei Steilrohrkessel, vier Einfach- und drei Zwillingspressen sowie sechs, zeitweise sieben Röhrentrockner im Einsatz. Die Brikettierleistung entsprach etwa der von „Louise", d.h. circa 500 Tonnen am Tag. Neben der technischen Ausrüstung unterschied sich „Wildgrube" von „Louise“ dadurch, dass sie mit Blick auf den (West-)Berliner Markt ab dem Jahr 1962 zur „Bündelfabrik“ ausgebaut wurde. Anfangs erfolgte die Bündelung (25 kg Bündel = 5 x 8 Briketts, J.B.) per Hand, später, d.h. in den 1980er Jahren geschah das vollautomatisch.30 Herausragendes Kennzeichen von „Wildgrube“ waren fast ein Jahrhundert lang die beiden Fabrikschornsteine, 1898 und 1927 aufgemauert. Heute sucht man diese identitätsbildenden Landmarken vergebens.

Die zu verpressende Kohle kam zunächst aus dem unmittelbaren Umfeld der Fabrik. Sie gewann man sowohl im Tagebau als auch im Tiefbau (Grubers Teich bzw. RL 120, J.B.). Ein Tiefbauschacht befand sich westlich vom alten Tröbitzer Sportplatz, die Kohle wurde mittels Drahtseilbahn zur Fabrik gefördert (Abb. 12). Schließlich gingen die Beutersitzer Kohlenwerke zum reinen Tagebaubetrieb über. 1935 nahm man eine kleine, aber für ihre Zeit sehr moderne Förderbrücke in Betrieb.31 Der hunderte Meter lange Ausleger benötigte keine Haldenstütze. Er war über Seilverbindungen mit einem Gegengewicht verbunden. Das Fahrwerk, sonst üblicherweise mit Drehstrommotoren bestückt, wurde bei dieser Brücke über einen Leonardsatz mit Gleichstrommotoren betrieben.32 Die Brücke erwies sich als außergewöhnlich leistungsfähig und technologisch robust. Ab 1959 ersetzte sie die zusammengestürzte Förderbrücke im Tagebau Klettwitz.

Nach der Auskohlung der Kohlenfelder um Domsdorf / Tröbitz wurde ab 1. Januar 1958 Brikettfabrik 61 („Wildgrube“, J.B.), ähnlich wie ihre „Schwester“ Bfk 62 („Louise“, J.B.), vom Lauchhammerförderraum her fremd bekohlt. Neben dem Ausbau zur Bündelfabrik und den Besonderheiten der Förderbrücke sind die beiden bereits oben beschriebenen Steilrohrkessel technikgeschichtlich von besonderem Interesse. Sie waren die modernsten, die je in einer Brikettfabrik des Förderraumes Schönborn-Tröbitz-Domsdorf installiert wurden. Ihrer heute vergleichsweise bescheidenen Dampfleistung entsprachen immerhin zwei Drittel der Kapazität von „Louise“, die ihre mit ihren elf Kesseln erreichte.

Mit einiger Sicherheit können wir davon ausgehen, dass die Fabrikbeleuchtung der Beutersitzer Kohlenwerke GmbH von Anfang an elektrisch geschah. Im Gegensatz zu „Louise“, die ein modernes Niederspannungsnetz von 500 Volt besaß, arbeitete man in Wildgrube mit den üblichen 3 x 380 V. Nur die Gruppenantriebe vom Nass- und Trockendienst wurden von je einem Drehstrommotor mit einer Spannung U = 3.000 V betrieben. Bei Ausfall eines solchen Motors stand hilfsweise eine Dampfmaschine als Antriebskraft zur Verfügung. Ab den 1960er Jahren stellte das Braunkohlenkombinat Lauchhamer die Fabrik auf Einzelantriebe um. Die Dampfmaschine (Typ „Hirschberg“, J.B.) wurde leider verschrottet.

Nach der Stilllegung der Wildgruber Brikettfabrik im November 1991 und ihrem darauffolgenden „Rückbau“ blieb von den eigentlichen Betriebsanlagen nichts erhalten. Hier dehnt sich heute eine öde Rasenfläche aus, die offensichtlich niemand mehr braucht. Lediglich einige Nebengebäude und Werkswohnungen erinnern an den regional bedeutsamen Industriestandort im sonst agrarischen Umland.

4. Grube „Hansa“ bei Tröbitz

Grube „Hansa“ (Neue Senftenberger Kohlenwerke, d. Red.) nahm bei der Kohlengewinnung über Tiefbauförderschacht, Kettenbahnförderung usw. eine vergleichsweise Entwicklung wie „Louise“ oder die Beutersitzer Kohlenwerke (Abb. 1). Die Brikettfabrik ging 1902 in Betrieb und war von Anfang an elektrifiziert.33 Die Industriearchitektur der Anlage unterscheidet sich von den bisher beschriebenen Fabriken: Pressenhaus, Trockendienst, Kesselhaus und Kühlhaus sind in Form eines Kreuzes angeordnet (Abb. 13). Der Trockendienst befand sich also nicht wie bei Fabrik 61 oder der Hohenzollernzeche über dem Pressenhaus. Mit sechs Pressen und zehn Röhrentrocknern (Heizfläche je 715 m², J.B.) ging die Fabrik 1902 in Betrieb. Bei der Stillsetzung 1952 trockneten noch neun Röhrentrockner, z.Z. mit wesentlich größerer Heizfläche, die Kohle. Zuletzt verpressten sechs Einfach- und vier Zwillingspressen die getrocknete und klassierte Kohle zu Briketts. 23 Flammrohrkessel erzeugten den notwendigen Dampf. Im Kraftwerk waren in der Endphase folgende Maschinen installiert: Ein Schwungradgenerator P = 1.080 KVA, U = 240 V; ein Schwungradgenerator P = 1570 KVA, U = 3 KV; 1 Gegendruckturbosatz mit 2 Generatoren (1,5 MW und 1,75 MW, U = 3 KV, J.B.); eine Kondensatturbine P = 195 MW, U = 525 Volt. Letztere war nach der Fabrikstilllegung noch bis 1966 in Betrieb.

Grube „Hansa“ hat, wie auch „Louise“ und „Wilhelm“, Kohlenfelder südlich der Bahnstrecke Cottbus-Falkenberg ausgebeutet. Die Auskohlung der nördlich gelegenen Fläche geschah ausschließlich durch „Hansa“, zunächst im Tiefbau, dann im Tagebaubetrieb. Die Abbauverhältnisse (bis zu 45 m Abraum) erforderten frühzeitig den Einsatz einer Förderbrücke. Sie ging 1927 als zweite der Lausitz in Betrieb (Abb. 14). Nach Auskohlung des so genannten Ostfeldes im Jahr 1952 war sie bis 1975 noch im Tagebau Skado bei Laubusch als zweite Brücke im Einsatz.

Wahrzeichen von „Hansa“ waren drei weithin sichtbare Schornsteine, der älteste aus dem Jahr 1901, der mittlere von 1913 oder 1924 und der dritte von 1935. Während die älteren eine Höhe von 60 m erreichten, war der zuletzt errichtete mit einer Höhe 95 m gleichzeitig der Rekordhalter für alle derartigen Bauwerke im Raum Schönborn-Tröbitz-Domsdorf. Er sollte nämlich zusätzlich die Rauchgase durch einen Wasservorwärmer „ziehen“. Allerdings war der Zug dafür – trotz seiner Höhe – nicht ausreichend. Schließlich plante die Betriebsleitung, einen elektrisch betriebenen Saugzug einzubauen. Das Projekt kam jedoch nicht mehr zur Ausführung – warum, können wir nur vermuten.

Weiter war geplant, dass Grube „Hansa“ alle anderen Grubenbetriebe der Region „überleben“ sollte. Grundlage dafür waren die so genannten Prießener Felder, deren Ergiebigkeit noch während des Zweiten Weltkrieges durch Bohrungen zweifelsfrei erkundet wurde. Die DDR – sie setzte bekanntlich in ihrer auf Autarkie ausgerichteten Volkswirtschaft auf die Braunkohle als fast ausschließlichen Primärenergieträger – verfolgte unter dem Namen „Braunkohle Buchhain“ ernsthaft dieses Projekt. Noch während des Krieges veranlasste die Senftenberger Kohlenwerke AG (Werhahn-Konzern, J.B.)34 auf der Basis der erkundeten Kohlevorräte umfangreiche Erweiterungsbauten auf Grube „Hansa“. In dieser entstand u.a. der markante Klinkerbau, der später als Halle 1 zur Weichenproduktion und dann als Hochregallager genutzt wurde (Abb. 15). Ursprünglich war dieses Bauwerk als Kraftwerk konzipiert. Entsprechend der Unternehmensplanung sollte das neue Kraftwerk noch 1945 in Betrieb gehen, ausgerüstet mit einem Turbogenerator P = 22 MW, U = 6 KV und zwei Kesseln, Leistung 51/64 Tonnen/h bei 135 atü (bar) und einer Dampftemperatur von 500 °C. Der Krieg und seine wirtschaftlichen Gegebenheiten verhinderten dies. Aus heutiger Sicht ist fraglich, ob das Projekt realistische Chancen einer Umsetzung hatte. Die Lagerstättenvorräte der Prießener Felder waren zum überwiegenden Teil nur als Kraftwerkskohle zu verwenden, ganz abgesehen von den ungünstigen Lagerungsverhältnissen. Außerdem schwankte die Flözmächtigkeit an einigen Stellen zwischen null und acht Metern. Das Einzige, was vom neuen „Hansa“-Kraftwerk seinem ursprünglichen Zweck entsprechend genutzt wurde, war das Schalthaus. Anfang der 1950er Jahre bestanden hier Leitungsverbindungen zur Brikettfabrik in Wildgrube und zur Gleichrichterstation von Grube „Louise“. Außerdem existierte eine Verbindung über zwei Leitungen zum regionalen Energieversorger, Schaltstelle Doberlug-Kirchhain. Die Spannung für alle Abgänge betrug 15 KV. Von „Hansa“ sind noch einige Baulichkeiten erhalten: das Magazin, die mechanische Werkstatt und das ehemalige Kühlhaus. Letzteres wird als Verwaltung genutzt. Nach wie vor wird das Ensemble von dem Kraftwerksbau dominiert, der gegenwärtig zum größten Teil ohne Nutzung ist.

