Scharfrichter

Marita Genesis

Anfänge

Wenn sich auch das Bild des Scharfrichters im Nebel der frühen Rechtsgeschichte verliert, so wissen wir doch, dass es Zeiten und Gesellschaftsformen gab, die ohne das Amt eines beruflich tötenden Mitgliedes der Gemeinschaft auskamen. Nicht, weil es keine Straftäter gab und paradiesische Verhältnisse geherrscht hätten. Vielmehr oblag die Ahndung eines Diebstahls, einer Notzüchtigung oder einer anderen Kapitalstrafe, wenn auf frischer Tat ertappt, dem Hausherrn, Ältesten oder Betroffenen. Konnte sich der Täter durch Flucht entziehen, entschied häufig die gesamte Sippe über die Vergeltung der Tat. Die Geschichte der Entstehung des Scharfrichteramtes reicht bis weit in die Antike zurück. So kannte man bereits in Mesopotamien am Ende des 3. Jahrhunderts v.u.Z. strafrechtliche Bestimmungen. In vorchristlicher Zeit wurden im germanischen Lebensraum die Todesurteile häufig von Priestern vollstreckt. Ihnen oblag durch den Vollzug der Todesstrafe (hier mehr als Opferung gesehen) die Versöhnung mit den Göttern wiederherzustellen. 

Mittelalter und Neuzeit

Die Hinrichtung durch die Gemeinde war auch im frühen Mittelalter noch üblich. Jahrhunderte lang konnte der Prozessgegner durch den Kläger gerichtet werden, indem er beispielsweise den Täter beim Erhängen eigenhändig von der Leiter stieß  oder Frauen, die Notzucht erlitten hatten, selbst den ersten Schlag mit Barte oder Schlegel ausführten. Später musste häufig der jüngste Ehemann den Delinquenten richten oder aber der unterste Schöffe hatte die Pflicht, die Verurteilung zu vollziehen, weil er als Letzter in den Rat aufgenommen worden war. In vielen Orten war zudem die Bezahlung eines Privatmannes für die Hinrichtung als Rechtspraxis bis weit in das 16. Jahrhundert üblich.

Im Jahr 1276 wird erstmals im Augsburger Stadtrecht ein Henker aufgeführt (Schild 2003, 177).  Mit seinem Amt verbanden sich zahlreiche weitere Aufgaben. So sollte er die Abtritte der Stadt reinigen und die Aufsicht über Aussätzige übernehmen.  In einer späteren Abschrift wird er als „Hurensohn“ bezeichnet, wodurch eine gewisse Anrüchigkeit des Scharfrichteramtes in jener Zeit zu vermuten ist.  Er wurde allerdings auch als Richter in Sachen der fahrenden Fräulein und als „Milchrichter“ tituliert und musste die Überwachung des Korns übernehmen, was andererseits eine gesicherte Stellung im städtischen Gefüge erkennen lässt. Weitere Nennungen finden sich für Braunschweig 1312, München 1318, Regensburg  1334 und Köln 1373, die alle einen eigenen Henker beschäftigten (Pechaček 2003, 56). Kleinere Orte waren vermutlich finanziell gar nicht in der Lage, einen Scharfrichter zu beschäftigen. So war die Praxis des Ausborgens üblich und stellte zugleich eine wirtschaftlich geringere Belastung für eine Stadt dar. 

Ab dem Ende des 14. Jahrhunderts sind bestallte Scharfrichter vermehrt in den deutschen Städten anzutreffen. Die Obrigkeit hatte die Strafverfolgung weitgehend übernommen und die Hinrichtung des Verbrechers sollte nun „von Amts wegen“ durchgeführt werden (Abb. 1, 2). Doch erst ab dem 16. Jahrhundert werden sie in der „Bambergensis“ (1507), in der „Brandenburger Halsgerichtsordnung“  (1517) und später in der „Peinlichen Gerichtsordnung“ Karls V. (1532) als alleinige Strafvollstrecker aufgeführt. Nun sind die Ämter auch in allen größeren Städten des Alten Reiches vertreten.

