Schlacht bei Fehrbellin
Frank Göse
Wenn man heute die Autobahn A 24 in Richtung Hamburg fährt und nach dem Passieren der Raststätte Linum dank des auf diesem Abschnitt oft unvermeidlichen Staus die Muße hat, den Blick über die rechts liegenden Felder schweifen zu lassen, zeigt sich etwas verborgen die Spitze eines als Aussichtsturm erscheinenden Denkmals. Nur wenigen Kundigen dürfte heute das Motiv für die Errichtung dieses Bauwerkes bekannt sein. Vielleicht wird dem einen oder anderen noch ein gewisser ›Aha-Effekt‹ beim Gewahrwerden des kurze Zeit später auftauchenden Hinweisschildes auf die nächste Autobahnabfahrt beschleichen: »Fehrbellin«. Der Name dieses zum heutigen Kreis Ostprignitz-Ruppin gehörenden Ortes, in dessen Nähe im Jahre 1675 eine Schlacht stattgefunden hatte, löste bis vor etwa achtzig Jahren indes ganz andere Assoziationen aus, nahm er doch einen kaum zu unterschätzenden Platz in der damaligen Erinnerungskultur ein.
Nun ist Brandenburg gewiss nicht arm an Orten, an denen Schlachten stattgefunden hatten, vor allem, wenn man sich die letzten Monate des Zweiten Weltkrieges ins Bewusstsein ruft oder auch die auf märkischem Boden ausgetragenen Kämpfe während der Befreiungskriege Revue passieren lässt. Einige von diesen Schlachten haben mit Blick auf die Größe der beteiligten Heere und vor allem auch gemessen an den zu beklagenden Opferzahlen eine ganz andere Dimension als jener mit insgesamt 17.000 Mann auf beiden Seiten geführte Waffengang im Havelländischen Luch, dessen Nachwirkungen uns im Folgenden beschäftigen sollen. Erscheint es vor diesem Hintergrund überhaupt berechtigt, dieses Ereignis in den Reigen der »Brandenburgischen Erinnerungsorte« aufzunehmen, zumal es fast 350 Jahre zurückliegt? Und worin besteht die besondere Ausstrahlungskraft der Schlacht von Fehrbellin? Denn die Geschichte des nicht zu Unrecht mitunter als »absolutistischer Militärstaat« oder »Militärmonarchie« etikettierten brandenburgisch-preußischen Staates des Ancien Régime weist bekanntlich eine ganze Reihe von Schlachten auf.1
Die in der früheren Erinnerung so herausgestrichene exzeptionelle Bedeutung von Fehrbellin ist, soviel kann hier schon vorweggenommen werden, letztlich nur vor dem Hintergrund der Aufstiegsgeschichte der Hohenzollern-Monarchie zu verstehen, weil mit ihr nun unwiderruflich jene weitgehend passive Rolle, die Brandenburg während des Dreißigjährigen Krieges gespielt hatte, zu Ende zu gehen schien. In dieses Bild fügt sich auch die Tatsache ein, dass in der einzigen Feldschlacht, die während des Krieges auf märkischem Territorium geführt wurde (Wittstock 1636), brandenburgische Truppen überhaupt keine Rolle gespielt hatten.2 Diese Negativzuweisung schlug sich auch und vor allem in der abschätzigen Bewertung des damaligen brandenburgischen Kurfürsten Georg Wilhelm nieder.3
Dessen Sohn und Nachfolger, dem 1640 noch inmitten des ›Kriegstheaters‹ den Kurhut übernehmenden Friedrich Wilhelm, wuchs dann die Rolle eines Herrschers zu, der seine Lande nicht nur aus diesem Krieg herausführen sollte, sondern diese dank einer überlegten Krisenbewältigungsstrategie und einer intensiv betriebenen Aufrüstung in den nachfolgenden Jahren in einen solchen Stand gesetzt hätte, damit Brandenburg nicht noch einmal »das theatrum sein [solle], worauf die anderen Mächte ihre Tragödien aufführen«.4 In der älteren Historiographie wurden vor diesem Hintergrund der Aufbau des stehenden Heeres, das zunehmend selbstbewusstere Auftreten in der Reichspolitik – das eher suboptimale Agieren während des sogenannten ›Düsseldorfer Kuhkrieges‹ wurde dagegen meist nur am Rande behandelt – und erste Bewährungsproben im Schwedisch-Polnischen Krieg (1655–1660) ausgiebig gerühmt. Der zuletzt genannte Konflikt wies aber noch einen gewissen ›Schönheitsfehler‹ auf, weil sich Brandenburg in einer Allianz an der Seite bedeutenderer Mächte (zunächst Schwedens, dann der österreichischen Habsburgermonarchie und Polens) befunden hatte. Dagegen sollte der Hohenzollern-Staat in dem in der Mitte der 1670er Jahre ausbrechenden Krieg, der eingebunden war in die Abwehrbemühungen eines Teils der europäischen Staaten gegen die bedrohlicher werdende Macht des ludovizianischen Frankreichs, mehr als zuvor auf sich allein gestellt sein.
