Bodenarchiv

Thomas Kersting

Der im Brandenburgischen Denkmalschutzgesetz benutzte Begriff „Bodendenkmal“ enthält ja schon die enge inhaltliche Verbindung der archäologischen Denkmale mit dem sie umgebenden Substrat, in welchem sie in der Regel verborgen sind und aus dem sie – wie jeder zu wissen glaubt – ausgegraben werden müssen. Abgesehen davon, dass es auch zahlreiche obertägig sichtbare „Bodendenkmale“ – archäologische Denkmale –  gibt, ist daran richtig, dass jeder Eingriff in den Boden potentiell archäologische Denkmale gefährdet und deswegen sogenannte bodeneingriffsrelevante Planungen einer denkmalrechtlichen Genehmigungspflicht unterliegen, damit die im Boden befindlichen Denkmale – und mit ihnen der umgebende Boden – erhalten bleiben, und das an Ort und Stelle.

Zur Stärkung der öffentlichen Wahrnehmung der speziellen Bodenfunktion als „Archiv der Kulturgeschichte“ soll dieser nun ein eigener Steckbrief -Beitrag gewidmet werden. Es soll vermittelt werden, dass ungestörte Böden an Stätten ur- und frühgeschichtlicher Besiedlung, in der Umgebung archäologischer Fundstellen, Urkunden prähistorischer (und historischer) Lebens- und Siedlungsweise und früher Formen der Bodenbewirtschaftung sind. Sie archivieren Siedlungsreste und Artefakte und konservieren biogene Reste und sind stellenweise sogar selber als Relikt menschlichen Handelns anzusprechen, indem ihre spezielle Ausbildung durch menschliche Einflussnahme geprägt ist (sog. Reliktböden).

Einführung

Deutlich ist in allen ur- und frühgeschichtlichen Perioden zu erkennen, dass die naturräumlichen Bedingungen ausschlaggebend für das heutige Fundverbreitungsbild sind, an dem wir die Siedlungsverteilung nachvollziehen können. Man suchte grundsätzlich die Nähe zu Gewässern, immer sind bevorzugt die Ufer der Rinnen und Seen besetzt worden.

In der Alt- und Mittelsteinzeit, als man eine nicht sesshafte, jagende und sammelnde, kurz „aneignende“ Wirtschaftsweise pflegte, reichten dafür trockene Sandhügel in den wasserreichen Niederungen der vergleichsweise jungen, gerade erst eisfreien Landschaft Brandenburgs; der Boden selbst spielte – abgesehen von seiner Topographie – noch keine Rolle.

Später wird die Lage entlang der Niederungsränder für fast alle ur- und frühgeschichtlichen Perioden typisch. Grund dafür ist die seit der Jungsteinzeit und bis an den Beginn des mittelalterlichen Landesausbaues gleiche landwirtschaftliche Raumnutzung, bei der man versuchte, die Siedlungen an Nahtstellen zwischen verschieden genutzten Landschaften anzulegen. Dabei suchte man die Wassernähe, möglichst unter Vermeidung von Hochwassergefährdung. Die tiefer gelegenen feuchten Niederungen waren für Weide- und Grünlandwirtschaft geeignet, die höher gelegenen, trockenen Hang- und Hochflächen ermöglichten Ackerbau. Auf ausgesetzten höheren Lagen und Geländekuppen wurden mit großer Regelmäßigkeit durch alle Perioden die Bestattungsplätze angelegt.

Dabei waren auch heute unwesentlich erscheinende Höhenunterschiede von Bedeutung, da die Geländeform ständiger Veränderung durch Abtrag oder Anschwemmung (Erosion / Kolluvium) ausgesetzt ist, und früher von markanteren Unterschieden geprägt war als heute. Selbstverständlich waren dabei, seit Einführung von Ackerbau und Viehzucht in der Jungsteinzeit, auch die Bodenarten und ihre unterschiedliche Eignung für eine landwirtschaftliche Nutzung ein wichtiger Faktor. Offenbar waren die jungsteinzeitlichen Bauern in der Lage, sehr genau an bestimmten Merkmalen des Bewuchses auf das landwirtschaftliche Potential eines Bodens rückzuschließen und sich dort anzusiedeln, wo es am vielversprechendsten war.

Die dreistufige Archivfunktion des Bodens

1.

Der Boden ist selber das originale Bodendenkmal.

Reliktböden, die durch bestimmte Nutzung entstanden sind /gebildet wurden (Beispiele bei Lantzsch 2005, 118ff.) oder der in ihrer Gestalt die ehemalige Nutzung wiedergeben, an der Oberfläche oder unter Überdeckung, z.B. unter Grabhügeln der Bronzezeit!  (Abb. 1, 2)

2.

Der Boden enthält die originalen Bodendenkmale.