5. Die Tiefbaugrube „Alwine“

Befährt man/frau aus Richtung Tröbitz kommend die Landesstraße nach Bad Liebenwerda, findet sich sehr bald rechter Hand ein unscheinbares Gebäudeensemble. Nur wenige Eingeweihte wissen, dass es sich hier um ungenutzte Gebäude der ehemaligen Tiefbaugrube „Alwine“ handelt (Abb. 1). Im Februar 1876 zeigte der dem Leser inzwischen wohl bekannte Bergwerksbesitzer Schwabach dem zuständigen Bergamt in Halle an, dass er beabsichtigt, an der Schadewitzer Straße der Ortschaft Domsdorf einen Tiefbauschacht für die Gewinnung von Braunkohle abzuteufen. Das war die Geburtsstunde von „Alwine“ – ein im Förderraum vergleichsweise kleines Grubenunternehmen, das bis 1918 Bergbau auf Braunkohle betrieb. Bereits ein Jahr nach der Anmeldung des Grubenbetriebes wurde eine neue Förderstätte beschrieben. Ihr Standort befand sich an dem der oben erwähnten Wohnsiedlung. Das große Familienhaus war das ehemalige Maschinenhaus, der westlich davon liegende Schuppen das Schachtgebäude, daneben befinden sich Fundamentreste der ehemaligen Verladebrücke. Bereits 1877 wird der Bau einer Anschlussbahn angezeigt, deren Trasse mit dem jetzigen Helmaweg identisch ist. Später verlegte man das Gleis über Grube „Louise“, mit der „Alwine“ lange eine Betriebsgemeinschaft bildete (Abb. 16). Jetzt war man in der Lage, die Kohle in der westlichen Verlängerung der Helma-Trasse zu vermarkten.35 Auf „Alwine“ existierte frühzeitig eine untertägige Kettenbahnanlage. Ursprünglich hatte die Grube drei Besitzer, ab 1885 ging sie – wir kennen das bereits von „Louise“ – in das Eigentum der Gewerkschaft „Eintracht“ I, der späteren „Eintracht“ Braunkohlenwerke und Brikettfabriken AG (ab 1. Januar 1887, d. R.), über.36 Wenn man von „Louise“ absieht, standen die „Eintracht“-Erwerbungen im westlichen Förderraum des Lausitzer Reviers unter keinem guten Stern. Von einem spektakulären Ereignis aus dem Jahr 1888 ist zu berichten: Am 4. August zerstörte ein verheerendes Feuer Förderturm, Maschinengebäude und den Hauptförderschacht von „Alwine“. Ursache war die Kettenbahn, deren Kette an einem Holzstempel geschliffen hatte. In dem Bestreben, die durch die Qualmentwicklung entstandenen schlechten Wetter rasch abzuführen, ordnete Direktor Zschoke an, auf dem Förderkorb ein kleines Feuer zu entzünden, um eine Sogwirkung im Förderschacht zu erzielen. Dabei dachte er in diesem Moment nicht an das frisch geteerte (geschmierte) Förderseil, an dem sich dann das Feuer blitzschnell nach oben ausbreitete und die beschriebenen Verwüstungen anrichtete. Dafür wurde Zschoke von der Konzernleitung mit einer Geldstrafe von 30 Mark belegt, was damals in etwa dem Schichtlohn von zehn Häuern entsprach. Im selben Jahr lösen sechs Jugendliche aus Tröbitz die Bremsen von drei Waggons, so dass diese bergab bis zum Bahnhof Beutersitz rollten. Der dort befindliche Prellblock war nicht in der Lage, sie aufzuhalten. Das waren Schäden, die vergleichsweise schnell, aber kostenintensiv, behoben werden konnten. Ein betriebswirtschaftliches Desaster ganz anderer Art war die Erwerbung der nahe von Hennersdorf gelegenen Grube „Emilie“ – ihre Bruchfelder sind heute noch beidseitig der Landestraße zwischen Finsterwalder und Hennersdorf zu sehen – im Jahr 1883. Vor allem deren kaum zu beherrschende Wasserzuflüsse erzwangen nach wenigen Betriebsjahren die Aufgabe von „Emilie“.37

Zurück zu „Alwine“: Ab 1909 wurde die Grube über eine Ferndampfleitung vom Kesselhaus „Louise“ versorgt, das eigene Kesselhaus außer Betrieb genommen. Dampf benötigte man vor allem für den Betrieb der vorhandenen Dampfmaschinen. Folgende Dampfmaschinen kamen hier 1884 zur Aufstellung: 1. Wasserhaltung, Leistung 60 PS; 2. Fördermaschine, Leistung 16 PS; 3. Kettenbahnbetrieb, Leistung 12 PS. Im selben Jahr verfügte die Grubenanlage über nachfolgende Gebäude: Wasserhaltungshaus/ Maschinenhaus, Kesselhaus, Fördermaschinenhaus, Förderturm, Zechenstube, Kettenbahnmaschinenhaus.38

Die Förderung betrug: 1876 etwa 90.484 Hektoliter (= ca. 6.500 Tonnen, d.R.), 1913: 2.400.000 Hektoliter (= ca. 171.000 Tonnen, d.R.).39

1918 erfolgte die Stillsetzung von „Alwine“, lediglich die Wasserhaltung blieb weiter in Betrieb.

Die kleineren Tiefbaugruben

Neben den beschriebenen Braunkohlengruben gab es im Förderraum Schönborn-Tröbitz-Domsdorf etwa 12 Tiefbaubetriebe. Sie hatten oftmals nur kleine Abbauflächen von wenigen Hektar.

Erwähnenswert sind Grube „Vogelsfreude“ und Grube „Michael“ (Abb. 1). Erstere war von 1893 bis 1923 in Betrieb, letztere nur von 1883 bis 1909. „Vogelsfreude“ verdankt ihren Namen dem Besitzer der Nachbargrube „Daniel“. Überliefert ist, dass Herr Vogel zu seinem Nachbarbetrieb ein etwas gespanntes Verhältnis hatte. Das Stollenmundloch von „Vogelsfreude“ ist heute noch erhalten und zu besichtigen, imposant vor allem durch die einfallende Strecke über eine schiefe Ebene (Abb. 17). Als sich in den 1920er Jahren auch im äußersten Westen des Lausitzer Braunkohlenreviers die „Tiefbauzeit“ endgültig dem Ende zuneigte40, wurde die Grube 1923 stillgesetzt. Ausschlaggebend für den konkreten Zeitpunkt war auch, dass die mächtige „Eintracht AG“ der Bergwerkgesellschaft „Vogelsfreude“, sie überlebte den eigentlichen Grubenbetrieb bis in die 1930er Jahre, den Bahnanschluss über „Alwine“ verwehrte, was zur Verbesserung der Absatzchancen dringend notwendig gewesen wäre. Zeitzeugen berichten, dass einige Zeit die Kohle mittels vollgummibereifter LKWs zum Bahnhof Liebenwerda transportiert wurde – eine störanfällige wie umständliche Methode, zudem betriebswirtschaftlich wenig sinnvoll.

Kleines Fazit

Auf dem Gebiet des heutigen Landkreises Elbe-Elster war der Braunkohlenbergbau um Schönborn, Tröbitz und Domsdorf über mehr als ein Jahrhundert, die Veredelung sogar 150 Jahre, ein wichtiger industrieller Wertschöpfungsfaktor der ansonsten ländlichen Region, u.a. deswegen ist hier so explizit darauf eingegangen worden. Die Ansiedlung solch vergleichsweise großer Industriebetriebe berührte alle Bereiche des menschlichen Lebens, prägte die Landschaft sowie ihre Siedlungs- und Infrastruktur. In manchen Ortschaften, wie z.B. in Schilda, hat sich während der „Kohlezeit“ die Bevölkerungszahl vervierfacht.

Mit den Industrieansiedlungen kam der technische Fortschritt in die ansonsten rückständige Region. Zum Beispiel wurden von der Grube „Hansa“ aus die Dörfer Tröbitz, Schönborn-Eichwald einschließlich Försterei Weißhaus bis in die 1960er Jahre mit Elektroenergie versorgt. In abgeschwächter Form traf das auch für „Louise“ zu. Sie versorgte bis 1961 die Siedlungen Domsdorf und Alwine mit elektrischem Strom. Die Ortsteile Eichwald, BKW und Tröbitz-Nord verdanken ihre Existenz gänzlich dem Bergbau.

Darüber hinaus beeinflusste der Bergbau kulturelle Traditionen. Bergleute, sie kamen meist von außerhalb, integrierten sich schrittweise in das kulturelle Leben der Ortschaften, schufen neue Traditionen. Waren es zu Anfang nur Theatergruppen, in denen Bergleute mitwirkten, so erreichte das kulturelle Leben etwa um 1950 einen Höhepunkt. Es gab Chöre in Domsdorf und Schönborn, Mandolinengruppen, Volkstanzgruppen usw. Im Sport trat die Federballgruppe besonders hervor.

Von großer Bedeutung waren die Aus- und Fortbildungskapazitäten der Unternehmen: Bereits frühzeitig waren die Braunkohleunternehmen bemüht, eigenen, qualifizierten Nachwuchs heranzubilden. Die Ausbildung von Lehrlingen erfolgte vor allem durch die „Beutersitzer Kohlenwerke“ und durch „Hansa”, später auch auf „Louise“, die erst 1949 eine eigene Lehrwerkstatt bekam. Ab 1951/52 sind die Lehrlinge aller drei Betriebe zentral in der Turbinenhalle des Kraftwerksneubaus von Grube „Hansa“ ausgebildet worden, bis man 1953 die bergmännische Berufsausbildung nach Lauchhammer verlagerte.

Nicht verschwiegen werden soll ein trauriges Kapitel der regionalen Bergbaugeschichte: die Beschäftigung von Zwangsarbeitern während der beiden Weltkriege, vor allem des Zweiten Weltkrieges. Die Zwangsarbeiterquote Lausitzer Bergbauunternehmen betrug zu verschiedenen Zeiten bis 75 Prozent der Gesamtbelegschaft.41 Ein Umstand, der öffentlich bis heute kaum reflektiert wird. 1943 waren z.B. auf Grube „Hansa“ 297 so genannte Ostarbeiter und 34 „sonstige“ Ausländer beschäftigt, teilweise unter erbärmlichen Arbeits- und Lebensbedingungen.

Der Bergbau hat in der Region bis heute seine Spuren hinterlassen. Zum einen sind dies die völlig veränderten Landschafts- und Reliefformen, vor allem die interessanten wassergefüllten Restlöcher, aber auch die erodierten, bewuchsfeindlichen Rippenstrukturen der Halden und Kippen sowie die Tiefbaubruchfelder. Auf der gesamten ausgekohlten Fläche sind noch zahlreiche Fundamentreste, Fragmente von Brückenbauten zu finden, die es teilweise wert sind, für die Nachwelt erhalten zu werden.

 

Der Beitrag erschien unter: Bartholomäus, Jürgen: Zur Geschichte des Braunkohlenbergbaus sowie der Braunkohlenveredelung im Förderraum Schönborn-Tröbitz-Domsdorf. In: Kulturamt des Landkreises Elbe-Elster (Hrsg.): Ein energiehistorischer Streifzug durch das Elbe-Elster-Land. Kohle, Wind und Wasser. Herzberg/Elster 2001, S. 46-69.

Er wurde hier mit neuen Abbildungen versehen.

 

1 Anm. d. R. Bergamtlich wurde die Grube erst zehn Jahre später, im Jahr 1857 registriert. Vgl. in diesem Zusammenhang: Matthias Baxmann, Bergbau und Verkehrswege im Elbe-Elster Kreis. In: Der Speicher. Jahresschrift des Kreismuseums Finsterwalde und des Vereins der Freunde und Förderer des Kreismuseums Finsterwalde. Heft 1. Bad Muskau 1997.

2 Vgl. Zechenbuch Grube „Pauline“ v. 1878.

3 Vgl. ebd.

4 Vgl. Liebenwerdaer Kreisblatt v. 15. Januar 1876: Hier bietet Carl Schwabach, der aus Tauglitz stammen solle, Kohle aus „seiner“ Grube „Alwine“ an.

5 Vgl. Ebd., vom 27. November 1906.

6 Vgl. Zechenbuch „Pauline“ vom 22. Dezember 1881.

7 Vgl. Zechenbücher der genannten Jahre und verschiedene Ausgaben des Liebenwerdaer Kreisblattes im Zeitraum 11.05. bis 25.06.1889.

8 Aussage beruht auf der mündlichen Überlieferung von W. Janischewski.

9 Vgl. Sanierungsplan Tröbitz/ Domsdorf, S. 21.

10 Vgl. Fridrich Knaut, Brikettfabriken der Lausitz. Ein Streifzug durch mehr als 100 Jahre Baunkohlebrikettierung in der Lausitz. Hrsg. V. Förderverein Lausitzer Bergbaumuseum Knappenrode e.V. Hoyerswerda 1999.

11 Vgl. Zechenbuch „Louise“ 1882.

12 Vgl. Matthias Baxmann, Konzern- und Syndikatsbildung. Zentralisation von Produktion und Kapital im Ostelbischen Braunkohlenbergbau Ende des 19./ Anfang des 20. Jahrhunderts. Sächsisches Wirtschaftsarchiv e.V./ Universität Leipzig – Sonderforschungsbereich „Regionalbezogene Identifikationsprozesse. Das Beispiel Sachsen.“ 2. Unternehmensgeschichtliches Kolloqium „Staat und Wirtschaft. Die sächsische Entwicklung vom ausgehenden 18. bis zum beginnenden 20. Jahrhundert“, 30.09. bis 02.10.1999, Dresden. (im Druck).

13 Vgl. Zechenbuch „Alwine“ v. 1925.

14 Elektrobrigadier Fischer (†), Brigadier Grögerchen(†)

15 Vgl. den Beitrag von Matthias Baxmann.

16 Mit ziemlicher Sicherheit kann davon ausgegangen werden, dass vor dem Einsatz erster Bagger auch das Abräumen des Deckgebirges mittels Handbetrieb geschah. Freilich geschah dies nur während einer relativ kurzen Übergangszeit.