Damit sind wir nun schon inmitten der Zeitläufte, die zur Fehrbelliner Schlacht führten. Sowohl der politische Hintergrund, als auch die militärischen Details sollen uns indes nur am Rande interessieren und deshalb nur in wenigen Sätzen umrissen werden. Um die Truppen des brandenburgischen Kurfürsten vom oberrheinischen Kriegsschauplatz wegzulocken und Brandenburg aus der antifranzösischen Koalition herauszulösen, hatte König Ludwig XIV. seinen Verbündeten Schweden bewegen können, mit einem Heer in die Mark Brandenburg einzufallen. Friedrich Wilhelm war unterdessen mit seinen Truppen in Eilmärschen in die Kurmark zurückgekehrt. Der Kurfürst, dessen Planungen die detaillierte Kenntnis der unwegsamen, durch Heiden und Sümpfe geprägten Landschaft zugutekam, trachtete danach, die schwedischen Truppen im Ländchen Bellin zu halten und vor ihrer Vereinigung mit einem bei Havelberg liegenden Korps zu schlagen. Dabei waren die kräftemäßigen Voraussetzungen für Kurbrandenburg recht ungünstig – eine für den späteren Nachruhm des Kurfürsten und der Fehrbelliner Schlacht nicht unwichtige Tatsache: Die Schweden verfügten zu diesem Zeitpunkt über etwas mehr als 11.000 Mann Kavallerie und Infanterie, während der Kurfürst in Folge seines rasanten Marsches vom Oberrhein bis in die Mark nur berittene Kräfte im Umfang von etwa 6.400 Mann aufbieten konnte. Nach etwa zweistündigem mörderischen Gefecht, an dem Friedrich Wilhelm selbst beteiligt und mehrfach in höchste Lebensgefahr geraten war – auch dies wurde in der Fama teilweise exzessiv ausgeschmückt – zogen sich die Schweden geordnet zurück. An eine vom Kurfürsten geplante Fortsetzung der Schlacht und Verfolgung der feindlichen Truppen war allerdings angesichts der guten Rückendeckung, die die Schweden durch bislang nicht am Kampf beteiligte Einheiten aufbringen konnten und des außerordentlichen Erschöpfungszustandes der brandenburgischen Truppen nicht zu denken.
Trotz dieser, die Dimension des brandenburgischen Sieges etwas einschränkenden Bemerkungen galt diese – nach der damals in Kurbrandenburg gültigen Zeitrechnung des Julianischen Kalenders am 18. Juni 1675 geschlagene – Schlacht für das bis zu diesem Zeitpunkt in militärischer Hinsicht kaum wahrgenommene Kurbrandenburg durchaus als ein Achtungserfolg, weil es – so Leopold von Ranke in seinen damals eine große Wirkung erzielenden »Zwölf Büchern Preußischer Geschichte« – »die erste Schlacht von Bedeutung« gewesen wäre, »welche die Brandenburger allein gewannen«.5 Dieser im Gegensatz zu früheren Operationen aus eigener Kraft erzielte Erfolg wurde schon im unmittelbaren zeitlichen Umfeld der Fehrbelliner Schlacht publizistisch verwertet. In einem im gleichen Jahr aufkommenden Lied (»Neues Lied von der glücklichen Victoria«) wurde dem brandenburgischen Landesherrn der Beiname »Großer Kurfürst« gegeben.6 Dies stellte im Übrigen einen der eher selteneren Fälle dar, in denen es sich bei der Ausschmückung eines Herrschernamens um einen zeitgenössischen Akt handelte und nicht das ›Verdienst‹ späterer kreativer Historiographen war.