Scharfrichter im Land Brandenburg

Für das Land Brandenburg werden Scharfrichter erst relativ spät erwähnt. Im Jahre 1466 muss Brandenburg an der Havel einen solchen im Dienst gehabt haben, denn die Stadt (Alt)Ruppin bittet am 14. Juli diesen Jahres Brandenburg, ihr einen „Angstmann“ (Henker) oder dessen Knecht zur Durchführung einer Hinrichtung zu leihen (Genesis 2006, 23).  Bislang  handelt es sich hierbei um die früheste Erwähnung eines beruflich etablierten Amtes in der Mark Brandenburg.

Berlin und Cölln beschäftigten um 1500 einen gemeinsamen Scharfrichter. Später leisteten hier Caspar Spiegel (1584) und Martin Heintze (1587) ihren Scharfrichter-Eid. Überliefert sind der Eid des Martin Heintze und die Bestallungsurkunde. Der darin enthaltene Scharfrichter-Eid war für die gesamte Kurmark gültig (Genesis 2006, 24). 

Die nächsten Scharfrichter tauchen in den Urkunden der Stadt Perleberg auf. Scharfrichter-Eide weisen dieses Amt hier ebenfalls ab dem 16. Jahrhundert nach. Dabei wird im Eid des Georg Gebhardt von 1582 schon ein Vorgänger genannt, nämlich sein Bruder Hans (Schumann, 1996, Forschungen, 135).  Die Gerichtsordnung der Stadt Prenzlau erwähnt den Scharfrichter 1584 mit einer zusätzlichen Aufgabe: Ihm oblag die Zustellung des Gerichtstermins an den Kläger (Schumann, 1996, Forschungen, 135). In Wittstock tritt erstmals 1538 ein Scharfrichter auf. Er wurde Meister Hans genannt, hatte einer gewissen Osche Gevers die Ehe versprochen und wohnte im vierten Wohnviertel der Stadt in der sogenannten „Bodeley“ an der Stadtmauer (Polthier 1933,  218).

Für Ziesar ist durch einen Brief des Brandenburger Scharfrichters Wulff Spiegel an den Kurfürsten Johann Georg überliefert, dass dieses Amt hier spätestens seit 1586 existierte (GStAPK, I. HA, Rep. 9, KK  7, Nr. 4195). Spiegel bat den Kurfürsten darin, ihm die freie Stelle in Ziesar zu geben, doch der Amtmann von Ziesar hatte diesen Posten bereits mit einem Hans Stoff besetzt, um von der Stadt Brandenburg unabhängig zu sein.

In den Brandenburger Schöppenstuhlakten ist zu lesen, dass Wusterhausen (Dosse) 1574 einen Scharfrichter beschäftigte, der aus dem nahegelegenen Kyritz zugezogen war. Sein Umzug, so ist vermerkt, war vom Kurfürsten wegen des „ergerlichen Lebens“ – er lebte mit seiner Frau im Streit – am 1.3.1574 angeordnet worden. Er sollte innerhalb von vier Wochen die Stadt verlassen. Der Name des Scharfrichters war Hans Stoefe, möglicherweise handelt es sich hierbei um jenen Hans Stoff, der 1586 eine Anstellung in Ziesar fand und dort 1593 verstarb (Stölzel 1901, 613).  

In Potsdam hingegen ist erst sehr spät ein ansässiger Scharfrichter nachzuweisen. Abraham Schlegel, geboren 1612 in Oederan (Sachsen), Sohn des dortigen Scharfrichters und Abdeckers Bernhard Schlegel, machte sich um 1631 auf Wanderschaft in Richtung Norden. Er war der jüngste Sohn und daher erschien die Aussicht auf Übernahme der dortigen Scharfrichterei gering. Er kam im Winter 1631/32 nach Potsdam und machte dort in der Abdeckerei auf dem Kiez Station. Diese wurde damals von der Witwe des 1631 verstorbenen Abdeckers Andreas Kempe geführt, die Schlegel am 27.5.1632 schließlich heiratete (Schumann 1992, 343). 