17 Vgl. Festschrift zur Jubiläumsfeier der Brikettfabrik Domsdorf am 07.10.1957 des VEB Braunkohlenbohrungen und Schachtbau Tröbitz. O.O. 1957.

18 Vgl. Zechenbuch Grube „Louise“.

19 Die Erweiterungsbauten sind durch die Farbgebung an der Fassade des Gebäudes ablesbar, d.h. seit dem Bau von 1908 gab es insgesamt drei Bauabschnitte.

20 Anm. d. Red.: Nach der Sequestrierung (Enteignung) gehörte „Louise“, nun Braunkohlenwerk Domsdorf genannt, vorrübergehend zu dieser Struktureinheit.

21 Bei der Jalousiekühleranlage rutscht die getrocknete Feinkohle über zickzackförmig angeordnete Bleche (Jalousie) von oben nach unten und verliert dabei an Temperatur. Bei diesem Prozess müssen die Bleche bewegt werden. Bei einer Kühlwindsichter-Anlage wird die getrocknete Feinkohle in einen von einem Ventilator erzeugten Luftstrom geschüttet. Das Kohle-Luft-Gemisch wird durch so genannte Zyklone (konische Behälter) gewirbelt. Durch die Fliehkraft gelangt die gegenüber der Luft schwerere Kohle an die Innenwände der Zyklone und rieselt nach unten in den Lamellenförderer. Nach Durchlauf durch mehrere Zyklonstufen gelangt die mehr oder weniger staubfreie Luft über den Ventilator ins Freie.

22 Über die Transportschnecken breiteten sich nicht selten Feuer und Kohlenstaubverpuffungen aus.

23 Vgl. Zechenbuch „Pauline“ v. 1884.

24 Vgl. Liebenwerdaer Kreisblatt vom 11.05. bis 25.06. 1889.

25 Vgl. Zechenbuch.

26 Vgl. Recherche Matthias Baxmann: BLHA Pr. Br. Rep. 14 C Bergrevier Senftenberg Nr. 1092 (unpag.).

27 Anm. d R.: Vgl. ebd. Die zwei modernen Steilrohrkessel lieferte die Fa. Petry-Dereux aus Düren im Rheinland. Sie besaßen je 250 m² Heizfläche und 16 atü Überdruck. Außerdem jeder Kessel einen Dampfüberhitzer von je 65 m² Heizfläche zur Überhitzung des Dampfes auf 350 °C. Weiter waren die Kessel mit zwei Halbgasfeuerungen, System Keilmann & Vöckler (Bernburg/ Saale) ausgerüstet. Der neue Schornstein wurde 65 m über Terrain hoch und hatte eine obere Lichtweite von 2,5 Metern. Er verfügte über eine Entaschungsanlage im Sockelinnern, die in Eisenbeton ausgeführt war. Im Maschinenhaus kamen zwei gebrauchte Anzapfturboaggregate, die bis dahin im Kaliwerk Gewerkschaft Buttlar in Buttlar gestanden haben, zum Einsatz. Die Turbinen besaßen eine Leistung von 800 bzw. 600 kW:

1.) 1 AEG-Anzapfturbine, Baujahr 1912 (800 kW), gebaut für den Betrieb mit Dampf von 12,5 atm Eintrittsdruck und 350 °C Überhitzung, versehen mit einer Anzapfung zur Entnahme von stündlich bis 15.000 kg Dampf von 3 atm, abs. direkt gekuppelt und auf gemeinschaftlicher Grundplatte montiert mit 1 Drehstromgenerator mit einer elektrischen Leistung von 1.000 kVA, 3.150 Volt, 50 Per, 3.000 U/min, einschl. einem unter dem Maschinenhausflur angeordneten Oberflächenkondensation zum Niederschlagen des Dampfes der Turbine bei reinme Kondensationsbetrieb einschl. Nassluftpumpte mit direkt gekuppeltem Antriebsmotor, 220 Volt Drehstrom und der Kühlwasserpumpe mit Antriebsgenerator 3.000 Volt Drehstrom.

2.)  1 AEG-Anzapfturbine, Baujahr 1912, mit einer Leistung von 600 kW, gebaut für den Betrieb mit Dampf von 12,5 atm Eintrittsüberdruck und 350 °C Überhitzung, mit einer Anzapfung versehen zur Entnahme bis stündlich 12.000 kg Dampf von 3 atm, abs. direkt gekuppelt und auf gemeinschaftlicher Grundplatte montiert mit einem Drehstromgenerator, elektr. Leistung von 750 kVA, 3.150 Volt, 50 Per., 3.000 U/min einschließl. einem unter dem Maschinenhausflur angeordnetem Oberflächenkondensator zum Niederschlagen des Dampfes der Turbine bei reinem Kondensationsbetrieb einschl. Nassluftpumpe mit direkt gekuppeltem Antriebsmotor 220 Volt Drehstrom und der Kühlwasserpumpe mit Antriebsmotor 3.000 Volt Drehstrom.

28 Ebd. Betriebsplannachtrag für das Jahr 1926, eingereicht bei der Bergbehörde West-Cottbus am 14.09.1926.

29 Ebd.

30 Anm. d. Red.: Damit war „Wildgrube“ neben der Brikettfabrik „Meurostolln“ ein wichtiger Standort zur Brikettbündelung im Lausitzer Revier. Herausragend für die Geschichte des Standortes „Meurostolln“ war, dass hier 1974 die erste automatisierte Brikettbündelanlage (31 Setz- und Umreifungsautomaten, drei Palettierer, sechs Palettenumreifungsautomaten, Schwerlastrollenbahnen) der Lausitz in Betrieb ging. Von den 1.700 Tonnen Tagesproduktion konnten so bis zu 80 Prozent gebündelt und palettiert werden. Vgl. Archivrecherche Matthias Baxmann: BLHA Pr. Br. Rep. 14 C Bergrevier Senftenberg Nr 1092 und 878 (unpag.).

31 Anm. d. Red.: Wegen der besonderen Konstruktionsweise der Brücke stritten Fachleute darüber, ob das Großgerät noch als Förderbrücke zu klassifizieren oder ob sie lediglich ein Absetzergerät größerer Dimension sei. So schrieb die Region auch Technikgeschichte, die freilich wenig reflektiert ist.

32 Ein Leonardsatz ist ein von einem Drehstrommotor angetriebener Gleichstromgenerator, der die Gleichspannung für die Fahrmotoren lieferte.

33 Vgl. Zechenbuch Grube „Hansa“ v. 1901. Die elektrische Anlage wurde von der damals in der Region sehr bekannten Firma Fa. Herrmann Pöge/ Chemnitz gebaut.

34 Anm. d. Red.: Am 1. Mai 1938 pachtete die Firma Wilhelm Werhan in Neuß a. Rhein das Unternehmen Senftenberger Kohlenwerke AG. Der Konzern hieß ab diesem Zeitpunkt „Senftenberger Kohlenwerke Wilh. Werhahn“, rechtlich bestand die AG weiter. Vgl. Recherche Matthias Baxmann: Landeshauptarchiv (LHA) Magdeburg Rep. F 38 Anhang. OBA Halle Nr. 1159, Bl. 18 r.

35 Vgl. Zechenbuch „Alwine“, Betriebsplan 1877. Am 29. Juni 1877 wird von Schwabach gemeldet, dass der Eisenbahnbau in Angriff genommen worden sei. Am Ende der Bahn sollte eine neue Förderstätte „etabliert“ erden (an der Stelle der heutigen Siedlung „Alwine“). Die Bahn selbst wurde mittels Dampfloks betrieben.

36 Vgl. Braunkohle 31 (1932) 1, S. 49.

37 Vgl. Matthias Baxmann, Konzern- und Syndikatsbildung: Zentralisation von Produktion und Kapital im Ostelbischen Braunkohlenbergbau Ende des 19./ Anfang des 20. Jahrhunderts. Sächsisches Wirtschaftsarchiv e.V./ Universität Leipzig – Sonderforschungsbereich „Regionalbezogene Identifikationsprozesse. Das Beispiel Sachsen.“ 2. Unternehmensgeschichtliches Kolloqium „Staat und Wirtschaft. Die sächsische Entwicklung vom ausgehenden 18. bis zum beginnenden 20. Jahrhundert“, 30.09. bis 02.10.1999, Dresden. (im Druck)

38 Vgl. Zechenbuch „Alwine“ 1884.

39 Vgl. Zechenbücher „Alwine“ 1876 und 1913. Anm. d Red.: Bis zum Ersten Weltkrieg wurde die Förderleistung meist mit Hohlraummaß Hektoliter (hl) angegeben. 1 hl = 72 kg oder 14 hl = 1 t.

40 Anm. d R.: Nach dem Ersten Weltkrieg vollzog sich in der deutschen Braunkohlenindustrie eine rasante Modernisierungswelle sowie eine einschneidende Konzentration und Zentralisation von Kapital und Produktion, in deren Ergebnis die Familienbetriebe aufgeben mussten oder von den Großen „geschluckt“ wurden. Ursache war im Wesentlichen die gestiegene Bedeutung der Braunkohle als Brenn- und Rohstoff, zusätzlich befördert durch den Verlust der Steinkohlenfördergebiete und der sich rasant entwickelnden Elektrizitätswirtschaft.

41 Vgl. Recherche Matthias Baxmann im BLHA Potsdam.

Abbildunsnachweis

Abb. 1 Beschreibende Darstellung der älteren Bau- und Kunstdenkmäler des Kreises Liebenwerda. Bearbeitet von Heinrich Bergner und Heinrich Nebelsieck. Mit 217 Textbildern, 26 Tafeln in Lichtdruck und einer geschichtlichen Karte von (G.) Reischel (= Beschreibende Darstellung der älteren Bau- und Kunstdenkmäler der Provinz Sachsen. Heft 29). 1910.

Abb. 2 https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Tr%C3%B6bitz_003,_Brikettfabrik_Louise.JPG (Foto: Wolkenkratzer - CC BY-SA 4.0).

Abb. 3, 6, 8, 9, 11-14 Sammlung Dr. Günter Grundmann (Detmold).

Abb. 4, 17 Jürgen Bartholomäus.

Abb. 5 https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Brikettfabrik_Louise_(5906356522).jpg?uselang=de (Foto: Rene Schwietzke – CC BY 2.0).

Ab. 7 https://www.kuladig.de/Objektansicht/BKM-32002344 (Abgerufen: 8. April 2024).

Abb. 10 https://de.wikipedia.org/wiki/Datei:SchamotteofenFabrik.jpg.

Abb. 15 https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Landmaschinenbau_Troebitz.jpg?uselang=de (Foto: René Born – CC BY-SA 2.0).

Abb. 16 https://brandenburg.museum-digital.de/object/4192 (museum digital - CC BY-NC-SA @ Technisches Denkmal Brikettfabrik "Louise").

Empfohlene Zitierweise

Bartholomäus, Jürgen: Zur Geschichte des Braunkohlebergbaus sowie der Braunkohleveredlung im Förderraum Schönborn-Tröbitz-Domsdorf, publiziert am 10.04.2024; in: Industriegeschichte Brandenburgs, URL: http://www.brandenburgikon.de (TT.MM.JJJJ)

Religion und soziales Engagement im Messingwerk

Marie Schröder

Nachdem das Messingwerk im Finowtal bei Eberswalde 1863 von dem Halberstädter Familienunternehmen Aron Hirsch & Sohn gekauft worden war, wurde Gustav Hirsch (1822-1898) (Abb. 1) mit der Leitung des neuen Standortes betraut. Nach seinem Tod im Jahr 1898 trat sein Neffe Aron Hirsch (1858-1942) (Abb. 2) die Nachfolge an. Beide Persönlichkeiten gehören zu den wenigen jüdischen Industriellen in der Provinz Brandenburg, deren Wirken nicht nur im unternehmerischen Bereich Bekanntheit erlangte. Auch durch ihr religiöses und wohltätiges Engagement im Messingwerk, in Berlin und in Halberstadt genossen sie im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert hohes Ansehen in breiten jüdischen wie nichtjüdischen gesellschaftlichen Kreisen.