Allerdings zählten die Kampfhandlungen auf den Feldern vor Fehrbellin nicht zu den, gemessen an den aufgebotenen Truppenkontingenten, großen Schlachten der Weltgeschichte, und so wäre wohl ihr Andenken bald im Dunkel der Geschichte verblasst wie so viele andere auch. Legte man die von einem bekannten amerikanischen Militärhistoriker vorgeschlagenen Kriterien für die Bewertung dieses Waffenganges als eine »Entscheidungsschlacht« an, würde Fehrbellin diese Voraussetzungen nur sehr bedingt erfüllen.7 Zudem hielt sich der messbare politische Gewinn für Kurfürst Friedrich Wilhelm in Grenzen: Zwar konnte das brandenburgische Heer in den folgenden Jahren noch weitere respektable Erfolge gegen Schweden (vor allem die Eroberung Vorpommerns mit Rügen) erzielen, doch sah sich der Große Kurfürst auf Grund der Bestimmungen des Friedens von St. Germain 1679 wieder zur Herausgabe seiner Landgewinne gezwungen.
Ihre vergleichbar große Bekanntheit verdankt die Fehrbelliner Schlacht letztlich vor allem der Tatsache, dass sie in die Phase des beginnenden machtpolitischen Aufstiegs des Hohenzollern-Kurfürstentums fiel. Dadurch wuchs sie in die Rolle einer Initialzündung und wurde mit den Worten Friedrichs des Großen zum »Ausgangspunkt der Größe, zu der das Haus Brandenburg seither aufgestiegen« sei.8 Dies sollte auch fortan das Leitmotiv für die historiographische Verarbeitung, aber auch für die spätere öffentlichkeitswirksame Darstellung des Schlachtgeschehens bilden. Obendrein fügte sich Fehrbellin bestens in jenes Interpretament ein, das die brandenburgisch-preußische Historie in einer engen Symbiose mit der deutschen Geschichte zu sehen glaubte. Spuren einer solchen Sichtweise ließen sich schon in den ersten zeitgenössischen Berichten finden. So wurde zum Beispiel in dem 11. Band des »Theatrum Europaeum« darüber berichtet, »was vor Frolocken über diese Victori in und ausserhalb Deutschland« nach dem Bekanntwerden des brandenburgischen Sieges zu beobachten gewesen sei.9 Zwar noch nicht am Schlachtort selbst, wohl aber in dem für die Vorgeschichte der Schlacht bedeutsamen havelländischen Rathenow wurde von einem der in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts bekanntesten preußischen Bildhauer, Johann Georg Glume, 1738 ein Denkmal errichtet, das den Großen Kurfürsten in der Tracht eines römischen Imperators zeigt. Im 19. Jahrhundert, als allenthalben das Walten eines ›historischen Sinns‹ in der Breite der Gesellschaft signifikant wurde, war es dann vor allem Johann Gustav Droysen, der »die These von der Rettung der ›nationalen Geschichte‹ durch das Haus Brandenburg« besonders markant vertrat und in dessen Werk demzufolge die Bedeutung der Schlacht bei Fehrbellin herausgestrichen wurde.10 In ein ähnliches Horn blies der weit über den universitären Rahmen hinaus sehr wirkungsmächtige Heinrich von Treitschke. Auch bei ihm avancierte der sogenannte »deutsche Beruf« der Hohenzollerndynastie zu einem bedeutsamen Narrativ. Ausgiebig rühmte er die Bemühungen Kurfürst Friedrich Wilhelms, »die Schweden vom Reichsboden zu vertreiben«. Und auch wenn die französische und kaiserlich-habsburgische Diplomatie den Kurfürsten am Ende des Holländischen Krieges zwangen, seine territorialen Gewinne in Vorpommern wieder preiszugeben – »den Ruhm des Tages von Fehrbellin konnten sie ihm nicht rauben«.11 Zudem entsprach die historiographische Verarbeitung dieser Schlacht auch der damals vorherrschenden Diktion, die kaum ein anderer wie Treitschke so wirkungsvoll kolportierte: ›Männer machen Geschichte‹. Und tatsächlich wurde die persönliche Rolle des Kurfürsten als ›Schlachtenlenker‹ in einer Vielzahl von Werken inner- und außerhalb der Geschichtswissenschaft betont, zum Teil auch anekdotenhaft überhöht.