Die oben aufgezählten Scharfrichter betreffen die frühesten Erwähnungen in Brandenburg und ergeben, dass diese ab dem letzten Drittel des 16. Jahrhunderts zum allgemeinen Berufsbild gehören. Die ersten Vertreter waren wohl noch Amtsträger des jeweiligen Stadtrates, jedoch ab etwa 1600 versuchte der Kurfürst, die Bestallungen in der gesamten Mark nach und nach an sich zu ziehen. Bislang gibt es für das 17. Jahrhundert eine vorläufige Gesamtaufstellung über die damals in Brandenburg existierenden Scharfrichter-Meistereien:

Angermünde, Arnswalde, Bärwalde, Brandenburg, Beelitz, Beeskow, Berlin/Cölln, Berlinchen, Bernau, Bernstein, Brüssow, Cottbus, Crossen, Driesen, Drossen, Eberswalde, Falkenburg, Fehrbellin, Frankfurt (Oder), Friedeberg, Friedland, Friesack, Fürstenberg, Gartz, Gransee, Golzow, Königsberg/Nm.,  Köpenick, Küstrin, Kyritz, Landsberg, Lenzen, Lindow, Lippehne, Lychen, Mittenwalde, Müllrose, Müncheberg, Nauen, Neuruppin, Neuwedel, Oderberg, Oranienburg, Peitz, Perleberg,  Plaue, Potsdam, Prenzlau, Pritzwalk, Putlitz, Rathenow, Schönfließ, Schwedt, Seelow,  Soldin, Spandau, Straußberg, Storkow, Templin, Teupitz, Trebbin, Werder, Wittstock, Woldenberg,  Wriezen, Wusterhausen/Dosse,  Zechlin, Zehden, Zehdenick, Ziesar, Zielenzig und Züllichau.

In der Niederlausitz sind eigene Scharfrichter in Luckau, Calau, Lübben und Guben überliefert.

Aufgaben des Scharfrichters

Die Aufgaben des Scharfrichters ergaben sich häufig aus den Stadtrechten, doch existierten dabei von Stadt zu Stadt erhebliche Unterschiede. In erster Linie war er für die Vollstreckung der Urteile zuständig. Teilweise war der Scharfrichter auch im Gerichtsverfahren bereits mit eingebunden. So ist für Brandenburg an der Havel bekannt, dass er das „Zetergeschrei“ in der Gerichtsverhandlung übernahm. Hauptsächlich oblagen ihm jedoch die Durchführung der peinlichen Befragung und die Vollstreckung der Urteile. Die Tortur als Bestandteil der Wahrheitsfindung war seit der „Peinlichen Gerichtsordnung“ von 1532 wesentlicher Bestandteil des nun als Inquisitionsprozess geführten Strafverfahrens. Die einzelnen Grade der Tortur mussten dem Scharfrichter bekannt sein, ebenso wie die Besonderheiten zum Alter der Beschuldigten, zur Dauer der Anwendung und zu Ruhezeiten zwischen den einzelnen Folterungen.

Ähnlich wie in den Zünften durchliefen die Scharfrichteranwärter Gesellenjahre und Ausbildungsaufenthalte an auswärtigen Meistereien. Das „Meisterstück“ schließlich stellte die Dekapitation eines Verurteilten dar. Dabei war der Anwärter „von einem und andern kundigen Scharfrichter, im Beyseyn einiger vom Magistrat, eines Medici und Chirurgi darüber zu prüfen, wie er schicklich zu hangen, zu köpfen, zu rädern und Todesstrafen zu exequiren, und alle tormenta Stück für Stück juxta peritiam artis anzulegen fähig sey" (Dau 1963, 346).