Das religiöse Leben der gesamten Familie Hirsch in Halberstadt, wo Gustav und Aron Hirsch aufwuchsen, stand im Zeichen der Neo-Orthodoxie. Diese religiöse Strömung des Judentums war im Verlauf des 19. Jahrhunderts in Deutschland als eine Gegenbewegung zu den sich immer stärker verbreitenden religiösen Reformbestrebungen entstanden, repräsentierte an der Wende zum 20. Jahrhundert allerdings nur noch eine Minderheit der jüdischen Deutschen. Zeichneten sich die reformorientierten bzw. sog. liberalen Gemeinden durch unterschiedlich weitreichende Veränderungen in der Liturgie sowie durch die äußere Anpassung von Synagoge und Gottesdienst an die Ästhetik der christlichen Konfessionen aus, so waren Erkennungsmerkmale der Neo-Orthodoxie die strenge Beibehaltung der Traditionen und die exakte Einhaltung der religiösen Gebote des Judentums. Das Neue an dieser Orthodoxie war ihre Anschlussfähigkeit an die Moderne. Sofern das jüdische Gesetz es nicht verbot, wurden Neuerungen wie beispielsweise die profane Bildung gefördert.

Dass Gustav und Aron Hirsch auch im Erwachsenenalter der orthodoxen Religiosität persönlich verpflichtet blieben, ist mehrmals überliefert. Die Tochter Gustav Hirschs erinnerte sich an ihren Vater als „von tiefster echter frommen [sic!] Gläubigkeit“ geprägt und berichtete, dass er „in Lehre und Leben fest an der Tradition“ gehangen habe (Bondi, 5). Über seinen Neffen hieß es in einem Zeitungsbericht, er sei „getreu den Traditionen seiner Familie, auch im öffentlichen Leben immer auf Seiten der konservativ gerichteten Bestrebungen geblieben“ (Der Israelit 7/1928, 6).

Kontinuierlich engagierten sich beide in der jüdischen Gemeinde in Halberstadt, wo das Stammhaus des Unternehmens Aron Hirsch & Sohn verblieb. Im hinzugekauften Messingwerk, auf dessen Gelände er mit seiner Familie über Jahre wohnte (Abb. 3), legte Gustav Hirsch ebenfalls von Anfang an großen Wert auf seine und die völlige religiöse Observanz der zahlreichen jüdischen Lehrlinge und Angestellten. Die Bedingungen dafür schuf er, indem er koschere Ernährung und die Einhaltung des Schabbat ermöglichte sowie die notwendigen Räumlichkeiten wie den Betsaal, ein Ritualbad für Frauen und eine Laubhütte unterhielt (Abb. 4). Dass Gustav Hirsch in der bald entstehenden inoffiziellen Gemeinde der Messingwerkssiedlung zudem sogar selbst die Rolle der religiösen Autorität verkörperte, beschrieb devot ein Angestellter: Bis zu seinem Tod habe der Unternehmer „mit der ihm innewohnenden warmen und tiefen Herzensfrömmigkeit“ zu den hohen Feiertagen und teilweise während der Schabbat-Gottesdienste die Aufgaben des Vorbeters übernommen (Fischer 2008, 58ff.). Auch in der jüdischen Gemeinde Eberswalde war Gustav Hirsch präsent. Er bekleidete zwischen 1871 und 1889 verschiedene Ehrenämter in deren Verwaltung, darunter das eines Repräsentanten, und beteiligte sich finanziell am Neubau der Eberswalder Synagoge im Jahr 1890 (Fischer 2008, 59f.) (Abb. 5).

Der Einsatz für die Erhaltung der jüdischen Tradition beschränkte sich für Gustav Hirsch nicht auf die beiden wichtigsten Standorte Halberstadt und Eberswalde. Als Mäzen und mit persönlichem Einsatz beteiligte er sich auch an der Gründung und Unterhaltung der orthodoxen Gemeinde Adass-Jisroel in Berlin. Esriel Hildesheimer, Rabbiner dieser Gemeinde und ein führender Gelehrter der strengen Neo-Orthodoxie, war sein Schwager. Dessen und die finanzielle Existenz der Gemeinde mit ihrem zugehörigen Rabbinerseminar waren auch der Finanzkraft des Unternehmers zu verdanken (Raddatz 2015, 145). Geradezu salbungsvoll beschrieben wurde in der Öffentlichkeit allerdings vor allem seine Übernahme von Ämtern: „Unvergleichliche Verdienste erwarb er sich als umsichtiger Rendant des Rabbinerseminars in Berlin für die Consolidirung dieser Anstalt“, war beispielsweise nach seinem Tod über ihn zu lesen (Der Israelit 38/1898, 700).

Aron Hirsch, der als Leiter des Messingwerks, anders als zuvor sein Onkel, nicht vor Ort, sondern in Berlin lebte, war an der Gestaltung des jüdischen Lebens am Industriestandort weniger beteiligt, trat aber als aktives Mitglied von Adass-Jisroel auf. Er fungierte über Jahre als Repräsentant und fand mehrfach Erwähnung in der orthodoxen Presse.

Die jüdischen Gemeinden waren ein Bereich, in dem Gustav und Aron Hirsch freiwilliges Engagement zeigten. Darüber hinaus pflegten beide, wie in Beschreibungen ihrer Persönlichkeiten immer wieder betont wurde, Wohltätigkeit für jüdische, aber auch nichtjüdische Bedürftige (Zielenziger 1930, 205). Im industriellen Bereich gehörte dazu, aus religiösen Motiven oder auch ökonomischen Erwägungen, auf geradezu paternalistische Art und Weise Verantwortung für die von ihnen abhängigen Arbeiter und Angestellten zu übernehmen. Bereits seit der Gründung von Aron Hirsch & Sohn zu Beginn des 19. Jahrhunderts wurde in diesem Unternehmen dem Ausgleich von Individuum und Profitinteresse, etwa durch Einrichtung einer Kranken- und Unterstützungskasse für Arbeiter, ein gewisser Stellenwert eingeräumt (Raddatz 2015, 140).

Am Standort in der Provinz Brandenburg, in der sich mit der Industrialisierung ein Arbeiterelend aus niedrigen Löhnen, schlechten Arbeitsbedingungen und Wohnverhältnissen weit verbreitet hatte (Müller / Müller 1995, 449), handelte zunächst Gustav Hirsch offenbar in entsprechender Weise. Über seine Verdienste um die Begrenzung solch prekärer Verhältnisse berichtete die „Eberswalder Zeitung“ nach dem Tod des Messingwerkleiters:

„Der Verstorbene hat sich nicht nur verdient gemacht dadurch, daß er durch seine geschäftliche Tüchtigkeit ein industrielles Werk, das unter staatlicher Leitung fast zu Grunde gegangen war, zu neuer Blüte brachte und einer zahlreichen Arbeiterschaft lohnende Beschäftigung gab; sondern daß er als ein wohlmeinender Arbeitgeber jederzeit für ihr Wohlergehen besorgt und thätig war“ (Eberswalder Zeitung 108/1898).

Konkreter dokumentiert als das offenbar allseits angesehene Wirken Gustav Hirschs ist jedoch das seines Nachfolgers Aron Hirsch. Nachdem dieser 1898 die Leitung des Messingwerks übernommen hatte, sorgte er nicht nur für die Modernisierung der Fabrik, sondern verwirklichte in den folgenden Jahren auch verschiedene Maßnahmen zur weiteren Verbesserung von Arbeitsbedingungen und Sozialfürsorge. Besonders bekannt war der Neubau mehrerer Arbeiterwohnhäuser in der Messingwerkssiedlung. Bereits seit Bestehen der Fabrik bekamen deren Angehörige dort Wohnraum gestellt, mit den Fertigstellungen der Häuser ab 1913 wurde die Wohnqualität den Standards der Zeit angenähert: Das im Jahr 1916/17 vollendete Gebäude bot den Arbeitern schließlich auch Waschküchen, Gemeinschaftsbäder und Innentoiletten (Seifert 2000/01, 187f.).

Der Erste Weltkrieg bedeutete für die Hirsch Kupfer- und Messingwerke AG eine große Steigerung der Produktion zu Kriegszwecken und damit auch ein Anwachsen der Arbeiterschaft. Deren Unterstützung wurde auch in diesen Jahren nicht vernachlässigt. Ab 1915 sollten beispielsweise Milchkühe die Bewohner des Werks unabhängiger von Knappheit in der Lebensmittelversorgung machen (Seifert 2000, 38). 1917 wurde eine Volksküche eingerichtet, hinzu kamen die Sicherstellung der Trinkwasserversorgung durch den neu errichteten Wasserturm sowie verschiedene Unterhaltungsangebote für die Belegschaft. Im Jahr 1918 folgte die Einweihung eines Erholungsheims in der Nähe des Messingwerks, das eine Kompensation für die Mehrbelastung aller Beschäftigten darstellen sollte (Raddatz 2015, 171ff.).

Für ihre unternehmerischen und wohltätigen Leistungen konnten Gustav und Aron Hirsch sowohl unter Juden als auch unter Christen eine entsprechende Anerkennung erlangen. Noch über die ersten Begegnungen Gustav Hirschs mit der Bevölkerung des Finowtals äußerte sich rückblickend seine Tochter:

„Es wird erzählt, dass nach dem Erwerb des Messingwerks die märkischen Gutsnachbarn wie auch die in der echt preussischen Tradition erwachsenen Arbeiter voller Vorurteil den neuen jüdischen Besitzern gegenüber standen, von denen sie Profitgier und Gewinnsucht ohne menschliches Empfinden und Rücksicht im geschäftlichen Gebaren […] erwarteten“ (Bondi, 2).

Mit der Zeit wich die Skepsis jedoch großer Beliebtheit. Ein Beleg dafür war die große Anteilnahme der Bevölkerung an Gustav Hirschs Tod, nachdem dieser über dreißig Jahre lang die Geschäfte im Messingwerk gelenkt hatte: „Soweit der Blick reichte, dehnte sich die Trauerversammlung, die, Kopf an Kopf gedrängt, Vorgarten und Straße füllte“ (Die jüdische Presse 19/1898, 209), war über den Andrang zu der in seinem Wohnhaus stattfindenden Trauerfeier in der Zeitung zu lesen, an die sich ein Leichenzug bis zum Eberswalder Bahnhof anschloss, gleichermaßen gesäumt von einer großen Zahl von Arbeitern und Anwohnern.

Von der weiteren Öffentlichkeit hatte Gustav Hirsch zurückgezogen gelebt. Stärker präsent war hingegen sein Neffe Aron Hirsch, der sich Zeit seines Lebens „großen Ansehens in allen Kreisen der Berliner Gesellschaft“ (Der Israelit 7/1928, 6) erfreute und bald „zu den bekanntesten Industriellen seiner Zeit“ (Schulze 1998, 297) zählte. Neben der Führung des Messingwerks erlangte er weit über das Finowtal hinaus Prominenz als Leiter des gesamten Hirsch-Konzerns. Er trat in verschiedenen Gremien der überregionalen industriellen und finanziellen Elite auf, dazu gehörte der Vorstand des Zentralverbandes der Walzwerk- und Hüttenindustrie, der Aufsichtsrat der Deutschen Bank und der Berliner Industrie- und Handelskammer. Im wissenschaftlichen Bereich hatte sich Aron Hirsch zudem als Ägyptologe einen Namen gemacht. In Form der Ehrendoktorwürde der Technischen Hochschule in Dortmund wurde ihm 1922 eine offizielle Anerkennung zuteil (Zielenziger 1930, 204 f.). In den 1930er Jahren verlor die Familie Hirsch ihre Anteile am Messingwerk. Mehrere Familienmitglieder emigrierten, Aron Hirsch verblieb in Deutschland, wo er 1942 starb.

Gustav und Aron Hirsch waren mehr als nur erfolgreiche jüdische Großindustrielle. Sie waren vermögend und sie zeigten großes persönliches Engagement. Dieses Zusammenspiel ermöglichte es ihnen, ihre Vorstellungen umzusetzen und vielfältige Rollen im öffentlichen Leben einzunehmen. Sie waren Großindustrielle genau wie Vorkämpfer einer religiösen Minderheit (Neo-Orthodoxie) in der Minderheit (Juden), sie agierten als Patrone ihrer jüdischen wie nichtjüdischen Belegschaft und waren geschätzte Autoritäten, nicht zuletzt in der gesellschaftlichen Elite.