Derjenige, der sich die Mühe einer genauen Lokalisation des Schlachtgeschehens vor Ort machte und macht – und an Militaria-Liebhabern mangelt es bekanntlich bis heute kaum – wird recht schnell vergegenwärtigen, dass diese Schlacht viel näher am Dorf Hakenberg als an Fehrbellin stattgefunden hatte. Dennoch ist schon in den zeitgenössischen Berichten, wie im »Theatrum Europaeum«, von der Fehrbelliner und nicht von der Hakenberger Schlacht die Rede. Über die Gründe der Titulierung mag trefflich gestritten werden können, letzte Gewissheit wird man darüber indes kaum erhalten. Es dürfte wohl der größere Bekanntheitsgrad des Amtsstädtchens Fehrbellin gegenüber dem kleinen Dorf Hakenberg gewesen sein, der den zeitgenössischen Berichterstattern die Orientierung erleichterte – und zudem stand Fehrbellin ja auch in jener Schlussphase der Schlacht im Zentrum der Aufmerksamkeit, in der sich der Ruhm der brandenburgischen Waffen vollenden sollte. Mit einem Augenzwinkern gab Theodor Fontane zu bedenken, dass sich dieser Ortsname wohl auch »zum Glück für alle preußischen Poeten« durchgesetzt hätte, denn jeder, »der sich in der Welt der Reime umhergetummelt hat, wird sich der Verlegenheiten entsinnen, die ihm die Sylben ›berg‹ und ›burg‹ bereitet haben. Vollklang und Reimfülle aber stehen wie lachende Genien neben dem Wort ›Fehrbellin‹.« (Abb. 1)12
Und darüber hinaus hatte der Name Fehrbellin in nicht geringem Maße auch in die bildungsbürgerlichen Haushalte Eingang gefunden. Einen kaum zu unterschätzenden Anteil daran wird man dem Schauspiel »Prinz von Homburg« zuzumessen haben. In diesem zwischen 1809 und 1811 von Heinrich von Kleist verfassten Stück wurde der innere Zwiespalt des an der Schlacht bei Fehrbellin auf brandenburgischer Seite beteiligten Helden zwischen persönlichem »Verdienst und Schuld« behandelt und damit das übergreifende Spannungsfeld zwischen »Recht und Pflicht« dargestellt.13 Dabei erschien die Tatsache eher nachrangig, dass es diese in dem Drama geschilderte Begebenheit so gar nicht gegeben hatte. Kleist ist auf diesen Stoff im Übrigen über eine Passage in der »Geschichte des Hauses Brandenburg« Friedrichs des Großen aufmerksam geworden. Darin wurde beschrieben, wie der Prinz in der Schlacht gegen den Befehl seines Kriegsherrn und Kurfürsten den Feind mit seinem Regiment eigenmächtig und voreilig angegriffen habe, wodurch letztlich aber die Schlacht gewonnen werden konnte. Ohne hier auf die recht wechselvolle Rezeption des Schauspiels einzugehen, bleibt indes festzuhalten, dass dadurch natürlich der Name des Schlachtortes bekannter wurde. Die Eingeweihten wussten die Handlung zudem in Verbindung mit der Aktion des Prinzen Louis Ferdinand zu deuten, der 1806 in einem Gefecht bei Saalfeld, kurz vor der Schlacht bei Jena, gefallen war.14
Kleists gewiss nicht unumstritten gebliebener, aber dafür eine vergleichsweise große Popularität erzielender Versuch einer literarischen Verarbeitung des Fehrbelliner Geschehens hat auch späterhin Nachahmer gefunden. Natürlich erreichten diese bei weitem nicht diesen außergewöhnlich großen Bekanntheitsgrad, wie zum Beispiel eine von Carl Schartmann vorgelegte romanhafte Verarbeitung des Fehrbelliner Schlachtgeschehens.15
Dass im frühen 19. Jahrhundert ohnehin ein größer werdendes Bedürfnis nach einer Beschäftigung mit der Historie der eigenen Landschaft bestanden hatte, das auch über den engen Kreis der Geschichtsschreiber hinausging, belegt die Tatsache, dass wenige Jahre vor dem Erscheinen des »Prinzen von Homburg« das erste Denkmal zu Ehren der Schlacht errichtet wurde (Abb. 2). »Hier legten die braven Brandenburger den Grund zu Preußens Größe«, lautete dessen Inschrift. Interesse dürfte selbst heute noch der Initiator dieses Denkmals hervorrufen, dessen Name auch in der Inschrift verewigt ist: Friedrich Eberhard von Rochow auf Reckahn. Damit wird zugleich auch ein Hinweis auf den ideellen Hintergrund der der preußischen Spätaufklärung verhafteten Trägergruppen dieser Art von Erinnerungskultur gegeben, die sich mit wachsendem Erfolg darum bemühten, höhere Ansprüche an die Erforschung und Vermittlung der Landesgeschichte zu stellen.16