Demzufolge führte der Scharfrichter im Laufe seiner Zeit diese auch als „ehrenhaft“ geltende Strafe stets eigenhändig (mit seinem Schwert) durch. Dies galt auch für kompliziertere Strafausführungen, wie das Vierteilen, Pfählen, Verbrennen und Rädern. Geringere Verstümmelungsstrafen oder Schand- und Ehrenstrafen sowie das besonders schändliche Erhängen übernahmen zum Teil auch Scharfrichterknechte.

War der 1276 für Augsburg erwähnte Henker noch verpflichtet, als Richter in Sachen der fahrenden Fräulein und als „Milchrichter“ tätig zu sein und die Überwachung des Korns zu übernehmen, blieb davon später häufig nur noch, die Abtritte der Stadt und Gefängnisse zu reinigen und Hunde zu schlagen. Für die Stadt Brandenburg an der Havel hatte der Scharfrichter Brose Möller - etwa ab 1570 bis 1577 dort tätig - den Markt „fein sauber“ zu halten und die „heimlichen Gemächer“ in Ratskeller, Rathaus, Schule und St. Pauli zu reinigen (Schumann 1992, 343). Doch im Laufe der Zeit wurden diese Aufgaben mehr und mehr den Scharfrichterknechten und teilweise den Abdeckern übertragen.

Nebeneinkünfte Medizin

Aus der Tätigkeit  der Scharfrichter im Strafvollzug leitet sich auch ihre umfassende medizinische Kompetenz her. Sie erwarben bei der Durchführung der Tortur und der Todesstrafen umfangreiches Wissen über die menschliche Anatomie und Physiologie, schließlich sollten ihre Maleficanten unter der Tortur nicht sterben, nur gestehen. Nicht zuletzt benötigten sie ihr umfassendes Wissen zur Heilung der durch sie verursachten Verletzungen. Sie schienten Knochenbrüche, versorgten offene Wunden und renkten Glieder wieder ein, um die Delinquenten später unversehrt der eigentlichen Bestrafung zuzuführen. Da sie außerdem unbeschränkten Zugriff auf „ihre“ Verurteilten hatten, konnten sie jederzeit Sektionen durchführen. Dies übrigens ganz im Gegensatz zu den an den Universitäten ausgebildeten Ärzten, deren Unterricht bis zur Einführung des „Anatomischen Theaters“ fast ausnahmslos theoretisch durchgeführt wurde. Scharfrichter standen mit ihren Heilkünsten daher oft im Streit mit dem übrigen medizinischen Personal, wie Chirurgen, Badern und Barbieren.

Der Brandenburger Scharfrichter Jürgen Schultze beschwerte sich 1667 beim Kurfürsten, dass ihm endlich erlaubt werde, Menschen, deren Arme und Beine gebrochen sind, Gelenke ausgerenkt oder sonst „mit faulen Schäden behaftet sind“, zu kurieren. Anbei befanden sich Atteste von Patienten, denen die Barbiere nicht helfen konnten. In einem Antwortschreiben wies der Kurfürst den Magistrat von Brandenburg an, den Scharfrichter gegen die Barbiere in Schutz zu nehmen, sollte jemand seine Hilfe in Anspruch nehmen (Schumann 1996, Forschungen, 143).

Der wohl bekannteste Medikus im Land Brandenburg war der Scharfrichter Martin Coblentz. Er stammte aus Rathenow und versah dieses Amt bis 1701 in Berlin. Danach berief ihn Friedrich I., König in Preußen, zum Hof- und Leibmedikus an den Hof. Bis 1713 ist er in dieser Funktion nachweisbar (Wilbertz 2019, 561).

Im Verlauf des 18. Jahrhunderts drängten immer mehr Scharfrichtersöhne an die Universitäten. Das Medizinstudium konnte sich dabei in zwei Richtungen öffnen. Einmal war es die Humanmedizin, andererseits konnten sie durch den engen Kontakt mit den Abdeckereien auch als Veterinärmediziner einen erfolgreichen Abschluss anstreben. Von Friedrich Wilhelm Ferdinand Hellriegel, Scharfrichtersohn aus Brandenburg, ist bekannt, dass er 1805 die Königliche Tierarzneischule in Berlin besuchte (Schumann 1996, Forschungen, 150).