Quellen

Bondi, Esther: [Erinnerungen an] Gustav Hirsch. [Typoscripft o.J.], Leo Baeck Institute, Archives LBI Memoir Collection (ME 298b), Nr. MM 35.

O. A. Aus Eberswalde und Umgegend. In: Eberswalder Zeitung 18 (108/1898).

O. A.: Correspondenzen. Deutschland. In: Die jüdische Presse. Organ für die Gesammtinteressen des Judenthums 29 (19/1898), S. 209-211.

O. A.: Gustav Hirsch. In: Der Israelit. Ein Central-Organ für das orthodoxe Judenthum 39 (38/1898), S. 699-701.

O. A.: Personalien. Aron Hirsch. In: Der Israelit. Ein Centralorgan für das orthodoxe Judentum 69 (7/1928), S. 6.

O. A.: Zeitungsnachrichten und Correspondenzen. Deutschland. In: Der Israelit. Ein Central-Organ für das orthodoxe Judenthum 43 (92/1902), S. 1928-1930.

Zielenziger, Kurt: Juden in der deutschen Wirtschaft. Berlin 1930.

Literatur

Fischer, Ingrid: Eberswalde. In: Diekmann, Irene A. (Hg.): Jüdisches Brandenburg. Geschichte und Gegenwart. Berlin 2008, S. 52-84.

Müller, Hans Heinrich / Müller, Harald: Brandenburg als Preußische Provinz. Das 19. Jahrhundert bis 1871. In: Ribbe, Wolfgang / Materna, Ingo (Hg.): Brandenburgische Geschichte. Berlin 1995, S. 395-502.

Raddatz, Sascha: Der Einfluss der religiös tradierten Auffassungen von Wohlfahrt im Judentum auf die Führung von Unternehmen, dargestellt am Beispiel der Hirsch Kupfer- und Messingwerke AG in der Zeit von 1880 bis 1918. In: Diekmann, Irene A. / Dick, Jutta (Hg.): Von der Metallschmelze im Waschhaus zum international agierenden Industrieunternehmen. Beiträge zur jüdischen Unternehmer- und Unternehmensgeschichte. Familie Hirsch in Halberstadt zwischen 1805 und 1927. Potsdam / Halberstadt 2015, S. 117-190.

Schmidt, Rudolf: Hirsch. Ein Kaufmanns- und Industriegeschlecht. Eberswalde 1929. [Siehe: Hier]

Schulze, Peter: Vom Handelshaus „Aron Hirsch & Sohn“ zu den „Hirsch Kupfer- und Messingwerken“ (1806-1931). Ein fast vergessenes Kapitel aus der Geschichte der deutschen Metallindustrie. In: Dick, Jutta / Sassenberg, Marina (Hrsg.): Wegweiser durch das jüdische Sachsen-Anhalt. Potsdam 1998, S. 290 299.

Seifert, Carsten / Bodenschatz, Harald / Lorenz, Werner: Das Finowtal im Barnim. Wiege der brandenburgisch-preußischen Industrie. 2. Aufl. Berlin 2000.

Seifert, Carsten: Zwischen Tradition und Moderne. Kunst und Architektur in Messingwerk zu Beginn des 20. Jahrhunderts. In: Eberswalder Jahrbuch für Heimat-, Kultur und Naturgeschichte 2000/2001, S. 183-198.

Abbildungsnachweis

Abb. 1-3 Schmidt, Rudolf: Hirsch. Ein Kaufmanns- und Industriegeschlecht. Eberswalde 1929.

Abb. 4 Diekmann, Irene A. (Hg.): Jüdisches Brandenburg. Geschichte und Gegenwart. Berlin 2008.

Abb. 5 https://brandenburg.museum-digital.de/index.php?t=objekt&oges=2513 (Museum Eberswalde - CC-BY-NC-SA).

Empfohlene Zitierweise

Schröder, Marie: Gustav und Aron Hirsch. Religion und soziales Engagement im Messingwerk, publiziert am 23.03.2022; in: Industriegeschichte Brandenburgs, URL: http://www.brandenburgikon.de (TT.MM.JJJJ)

Jüdische Fabrikanten und Wohltäter in Luckenwalde

Marie Schröder

Im Jahr 1853 wurde die sogenannte „Große Fabrik“, die erste Tuchfabrik in Luckenwalde, an die jüdische Firma Tannenbaum, Pariser & Co. verkauft. Mit Heinrich (Heymann) Pariser (1808–1878) ließ sich in der Folge erstmals ein jüdischer Fabrikant dauerhaft in der Stadt im Fläming nieder. 1869 kam es schließlich zur Gründung einer eigenen jüdischen Gemeinde, die in den folgenden Jahrzehnten langsam wuchs und zu der bald weitere Fabrikanten gehörten. Unter ihnen befand sich auch Carl Goldschmidt (1846–1911) (Abb. 1), der in der Tuchmacherstadt Luckenwalde schließlich die Hutfabrikation etablierte (Abb. 2). Heinrich Pariser und nach ihm sein Sohn und Nachfolger in der Firmenleitung, Georg Pariser (1853–1925), sind ebenso wie Carl Goldschmidt herausragende Beispiele erfolgreicher jüdischer Fabrikanten, die im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert nicht nur zur industriellen Entwicklung Luckenwaldes beitrugen, sondern gleichwohl die jüdische Gemeinde und das städtische Leben prägten.

Im Bereich der jüdischen Gemeinschaft Luckenwaldes ist über die Industriellen vor allem ihre kontinuierliche Betätigung in den gewählten Gremien der Gemeindeverwaltung bekannt. Aus der „Chronik der Synagogengemeinde zu Luckenwalde und deren Vorgeschichte“, die 1919 von Joseph Freudenthal verfasst wurde, geht hervor, dass Heinrich Pariser nach seinem Zuzug nach Luckenwalde zunächst Vorsteher in der jüdischen Gemeinde Beelitz und schließlich bei den ersten Wahlen der neu gegründeten Gemeinde Luckenwalde auch in deren Vorstand gewählt wurde. Nach 1876 bekleidete er zwar keine weiteren Ämter mehr, dafür erreichte Carl Goldschmidt, seit einem Jahr mit seiner Hutfabrik in Luckenwalde ansässig, bereits die Position des stellvertretenden Vorstehers. Sein Engagement sollte der Hutfabrikant noch lange fortsetzen: In jeder weiteren Wahlperiode bis zu seinem Tod im Jahr 1911 wurde Goldschmidt in den aus drei Personen bestehenden Vorstand gewählt. Georg Pariser hatte zwischen 1879 und 1918 kontinuierlich das Amt eines von neun Repräsentanten inne (Freudenthal 1919).

Inwieweit Heinrich und Georg Pariser sowie Carl Goldschmidt über ihre administrativen Führungspositionen hinaus auch am religiösen gemeinschaftlichen Leben teilnahmen, ist unklar. Punktuell ist das Mitwirken an wichtigen Ereignissen in der Gemeinde belegt. Georg Pariser gehörte zum Beispiel der Kommission an, die während der 1890er Jahre mit den Planungen zum Bau einer Synagoge für Luckenwalde beauftragt war und beteiligte sich mit seiner Familie, genau wie die der Goldschmidts, durch Sachspenden an der Innenausstattung des 1897 eingeweihten Gebäudes (Freudenthal 1919, 71 ff.).

Zu einer weiteren bedeutenden Veränderung, an der Goldschmidt und Pariser als Vorsteher bzw. Repräsentant zumindest indirekt beteiligt gewesen sein müssen, kam es um die Jahrhundertwende. Am Beginn der 20. Jahrhunderts wurde die Mehrheit der deutsch-jüdischen Gemeinden bereits durch das sogenannte liberale Judentum dominiert, eine gegenüber der jüdischen Orthodoxie reformorientierte religiöse Strömung, die im Verlauf des 19. Jahrhunderts entstanden war. Da laut Freudenthal mittlerweile auch in Luckenwalde „der größte Teil der Gemeindemitglieder einer liberal-religiösen Auffassung [ge]huldigt“ habe, beschloss die Repräsentantenversammlung die „Ausgestaltung des Gottesdienstes in diesem Sinne“ (Freudenthal 1919, 76f.). Mit der Anschaffung eines Harmoniums, der Einführung eines Gebetbuchs, das auf die traditionelle Liturgie teilweise verzichtete oder auch der Abhaltung einer regelmäßigen Predigt in deutscher Sprache hielten die typischen Elemente des liberalen Judentums Einzug (Lowenstein 2000, 106).

Das dauerhafte Engagement in der jüdischen Gemeinde beweist bereits einen ausgeprägten Sinn für das Allgemeinwohl der Industriellen Pariser und Goldschmidt. Außerhalb des rein jüdischen Kontextes bemühten sie sich darüber hinaus auf vielfältige Art und Weise, soziale Notlagen Bedürftiger in der Stadt Luckenwalde auszugleichen. Davon profitierten zum einen die Belegschaften ihrer Fabriken. Die Lebenssituationen gerade von Arbeitern waren im Brandenburg des 19. Jahrhunderts oftmals von Elend, schlechten Arbeits- und Wohnverhältnissen und mangelhafter Gesundheitsversorgung geprägt (Müller / Müller 1995, 449). Um gewisse Erleichterungen im Arbeitsalltag zu schaffen, wurden in der Tuchfabrik Tannenbaum, Pariser & Co. eine Kaffeeküche und eine Kantine eingerichtet (Freudenthal 1919, 88). Darüber hinaus kamen den Arbeitern Kapitalstiftungen, wie sie beispielsweise Georg Pariser im Jahr 1905 gemeinsam mit dem Berliner Familienzweig tätigte, zugute. Die Zinsen von 15.000 Mark, sollten hier „kranke[n] und reconvaleszente[n]“ unter ihnen zugewendet werden (Riemer 1993, 195).

Carl Goldschmidt schuf sogar ein regelrechtes Netz von sozialen Institutionen für die Angehörigen seiner Hutfabrik. Für die tägliche Grundversorgung dienten auch hier Einrichtungen wie Kaffee- und Volksküche, darüber hinaus eine Badeanstalt und ein Erholungsheim in der Nähe der Stadt. Langfristige Sozialfürsorge wurde Goldschmidts Mitarbeitern ab 1876 durch eine betriebliche Krankenkasse, noch bevor es auf staatlicher Ebene eine Versicherungspflicht gab, zuteil. Auch eine eigene Sparkasse und die Gewinnbeteiligung der Meister gehörten, neben verhältnismäßig guten Löhnen, zum Programm des Industriellen (Schubert 1925; Riemer 1996, 53).

Unabhängig von der tendenziell paternalistischen Wohltätigkeit im industriellen Bereich betätigten sich die Parisers und Carl Goldschmidt immer wieder an Hilfsaktionen, wie Bekanntmachungen in der „Luckenwalder Zeitung“ belegen (Riemer 1993, 97, 195). Ein frühes Beispiel stellte ein patriotischer Sach- und Geldspendenaufruf eines wohltätigen Vereins, der 1866 anlässlich des Preußisch-Österreichischen Krieges vor allem zur medizinischen Unterstützung verwundeter Soldaten ins Leben gerufen wurde, dar, zu dessen Unterzeichnern Heinrich Pariser gehörte (Riemer 1993, 202). 1875 hieß es allgemein über die Familie Pariser, sie werde „auch von den evangelischen Geistlichen häufig und nie ohne Erfolg um Hilfe und Unterstützung angegangen“ (Riemer 2008, 194).

Im Fall von Carl Goldschmidt ergab eine Schätzung der Summe seiner jährlichen Zuwendungen an verschiedene wohltätige Vereine der Stadt sogar einen durchschnittlichen Wert von etwa 10 000 Mark (Riemer 1996, 54). Immer wieder stach er durch besonders großzügige Stiftungen hervor wie beispielsweise noch im Jahr seines Todes, als er „der Stadt ein Kapital in der Höhe von 30 000 Mark […] mit der Bestimmung [schenkte], die Zinsen dieser Summe für die verschiedenen Zwecke des am 10. April d. J. hier gegründeten Vereins für Jugendpflege zu verwenden“ (Riemer 1993, 97). Zusammenfassend charakterisierte Luckenwaldes Bürgermeister 1911 dankbar das große soziale Engagement Goldschmidts: „Wo immer Not sich regt, springt Goldschmidt praktisch und mit Summen ein, die tatsächlich ersprießlich zu wirken geeignet sind“ (Riemer 1996, 54).