Die Schlachterinnerung fand in zunehmender Weise Eingang in die Festkultur dieser brandenburgischen Landschaft und wurde Bestandteil der lokalen Tradition. Fehrbellin bot zudem eine geeignete Möglichkeit, die Geschichte der preußischen Gesamtmonarchie mit der Lokalhistorie zu verbinden. Dies erschien vor allem auch deshalb willkommen, weil in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts ein gewisses Desinteresse in Teilen der märkischen Bevölkerung an der eigenen Geschichte einerseits und eine Dominanz der preußischen Staatshistorie bei den Universitätshistorikern andererseits beklagt wurde. Man suche, so der sich für die Erforschung der brandenburgischen Geschichte in mehrfacher Hinsicht verdient gemachte Adolph Friedrich Riedel, »in der Mark Brandenburg vergebens nach dem über alle Teile des Landes und über alle Klassen [sic!] der Bevölkerung verbreiteten, auf patriotischem Heimatsinne beruhenden Interesse für die eigene Geschichte, dessen manche andere Länder sich rühmen können.«17
Bald wurde es zu einer festen Tradition, dass alljährlich am 18. Juni in Hakenberg unter großer Beteiligung der Bevölkerung der umliegenden Ortschaften Umzüge stattfanden, die begleitet wurden von einem »Marsch« über das Schlachtfeld und Gedenkgottesdiensten. Schon Fontane amüsierte sich über den in seinen Augen ziemlich unkritischen Umgang mit dem historischen Ereignis: »Alles ist ›Fehrbellinisch‹, dem klarsten Augenschein zum Trotz.«18
Es blieb indes nicht bei dieser eher folkloristischen ›Vermarktung‹ im engeren regionalen Rahmen. Angesichts der bereits geschilderten außerordentlichen Bedeutung der Fehrbelliner Schlacht für die Meistererzählung über den brandenburgisch-preußischen Aufstieg nahm dieses Ereignis einen vorderen Platz in den Bemühungen zur Traditionsbildung ein. Jubiläen bildeten wie so oft dafür einen geeigneten Ansatzpunkt. Anlässlich des 200. Jahrestages der Schlacht regte der Kronprinz Friedrich Wilhelm, der spätere 99-Tage-Kaiser Friedrich III., die Errichtung eines repräsentativen Denkmals auf dem Schlachtfeld unmittelbar neben dem Dorf Hakenberg an – das alte, viel kleinere Denkmal von 1800 erschien ihm der Bedeutung des zu erinnernden Ereignisses nicht würdig genug. Am 18. Juni 1875 fand im Beisein des Kronprinzen die Grundsteinlegung des in Gestalt einer über 20 Meter hohen Siegessäule konzipierten Bauwerkes statt. Vier Jahre später war der von der Siegesgöttin Nike gekrönte Bau vollendet und konnte am sogenannten ›Sedan-Tag‹, dem 2. September 1879, feierlich eröffnet werden, wodurch zugleich die intendierten Kontinuitätslinien sichtbar demonstriert wurden (Abb. 3). Auch im publizistischen Bereich intensivierte sich in jener Zeit die Erinnerung an die Schlacht und erfuhr auch im Umfeld späterer runder Jubiläen eine Konjunktur.19
Wie schon für das 19. Jahrhundert erwähnt, versuchte man das Fehrbellin-Thema auch weiterhin im künstlerischen Bereich zu verarbeiten.20 Selbst ein so bekannter Dichter wie Wilhelm Raabe, in dessen Schaffen sich häufig Bezüge auf Kriege in der deutschen Geschichte fanden, wandte sich diesem Stoff zu.21 Und die Kontinuitätslinie, in der die offizielle Historiographie die bedeutendste Schlacht des Großen Kurfürsten sehen wollte, fand ihren Niederschlag auch in der dichterischen Verarbeitung eines 1905 aufgeführten Dreiakters von Fritz Wilke, in dem Begebenheiten aus dem Umfeld der Fehrbelliner Schlacht, des Siebenjährigen Krieges und des Deutsch-Französischen Krieges miteinander verknüpft wurden.22