Nebeneinkünfte Magie

Im Volk herrschte in der Frühen Neuzeit der Glaube, dass viele Krankheiten und Missgeschicke durch das Einwirken von Zauberkräften verursacht würden. Der Scharfrichter stand gleich dem Hirten oder Schäfer in dem Ruf, über zauberkundliches Heilwissen zu verfügen. Daher verwundert es nicht, dass dieser nicht nur aus seinen medizinischen Kenntnissen, sondern auch aus dem Aberglauben des Volkes seinen Nutzen zog. Sehr begehrt waren Leichenteile, auf die er unmittelbaren Zugriff besaß. Knochen, Haut von Hingerichteten und Menschenfett waren begehrte Medizin oder dienten als Amulett. Selbst das Blut der Verurteilten hatte wichtigen Stellenwert. So wurde es bei Hinrichtungen mit dem Schwert von Scharfrichterknechten noch auf dem Schafott aufgefangen und an Epilepsiekranke verteilt.

Nebeneinkünfte Abdeckerei

In Brandenburg begann etwa im 16. Jahrhundert der Anschluss von Abdeckereien an Scharfrichtereien. Um den Lebensunterhalt der Scharfrichterfamilien zu sichern, die Ämter lukrativ erscheinen zu lassen und die öffentlichen Kassen zu entlasten, wurde die Verbindung dieser beiden Gewerke gefördert. Hierbei darf nicht vergessen werden, dass es sich zum einen um zwei völlig unterschiedliche Berufe handelt. Zum anderen ist die Verflechtung der beiden Berufsgattungen, wie sie in Brandenburg-Preußen vorkommt, keine typische Erscheinung im gesamten deutschen Territorium.

Erschienen die Abdeckereien ab dem 16. Jahrhundert zwar als selbstverständliches Annexum des Scharfrichterdienstes in den landesherrlichen Bestallungen, so durften die Scharfrichter doch nicht selbst die abdeckereitypischen Tätigkeiten ausführen. Dazu mussten sie geeignetes Personal – einen Abdecker oder Knechte – anstellen. Ein preußisches Gesetz vom Jahr 1729 schrieb vor, kein Halbmeister oder Abdecker solle sich „unterstehen, mit dem Schwert zu richten, […] sondern nur ausgebildete Scharfrichter, die sich niemals persönlich mit der Abdeckerei abgegeben haben“ (Genesis 2006, 65).

Gesellschaftliche und soziale Stellung

War der Scharfrichter anfangs noch städtisch angestellt, wurde er bald kurfürstlicher, später königlicher Beamter. Damit verfügte er über besondere Rechte gegenüber den Stadtbürgern. Häufig besaß er kein Bürgerrecht und unterlag so weder den Bürgerpflichten noch dem Stadtrecht. Als kurfürstlicher/königlicher Beamter war er direkt der Gerichtsbarkeit des Landesherrn unterstellt. Dies führte häufig zu Streitigkeiten zwischen Stadt und Scharfrichter sowie Stadt und Amt. Einer der Vorteile, nicht im Besitz des Bürgerrechts zu sein, stellte die direkte juristische Unterstellung unter die kurfürstliche Hausvogtei dar. Zudem kam die Befreiung von sämtlichen  bürgerlichen Lasten, wie Einquartierung und Steuern, dem Scharfrichter in seinem inzwischen ausgeprägten Standesbewusstsein sehr gelegen. So ist auch verständlich, weshalb sich der Potsdamer Scharfrichter Gottfried August Hellriegel am 28. 3. 1809 bei der Hausvogtei in Berlin darüber beschwert, dass er vom Magistrat gezwungen werden soll, das Bürgerrecht anzunehmen (GStAPK, I. HA, Rep. 9, KK 7, Nr. 4196).