Wohltätigkeit ist ein wichtiges religiöses Gebot im Judentum, der Heinrich und Georg Pariser sowie Carl Goldschmidt reichlich genüge taten. Mit ihrer vielseitigen karitativen Aktivität in der Stadt Luckenwalde zeigten sie zudem, dass sie sowohl ökonomisch als auch kulturell zum Bürgertum gehörten. Der Aufstieg in diese gesellschaftliche Formation, den im 19. Jahrhundert ein besonders großer Teil der jüdisch-deutschen Bevölkerung vollbrachte, erforderte (das galt nicht nur für Juden) neben Vermögen die Erfüllung bürgerlicher Tugenden wie Leistungsbereitschaft oder Verantwortungsbewusstsein für das Allgemeinwohl (Schäfer 2009, 116, 128 ff.; Lässig 2004).

Dass die drei Persönlichkeiten diesen Anforderungen vollauf entsprachen und als Juden in der bürgerlichen Gesellschaft Luckenwaldes akzeptiert waren, wird auch durch das öffentliche Ansehen für ihr Engagement und ihren Erfolg sowie die Ehrenämter, die ihnen zugetragen wurden, belegt.

Heinrich Pariser erlangte als erster von ihnen Anerkennung sogar von staatlicher Seite. Unter anderem mit der Begründung, sich in der Führung eines „der bedeutendsten Etablissements in der Wollwaaren-Industrie Deutschlands“ um die Industrie der Stadt und mit seiner karitativen Tätigkeit „um das Wohl seiner Mitbürger wohl verdient“ gemacht zu haben (Riemer 2008, 194f.), wurde er für die Verleihung des begehrten Titels eines Königlichen Kommerzienrates vorgeschlagen, die im Jahr 1875 erfolgte.

Anders als sein Vater, der keine öffentlichen Funktionen außerhalb der jüdischen Gemeinde wahrnahm, trat Georg Pariser in der Oberschicht der Stadt und der Region stark in Erscheinung. Neben seiner Laufbahn als Fabrikant verfolgte er noch einige weitere Tätigkeiten, zu denen der Vorsitz in der Norddeutschen-Textil-Berufsgenossenschaft, im Luckenwalder Bauverein, die Mitgliedschaft im Geschäftsführenden Ausschuss der Handelskammer Potsdam und im Bezirks-Eisenbahnrat Halle-Erfurt zählten (Riemer 2008, 195). Zudem war Pariser Vorsitzender im Fabrikantenverein Luckenwalde. Zum Jubiläum seiner 25-jährigen Mitgliedschaft im Jahr 1911 stand in der „Luckenwalder Zeitung“ zu lesen: „Ein Vierteljahrhundert an der Spitze einer für unsere Industrie so wichtigen Körperschaft zu stehen, zeugt von dem hohen Vertrauen, das deren Mitglieder von Anfang an dem Jubilar entgegengebracht haben, ein Vertrauen und eine Hochschätzung, deren er sich auch in seinen anderen Ehrenämtern zu erfreuen hat“ (Riemer 1993, 195f.).

Vertrauen und „Hochschätzung“ in der Öffentlichkeit gingen so weit, dass Georg Pariser des Weiteren auch politische Mandate als Stadtverordneter und Kreistagsabgeordneter erhielt. Zu seinem Prestige als Verantwortlicher für so viele Belange kam im Jahr 1911 auch für ihn der Titel des Kommerzienrates hinzu (Riemer 2008, 195).

Es verwundert nicht, dass auch Carl Goldschmidt den Status eines städtischen Honoratior innehatte. Der mit dem Eisernen Kreuz ausgezeichnete Hutfabrikant war ebenfalls in der Stadtverwaltung Luckenwaldes als Stadtverordneter und Stadtrat aktiv. Sein dortiger Einsatz und sein wohltätiges Wirken sorgten in Luckenwalde für seine „ungeteilte Verehrung aller Kreise ohne Unterschied von Konfession und politischer Gesinnung“ (Riemer 2008, 198), so die Einschätzung des damaligen Luckenwalder Bürgermeisters. Kurz vor seinem Tod wurde auch er noch zum Königlichen Kommerzienrat ernannt. Die große Anteilnahme an der Trauerfeier für Carl Goldschmidt, über die in der Zeitung berichtet wurde, bezeugte noch einmal die große Beliebtheit, die er sich mit seinem Auftreten erworben hatte:

„An ihr [der Trauerfeier, Anm. d. Verf.] nahm außer den Angehörigen des Verstorbenen und den seiner Familie nahestehenden Persönlichkeiten eine überaus große Zahl Leidtragender teil, während ungezählte Scharen anderer draußen harrten, um dem Verewigten nach Beendigung der Feier die letzte Ehre zu erweisen“ (Riemer 1993, 99).

Die „Ära“ von Heinrich Pariser, Georg Pariser und Carl Goldschmidt in Luckenwalde war nicht allein durch unternehmerische Leistungen bestimmt. Ihre Positionen als Fabrikherren machten sie vermögend – doch ebenso bemerkenswert war ihr großes Engagement für das jüdische wie nichtjüdische Gemeinwohl. Durch diesen persönlichen Einsatz brachten sie es zu Mandaten, Titeln und öffentlicher Anerkennung als jüdische Bürger (Abb. 3).

Quellen

Freudenthal, Joseph: Chronik der Synagogengemeinde zu Luckenwalde und deren Vorgeschichte. Zum 50jährigen Jubiläum der Synagogengemeinde 1919, hrsg. von Detlev Riemer in Zusammenarbeit mit Irene A. Diekmann. Potsdam 1997.

Riemer, Detlev (Hrsg.): Pelikan und Davidstern. Bd. 2: Quellensammlung aus lokalen Zeitungen 1850 – 1941. Luckenwalde 1993, S. 99-101.

Schubert, Walter F.: 50 Jahre Carl Goldschmidt Hutfabrik AG Luckenwalde-Berlin. Berlin 1925.

Literatur

Lässig, Simone: Jüdische Wege ins Bürgertum. Kulturelles Kapital und sozialer Aufstieg im 19. Jahrhundert. Göttingen 2004.

Lowenstein, Steven M.: Das religiöse Leben. In: Meyer, Michael A. / Brenner, Michael (Hrsg.): Deutsch-jüdische Geschichte in der Neuzeit. Bd. 3: Umstrittene Integration 1871-1918. München 2000, S. 101-120.

Müller, Hans Heinrich / Müller, Harald: Brandenburg als Preußische Provinz. Das 19. Jahrhundert bis 1871. In: Ribbe, Wolfgang / Materna, Ingo (Hrsg.): Brandenburgische Geschichte. Berlin 1995, S. 395-502.

Riemer, Detlev: Carl Goldschmidt zu seinem 150. Geburtstag. In: Heimatjahrbuch für den Landkreis Teltow-Fläming 3 (1996), S. 50-58.

Riemer, Detlev: Luckenwalde. In: Diekmann, Irene A. (Hrsg.): Jüdisches Brandenburg. Geschichte und Gegenwart. Berlin 2008, S. 192-218.

Schäfer, Michael: Geschichte des Bürgertums. Eine Einführung. Köln u. a. 2009.

Abbildungsnachweis

Abb. 1, 2 Diekmann, Irene A. (Hrsg.): Jüdisches Brandenburg. Geschichte und Gegenwart. Berlin 2008.

Abb. 3 Schubert, Walter F.: 50 Jahre Carl Goldschmidt Hutfabrik AG Luckenwalde-Berlin. Berlin 1925.

Empfohlene Zitierweise

Schröder, Marie: Pariser und Goldschmidt. Jüdische Fabrikanten und Wohltäter in Luckenwalde, publiziert am 23.03.2022; in: Industriegeschichte Brandenburgs, URL: http://www.brandenburgikon.de (TT.MM.JJJJ)

Werner Coch

Schon seit Jahrtausenden waren die Flüsse die wichtigsten Lebensadern der Menschen. Sie ermöglichten nicht nur den Fischfang, sondern auch die Bewässerung von landwirtschaftlichen Flächen, den Transport von Waren, den Antrieb von Mühlen und vieles andere mehr. Obwohl schon vom Anfang des 18. Jahrhunderts größere Transporte von Rathenower Produkten auf der Havel bekannt sind, gibt es erst ab etwa 1790 Hinweise auf einen eigenen Schiffsbau.

Die wichtigsten Rathenower Werften (Abb. 1) lagen am Stadthof nördlich der Kanaleinmündung an der Havel (etwa ab 1790), am Stadt- oder Schleusenkanal nahe der Jederitzer Brücke (ab 1793) und an einem Stichkanal östlich davon (ab 1865). Die aus Bagow und Ribbeck zugezogenen Schiffsbaumeister und Brüder Carl Friedrich Dröscher (1755-1812), Joachim Friedrich Dröscher (1765-1830) und Friedrich Wilhelm Dröscher (1772-1845) begründeten eine Schiffsbautradition über mehrere Generationen, die erst im Jahre 1965 endete. Sie stellten zuerst kleinere Schiffe mit 15 bis 50 t Tragfähigkeit aus Holz und später größere bis zu 750 t aus Eisen her, versahen sie anfangs mit Segel und Mast als Antrieb, dann mit Dampfmaschinen und zuletzt mit Dieselmotoren. So waren sie über viele Jahrzehnte hinweg auf der Höhe der jeweiligen technischen Entwicklung und damit konkurrenzfähig. Einige andere Werften waren nur eine kurze Zeit am Markt und erlangten nicht diese Bedeutung.

Der Holzschiffbau

Der auf dem Stadtplanausschnitt von 1925 (Abb. 1) links markierte Platz am Stadthof gilt als der älteste und mit fast 200 Jahren gleichzeitig der am längsten betriebene Standort einer Rathenower Werft. Christian Friedrich Gronemeyer (1755-1831) begründete dort um 1790 sein Gewerbe auf städtischem Grund und Boden und nahm 1822 Friedrich Wilhelm Dröscher als Partner auf. Dieser entwickelte die Werft zu überregionaler Bedeutung. Zuerst standen Reparaturen der gebräuchlichsten Flussschiffe wie Oderkähne, offene Zillen, flache Spreeboote und Kaffenkähne im Vordergrund, wobei aber schon 1836 ein Oderkahn (Abb. 2) mit 57 t Tragfähigkeit hergestellt wurde. Es folgten bald danach weitere Neubauten. Die Werft benötigte dafür eine schräg abfallende Fläche oder Helling als Schiffsbauplatz sowie Fachkräfte wie Schiffsbauer, Schiffszimmerleute und Schmiede. Wichtige Zulieferer waren die einheimischen Holzhändler für die Schiffsplanken und Masten, die Teerschweler für das Pech zum Kalfatern, die Tuchmacher für die Segel und die Seiler für die Taue.

Auch als der Sohn Friedrich Wilhelm Dröscher jun. (1801-1872) im Jahre 1845 die Werft übernahm, blieb der Bau von Holzschiffen mit Segeleinrichtung der Schwerpunkt. Es waren zwar schon Dampfmaschinen bekannt, denn 1817 fuhr ein erstes dampfbetriebenes Schiff von Berlin über Rathenow nach Hamburg, aber für die einheimischen Werften war das damals noch eine Zukunftstechnologie.