Es dürfte kaum überraschend sein, dass die Erinnerung an die Schlacht bei Fehrbellin in der sogenannten ›patriotischen Erziehung‹ der heranwachsenden Generation einen herausgehobenen Platz erhielt, wie ein Blick in die Schulbücher der Kaiserzeit, aber auch während der Weimarer Republik und des Dritten Reiches belegt. Neben der in den Geschichtslehrbüchern besonders herausgearbeiteten Bedeutung dieser Schlacht fand sich diese zuweilen auch als Sujet in der damaligen Jugendliteratur.23
Über den engeren landschaftlichen Rahmen hinaus wiesen Bemühungen, den Namen Fehrbellin in einen weiteren Bezugsrahmen der preußisch-deutschen Traditionsbildung zu stellen. Dazu zählte etwa die 1892 veranlasste Benennung eines Platzes in Berlin-Wilmersdorf nach dem Schlachtort – bis heute zugleich namengebend für eine U-Bahn-Station (Abb. 4). Darüber hinaus gibt es in drei Berliner Stadtbezirken ›Fehrbelliner Straßen‹.
Und sehr naheliegend erschien es für die innermilitärische Traditionsstiftung im kaiserlichen Heer, dass im Folgejahr für die Kavallerie-Regimenter ein Marsch komponiert wurde, der bis heute zu den populärsten Stücken der Militärmusik gehört: der »Fehrbelliner Reitermarsch«. Dies mag allerdings weniger mit dem Bezug auf das ihm zugrunde liegende Ereignis zusammenhängen, sondern war und ist der vergleichsweise eingängigen Melodie und sicher auch der späteren textlichen Verballhornung geschuldet: »Wir wollen unsern alten Kaiser Wilhelm wiederhaben.«24
Nach 1945 ließ die im Zeichen von »Abrechnungsliteratur und Gesinnungshistorie« stehende Haltung gegenüber der altpreußischen Geschichte zwangsläufig die Beschäftigung mit der preußisch-deutschen Militärgeschichte und damit natürlich auch die Erinnerung an die Schlacht bei Fehrbellin zurücktreten – eine im Übrigen in beiden deutschen Staaten zu beobachtende Entwicklung.25 Erst im Zuge der seit den ausgehenden 1970er Jahren einsetzenden Aufwertung der altpreußischen Geschichte vor dem Hintergrund des modifizierten Erbe- und Traditionsverständnisses der DDR-Führung nahmen Publikationen zu diesen Themen wieder zu, ohne natürlich wieder jene Intensität und Überhöhung zu erfahren wie vor 1945.26 Die Erinnerung an die Fehrbelliner Schlacht blieb vornehmlich ein Reservat für die – in der DDR sich auch in subtiler Form auslebende – nicht geringe Schar der an der preußischen Geschichte Interessierten, sie konnte aber durchaus auch einmal die originelle Vorlage für ein Kinderbuch bieten.27
Nach der Wiedervereinigung erfuhr die Zuwendung zur altpreußischen Geschichte eine erneute Konjunktur, natürlich mit weitgehend veränderten Interessenlagen und Forschungsansätzen. Dazu gehört auch die Einsicht, dass die Beschäftigung mit der Militärgeschichte nach wie vor auf gewisse Vorbehalte stieß und stößt, was letztlich auch die Fehrbelliner Schlacht auf einen hinteren Rang innerhalb der Erinnerungskultur setzen dürfte. Vergessen ist sie allerdings nicht, vor allem, wenn man die große Beliebtheit des biographischen Genres innerhalb einer interessierten Öffentlichkeit beachtet. Und mit der in jüngerer Zeit gewählten Etikettierung des Großen Kurfürsten als »Sieger von Fehrbellin« scheint manchmal gar die traditionelle Deutung der Fehrbelliner Schlacht im Narrativ der preußischen Aufstiegsgeschichte wieder aufzuscheinen.28
Anmerkungen
1 Statt vieler einschlägiger Titel vgl. hier nur Wolfgang Neugebauer, Staatsverfassung und Heeresverfassung in Preußen während des 18. Jahrhunderts, in: Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte N.F. 13 (2003), S. 83–102.