Scharfrichter unterfielen ebenso wie Müller, Leinweber, Zöllner, Schäfer, Hirten, Gerber, Türmer, Gerichtsdiener, Bettelvögte und Totengräber der „Unehrlichkeit“, wobei auch innerhalb dieser Gruppe noch einmal unterschieden wurde. Besonders behaftet mit diesem Makel waren diejenigen Gewerke, die sich mit Schmutz, Strafe und Tod befassten.  Worin die Ursachen dieser auch als „levis notae macula“ bezeichneten „Unehrenhaftigkeit“ liegen, ist in der Literatur umstritten. Verschiedene Ansätze gehen von einer  rechtsgeschichtlichen, psychologischen, sakral-magischen oder auch rationalistischen Herleitung aus (Nowosadtko 1976, 21ff.). Die Auswirkungen der „Unehrlichkeit“ sind am deutlichsten im alltäglichen Umgang der Gesellschaft mit dem Scharfrichter zu erkennen. Zünfte verwehrten „unehrlichen“ Leuten den Zutritt, schon der Kontakt von Zunftangehörigen konnte den Ausschluss aus derselben nach sich ziehen. Allerdings beschränkte sich dieser Verstoß gegen die „guten Sitten“ meist auf die Zahlung von Geldbußen. Noch 1722 berichtet der Magistrat von Brandenburg: „Es gehet auch der Abscheu vor dergleichen und ihre Angehörigen so weit, das wir uns schon Exempel erinnern können, daß wenn nur ein Handwercks-Genosse ein Pferd oder Carriol von einem Schinderknecht gemiethet, sie deshalb den Meister oder Gesellen, so sich damit zu schaffen gemacht, aus dem Gewerke excludiren wollen“ (Genesis 2006, 71).

Wohl auch aus diesem Grunde gab es auch immer wieder Kleiderverordnungen für den Scharfrichter. Als eine wesentliche Grundlage der Regelungen ist die Reichspolizeiordnung von 1530 zu nennen: „Es soll auch jede Obrigkeit ein fleißig Einsehens thun, dass sich die Züchtiger, Nach=Richter und Feldmeister oder Abdecker, mit ihrer Kleidung tragen, damit sie vor andern erkannt werden mögen.“( Nowosadtko 1994, 242) Doch ob sie sich tatsächlich daran hielten, könnte fragwürdig sein. Wie aus zahlreichen Gemälden, Abbildungen und Portraits hervorgeht, dürften sich Scharfrichter optisch eher wie Landsknechte gekleidet haben. Der Brandenburger Scharfrichter Gottfried Hellriegel ließ sich zwischen 1736 und 1755 im Habitus des besitzenden Bürgertums porträtieren (Abb. 3).

Söhnen von Scharfrichtern und Abdeckern blieb meist gar nichts anderes übrig, als den Beruf ihres Vaters, beziehungsweise ein damit verbundenes Gewerbe auszuüben. So ist es nur allzu verständlich, dass  es den Scharfrichtern schon immer ein Anliegen war, ihre Ehre wiederherzustellen und voll in die Gesellschaft integriert zu werden. Erst ein Reichsgesetz vom 18. August 1731 erklärte alle „unehrlichen“ Personen mit Ausnahme des Abdeckers für zunftfähig. Es wurde 1732 erweitert, indem man den Kindern eines Scharfrichters bei der Berufsaufgabe des Vaters und einem eigenen dreißigjährigen „ehrlichen“ Leben die „Ehrlichkeit“ zurückgab. Die Enkelkinder wurden gleich „ehrlich“ gesprochen. Es war wohl schwierig, über eine so lange Zeit sein Brot „ehrlich“ zu verdienen, denn zwei Verordnungen aus den Jahren 1771 und 1772 hoben nun den Ausschluss der Scharfrichterkinder von den Zünften auf.