Dieses können einerseits physisch fassbare Relikte sein wie Funde (Artefaktstreuung, Urnengrab) oder aber sogenannte Befunde, die häufig nur aus Bodenverfärbungen und Substratunterschieden bestehen (Pfostenloch, Siedlungsgrube etc.). Schon 1911 führte Carl Schuchardt bei seiner Untersuchung der Römerschanze bei Potsdam die sogenannte „Pfostenlochmethode“ hierzulande ein: eine Störung des natürlichen Bodengefüges durch menschlichen Eingriff bleibt in der Regel als dunkle Verfärbung sichtbar, und sei sie noch so alt. Der Boden archiviert sie dauerhaft durch Überdeckung; sei es durch natürlichen Bodenaufbau im Laufe der Zeit oder durch Erosionseffekte wie Überdünung, d.h. angewehte Sandüberlagerung in Zeiten der Aufgabe der Nutzung. Solche Phasen der „Nicht-Nutzung“ größerer Gebiete hat es in den ur- und frühgeschichtlichen Perioden in Brandenburg mehrfach gegeben, so dass sich im Idealfall helle Sandlagen wie „Phasen-Trenner“ zwischen Siedlungsschichten der Bronzezeit, Eisenzeit, Slawenzeit abgelagert haben. Auslöser dafür waren regelmäßig zusammenwirkende Klima- und Nutzungseffekte, die sich gegenseitig steigerten: Phänomene, die uns heute nicht fremd sind und die in der Ur- und Frühgeschichte den Menschen immer wieder zwangen, sich auf unterschiedliche Weise den neuen Bedingungen anzupassen. (Abb. 3-7)

3.

Der Boden konserviert die originalen Bodendenkmale.

Und zwar durch spezielle chemische und sonstige bodenspezifische Effekte, die sich unter anderen Bedingungen nicht erhalten hätten; in der Regel handelt es sich dabei um organisches Material (Torf, Feuchtböden: Geweih- und Knochenartefakte, Holz, Leder). Dies kann einerseits durch permanent feuchte Bedingungen eintreten: durch fehlenden Sauerstoffkontakt wird die Zersetzung von organischem Material verhindert bzw. verlangsamt. Ein anderes Beispiel ist die Erhaltung organischen Materials in Torfen, die hauptsächlich auf den großen Gehalt an Huminsäure zurückzuführen ist. Die Palette erhaltener Funde reicht von 10.000 Jahre alten Geweih- und Knochenharpunen, die z.B. in Zeestow im Havelland zu Dutzenden im Torf stecken bis zu kompletten Holzhaus-Grundrissen in Baruth oder Eberswalde. Diese Archivfunktion des Bodens ist überregional ein Spezifikum, ein Alleinstellungsmerkmal der Brandenburgischen Landesarchäologie, hier sind durch spezielle Bodenbedingungen Dinge erhalten, von denen anderswo die Archäologen nur Spuren in Form von Erdverfärbungen finden.

Im Mittelalter führten schließlich künstlich angelegte Mühlenstaue auch zu einer „anthropogenen“ Bildung flacher Torfauflagen.

Leider gibt es auch ebenso spezifische gegenteilige Effekte: der hierzulande typische Sandboden lässt die kalkhaltigen Skelette der Bestatteten – gerade wenn sie in grundwasserfernen, gut durchlüfteten Böden niedergelegt wurden – häufig so schnell vergehen, dass außer den Zahnresten und „Leichenschatten“ kaum etwas übrigbleibt, von eventuellen Beigaben im Grab abgesehen. (Abb. 8-11)

 

Dieser Beitrag erschien unter dem Titel: Kersting, Thomas / Gall, Beate: Archive der Kulturgeschichte. Steckbriefe Brandenburger Böden 13.4 (2011).

Literatur

Denkmalentdeckungen: Bilder aus dem Land Brandenburg, hrsg. vom Brandenburgischen Landesamt für Denkmalpflege und Archäologischen Landesmuseum. Worms 2007.

Denkmalpflege im Land Brandenburg 1990-2000. Bericht des Brandenburgischen Landesamtes für Denkmalpflege und Archäologischen Landesmuseums. Bd. 1-2. Worms 2001.

Archäologie in Berlin und Brandenburg. 1995ff.

Lantzsch, Patrick: Böden als Archive der Natur- und Kulturgeschichte - ein Beitrag zur Darstellung der Archivfunktionen von Böden in Brandenburg (= Fachbeiträge des Landesumweltamtes; 99). Potsdam 2005.

Abbildungsnachweis

Abb. 1 Harry Reuße, Archäologie-Manufaktur.

Abb. 2 Otto Braasch.

Abb. 3 Alexander Marx.

Abb. 4 André Winkelmann, BLDAM.

Abb. 5 Bernhardt Gramsch, BLMUF.

Abb. 6 Kai Schirmer, ALTUM.

Abb. 7 A. Bischof.

Abb. 8 Silke Schwarzländer, BLDAM.

Abb. 9 M. Lascaris, LAND GmbH.

Abb. 10 Th. Kersting, BLDAM.

Abb. 11 Wolfgang Niemeyer.

Empfohlene Zitierweise

Kersting, Thomas: Bodenarchiv, publiziert am 10.11.2023; in: Historisches Lexikon Brandenburgs, URL: http://www.brandenburgikon.de (TT.MM.JJJJ)

Kategorien

Epochen: Ur- und Frühgeschichte
Themen: Archäologie und Siedlung


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