2 Vgl. Rudolf Schmidt, Die Schlacht bei Wittstock. Ein Beitrag zur Geschichte des Dreißigjährigen Krieges, Halle 1876; Frank Göse, Wittstock 1636. Der Wiederaufstieg Schwedens. Die Schlacht bei Wittstock, Braunschweig 2009.
3 Vgl. Matthias Asche, Kurfürst Georg Wilhelm von Brandenburg im Dreißigjährigen Krieg. Versuch einer Neubewertung, in: Ders./Marco Kollenberg/Antje Zeiger (Hgg.), Halb Europa in Brandenburg. Der Dreißigjährige Krieg und seine Folgen, Berlin 2020, S. 32– 44.
4 Nach dem »Politischen Testament« von 1667 bei Richard Dietrich (Hg.), Politische Testamente der Hohenzollern, München 1981, S. 63.
5 Leopold von Ranke, Preußische Geschichte, hgg. v. Willy Andreas, Wiesbaden/Berlin 1957, S. 282.
6 Der komplette Liedtext bei: Frank Bauer, Fehrbellin. Brandenburg-Preußens Aufbruch zur Großmacht. Potsdam 1998, S. 137 f.
7 Vgl. Paul K. Davis, 100 Decisive Battles. From ancient Times to the Present, St. Barbara [Ca.] 1999.
8 Friedrich II. von Preußen, Denkwürdigkeiten zur Geschichte des Hauses Brandenburg, hier zit. nach der Ausgabe München 1995, S. 105.
9 Theatrum Europaeum, Bd. 11, Frankfurt am Main 1682, S. 720.
10 Wolfgang Neugebauer, Preußens Geschichte als gesellschaftliche Verantwortung. Historiographie vom Mittelalter bis zum Jahr 2000, Paderborn 2018, S. 225.
11 Heinrich von Treitschke, Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert, T. 1, 5. Aufl., Leipzig 1894, S. 32.
12 Theodor Fontane, Wanderungen durch die Mark Brandenburg, Bd. 1, Berlin 1862, S. 164 f.
13 Josef Körner, Recht und Pflicht. Eine Studie über Kleists »Michael Kohlhaas« und »Prinz Friedrich von Homburg«, Leipzig 1926, S. 32.
14 Vgl. Eckart Kleßmann, Prinz Louis Ferdinand von Preußen, München 1978, S. 242–248.
15 Vgl. Carl Schartmann, Die Schlacht bei Fehrbellin. Historisch-romantische Erzählung, Berlin 1834. Genannt sei hier auch eine 1829 publizierte Novelle von Heinrich Smidt, Das Schlachtgemälde von Fehrbellin. Eine historische Novelle, Leipzig 1829.
16 Vgl. hierzu ausführlich Gerd Heinrich, Brandenburgische Landesgeschichte und preußische Staatsgeschichte. Universitäten, Hochschulen, Archive, Historische Gesellschaften und Vereine, in: Reimer Hansen/Wolfgang Ribbe (Hgg.), Geschichtswissenschaft in Berlin im 19. und 20. Jahrhundert. Persönlichkeiten und Institutionen, Berlin/New York 1992, S. 323–363.