Der zweitälteste Schiffsbauplatz lag am Stadt- oder Schleusenkanal direkt neben der Stadtziegelei (Abb. 3) und wurde 1793 von Carl Friedrich Dröscher (1755-1812), wie es damals üblich war, auch auf städtischem Pachtland gegründet. Etwa 100 Jahre später entstand dort das Elektrizitätswerk. Sein Sohn Carl Friedrich Dröscher jun. (1788-1871), der 1804 in Brandenburg die Gesellenprüfung als Schiffsbauer abgelegt hatte, übernahm nach dem Tod des Vaters 1812 die Werft. In den städtischen Akten über die „Schiffsgefäße“ wird er 1828 als Schiffsbaumeister bezeichnet, hatte sich also inzwischen qualifiziert. Er reparierte jährlich einen Oderkahn mit Tragfähigkeiten von 10 bis 50 t. Diese wurden an Schiffer der Region verkauft, so z.B. 1836 nach Werder und 1845 nach Pritzerbe. Im Jahre 1847 wurde er als Holzhändler und Schiffseigentümer bezeichnet. Sein Werftgelände benutzte er zu dieser Zeit überwiegend nur noch als Liegeplatz für Schiffe und als Lagerplatz für Holz. Zwischen 1850 und 1860 übergab er sein Gewerbe an den Nachfolger Karl Wilhelm Albert Todt (1827-1907), der als gelernter Schiffsbauer ebenfalls die traditionellen Holzboote mit Mast und Segel repariert und gebaut hat. Damit war er bald nicht mehr wettbewerbsfähig, zumal er kaum investiert und modernisiert hatte. Außerdem wird er als zu gutmütig und gutgläubig beschrieben, so dass er die Werft um 1890 aufgeben musste (Abb. 4).

Der Bau von Kompositkähnen und Stahlschiffen

Im Jahre 1872 erfolgte am Stadthof ein weiterer Generationswechsel, indem der dritte Friedrich Wilhelm Dröscher (1840-1920) die Führung der Werft übernahm. Unter seiner Regie liefen zwischen 1887 und 1912 sowohl Holzschiffe als auch Kompositkähne mit Stahlkörper und Holzböden vom Stapel (Abb. 5). Beim Übergang von der Holzbauweise zum Stahl wurde der Schiffsbau wesentlich verändert. Es waren nun Konstruktionsunterlagen erforderlich und die gesamte Werkstatttechnik musste schrittweise umgestellt werden. Die Stahlbleche wurden vernietet und Maschinen wie Blechscheren, Biege- und Bohrmaschinen gewannen an Bedeutung. Etwa 1922, inzwischen unter der Führung von Alfred Dröscher (1877-1954), waren die wichtigsten Maschinenantriebe auf elektrischen Strom umgestellt. Im Jahre 1929 warb Alfred Dröscher bereits mit elektrischer und autogener Schweißtechnik. Genietet wurde jetzt nicht mehr von Hand, sondern mit dem Presslufthammer. Eine Joggelmaschine erleichterte das Vernieten der sich überlappenden Stahlbleche.

Als in der Mitte des 19. Jahrhunderts die ersten mit Dampfmaschinen angetriebenen Schleppschiffe zur Verfügung standen, entwickelte sich auf den großen deutschen Flüssen die Schleppschifffahrt mit bis zu 8 angehängten Schleppkähnen. Auf Spree und Havel war diese rationelle Variante der Flussschifffahrt erst ab 1882 zu beobachten, allerdings wegen der engen und kurvenreichen Fahrrinne nur mit zwei oder drei antriebslosen Schleppkähnen. Für die einheimischen Werften ergab sich mit den Schleppkähnen ein lukratives Geschäftsfeld bis etwa 1936. Die Kähne waren inzwischen als Finower, Breslauer oder Plauer Maßkähne standardisiert worden und hatten Tragfähigkeiten bis zu 750 t. Nach den bekannt gewordenen Bau-Nummern sind auf der Dröscher-Werft bis 1940 insgesamt 129 Schiffe gebaut worden (Abb. 6). Darunter waren auch dampfbetriebene Güterschiffe und nachträglich motorisierte ehemalige Schleppkähne, was durch die notwendigen Umbauten am Heck eine sehr anspruchsvolle, aber durchaus lösbare Aufgabe war (Abb. 7).

Der Neubeginn 1945 erforderte zunächst die Instandsetzung der zerstörten Gebäude und der in der Werft liegenden Schiffe. Die Slipanlage mit Elektroantrieb war bald wieder funktionstüchtig, wie aus dem Lageplan von 1951 hervorgeht (Abb. 8). In den ersten Jahren wurden Pontons der Roten Armee und Schleppkähne von privaten Schiffseignern repariert und später Lotsenboote und Wirtschaftsfähren gebaut. Die Aufträge kamen von der staatlichen Schifffahrtsverwaltung mit dem Vorteil, dass die notwendigen Materiallieferungen damit gesichert waren. Nach dem Tod von Alfred Dröscher führte der erfahrene Schiffsbaumeister Bruno Grabowski die Werft ab 1956 mit acht Beschäftigten weiter. 1961 wurde sie mit inzwischen elf hochqualifizierten Mitarbeitern dem auf der Südseite des Stadt- oder Schleusenkanals angesiedelten VEB Schiffsreparaturwerft Rathenow angegliedert und brachte diesem Betrieb einen willkommenen Entwicklungsschub. Im Jahre 1965 kam es zur Stilllegung des traditionsreichen Werftgeländes am Stadthof. Die Schiffsreparaturwerft wurde 1970 dem VEB Chemiefaserwerkes Premnitz als Reparaturbetrieb zugeordnet, so dass der Schiffsbau auch hier endete.

Die auf Abb. 1 rechts markierte dritte Schiffswerft am Stichkanal des Stadt- oder Schleusenkanals wurde 1865 von Hermann Weiß und August Günther gegründet und später von den Gebrüdern Weiß betrieben. Sie bot 1882 neben Reparaturen den Bau von „eisernen sowie Holzkähnen bis zu 10.000 Ctr. Tragfähigkeit mit und ohne Verschlußdeck“ an (Abb. 9). Die bei Weiß erreichte Tragfähigkeit der Schiffe stieg von anfangs 500 t bis zum Jahre 1892 auf rund 700 t (Abb. 8). Bekannt geworden sind u.a. die Kompositkähne „Marie“ von 1901 mit 551 t und 55 m Länge und „Ida“ mit 701 t und 65 m Länge. Der Auftragsmangel nach dem Ersten Weltkrieg führte 1920 zu einer Teilung der Firma, die aber die anschließende Inflationszeit 1922/23 trotzdem nicht überlebt hat.

Die Nachfolgefirma von Henry Schärff und Alfred Zeuch suchte zunächst mit Flachwasserfahrzeugen, die von Luftschrauben angetriebenen werden sollten, den Erfolg im Ausland. Da dieser ausblieb, wurden ab 1928 auf den Anlagen der Gebr. Weiß wieder einige Breslauer und Plauer Maßkähne ohne Eigenantrieb hergestellt. Nach juristischen Turbulenzen wie Konkursantrag, Vergleich, Einstellung des Verfahrens und Wiedereintragung ins Handelsregister wurde der Betrieb 1937 bis auf kleine Bootsreparaturen eingestellt.

Eine noch kürzere aktive Zeit hatte die Werft von Wilhelm Sorge in Göttlin bei Rathenow, die von 1928 bis 1929 den Standort einer ehemaligen Ziegelei für den Bau von mittelgroßen Plauer Maßkähnen und Motorschleppern nutzte. Nach den Zwangsversteigerungen vom November 1929 und Mai 1930 kam auch hier das Ende.

Das Gelände der ehemaligen Dröscher-Werft am Stadthof erfuhr ab 1985 eine Wiederbelebung durch das Agrochemische Zentrum Nennhausen, das hier einen Reparaturbetrieb für Lastkähne einrichtete, die für den Seeschlammtransport genutzt wurden. Trotz einiger Investitionen zur Sanierung der Werftanlage sowie zur Vorbereitung neuer Geschäftsfelder musste der Betrieb im Juni 1992 eingestellt werden.

Quellen

BLHA, Akten des Amtsgerichts Rathenow, des Landes Brandenburg und des Bezirkes Potsdam

Kreis- und Verwaltungsarchiv Friesack, Adressbücher und Bauakten

Domstiftsarchiv Brandenburg, Kirchenbücher

Privatarchiv Gudrun Meetz geb. Dröscher

Literatur

Zesewitz, Sigbert: Zur Geschichte des Schiffsbaus in Rathenow. In: navalis 01/08, S. 37-47.

Coch, Werner: Schifffahrt und Schiffsbau in Rathenow. Sonderausgabe Nr. 5 des Rathenower Heimatkalenders. Rathenow 2021.

Abbildungsnachweis

Abb. 1 Coch, Werner: Sonderausgabe Nr. 5 des Rathenower Heimatkalenders (bearbeitet).

Abb. 2 Stertz, Herbert: Havelschiffahrt unter Dampf. Teil 1 (2006). Teil 2 (2008).

Abb. 3-7, 9 Coch, Werner: Sonderausgabe Nr. 5 des Rathenower Heimatkalenders.

Abb. 8 Zesewitz, Sigbert: Zeichnung des Lageplans der Schiffswerft W. Dröscher in     Rathenow 1951 nach Original-Kopie in der Sammlung G. Meetz.

Empfohlene Zitierweise

Coch, Werner: Schiffsbau in Rathenow, publiziert am 14.03.2022; in: Industriegeschichte Brandenburgs, URL: http://www.brandenburgikon.de (TT.MM.JJJJ)

Werner Coch

Wie viele andere Regionen nimmt auch das Westhavelland für sich in Anspruch, einen wichtigen Beitrag zur Entwicklung der Luftfahrt geleistet zu haben. Aber dieser Landstrich ist ein Sonderfall, denn hier fanden entsprechende Pionierarbeiten in mehreren zeitlichen Phasen statt. Am Gollenberg in Stölln führte Otto Lilienthal (1848-1896) die ersten kontrollierten Gleitflüge durch und löste mit seinem Buch „Der Vogelflug als Grundlage der Fliegekunst“ eine rasante Entwicklung der Flugtechnik aus. Dr. Waldemar Geest (1879-1944), ein Schüler Otto Lilienthals, baute ab 1910 in Rathenow erste Motorflugzeuge, mit denen er in Berlin-Johannisthal eine Fliegerschule gründete und mehrere Preise gewann. Das Fluggelände in Stölln ist seit 100 Jahren ein beliebter Segelflugplatz, und schließlich entstand in Rathenow ab 1935 ein großes Werk für Flugzeugteile, die in Brandenburg/Havel zu den bekannten ARADO-Flugzeugen zusammengebaut wurden. Weiterhin soll untersucht werden, ob die berühmte Rathenower optische Industrie eventuell entscheidende Impulse zur Entwicklung der Luftfahrt ausgelöst hat. 

Otto Lilienthal in Stölln

Der Maschinenbau-Ingenieur Otto Lilienthal (Abb. 1) ist nach seinem Studium als Erfinder von Schrämmaschinen für den Bergbau und von Schlangenrohrkesseln für Dampfmaschinen bekannt geworden. Aber schon mit 19 Jahren hatte er sich mit den physikalischen Grundlagen von Luftströmungen und des Auftriebs befasst. Zusammen mit seinem Bruder Gustav baute er damals entsprechende Versuchsmodelle mit unterschiedlich gewölbten Flügeln. Hinzu kam die systematische Beobachtung des Vogelfluges, der ihn Zeit seines Lebens faszinierte. Er entwickelte 30 Grundsätze für die Konstruktion zukünftiger Flugapparate, die er in seinem Buch „Der Vogelflug als Grundlage der Fliegekunst“ ausführlich beschrieb.

Nach Flugversuchen mit Gleitapparaten in Lichterfelde-Ost (Fliegeberg), Derwitz (Spitzer Berg) und Rhinow (Hauptmannsberg) entschied sich Lilienthal 1894 für den 110 m hohen Gollenberg bei Stölln, um längere Flüge durchführen zu können. Dieser Berg bot nicht nur einen allseitig unbewaldeten Absprunghang, sondern im Ort auch eine funktionierende Infrastruktur sowie Handwerk für alle technischen Belange. Es gelangen ihm dort gesteuerte Gleitflüge mit Kehrtwendungen bis zu einer Weite von 250 m (Abb. 2). Wie bekannt ist, stürzte er am 9. August 1896 durch eine thermische Ablösung bzw. „Sonnenbö“ aus 15 m Höhe ab und verstarb einen Tag später in Berlin.

Auch wenn es vor ihm zahlreiche Flugversuche gegeben hat, war Otto Lilienthal doch derjenige, der das Flugproblem grundsätzlich gelöst hat. Er war der erste, der die Wirkung verschiedener Flügelprofile wissenschaftlich untersuchte und darauf aufbauend kontrolliert geflogen ist. Er war auch der erste, der seine Flugapparate zur Serienreife entwickelte und erfolgreich verkaufte.