In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts ging die Zahl der öffentlichen Hinrichtungen stark zurück, für Preußen gab es per Gesetz ab 1851 keinen öffentlichen Vollzug der Todesstrafe mehr. Die Scharfrichter hatten inzwischen erfolgreiche Gewerbetriebe mit angeschlossenen Abdeckereien, Knechten und Mägden geschaffen, an deren Spitze sie selbst standen. Sie konnten lesen und schreiben, behandelten kranke Menschen und Tiere und hatten sich neben dem, ihrem Amt innewohnenden ambivalenten Tabu auch eine gewisse Stellung im städtischen Gesellschaftsleben geschaffen. Der Rückgang der Hinrichtungen stellte sie vor die Notwendigkeit, sich auf einem anderen Gebiet zu spezialisieren. Viele zogen sich auf ihre Abdeckereien zurück, andere ergriffen das Studium der Tiermedizin oder ließen sich in anderen Berufszweigen nieder. So endete die Ära einer im städtischen Gefüge überflüssig gewordenen Berufsgattung und wurde bis zur Abschaffung der Todesstrafe auf beiden deutschen Territorien nur noch von Einzelpersonen ausgeübt.

Quellen

Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz: I. HA, Rep. 9, KK 7, Nr. 4196,  4195.

Literatur

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Danckert, Werner: Unehrliche Leute. Die verfemten Berufe. Bern, München 1963.

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Eckert, Christian: Der Fronbote im Mittelalter. Nach dem Sachsenspiegel und den verwandten Rechtsquellen. Ein Beitrag zur deutschen Rechtsgeschichte. Leipzig 1897.

Genesis, Marita: Scharfrichter in der Stadt Brandenburg. Betrachtung eines Berufsbildes. 2006. [Siehe: Hier]

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Koch, Tankred: Die Geschichte der Henker. Heidelberg 1988.

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Nowosadtko, Jutta: Scharfrichter und Abdecker. Der Alltag zweier "unehrlicher Berufe" in der Frühen Neuzeit. Paderborn, München, Wien, Zürich 1994.

Oppelt, Wolfgang: Über die „Unehrlichkeit“ des Scharfrichters. Unter bevorzugter Verwendung von Ansbacher Quellen. Lengfeld, 1976.

Pechaček, Petra: Scharfrichter und Wasenmeister in der Landgrafschaft Hessen-Kassel in der Frühen Neuzeit. Frankfurt (Main) 2003.

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Schumann, Ilse: Forschungen zu brandenburgischen Scharfrichter- und Abdeckerfamilien. In: Herold-Jahrbuch. NF. 1 (1996), S. 127-156.

Schumann, Ilse: Über Scharfrichter, Abdecker und "peinliche" Strafen. Bibliographie der Veröffentlichungen 1971 – 2004. Anhang: Bilder aus märkischen Scharfrichtereien. 2004. [Siehe: Hier]

Stölzel, Adolf : Urkundliches Material aus den Brandenburger Schöppenstuhlakten. Bd. 1-4, Berlin 1901.

Wilbertz, Gisela: Martin Coblentz81662-1713) – Scharfrichter und Hofmedicus in Berlin. Sonderdruck aus der Festschrift zum 150-jährigen Bestehen des Herold zu Berlin 1869-2019 (= Herold-Jahrbuch, 23/24, 2019), S. 509-569.

Abbildungsnachweis

Abb. 1 http://wiki-commons.genealogy.net/Datei:Nequambuch-M05.jpg:Nequambuch-M05.jpg (CC BY-SA 3.0)

Abb. https://commons.wikimedia.org/wiki/File:N%C3%BCrnberg_%E2%80%94_GNM_2013-09-07_Mattes_(114).JPG#mw-jump-to-license (CC BY-SA 2.0 – Foto: Mattes)

Abb. 3 Privatarchiv I. Schumann

Empfohlene Zitierweise

Genesis, Marita: Scharfrichter, publiziert am 13.03.2020; in: Historisches Lexikon Brandenburgs, URL: http://www.brandenburgikon.de (TT.MM.JJJJ)

Kategorien

Epochen: Spätes Mittelalter - Konfessionelles Zeitalter - Absolutismus/Aufklärung
Themen: Stadt und Bürgertum


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