17 Adolph Friedrich Riedel, XVI. Jahresbericht für 1843 der Generalversammlung des Märkischen Vereins, in: Märkische Forschungen 2 (1843), S. 203– 209, hier S. 207.
18 Fontane, Wanderungen (wie Anm. 12), S. 167.
19 Wilhelm Schwartz, Die Schlacht von Fehrbellin, in: Ders., Bilder aus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte. Vorträge und Aufsätze, zusammengestellt zur zweihundertjährigen Jubelfeier des Tages von Fehrbellin, Berlin 1875 [ND Potsdam 2011], S. 26 – 60; Friedrich Wilhelm von Varchim, Die Schlacht bei Fehrbellin. Eine Jubelschrift auf das Jahr 1675, Köstritz 1875; Georg Winter, Die Schlacht bei Fehrbellin. Zum 250. Gedenktage, Oranienburg 1925.
20 So zum Beispiel in dem vom Theologen und zuweilen auch als Schriftsteller publizierenden Carl Albrecht Bernoulli verfassten Schauspiel »Der Ritt nach Fehrbellin« (Erstausgabe, Jena 1908).
21 Vgl. Wilhelm Raabe, Um Rathenow und Fehrbellin (1865), in: Wie Else von der Tanne starb und anderes aus Erzählungen, Reutlingen 1927.
22 Fritz Wilke, Der Held von Fehrbellin. Die Mühle von Leuthen. Vor Paris. 3 Einakter aus den Tagen des Großen Kurfürsten, Königs und Kaisers, Mühlheim an der Ruhr 1905.
23 Vgl. Ferdinand Schmidt, Oranienburg und Fehrbellin. Ein historisches Gemälde aus der Regierungszeit des großen Kurfürsten, Berlin 1875.
24 Der Text des von Richard Henrion komponierten Marsches bei: http://www.geschichte-in-liedern.de/ [zuletzt: 21.01.2021] (Wir-wollen-unseren-alten-Kaiser-Wilhelm-wiederhaben).
25 Vgl. hierzu das gleichnamige Kapitel bei Wolfgang Neugebauer, Preußens Geschichte als gesellschaftliche Verantwortung. Historiographie vom Mittelalter bis zum Jahr 2000, Paderborn 2018, S. 527–541.
26 In diesem Sinne sei etwa verwiesen auf die 1985 erschienene Biografie über den Großen Kurfürsten von Bruno Gloger, Friedrich Wilhelm. Kurfürst von Brandenburg. Biographie, Berlin 1985, und an die auch in der Bundesrepublik aufgelegte Darstellung von Ingrid Mittenzwei/Erika Herzfeld, Brandenburg-Preußen 1648 bis 1789. Das Zeitalter des Absolutismus in Text und Bild, Berlin 1987.
27 Vgl. Manfred Hoffmann, Der Landreiter von Fehrbellin, Berlin 1982.
28 Hans-Joachim Neumann, Friedrich Wilhelm, der Große Kurfürst. Der Sieger von Fehrbellin, Berlin 1995.
Abbildungsnachweis
Abb. 1 Theodor Fontane, Wanderungen durch die Mark Brandenburg, Bd. 1, Berlin 1862, S. 162 (Deutsches Textarchiv, CC BY-SA 4.0).
Abb. 2 https://commons.wikimedia.org/wiki/File:OPR_Hakenberg_Kleines_Denkmal.jpg:OPR_Hakenberg_Kleines_Denkmal.jpg (Foto: Alexander Savin - CC BY-SA 3.0).
Abb. 3 https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Hakenberg_Denkmal.jpg:Hakenberg_Denkmal.jpg (Foto: Doris Antony - CC BY-SA 3.0).
Abb. 4 https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Fehrbelliner_Platz_U3.JPG:Fehrbelliner_Platz_U3.JPG (Foto: Manfred Brueckels CC BY-SA 3.0).
Der Beitrag erschien in:
Asche, Matthias / Czech, Vinzenz / Göse, Frank / Neitmann, Klaus (Hrsg.): Brandenburgische Erinnerungsorte - Erinnerungsorte in Brandenburg. Band 1 (= Einzelveröffentlichungen der Brandenburgischen Historischen Kommission e.V., Band 24). Berlin 2021, S. 115-125.