Die „Möwen“ aus Rathenow

Als Otto Lilienthal starb, war Waldemar Geest ein 17jähriger Schüler, der die Nachrichten über sein Vorbild aufmerksam verfolgte. Er beobachtete die Gleitflüge von Raubvögeln und erprobte zahlreiche selbstgebaute Flügelmodelle aus Papier, Bambus und Textilien. Auch während seines Medizinstudiums in Freiburg/Breisgau beschäftigte er sich weiter mit diesem Thema. Er erfand eine flügelartige Tragfläche, die „von innen nach außen gebogen und um eine S-förmige Linie so gedreht ist, dass der innere Teil positiv angehoben und der äußere unter negativem Anstellwinkel zur Flugrichtung steht“ (Zit. nach Coch 2011, 5). Zwischen 1907 und 1912 meldete er dafür zahlreiche Patente im In- und Ausland an. Sein „Nurflügel“ bestach durch hohe Flugstabilität, die er bei einem Wettbewerb in München mit einem Modell von 2,5 m Spannweite unter Beweis stellte und einen von drei Preisen gewann (Abb. 3).

Im Jahre 1909 übersiedelte Dr. Geest in seine Geburtsstadt Berlin und ließ sich bei Gustav Lilienthal einen Hängegleiter bauen. Lilienthal verwies ihn auf den Gollenberg, warnte aber auch vor den Gefahren beim Fliegen. Dr. Geest ließ sich nicht abschrecken und führte dort seine Erprobungen durch: „Kurze Flüge gelangen. Der Appparat wurde jedoch bald zerschmettert.“ (Zit. nach Coch 2011, 8).Innerhalb weniger Tage entwarf er den verbesserten Gleiter „Weih“ und ließ ihn gleich in Stölln beim örtlichen Stellmacher Hermann Beutler aus Bambusstangen und Segeltuch bauen (Abb. 4). Nach vier Wochen war der Gleiter fertig und bewährte sich mit seiner patentierten Flügelform und einer verbesserten Steuerung bei zahlreichen Flugversuchen.

Dr. Geest wandte sich nun dem Bau von Motorflugzeugen zu. Da er mit der Rathenower Wagenbaufirma der Gebr. Wietz kompetente und aufgeschlossene Partner fand, zog er im Herbst 1910 mit seiner Familie nach Rathenow, um hier die Arbeiten zu koordinieren. So entstand im Winter 1910/11 bei Wietz der Eindecker „Möwe 1“ mit 18,5 m² Flügelfläche und mit einem in Berlin beschafften 50 PS Argusmotor (Abb. 5). Gleich der erste Startversuch auf dem holprigen Rathenower Exerzierplatz scheiterte, aber Dr. Geest erkannte die Ursachen. Für die „Möwe 2“ wurden der Sitz unter den Rumpf verlegt, ein stärkerer Motor eingebaut und der Benzinfluss optimiert. Da das Rollfeld in Rathenow nicht eben genug war, bot sich als Lösung an, die „Möwen“ für den Bahntransport zu zerlegen und auf dem 1909 gegründeten „Motorflugplatz“ in Johannisthal wieder aufzubauen. Dort gelangen damit schon 1912 bis zu 20 Minuten lange, ruhige Flüge. Auch die bei den Gebr. Wietz mit weiteren Verbesserungen gebauten Doppelsitzer „Möwe 3", „Möwe 4“ und „Möwe 5" wurden in Johannisthal erprobt, denn der Ort hatte sich seit 1912 zu einem Entwicklungszentrum für die Flugtechnik gemausert. Dr. Geest mietete dort im Sommer 1912 einen Hangar, gründete eine „Fliegerschule“ und flog selbst auf der „Möwe 3“ eine Platzrunde mit dem Piloten Richard Hartmann als seinem ersten Passagier (Abb. 6). Die „Möwe 4“ hielt sich 1913 bereits zwei Stunden lang stabil in der Luft und mit der „Möwe 5“ gewann Dr. Geest einen Preis von 35.000 Mark für den Bau einer neuen Maschine unter Aufsicht und Mitarbeit der Versuchsanstalt für Luftfahrt in Adlershof, also mit Unterstützung von Experten. Anfang 1914 entstand die „Möwe 6“ (Abb. 7) mit Stahlrumpf, an der nach einer gewonnenen Ausschreibung wieder Flügel der Rathenower Firma der Gebr. Wietz montiert wurden (Abb. 8). 

Der Erste Weltkrieg unterbrach die weitere Entwicklung einer friedlichen Luftfahrt. Dr. Geest (Abb. 9) verlegte seinen Lebensmittelpunkt wieder nach Berlin, wurde aber bald als Arzt zum Militär eingezogen. In seinen Memoiren schrieb er: „Ich hätte nie gedacht, dass ich in späteren Jahren als Arzt für Luftschutz das wieder bekämpfen musste, was ich einst in Begeisterung hatte mit schaffen helfen.“ (Zit. nach Coch 2011, 28).

Segelfliegen in Stölln/Rhinow

Mit dem Friedensvertrag von Versailles musste das Deutschen Reich seine Luftstreitkräfte auflösen und alles abgeben oder zerstören, was mit dem Flugwesen zu tun hatte. Lediglich das motorlose Gleit- und Segelfliegen wurde erlaubt. Das führte ab 1920 zu einem starken Aufschwung dieser Sportart, indem mehrere Berliner Segelflugvereine den traditionsreichen Flugplatz in Stölln wieder neu entdeckten. Hier trainierte man für die Segelflug-Wettbewerbe auf der Wasserkuppe in der Rhön und erprobte zahlreiche Neuentwicklungen. Im Jahre 1931 wurde Stölln durch den Luftfahrt-Fachverband als Rekord-Gelände für Segelflüge anerkannt.

Im ersten Halbjahr 1936 entstand am Gollenberg die „Segelflugschule Rhinow“ (Abb. 10). Sie nutzte die Begeisterung der Jugend für das Fliegen und diente gleichzeitig als Basis für die militärische Fliegerausbildung. Hunderte von Jugendlichen nahmen hier an drei- bis vierwöchigen Kursen teil und legten ihre Segelflieger-Prüfungen A, B und C ab. Die meisten wurden weiter zu Piloten ausgebildet und viele von ihnen starben im Zweiten Weltkrieg.

Danach war der Flugplatz Stölln ununterbrochen ein Zentrum für das Segelfliegen. Er hat heute den Status als Sonderlandeplatz mit der ICAO-Kennung „EDOR“. Zugelassen sind Segelflugzeuge in der Startart Winden- und Flugzeugschlepp, selbststartende und nichtselbststartende Motorsegler, Ultraleichtflugzeuge, Gleitsegel, Hängegleiter sowie Fallschirmsprünge. Betreiber ist der Flugsportverein „Otto Lilienthal“ Stölln/Rhinow e.V.

ARADO-Flugzeuge

Die ARADO-Flugzeugwerke gab es nur rund 25 Jahre lang, aber diese Zeit war stark gekennzeichnet durch technische Entwicklungen sowie durch strukturelle und personelle Veränderungen. Ausgehend von Warnemünde wurde der Firmensitz ab 1935 schrittweise nach Potsdam-Babelsberg und Brandenburg verlegt. Das Zweigwerk Rathenow entstand ab 1936 im Süden der Stadt an der Städtebahn nach Brandenburg. Für die Mitarbeiter wurde der neue Haltepunkt „Heidefeld“ eingerichtet und für den Rohstoff- und Produkttransport ein Anschlussgleis verlegt. In zwei Montagehallen sowie weiteren Hallen für Materialprüfung, Blech-Zuschnitt und Pressen wurden ab 1937 Tragflächen für die Flugzeugtypen He 111, Ju 88 und He 77 hergestellt (Abb. 11). Hinzu kamen Leitwerke, Fahrwerksverkleidungen und Kleinteile für die Typen Ar 96, Fw 190, Ar 224 und andere. Im Jahre 1940 waren in Rathenow 1.680 Beschäftigte tätig. 1944 waren es mehr als 2.000, darunter über 1.000 ausländische Zwangsarbeiter. Zwischen 1937 und 1944 wurden jährlich bis zu 26 Lehrlinge als Metallflugzeugbauer mit dem Schwerpunkt Leichtmetallbearbeitung ausgebildet. Zur Lehrausbildung gehörte auch das Segelfliegen in den Hügeln links der Havel bei Milow und Bützer.

Durch den Bombenangriff am 18.04.1944 wurden drei Hallen und das Heizwerk beschädigt. Daher hat man die Produktion für sechs Wochen teilweise in andere Betriebe verlagert. Ein Jahr später endete die Rathenower Flugzeugproduktion.

Nach dem Kriegsende wurde die Fläche von den sowjetischen Truppen beansprucht und bis 1992 für die Wartung und Instandsetzung von Panzern und anderen Gefechtsfahrzeugen genutzt. Heute ist das Gelände ein Gewerbegebiet mit über 1.000 Arbeitsplätzen.

Berührungspunkte zur Rathenower optischen Industrie

Eine Untersuchung aus dem Jahre 2009 ergab, dass die Rathenower optische Industrie der Entwicklung der Luftfahrt nicht so viele Impulse gegeben hat, wie es vom vorhanden feinmechanisch-optischen Potential her möglich gewesen wäre. Um 1930 wurde der Standort in Deutschland als „Rathenower Großindustrie optischer Instrumente“ wahrgenommen. Die Vielfalt der hergestellten Produkte und die ständige Erneuerung der Produktpalette zeigen, dass in den Rathenower Betrieben jahrzehntelang praxisorientierte Entwicklungsarbeiten geleistet worden sind. Bedeutende Ergebnisse waren die Entwicklung des ersten Weitwinkelobjektivs „Pantoscop“, die Mitwirkung bei der praktischen Photogrammetrie und die Objektiv-Entwicklungen für die gesamte Fotografie. Sicher ist auch, dass in der betrachteten Zeit in Rathenow vorrangig Produkte mit hohen Stückzahlen hergestellt wurden und daher bahnbrechende Neuentwicklungen die Ausnahme waren. Belege für die Entwicklung von Fluginstrumenten oder Messgeräten für das Cockpit konnten nicht gefunden werden. So beschränkt sich der Rathenower Beitrag für die Entwicklung der Luftfahrt auf die Lieferung von Schutzbrillen, Prismengläsern, Fernrohren und die Zulieferung von Objektiven für bedeutende Dresdner Kamerahersteller.

Quellen

Deutsches Technik-Museum Berlin, Archiv Dr. W. Geest.

Kreis- und Verwaltungsarchiv Friesack, Adressbücher und historische Zeitungen.

Literatur

Coch, Werner: Die „Möwen“ aus Rathenow. Rathenow 2011.

Coch, Werner, Hille, J. und Hille, F.: Stölln, der Gollenberg und der älteste Flugplatz der Welt. Gollenberg OT Stölln 2016.

Sommerfeld, M.: Flugzeugproduktion in Rathenow - ein fast vergessenes Stück Industriegeschichte. In: Rathenower Heimatkalender 2000, S. 83-90.

Coch, Werner: Die Rathenower optische Industrie und die Entwicklung der Luftfahrt - eine Spurensuche nach Berührungspunkten. In: Rathenower Heimatkalender 2009, S. 79-80 und dgl. 2010, S. 72-74.

Abbildungsnachweis

Abb. 1, 2, 10: Coch, Werner u.a.: Stölln, der Gollenberg und der älteste Flugplatz der Welt. Gollenberg OT Stölln 2016.

Abb. 3-9: Coch, Werner: Die „Möwen“ aus Rathenow. Rathenow 2011.

Abb. 11: Sommerfeld, M.: Flugzeugproduktion in Rathenow - ein fast vergessenes Stück Industriegeschichte, Rathenower Heimatkalender 2000, S. 83-90.

Empfohlene Zitierweise

Coch, Werner: Flugzeuge aus Rathenow, publiziert am 14.03.2022; in: Industriegeschichte Brandenburgs, URL: http://www.brandenburgikon.de (TT.MM.JJJJ)